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Köln, Anfang November 1938 Anat

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Anat trat aus dem Haus in der Budengasse, wo ihre Wohnung lag, und stand einen Augenblick auf der nassen Straße. Er hatte sich einen Termin beim alten Bankier Weber geben lassen und hoffte, dass er sich damit endlich Klarheit verschaffen konnte, wie sich sein Leben und das seiner Familie zukünftig gestalten sollte.

Die Nazis hatten ihm seine Goldschmiedewerkstatt dicht gemacht. Er musste seine elf Angestellten entlassen und auch sein Schmuckgeschäft hatte er schon vor zwei Jahren geschlossen, als die Angriffe gegen ihn zu massiv wurden. Einer seiner alten Kollegen beschäftigte ihn seitdem bei Bedarf als Uhrmacher. Jetzt kam ihm zugute, dass ihn sein Vater nach dem Krieg in eine Lehre gedrängt hatte. Er konnte von Glück sagen, dass er es mithilfe eines alten Angestellten geschafft hatte, einen Großteil der Goldvorräte und die Schweizer Vreneli-Münzen auf Seite zu schaffen und sie so dem Zugriff der Nazi-Schergen erst einmal zu entziehen. Seit April des Jahres mussten Juden Geldbeträge über 5.000 Reichsmark anmelden und Anat hatte pflichtgemäß sein Bankkonto angegeben, das rund 20.000 RM auswies, den Rest aber verschwiegen. Sie hatten ihn bis zum Gauleiter Grohé zitiert, wo er befragt wurde, aber letztlich ließen sie ihn wieder laufen. Offensichtlich waren die Nazis der Meinung, dass er sich irgendwann verraten würde und das Vermögen der Liesenthals dann ohne öffentlichen Skandal in die Hände des Volkes fiel, wo es ohnehin hingehörte, denn nach Meinung Josef Grohés hatten die Juden alles dem deutschen Volk gestohlen.

Er betrat das Vorzimmer des Bankiers und das grau gekleidete Fräulein gestattete sich einen abschätzenden Blick. Die Kleidung des ehemaligen Goldschmieds war tatsächlich nicht mehr zeitgemäß und an einigen Stellen geflickt, aber er und Rinah hatten beschlossen nicht zu zeigen, dass sie noch über nicht unerhebliche Mittel verfügten, um die Begehrlichkeiten der Nazis in Grenzen zu halten.

„Der Herr Direktor Weber hat gleich Zeit für Sie. Warten Sie einfach einen Moment ab.“ Sie bot ihm keinen Stuhl an. Noch vor vier Jahren hätte sie sich vor Freundlichkeit überschlagen und ihm eine Tasse Kaffee angeboten, aber die Denkmuster dieses einfach gestrickten Geschöpfs waren von den Einflüssen der Zeit nicht verschont geblieben.

Eine Tür in der schweren Eichentäfelung öffnete sich und der alte Bankier betrat humpelnd den Raum. Schwergewichtig mit hochrotem Kopf und Schwabbelkinn entsprach er voll dem Prototypen eines Bankers dieser Zeit. Einzig die listigen Augen unter den dicken Haarbüscheln seiner Augenbrauen zeigten eine gewisse Lebhaftigkeit. „Kumm rinn, Jung – un, Friedche, breng uns ene Kaffee, aber ne juute.“ Wenn Anat ihn so sah, konnte er seine stille Sympathie für den alten Knochen nicht verbergen. Er musste schmunzeln, weil der „Ühm“, wie ihn seine Freunde nannten, den Singsang seiner kölschen Zunge nicht verbergen konnte, auch wenn er versuchte, Hochdeutsch zu sprechen. Anat wusste, dass der schwer herzkranke Ühm neben Englisch und Französisch auch fließend Russisch sprach, sehr gebildet war, und lange Abende bei Schoppen und dicken Zigarren mit Gästen aus allen Schichten im Mohr-Baedorf am Neumarkt verbrachte und über Gott und die Welt philosophierte.

