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9 Beim Schmerztherapeuten

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Mein „Frohsinn“ schwand, als ich ihren Wagen wegfahren hörte: Ich fühlte mich schlecht. Dies wunderte mich allerdings nicht, denn ich realisierte im gleichen Moment, dass ich sie nach wie vor liebte, obschon ich nach wie vor nicht hätte sagen können, warum. Diese widersprüchliche Emotionslage hatte mich seit der Trennung einige Male gestört, ja, geschaudert hatte es mich.

In einem Gefühl des Angewidertseins wuchtete ich mich auf, trottete zur Terrassentür, und schaute nach draußen. Einige Holzscheite lagen verstreut auf den vermoosten Waschbetonplatten. Vor dem Terrassengeländer hatte Mutter einen Stapel frisch gespaltenen Holzes aufgeschichtet. Ich dachte:

Ja, zerhackt fühlte ich mich. Desintegriert. Inkomplett. Erstaunen erfasste mich. Warum sollte ich mich nach der Trennung weniger komplett fühlen als davor?

Erneut angewidert riss ich mich aus dem Gedanken, griff mir, mit mir und überhaupt allem unzufrieden, Telefon und „Gelbe Seiten“, und begann, mich nach einem Paartherapeuten zu erkundigen. Als schwierig stellte sich heraus, einen Beziehungsklempner zu finden, der einen Termin in der Vorweihnachtszeit frei hatte, was auch daran lag, dass es Sonntag war. Die meisten waren also gar nicht zu erreichen. Schließlich hatte ich Erfolg: Mir fiel ein Kollege ein, der mir vor Jahren eine Paartherapeutin empfohlen hatte. Ich rief ihn an, er gab mir die Privatnummer der Dame, ich versuchte mein Glück – und hatte Glück. Gerne würde sie einem Freund von Professor Metzger helfen, meinte sie.

Ich kontaktierte meine Frau zwecks Terminabstimmung. Wir einigten uns auf den nächsten Tag, den 22. Dezember um acht Uhr am Abend. Und ich hoffte wieder!

Die Zeit bis zu diesem „paartherapeutischen“ Termin floss wie ein Kuhfladen auf dem Flachdach an mir vorbei. Zum Glück hatte ich vorher das Date mit meiner Frau auf dem Einwohnermeldeamt. So ginge die Zeit schneller vorbei!

Meine Frau hatte mich für dieses Date abgeholt, was ich nett fand, denn bis Mainz war es eine Stunde Fahrt. Der Besuch auf diesem Amt war derart nichtssagend gewesen, dass ich ihn schon zehn Minuten später kaum erinnerte. Ich wusste lediglich, wie mich eine verdorrte Büroschabe gefragt hatte, ob ich mir „diesen Teil da angeschaut“ hätte. (Sie hatte sich, glaube ich, auf den Abschnitt eines Formulars bezogen.) Ich hatte bejaht, weil ich keine Lust gehabt hatte, mir „diesen Teil da“ tatsächlich durchzulesen, und mich gefreut über das Unpräzise der Formulierung („diesen Teil da angeschaut“!), denn gestreift hatte mein Blick das Papier und somit „diesen Teil da“ schon und ich hätte nicht gerne gelogen, da dies nicht meine Sache war). Die Schabe lächelte wie nach drei Lindan auf ex und meinte, dann solle ich gleich mal da unterschreiben. Ich unterschrieb da und hoffte im gleichen Moment, doch bitte keinen Fehler gemacht zu haben, doch bitte keinen Staubsauger bestellt zu haben. Meine Frau lächelte und wir verließen das Gebäude.

Draußen sagte sie mir, sie sei etwas knapp dran. Ich wusste, dass sie sich nicht auf die Zeit bezogen hatte, und gab ihr ein paar Scheine. Tausend Euro, glaube ich. Sie bedankte sich und ich fragte, ob sie mich bei „Schmück“, einem Autoverleih am Stadtrand von Mainz, absetzen könne. Sie bejahte und ich bedankte mich.

