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30 Und sie jodelte nicht

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Einen Termin mit Nancy hatte ich am nächsten Nachmittag. In ihrem Wartezimmer musste ich mich nicht lange gedulden: Nach zwei Minuten erschien ihre Sekretärin und ließ mich wissen, dass der „Boss“ jetzt „ready“ sei. Sie nickte mich zu sich und führte mich in ein mondänes Besprechungszimmer, das allerdings keine Fenster hatte. Die Wände waren in exzessiv verziertem Holz gehalten, an den Decken flimmerten Neonröhren, und in der Mitte stand ein langer Holztisch, der von schweren, reich beschnitzten Beinen getragen und von rotgepolsterten, überornamentierten Mahagonisesseln umrahmt war. Als ich den Raum betrat, erschrak ich, so weich und tief war der dunkelgrüne Teppichboden. Wie ein Storch im welken Salat stelzte ich durch das Zimmer, setzte mich an das der Tür gegenüberliegende Kopfende des Tisches, und inhalierte das erbauliche Haselnussaroma des Kaffees, der schon auf dem Tisch stand.

„Coffee?“, fragte mich die Sekretärin.

„Ja“, antwortete ich.

Sie verschwand und kehrte nach fünfzehn Sekunden mit einem Tablett zurück, auf dem zwei weiße Tassen standen. Die eine stellte sie vor, die andere rechts neben mir ab. Sie füllte sie, lächelte freundlich und verabschiedete sich. Wie sie den Raum verließ, betrat ihn Nancy – da war ich mir sicher, dass sie das war! – aus einem dunklen Flur. Nancy war attraktiv, Anfang vierzig, hatte glattes, schwarzes Haar und ein verschlagen–spitzbübisches Mäusegesicht. Zuerst fielen mir jedoch ihre anziehend prallen Schenkel auf, und ihre großen Brüste, die das enganliegende, an eine Tracht erinnernde Kostüm zu zersprengen drohten.

Ob Nancy gleich zu jodeln anfinge?

Sie jodelte nicht, sondern hockte sich vor ihre Kaffeetasse und erzählte mir, wie toll sie Deutschland finde. Letzten Sommer sei sie mit ihrem vierten Ehemann im Schwarzwald gewesen und habe auch den Kölner Dom besichtigt. Es sei einfach phantastisch gewesen! Ich fragte sie, ob sie ebenfalls das Oktoberfest besucht und Schloss Neuschwanstein gesehen habe. Sie bejahte. Diesen Trip habe sie allerdings mit ihrem zweiten Gatten vor vier Jahren unternommen.

Inzwischen war sie aufgestanden, eine Schale mit Keksen zu bringen. Hierbei konnte ich mich davon überzeugen, dass sie zu allem Formenüberfluss auch mit einem ausgesprochen knackigen Hinterteil gesegnet war. Mich überrollte die Phantasie, ob ich mich mit der Dame lieber in anderem Kontext als der Besprechung meiner Umgangsrechtsproblematik beschäftigen solle. Mir Nancys Gattenverschleiß vergegenwärtigend, verwarf ich den Gedanken freilich schnell. Ich war überrascht, wie sehr sie mich von meinem eigentlichen Anliegen abgelenkt hatte. Sie war anscheinend genau die Richtige für meinen Fall!

Ich schilderte Nancy die Zeit um die Trennung und meine Befürchtungen. Nancy bestätigte Lynns Aussagen zur rechtlichen Situation. Unterhaltsansprüche hätten hier nur die Kinder, nicht die Ehepartner. Und der Umgang sei so geregelt, dass ihn die Eltern primär unter sich ausmachten, sich aber die texanische Gerichtsbarkeit einschalte und die Angelegenheit übernehme, wenn bei ihm ernsthafte Differenzen entstünden. Derartige Automatismen seien sinnvoll, da unmöglich eine sachliche und den Kindern gerecht werdende Lösung zu erzielen sei, wenn den sich streitenden Parteien die Zwistbearbeitung überlassen werde. Vorprogrammiert sei dann nämlich ein Interessenskonflikt, unter dem letztlich und vor allem die Kinder zu leiden hätten. Und da nach texanischem Recht das Interesse der Kinder, und nicht das des Vaters oder der Mutter Vorrang habe, müsse darauf geachtet werden, dass die Kinder gleichermaßen Umgang mit beiden Elternteilen hätten, was für ein Kind schließlich wesentlich sei.

