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Wahlscheid 2001 Werner
ОглавлениеWerner Merkelbach hatte nie geheiratet. Gelegenheiten hatte es genug gegeben, aber eigentlich war er zufrieden mit seiner Rolle als Bauer auf dem Hof, den er gemeinsam mit seinen Eltern bewirtschaftete. Mitte der Sechziger starb sein Vater Wilhelm bei einem Unfall mit dem Traktor, seine Mutter hatte sich von dem Schock nie erholt und starb zwei Jahre später. Werner wurde bewusst, dass auch er nicht ewig als einsamer Bauer würde überleben können. Er verpachtete einige der Äcker und Wiesen, die zum Hof gehörten, und gestaltete einen Teil des am Flüsschen Agger gelegenen Weidelandes in einen Campingplatz um. Das erwies sich als Goldgrube, denn viele kleinere Angestellte und Arbeiter aus dem nahen Köln sehnten sich nach einem ruhigen Wochenende auf dem Land und so waren die 80 Stellplätze bald vermietet. Die winzige Kneipe, die er in einem Teil des Hofs ausbaute, war bald Anlaufpunkt für die „Etagenwanzen“, wie die Camper von den Einheimischen genannt wurden.
Nach und nach baute Werner den alten Stall und die beiden Scheunen in Wohnungen um und so entstand rund um das alte Wohngebäude ein kleiner, heimeliger Wohnpark. Das bescherte ihm keine Reichtümer, aber er konnte gut davon leben, ohne sich sonderlich anstrengen zu müssen.
Es war 1975, sein fünfzigster Geburtstag. Werner hatte ein Menü für das gute Dutzend Freunde zusammengetüftelt, die sich mehr oder minder regelmäßig zum Schwafeln, Kochen, Essen und der Dezimierung des einen oder anderen Weinkellers zusammenfanden. Als Hauptgang sollte es „Penis Aggertalensis” geben, wie er das butterzarte Fleischgericht nannte. Dazu schnitt er ein Rinderfilet der Länge nach auf, sodass ein rechteckiges, einen Zentimeter dickes Stück Fleisch vor ihm auf der Tischplatte lag. Dieses wurde kräftig gepfeffert und gesalzen und mit körnigem Dijonsenf eingeschmiert. Darauf kam eine dünne Lage Sauerkraut und Kirschen, deren Saft zuvor mit Madeira eingedickt wurde. Diese Lage rollte er wie eine dicke Roulade auf, verschnürte das Päckchen mit Küchengarn und briet es in einer großen Pfanne von allen Seiten kräftig an. In Alufolie eingepackt würde es vier bis fünf Stunden bei 80 Grad im Backofen brauchen, bis die Temperatur im Innern des Fleischs exakt 55 Grad betrug.
Dazu gab es kurz angedünsteten Blumenkohl mit Sahne und herzhaftem Bergkäse gratiniert. Für die Soße aus Pfifferlingen wurden Zwiebeln mit den Pilzen angeschwitzt und mit einer Mischung aus schwarzem Pfeffer, etwas Muskatnussblüten, Piment und Curry bestreut und mit Brühe abgelöscht. Mit reichlich Sahne musste das dann gründlich einkochen, bis die Soße kurz vor dem Servieren mit kalter Butter montiert, mit Worcester-Sauce abgeschmeckt und mit frischer Petersilie bestreut wurde. Dazu gab es natürlich reichlich Rotwein und nach der x-ten Flasche 68er Chateau Monbousquet kam das Gespräch mal wieder auf die Rente und auf die Zeit nach den eigenen Zähnen. Ob man dann wohl so gemütlich im Altersheim zusammenhocken und alte Rock&Roll-Nummern in beliebiger Lautstärke würde anhören können? Autark wolle man bleiben, am besten mit eigener Krankenschwester, wohl gefülltem Weinkeller und selbstbestimmten Essensplänen.
Jedenfalls pflanzte sich an jenem denkwürdigen Tag diese Idee in Werners Kopf und im Laufe der Zeit hatten diese Vorstellungen vom Rentnerdasein in seine Umbaupläne Einzug gehalten. Heute, zwei Jahrzehnte später wohnten in den 20 kleinen Wohnungen 15 Ruheständler paarweise oder einzeln mit acht jungen Menschen zusammen. Letztere wohnten umsonst, solange sie in der Ausbildung waren oder studierten. Ihre Miete sollten sie später an die Kasse der Alters-Wohngemeinschaft zahlen, sobald sie eigenes Geld verdienten. In dem langsam aber stetig gewachsenen Gebäudekomplex war ein Gemeinschaftsraum integriert, der sich mit der angeschlossenen Küche zu einem gut besuchten öffentlichen Restaurant entwickelt hatte, das die Bewohner liebevoll „Carpe Diem“ getauft hatten.
