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Wahlscheid, Juli 1935 Heidrun

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„Mach´s gut. Und wenn ihr in Köln keine Bleibe mehr habt, dann kommt ihr zu uns aufs Land.“ Wilhelm und Anat verabschiedeten sich herzlich mit einer Umarmung. Auch die beiden Frauen, Wilhelms Frau Heidrun und Rinah, die Anat vor neun Jahren geheiratet hatte, drückten sich einen Kuss auf die Wange.

Der „Bahnhofs-Gustav“, in Personalunion Bahnhofs-Vorsteher, Schrankenwärter, Kneipenwirt und oberste Informations-Instanz im Dorf, runzelte die Stirn ob solcher Vertraulichkeit, murmelt sich einen Fluch in den grauen Bart und setzte Dienst-Mütze und -Miene auf, als der Zug heranrumpelte und mit Gefauche zum Stehen kam.

Anat, Rinah und ihre beiden Kinder Michaela und der kleine Daniel waren zur Sommerfrische zwei Tage am Wochenende auf dem Hof der Merkelbachs in Wahlscheid gewesen und wollten nun mit dem Zug nach Köln zurückfahren. Sie würden gut zwei Stunden unterwegs und rechtzeitig vor Einbruch der Dunkelheit wieder in ihrer Wohnung in der Budengasse sein. So konnten sie einigermaßen sicher sein, nicht von einem Trupp Braunhemden aufgehalten und schikaniert zu werden.

„Die Kölner“, wie Heidrun die Liesenthals nannte, waren gerne hier auf dem Land, denn auf dem kleinen, aber gemütlichen Bauernhof waren sie keinen Angriffen ausgesetzt, die in der Stadt zwar nicht offen zum Ausbruch kamen, aber immer latent vorhanden waren. Trotz des Ansehens, das die Familie Liesenthal in Köln seit Generationen genoss, ließen sie auch die Menschen in ihrer näheren Umgebung spüren, dass sie als Juden nicht erwünscht waren. Da half es wenig, dass Rinah ein Mündel des Kaufhausbarons Leonard Tietz war, der bis zur Arisierung 1933 das größte Kaufhaus in Köln führte. Das war erst zwei Jahre her, aber man hatte den Eindruck, als läge eine Ewigkeit dazwischen.

Die beiden Männer waren ihr in den letzten Tagen merkwürdig bedrückt vorgekommen, hatten lange und mit ernster Miene auf der Bank neben der Scheune gesessen und miteinander geredet und auch jetzt, als sie der Dampflok mit den vier Waggons hinterher winkten, spürte Heidrun, dass ihrem Mann ein dicker Kloß im Hals steckte. Früher hatten die vier immer viel und ausgelassen gelacht, Anat hatte Wilhelm mit seinem überlegenen Wissen über Literatur gehänselt und Willi hatte mit dem Singen von Heimatliedern, die er im Männerchor gelernt hatte, gekontert. Anschließend waren sie dann über die Vorräte des Selbstgebrannten hergefallen und hatten sich köstlich amüsiert. „Man muss in Würde besoffen und alt werden können“, war ihr Leitspruch, den sie dann immer wieder glucksend und wie Kinder kichernd von sich gaben. Die beiden Frauen ließen sie gewähren, erzählten miteinander und nutzten die Zeit, sich näher kennen zu lernen. Heidrun hatte ihrer neuen Freundin ein altes Bergisches Rezept beigebracht: Dielsknall, auch Puttes genannt. Jedes Dorf in der Umgegend hatte einen anderen Namen für das deftige Gericht aus geriebenen Kartoffeln, Mettwurst und gekochtem Schinken. Hinzu kamen noch üppig Pfeffer, Rosinen, Pflaumen und Eier. Das Ganze wurde dann mit reichlich Schmalz zu einem Teig verrührt und in eine runde Backform gegeben, die mit Speckstreifen ausgelegt war. Eigentlich ein Gericht für kalte Winterabende, aber es war Anats Leibgericht und er riss Witze über das Stück Schweinefleisch, das ihnen im Frühjahr 1918 das Leben gerettet hatte. Er konnte geduldig vor dem alten Backes neben der Scheune sitzen und den ca. 2-stündigen Garprozess des Kartoffelkuchens abwarten, der sich dann, auf einen großen Teller gestürzt, als herrlich duftendes, krosses Backwerk präsentierte. Dazu liebte er einen guten Löffel von diesem schwarzen, klebrigen Rübenkraut und er hatte sein Vergnügen daran, wenn die drei Kinder am Tisch bis zu den Ellenbogen eingesaut waren.