Zum Abschluss resümierte Nancy, zwar einiges vom deutschen Sorgerecht gehört zu haben, hier aber kein Experte zu sein. Deshalb wolle sie – erläuterte sie, sich ihr bezauberndes Blüschen zurecht rückend – für ein weiteres Treffen eine Zusammenfassung der nach deutschem Recht für den Kindesumgang relevanten Aspekte haben. Idealerweise setze mein deutscher Anwalt hierzu ein paar Zeilen auf.

Noch am gleichen Tag kontaktierte ich Harsdörffer, der mir am nächsten Morgen eine ausführliche E–Mail zum Thema schickte, die ich übersetzte und Nancy zumailte, welche mich daraufhin für den Folgetag einbestellte.

Wir trafen uns wieder im Besprechungsraum. Kaffee und Kekse standen schon auf dem Tisch und wir nahmen dieselbe Sitzposition ein wie am Vortag. Nancy meinte, Harsdörffers Darlegungen bestätigten das Bild, das sie vom deutschen Familienrecht gehabt habe. Sie könne sich daher – und berücksichtigend, wie die Trennung gelaufen sei – gut vorstellen, dass ich erhebliche Probleme haben würde, meine Kinder zu sehen. Insofern sei wichtig, die Sache nach texanischen Bestimmungen zu regeln. Grundvoraussetzung dafür sei, zunächst die Scheidung nach texanischen Gesetzen zu beantragen. Hierbei sei nur eine Schwierigkeit zu bedenken: die Zeit.

Bewilligt werde der texanische Scheidungsantrag nämlich nur, wenn dessen rechtskräftige Zustellung – die dauere! – erfolge, bevor meine Frau mir einen deutschen Scheidungsantrag zustellen würde, was diese schnell und einfach innerhalb Deutschlands tun könne, da ich dort noch einen offiziellen Wohnsitz besäße. Hätte ich hingegen nur einen amerikanischen Wohnsitz, benötigte ein deutscher Scheidungsantrag bis zur Zustellung in den USA etwa drei Monate, da dieser, wie ein amerikanischer Antrag in die Bundesrepublik, den diplomatischen Weg durchlaufen müsse. Es sei deshalb unerlässlich, meinen deutschen Wohnsitz umgehend abzumelden, sodass wir Zeit gewönnen. Ich nickte.

Nancy erläuterte weiter, dass die Zeit allerdings auch dann noch ein Knackpunkt sei, weil die zuständigen deutschen Behörden bei der Weiterleitung – gerade – amerikanischer Anträge besonders langsam arbeiteten. Erstens also sei essentiell, dass meine Frau auf keinen Fall etwas von meinem Vorhaben erfahre. Diese könne mir sonst mit einem deutschen Antrag zuvorkommen. Und das wollten wir ja nicht, wir beide. Ich nickte zustimmend und biss in meinen Keks. Zweitens sei entscheidend, instruierte mich Nancy, bedachtsam mein Kondensmilchdöschen in ihren Kaffee austräufeln lassend, dass wir schnell handelten. Idealerweise reichten wir unseren Antrag bereits am nächsten Tag ein.

Ich wies Nancy darauf hin, dass man im deutschem Recht einen Scheidungsprozess erst ein Jahr nach der Trennung beginne. Folglich sei der zeitliche Druck doch so groß nicht. Nancy war mit dem Reglement vertraut. Sie erläuterte, eine deutsche Scheidung könne – wie in ähnlich gelagerten Fällen übrigens üblicherweise gehandhabt – nach der Härtefallklausel aus außerordentlichen Gründen jederzeit auch vor Ablauf dieser Jahresfrist beantragt werden.