Dennoch: der alte Weber war ein knallharter Geschäftsmann und ein Nationalist wie er im Buche stand und hatte als solcher klar gesagt, was er von der Ehe zwischen seiner Enkelin Rinah und Anat hielt. Aber schon sein Sohn Hubert hatte einen eigenen Kopf gehabt, eine Halbjüdin geheiratet und sich komplett aus der Familie und dem Bankgeschäft seines Vaters zurückgezogen. Geld interessierte ihn nicht und so fristete er sein Leben als ebenso erfolg- wie mittelloser Musiker und Komponist in der Kölner Altstadt. Kurz nach Rinahs Geburt kamen er und seine Frau bei einem Brand ums Leben und Rinah wurde von der Familie Tietz aufgenommen, die als jüdische Kaufmannsfamilie von Posen an den Rhein gekommen war und von hier aus eine Kaufhauskette aufgebaut hatte. Sie waren Juden und als solche sehr um eine soziale Absicherung ihrer Gemeindemitglieder bemüht. Rinah zeigte sich als ruhiges, aber kluges und lernbegieriges Kind, und obzwar der Großvater Ühm Weber offizieller Vormund war, nahm Rinah doch sehr bald die Stelle einer Tochter in der Familie Tietz ein. Als sie dann 1925 den erfolgreichen Goldschmied Anat Liesenthal heiratete, konnte sich der Ühm kaum gegen die inzwischen mächtigen Kaufleute zur Wehr setzen und hatte der Verbindung schließlich seinen Segen gegeben.

„Ich hab immer schon jesagt, datt et besser is, wenn sich die Kulturen und Religionen nitt in et Jeheje kommen. Dä Onkel Max hatte schon recht, wenn er sagt, datt die Juden in der Wüste en eijenen Staat gründen sollten. Ich versteh janich, warum die Nazis denen nit einfach helfen. Dann sinnse die Plach doch los!“ Er meinte Max Bodenheimer, der schon vor dem Krieg einen eigenen Staat auf dem Boden Palästinas eingefordert hatte. Seine National-Jüdische Vereinigung wurde von den Nazis natürlich verboten. Die verfolgten da ganz andere Ziele.

Anat hatte wirklich keine Lust, sich mit seinem Schwieger-Opa in Grundsatz-Diskussionen einzulassen. Der über 70-Jährige hatte seine Meinung über Jahrzehnte geformt und in vielen weinseligen Stunden gefestigt; jeder Widerstand war da zwecklos. Er musste vielmehr versuchen, an die Güte des alten Mannes und an seine Vorstellung von der Trennung der Religionen zu appellieren.

Die Sekretärin betrat das Büro und stellte ein Tablett mit Kaffeetassen und einer Kanne auf den Tisch. Auf einem Teller lagen zwei dunkle Röggelchen, einige dicke Scheiben alter Holländer Käse und ein Stück geräucherter Bauchspeck, daneben ein Topf Senf, Zwiebeln und ein Stück Butter. Während sie sich weiter unterhielten, beschäftigte sich der Ühm abwechselnd mit dem fetten Frühstück und seiner Zigarre, an der er zwischen den Bissen genussvoll paffte. Anat lehnte dankend ab, als ihn der Ühm aufforderte zuzugreifen.

„Siehst du, Ühm“, setzte Anat das Gespräch fort, als die Frau das Zimmer verlassen hatte. „Das ist genau das, was wir wollen. Wir möchten weg aus Köln, aber wir wollen nicht warten, bis sie uns ausweisen. Dann müsste ich alles zurücklassen, was sich die Familie in über hundert Jahren aufgebaut hat. Und ich habe die Verantwortung für meine Familie. Meine Frau ist immerhin deine Enkelin. Und ob du das nun willst oder nicht, aber du bist der Urgroßvater meiner Kinder.“ Anat wusste, dass er den Nerv des Alten getroffen hatte.

„Warum jehst du nit nach New York?“ – „Damit ich als Lakai bei meinem Onkel anschaffen gehe?“ Er hatte noch in guter Erinnerung, wie ihn sein Onkel Joseph behandelt hatte, als er vor rund zehn Jahren bei der Beerdigung seines Bruders in Köln war.