Auf der Fahrt zu Schmücks erkundigte ich mich, ob ich am Abend eine Stunde früher kommen solle. So könne ich mich mit den Kindern verlustieren und ihnen ihre Weihnachtsgeschenke geben. Wieder blähten sich die Nüstern: Das gehe jetzt aber überhaupt nicht. Das würde zu viel Unruhe schaffen. Es sei schon genug, dass sie mich zu dieser Paartherapeutin begleite. Weitere „Irritationen“ wolle sie jetzt einfach vermeiden. Ich bohrte nicht nach, um eine zu große Anspannung vor unserer paartherapeutischen Sitzung zu vermeiden. Aber unterdessen störte mich diese Hinhaltetaktik, was die Kinder anging, erheblich.

Wollte Magnolia nicht, dass ich die beiden sehe?

Beinahe hätte ich mir einen schwarzen „Alfa Romeo Spider“ bei Schmücks geliehen. Einen „Spider“ (in Rot allerdings) hatte ich selbst einmal gehabt, als ich Arbeitsgruppenleiter an der Mainzer Uni gewesen war. Eine aus weiter Ferne hallende Stimme, die mich an meine Frau erinnerte, sagte mir jetzt aber „tu’s nicht!“ und „willst du das Geld zum Fenster rauswerfen?“. Nach kurzem innerem Zwist widerstand ich der Versuchung und mietete mir einen silberfarbenen „VW Polo“. Schließlich ging es darum, dass ich beweglich war. Auch tröstete mich, was mir generell an Mietwagen gefiel: Ich musste sie nicht waschen. (Ich schmunzelte, denn ich hatte daran denken müssen, wie sehr sich meine Frau aufgeregt hatte, dass ich meinen „Alfa“ nie gewaschen hatte. Ebenso mit dem Ölwechsel hatte ich mich schwergetan, aber das ist eine andere Geschichte.)

Für die Paartherapie holte ich meine Frau bei ihren Eltern ab (sie wohnte zurzeit bei diesen). Es war dunkel, die Straßen waren gefroren, und ich kam pünktlich an. Eigentlich hätte meine Frau draußen warten sollen. Aber dort wartete sie nicht. Also wartete ich. In meinem Wagen. Nach zwei Minuten wurde mir das zu viel (ich wollte nicht zu spät zur Paartherapie erscheinen!) und ich riss mich gegen allen Widerwillen (die Schwiegereltern!) zusammen und stieg aus, um an der Haustür zu klingeln.

Zögerlich näherte sich mein Finger der reifüberzogenen Kupferklingel. Ich wusste, dass es Kupfer war, denn ich fand die Klingel hässlich. Wie überhaupt vieles in diesem Haus. Teuer und hässlich. (Mein Schwiegervater, ein immerdar korrekt gekleideter und verlässlich seitengescheitelter Herr, den ich mir auch als überaus malignen doch stets regelorientierten Lagerkommandanten hätte vorstellen können mit seinem absolutistischen Geschwätz, hatte bis zu seinem Ruhestand eine Direktorenstelle bei einer Mainzer Rundfunkanstalt und einen Aufsichtsratsposten bei der ehemaligen Landesbank Rheinland–Pfalz innegehalten. Trotz seines Geldes hatte er einen gräulichen Geschmack, den seine unsägliche Gemahlin zu unerbittlichen Blüten getrieben hatte, die ich hier nicht beschreibe möchte. Ich kann es nicht! Es wäre zu grausam! Zu meiner Schwiegermutter hatte ich im Übrigen kein gutes Verhältnis: Ich konnte sie nicht ausstehen mit ihrem scheinheiligen Grinsen, ihren vor Falschheit spritzenden, zusammengezwickten Augen und ihrer modischen, plastiksteifgesprühten Kurzhaarfrisur. Sie kam mir vor wie eine leitende Repräsentantin von „Tupperware“ auf einem Wohltätigkeitsabend, bei dem sie „noch schnell“ ein paar Plastikschüsseln an demente Heimbewohner zu „verdrücken“ gedachte. Ich erinnerte mich jetzt daran, als ich sie zum ersten Mal gesehen hatte. Bis ins Mark erschrocken hatte ich mich! Meine Frau hatte sie [kurz vor unserer Verlobung war das gewesen] zu mir ins Labor geschleppt, um ihr zu zeigen, wie toll meine Abteilung doch sei. Zähneknirschend hatte ich die Frau ans Mikroskop gelassen und ihr erlaubt, meine wunderschönen Neurone zu beglotzen. Geärgert hatte ich mich, dass ich ihr kein eitriges Anus–Präparat hatte unterjubeln können [derlei hatte ich nicht geführt!] und ich hatte an meinen Onkel Richard denken müssen, der mir als keuschem Jüngling einen Rat mit auf den Weg gegeben gehabt hatte, den ich besser befolgt hätte, ich Idiot! „Pass auf Jakob!“, hatte er gesagt gehabt, „Wenn du mal eine heiraten willst, schau dir erst deine künftige Schwiegermutter an. Das ist nämlich, was du bekommst!“ Und jetzt weiß ich: „Hätte ich doch nur auf Onkel Richard gehört!“ Jedes Mal gründlich watschen hätte ich mich können, wenn ich jetzt, nach der Trennung, an diese Geschichte gedacht hatte. Und ich dachte immer an sie, wenn ich an meine Schwiegermutter dachte. Alleine ihre blecherne Schnarrstimme! Und dieses krötenhafte Glucksen, wenn sie über jemanden hergezogen hatte, wobei ich sie fast nur hatte schnarrend glucksen hören, denn sie hatte grundsätzlich über andere hergezogen. – Ekelhaftes Weib!)