Das war beunruhigend! Ich fragte Nancy, ob sich der Aufwand unter solchen Voraussetzungen überhaupt lohne. Sie sah das optimistisch. Wie ich ihr die Trennung dargestellt hätte, orientiere sich meine Gattin lediglich an Gewinnmaximierung. Deswegen liege es im Interesse meiner Angetrauten, das Scheidungsverfahren hinauszuzögern. Nach deutschem Recht könne eine Ehefrau nämlich vor der Scheidung einen höheren Unterhalt verlangen als danach. Wichtig sei daher, dass ich zahlte, was meine Frau fordere, da diese sonst Verdacht schöpfen und die Scheidung doch auf den Weg bringen würde, bevor mein Antrag zugestellt sei. Ich musste nicht lange nachdenken und stimmte der umgehenden Beantragung der Scheidung zu.

Nancy legte mir dann nahe, ebenso den Sorgerechtsantrag bald, am besten zusammen mit der Scheidung einzureichen. Wiederum spiele die Zeit eine zentrale Rolle, denn je länger wir mit ihm warteten, umso unwahrscheinlicher werde, den Umgang nach texanischem Recht reguliert zu bekommen. Hätten wir den Antrag meiner Frau direkt zugestellt, als diese noch in Texas gewohnt habe, wäre das Verfahren auf jeden Fall nach texanischen Gesetzen behandelt worden. Offensichtlich habe meine Gemahlin eine solch direkte Zustellung zu verhindern gewusst. Da die Kinder aber längere Zeit in Texas gelebt hätten, sei von einer fifty–fifty Chance für eine texanische Umgangsregulierung auszugehen, wenn der Antrag nicht später als sechs Monate, nachdem die Kinder die USA verlassen hätten, zugehe, was jedoch nur machbar sei, wenn ich den Sorgerechts– und Scheidungsantrag gleichzeitig stellen würde. Folglich müsse ich mich möglichst heute entscheiden, wie wir die Sache angingen. Mir war nicht klar, was da groß zu überlegen sei. Nancy belehrte mich:

„Ob wir auf volles Sorgerecht gehen oder auf gemeinsames.“

„Ach so!“, hob ich perplex die Brauen, „Volles Sorgerecht klingt heftig. Ich wollte meiner Frau die Kinder nicht wegnehmen, sondern nur sicherstellen, die zwei regelmäßig zu sehen.“

„Das ist auch gut so“, lächelte Nancy einnehmend, und erläuterte: „Und kein texanisches Gericht würde der Mutter die Kinder wegnehmen, wenn hierfür nicht gravierende Gründe vorlägen. Welches Sorgerecht sich in deiner Sache zu beantragen empfiehlt, ist eher eine strategische Frage. Denn um das Verfahren überhaupt erst einzuleiten, wäre hilfreich dem Gericht zu vermitteln, dass der Lebensmittelpunkt der Kinder in Texas sein sollte. Dieser Ansatz funktioniert allerdings nur über volles Sorgerecht.“

„Ich kenne mich mit diesen Dingen nicht aus“, wiegte ich meinen Kopf, „Aber volles Sorgerecht finde ich hart. Man könnte doch – falls notwendig – später noch darauf zurückkommen.“

„Nein, so läuft das nicht“, schüttelte Nancy den ihren, „Wenn du schon gemeinsames Sorgerecht beantragt hast, kannst du später kein volles mehr beantragen –, außer deine Frau leistet sich nach Prozessbeginn einen dicken Fauxpas, was ich beinahe ausschließen möchte. Und wie gesagt, in deinem Fall könnten sich gerade bei der Aufnahme des Verfahrens Argumentationsschwierigkeiten ergeben. Wie zum Beispiel sollte der Schulbesuch geregelt werden? Die Kinder können nicht eine Woche in Deutschland und die andere in Texas zur Schule gehen. Wenn wir so defensiv fahren, könnte der Richter beim Verfahrensantrag fragen, warum der Fall nicht einfach nach deutschem Recht geregelt wird, weil die Kinder doch jetzt schon in Deutschland wohnen.“