Überhaupt hatten auch die drei „Pänz“ eine Menge Spaß miteinander. Die beiden Stadtkinder genossen es, alle paar Monate einige Tage durch die Wälder, Wiesen und Scheunen der Umgebung zu streunen. Heidrun und Wilhelms Sohn Werner wurde 1925, ein Jahr nach ihrer Heirat geboren, Michaela war ein Jahr jünger und der kleine Daniel würde bald sechs werden.

Hoffentlich würden sie sich in Köln durchsetzen können. Gegen diesen Hass und die Gleichgültigkeit konnte auch all das Geld, das ihr Vater verdient hatte, nicht ankommen, ging es Heidrun durch den Kopf. Traurig hatte Anat berichtet, dass die braune Flut nun auch den Kölner Karneval erreicht hatte. Seit die Gestapo ihr Hauptquartier für den Gau Köln-Aachen mitten in der Stadt eingerichtet hatte, war man in der Kölner Innenstadt nicht mehr sicher und im Rosenmontagszug, wichtigste Ikone Kölner Brauchtums, waren Wagen mit antisemitischen und rassistischen Hetzparolen mitgefahren. Die Kölner Karnevalsvereine hatten sich weitgehend mit den neuen Herren arrangiert, denn wer aufmuckte oder der humorlosen Bande den Spiegel vorhielt, wurde drangsaliert und bekam Auftrittsverbot, wie der Büttenredner Karl Küpper, der den dämlichen Nazigruß mit „Eß et am rähne?“ oder „Bei uns im Keller litt der Dreck esu huh!“ veräppelte. Anat hatte sich jahrelang im von Max Salomon gegründeten und allseits respektierten jüdischen Karnevalsverein „Kleiner Kölner Klub 1922“ engagiert, aber mittlerweile war auch der Kölner Fasteleer von den braunen Rotten infiltriert und er wurde kaum noch eingeladen. Ein Vereinsleben war ihm als Jude ohnehin verwehrt, aber seine finanziellen Zuwendungen wurden vom Komitee gerne angenommen, hatte ihr Rinah erzählt.

„Komm, wir fahren heim.“ – Willi riss seine Frau aus ihren Gedanken. „Willst du nicht noch auf ein Bier und einen Schnaps in den Bahnhof?“ Trotz der gedrückten Stimmung gestern Abend hatten die beiden Freunde zwar eine gute Portion Alkohol gehabt, aber sie wollte ihrem Mann nicht seine gewohnte Einkehr nehmen. „Nein – ich will heim, mir ist nicht nach Gustav“, meinte er mit einem Blick auf den Bahnhofsvorsteher, der in seiner Strickjacke jetzt wieder wie ein Wirt aussah und mit seinem alten Kumpel, dem Kürten-Scheng, auf der Bank saß und sich von seiner Schwester den Schnaps bringen ließ. Eine Frau hatte Gustav nicht und außer seiner Schwester Gertrud hätte es auch kaum eine Frau bei diesem ewig greinenden und vor sich hinknurrenden alten Dickschädel ausgehalten.

Der wahre Grund, warum Willi nach Hause wollte, war Heidrun nicht verborgen geblieben. An der Theke in der Gaststätte saß Richard Schiermeister, der „Dorfschulze“, wie er von allen genannt wurde. Bei der Gemeindewahl 1933 war er mit seinen wirren Hetz-Parolen mit Pauken und Trompeten durchgefallen, aber ein Jahr später wurde er nach der neuen Reichs-Gemeindeverfassung vom Landrat in Siegburg als „Gemeindeschulze“ eingesetzt. Willi war schon mehrfach aufs Übelste mit dem grobschlächtigen Schwätzer aneinandergeraten, vor allem Willis Freundschaft zu einem Juden wurde von ihm ständig böse kommentiert.

Sie stiegen in den Wagen, Wilhelms ganzer Stolz: ein Brennabor Typ P von 1919, den ihm sein Onkel, der im Nachbarort die Tochter des Kohlenhändlers geheiratet hatte, vor ein paar Jahren geschenkt hatte. Das Gefährt stammte aus der ersten Serie von Fahrzeugen, die nach dem Krieg wieder in Brandenburg gebaut worden waren und entsprechend anfällig war der 8-Zylinder mit seinen 24 PS auch. Aber Willi war ein geschickter Handwerker und er bekam so allerlei wieder ans Laufen.

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