Ich riss mich aus meiner Empörung, fasste mir ein Herz, und klingelte. Nach einer geraumen Zeit (wahrscheinlich wollte das Luder, dass ich mir den Arsch abfror! Gehässiges Pack, gehässiges!) hörte ich Schritte im Hausflur. Ein dämonisches Schattenwesen (Wie ein auf Aas landender Geier! Das musste meine Schwiegermutter sein!) baute sich im Milchglas der ebenfalls geschmacklosen Haustür vor mir auf. Diese öffnete sich.

Und da stand meine Schwiegermutter. Sie schaute mich starr und böse an, was sie mir direkt sympathischer machte (wenigstens ein Mal nicht schleimig und verlogen lächelnd!). Im Hintergrund streckte mein Schwiegervater seinen Krähenkopf in den Flur.

„Magnolia föhnt sich noch“, schnarrte meine Schwiegermutter. „Ist gleich fertig und kommt dann runter.“

Sie schloss die Tür. Ich war froh, dass sie mich nicht hereingebeten hatte, und ging zurück zum Wagen, erleichtert auch, dass ich die Kinder nicht in diesem Geierhorst hatte sehen müssen.

Ich fuhr schneller, als es die Vorsicht gebot, um die verlorene Zeit wieder gut zu machen (meine Frau hatte sich offenbar ausgiebig geföhnt!). Es hatte nochmals geschneit und war kälter geworden. Oder hatte ich mir Letzteres nur eingebildet, als meine Frau in den Wagen eingestiegen war? Während der Fahrt unterhielten wir uns nicht. Die Stimmung war gedrückt. Auf dem Parkplatz vor der Praxis fragte ich meine Frau, was für ein Gefühl sie habe.

„Eigentlich gar keins“, antwortete sie, ohne mich anzusehen.

Wir stiegen aus und stapften durch den Schnee auf das Gebäude, einen tristen Betonklotz aus den Achtzigerjahren, zu. Unter meinen Schuhen ächzte es gequält. In meinen Fußballen spürte ich das harsche Knirschen zertretenen Schnees.

Wir hatten den Eingang erreicht. Ich klingelte. Eine Stimme rauschte, die ich nicht verstand, weshalb ich einfach „Zucker“ sagte. Es brummte nasal und die Tür sprang auf.

Das Treppenhaus war nicht minder unansehnlich als das Äußere des Gebäudes. Es roch nach „Sagrotan“ und Moder. Die Wände waren mit eitergelber Ölfarbe gestrichen. Das konnte ja heiter werden!, dachte ich mir. Wir stiegen die billige, gangränbraune Kunststeintreppe nach oben. Die Praxis lag im zweiten Stock.