„Ach ja?“

„Ja. An erster Stelle geht es also darum, einen Prozess zu bekommen. Danach kann man immer noch weitersehen und sich über einen Titel Gedanken machen. Kannst du dir denn vorstellen, die Kinder bei dir zu haben und hier zur Schule zu schicken?“

„Dies wäre schwierig, aber denkbar. Ich bin in meinem Beruf flexibel und könnte meine Arbeit so einteilen, dass sie mit den Kindern vereinbar ist. Außerdem könnte ich ein Kindermädchen anstellen, das hilft, Engpässe zu überbrücken. Stimmt, das könnte ich mir auch leisten, wenn ich meiner Frau nichts zahlen müsste. Also, ja, ich kann mir vorstellen, die Kinder bei mir zu haben.“

„Die Idee mit dem Kindermädchen ist klasse! Vielleicht ließe sich ja einrichten, dass deine Frau noch ein paar Scheinchen obendrauf legt. Wäre ja für die Kinder!“

„Von meiner Frau möchte ich auf keinen Fall Geld bekommen!“, empörte ich mich fast.

„War nur ein Scherz!“, beschwichtigte Nancy, sich beruhigend auf mich zu beugend.

„Dacht ich mir“, nickte ich, „Aber zurück zu den Kindern: Sie bei mir zu haben, ginge also. Und sie hier in die Schule zu schicken, ebenfalls. Fände ich sogar gut. Das amerikanische Bildungssystem sagt mir nämlich eher zu als das deutsche. Wenn man weiß, was wie läuft, hat man hier bessere Möglichkeiten, die Kinder auf ausgezeichnete Schulen zu schicken, als dort.“

„Ein wichtiger Aspekt! Das ist doch schon mal ein Punkt. Und wie gesagt, im Laufe des Prozesses kann man sich ja immer noch einigen. Also?“

Ich überlegte kurz und fragte:

„Was wäre, wenn ich den Eindruck bekäme, gemeinsames Sorgerecht sei angebrachter. Könnten wir den Antrag dann noch vor der Zustellung dahingehend ändern oder sogar zurückziehen?“

„Jederzeit. Jetzt ist es am wichtigsten, dass er rausgeht.“

„Gut, also lass uns auf volles Sorgerecht gehen.“

„Okay, let’s do it.“

Ich war froh, dass der Entschluss gefallen war. Zu diesem Zeitpunkt sah ich den Antrag als Backup–Mechanismus für den Fall, dass meine Frau tatsächlich mit den Kindern Schwierigkeiten machen würde. Ich hatte nun Zeit gewonnen und das Notwendige getan, für den Ernstfall gerüstet zu sein.

Ich erkundigte mich bei Nancy, wie hoch die Kosten für das Verfahren seien. Sie meinte, für das Antragsverfahren müsse ich mit sechstausend Dollar rechnen. Was den Prozess angehe, habe sie, weil er ein internationaler sei, wenig Erfahrung. Ich solle mich aber auf fünfzigtausend Dollar einstellen, wenn wir die Sache bis zum Ende durchziehen müssten. Mir wurde etwas mulmig. Doch irgendwie würde ich diesen Betrag schon auftreiben. Schließlich ging es um die Kinder. Die waren wichtiger als Geld.

Auf der Fahrt ins Labor spielte ich mit dem Gedanken, ob ich meiner Frau die fünfzigtausend Dollar einfach geben und mir so den Umgang mit den Kleinen erkaufen sollte. Ich verwarf den Gedanken schnell. Wie ich meine Frau einschätzte, würde sie dann noch gieriger werden, würde immer mehr haben wollen und dafür Max und Moritz als Druckmittel einsetzen. Ich kannte meine Gemahlin! Gerade mit einem derartigen Angebot würde ich ihr zeigen, dass ich erpressbar und ihre Strategie die richtige sei. Nein, was ich und die Kleinen brauchten, war eine zuverlässige Rechtsgrundlage.

Die Methode Cortés

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