„Wie ich in dingem Alter jewesen bin, wär´ ich froh jewesen, wenn mir einer so´en Anjebot jemacht hätte. Wer weiß, wie lang datt noch juht jeht, wie lang se euch noch in Ruh´ lassen. Un Amerika is jroß. Du muss ja nit bei dingem Onkel arbeiten.“

„Wir würden am liebsten in die Schweiz gehen.“ – „Damit et dir jenauso jeht, wie dem Tietz. Dem habense alles abjenommen. Da kann ich dir nit helfen. Aber ich kann dafür sorjen, datt ihr nach Holland kommt. Da habbich en paar Freunde, die mir noch watt schuldig sind und die euch helfen, auf en anständijes Schiff zu kommen. Drüben wird euch dann erst mal der Hannes helfen.“

Insgeheim musste er dem Ühm recht geben. Die Tietz´ waren vor einigen Jahren in die Schweiz geflüchtet, nachdem der Horten-Konzern ihnen mit Hilfe der Hamburger Commerzbank ihren gesamten Besitz, der immerhin aus dem größten deutschen Kaufhaus-Konzern mit zwei Dutzend Filialen bestand, für einen lächerlichen Betrag abgekauft hatte. Da war er eigentlich besser dran, weil sein Besitz wesentlich kleiner war und nicht aus unbeweglichen Immobilien bestand. Sollte er den Ühm einweihen? Letztlich wird er es müssen, wenn er sein kleines Vermögen mit in die Staaten nehmen wollte. Aber darüber musste er erst mal mit Rinah sprechen.

„Meinst du, dass das klappt?“ „Ihr seid nich die Ersten, die mir rausschaffen. Mir sin doch froh, datt mir die los sind.“

Sein Hausdiener Emil, der dem Ühm treu ergeben war, würde sich um die Einzelheiten kümmern und dafür sorgen, dass sie mit dem Nötigsten versorgt die Ausreise antreten könnten. Der Ühm nannte ihm noch ein paar Fakten und sie kamen überein, dass ihm Anat in der kommenden Woche Bescheid geben wolle. Für das Wochenende hatten sich Willi und Heidrun angemeldet und ohne den Rat seines Freundes wollte Anat keine Entscheidung treffen.

Es war Mittwoch, der 9. November 1938. Stunden später sollte nichts mehr so sein, wie es mal war.

Als Anat durch die Straßen Kölns nach Hause ging, fiel ihm schon auf, dass offensichtlich mehr Braunhemden unterwegs waren als gewöhnlich. Wahrscheinlich rotten sie sich wieder zu einer ihrer Kundgebungen zusammen, dachte er und machte, dass er in seine Wohnung kam.

Die Nacht war fürchterlich. Der Mopp draußen verschonte kein einziges jüdisches Geschäft, Hunderte wurden restlos zerstört. Die Synagogen in der Roonstraße und der Glockengasse brannten nieder und die Juden, die sich auf den Straßen sehen ließen oder von den Banden aus den Häusern getrieben wurden, wurden gedemütigt, verprügelt und viele abtransportiert. Die Nacht würde sich als „Reichskristallnacht“ in der Historie der Nazi-Diktatur wiederfinden.

Anat, seine Frau Rinah und die beiden Kinder verkrochen sich auf dem Dachboden und hofften, dass niemand auf die Idee käme, hier nachzuschauen, und die anderen Hausbewohner sie nicht verrieten. Denunzianten waren der Klebstoff, der dieses Regime zusammenhielt, und niemand war wirklich sicher, nicht von seinem Nachbarn oder Kollegen im Verein oder in der Fabrik angeschwärzt zu werden.

„Wir müssen hier fort – bald!“ Rinah nickte nur, zog die Kinder an sich heran und versuchte, nichts von dem hören zu müssen, was draußen vor sich ging. „Ich habe mit dem Ühm gesprochen. Er muss uns helfen, hier wegzukommen.“ Rinah nickte wieder. Ihr war alles egal. Nur weg von hier, weg aus Deutschland, weg von diesen Nazi-Schergen.

Anat dachte angestrengt nach. Sollte er den Ühm einweihen? Sollte er ihm verraten, was er unter dem Kellerboden seiner Werkstatt in der Rheinstraße verborgen hatte?

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