Die Tür zum Wartezimmer, in dem es dunkel war, stand offen. Aus einem beleuchteten Flur kam uns die Therapeutin entgegen. Sie blieb in der Tür stehen und schien im grellen Licht hinter ihr zu stauben wie eine Mumie. Die Frau war Anästhesistin, hatte eine Praxis für Schmerztherapie und eine Zusatzzulassung für Paartherapie. Ich empfand das als brauchbare Kombination. Ihr Gesicht konnte ich gegen das Licht nicht erkennen, womit mir allerdings nichts entgangen war, wie ich bald feststellen würde. Die Frau bat uns, hereinzukommen. Wir folgten ihr.

Wir nahmen auf einer Couch Platz. Die Therapeutin saß uns gegenüber auf einem Stuhl. Sie hielt einen Notizblock in der Hand und hatte spröde, halblange Haare, denen eine Pflegepackung sicher gutgetan hätte. Schwarz oder dunkelbraun, dieses Reisig. Ihr spitzes Gesicht erinnerte an eine darmkranke Maus.

Sie, die Therapeutin, ergriff das Wort. Nach einigen einleitenden Worten bat sie meine Frau, das Problem aus ihrer Sicht, also der Sicht meiner Frau, darzustellen. Und meine Frau legte los. In schillernden Farben schilderte sie mein vermeintlich unerträgliches Verhalten: Ich sei total egoistisch, würde nichts für die Familie machen, mich nicht an Zusagen halten, sei ständig eifersüchtig, anerkenne gar nicht, wie sehr sie sich aufopfere, wolle nie ... Natürlich trug sie die Tirade in Form einer kohärenten Geschichte vor, die plausibel klang, die ich allerdings vergessen habe. Ich erinnere mich derweil, dass ich mich während der Ansprache bisweilen wunderte und dachte:

War schon lustig, wie Magnolia unsere Ehe sah. Vielleicht hatte sie die letzten Jahre mit jemand anderem verbracht und ich saß jetzt nur „aus Versehen“ hier.

Sporadisch bat mich die Therapeutin ums Wort. Ich wollte diese Gelegenheiten nutzen, diejenigen Aussagen meiner Frau, an die ich mich (gerade noch) erinnern konnte, zu korrigieren, wurde aber ständig von ihr unterbrochen. Letztlich kam ich während der gesamten „paartherapeutischen“ Sitzung, die annähernd eine Stunde dauerte, maximal fünf Minuten zu Wort.

Das Spektakel mutete grotesk an. Mir war klar, dass es meiner Frau nicht um eine Einigung ging, sondern um meine Verurteilung. Die Paartherapeutin nickte regelmäßig wie einer dieser Plastikdackel, die man gelegentlich auf der Hutablage von Pensionärswagen sieht. Die Straße schien recht holprig zu sein, denn sie nickte unentwegt.

Als die Sitzung vorbei war, fragte mich die Therapeutin, ob alles in Ordnung sei und ich mir auch bestimmt nichts antun wolle. Ich beantwortete den ersten Teil ihrer Frage mit „ja“ und den zweiten mit „nein“. Sie lächelte befriedigt – Staub schien aus ihrem Mund zu rieseln! – und steckte mir ihre Visitenkarte zu. Ich ließ diese schleunig in meiner Gesäßtasche verschwinden und wischte mir hierbei unauffällig die Fingerspitzen, die sie gehalten hatten, ab. Endlich verließen wir den Ort.

Wieder im Freien, steuerten wir schnurstracks den Wagen an und stiegen ein. Ich startete den Motor. Da ich vergessen hatte, das Radio bei der Ankunft auszuschalten, lärmte es auf einmal und ich erschrak mich. Es spielte „Open Road“ von Bryan Adams.

Open Road? Das war doch okay!, beruhigte ich mich, und fuhr los. Wie auf der Hinfahrt sprachen wir nichts. Es bedurfte keines Gespräches. Die zwanzig Minuten bis zum Hause Kamp kamen mir viel zu lang vor. Ich atmete befreit aus, als meine Frau ausstieg.

Zehn Minuten war ich bestimmt gefahren, als ich bemerkte, dass ich vergessen hatte, meiner Frau die Weihnachtsgeschenke für die Kinder mitzugeben. Ich ärgerte mich, machte mir aber klar, dass dieses Weihnachtsfest eben ein „besonderes“ sein würde.

Die Methode Cortés

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