Wenn auch manch einer die Vorgänge in Werners Umfeld mit einigem Misstrauen begegnete, so war er doch ein respektables Mitglied der dörflichen Gemeinschaft. Aus der Politik hielt er sich konsequent heraus und außer der Freiwilligen Feuerwehr gehörte er keinem Verein an. Sein Umgang mit den Menschen war von gegenseitigem Respekt geprägt und denen, die er nicht mochte, begegnete er mit gleichgültiger Belustigung, bisweilen auch mit zynischem Humor.
Ständigen Stress hatte er nur mit der Stadtverwaltung. Er wartete Ewigkeiten auf eine Baugenehmigung, Vorschriften wurden akribisch kontrolliert, seine Restaurantküche lag unter ständiger Beobachtung des Ordnungsamtes und verdächtig häufig wurden in der WG wohnende ausländische Studenten von den Behörden auf ihr Bleiberecht kontrolliert. Seit Jahren versuchte man ihm nachzuweisen, dass sein Campingplatz für die in der Agger gefundenen Giftstoffe verantwortlich sei. Ein Gegengutachten, von ihm selbst in Auftrag gegeben, stellte allerdings eindeutig fest, dass die gleichen Werte auch flussaufwärts gemessen werden konnten, sein Campingplatz also kaum die Ursache für die erhöhten Werte sein konnte. Indes wurde sein Gutachten von der Verwaltung bisher ignoriert.
Einen richtigen Hebel, ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen, hatte bisher niemand ansetzen können. Werner hatte sich mit Anwälten beraten und achtete sehr genau auf die Einhaltung von Verordnungen und Vorschriften.
Schon in den 60er Jahren waren viele Hektar Wiese und Acker entlang der Agger von den Pächtern und Bauern aufgegeben worden, weil die Erträge deutlich zurückgingen. Sie verkauften das Land nach und nach für kleines Geld an die Clique der örtlichen Baulöwen, allen voran die Schiermeisters, deren Familienoberhaupt sich nach dem Krieg trotz oder vielleicht gerade wegen seiner Nazi-Vergangenheit vom Kleinbauern zum größten und reichsten Gierschlund entwickelt hatte. Zuerst der alte Richard und nach dessen Tod sein anmaßender Sprössling Joachim, mit dem sich Werner, seit sie gemeinsam die harten Bänke der Wahlscheider Volksschule gedrückt hatten, in stetem Zoff befand. Unter dem Deckmantel des wirtschaftlichen Aufschwungs und der Menschenfreundlichkeit versuchte er mit hinterfotziger Lobbyarbeit im Stadtrat Mehrheiten dafür zu finden, das Gelände an der Agger im Nutzungsplan als Bauland auszuweisen. Seit Jahren schon trieb der „Clan der Sizilianer“, wie Werner sie nannte, ein Projekt voran, die gesamten Flächen am Fluss in einen Vergnügungspark mit Hotels und umfangreichen Freizeitanlagen umzubauen. Bisher fehlten dazu die letzten Mehrheiten im Rat und das Filetstück des Areals mit Werners Campingplatz und Wohnanlage.
Nachdem er mit dem Wasserbauingenieur einer Lohmarer Fachfirma das Gegengutachten besprochen hatte, stand für ihn allerdings fest, dass hinter den Vorgängen rund um die Grundstückverkäufe mehr steckte, als ihn zur Aufgabe seines Campingplatzes zu bewegen. Eine Mehrheit für den Bau der geplanten Hotelklötze lag aber mit der derzeitigen Sitzverteilung im Stadtrat in weiter Ferne. So blieb Werner gelassen, aber wachsam.
Dem Erfolg seiner Kneipe, dem „Carpe Diem“ indes tat dies keinen Abbruch. Zuweilen verirrten sich auch Mitglieder des „Clans“ oder Volksvertreter in das Restaurant. Sie gaben sich volksnah und jovial, aber wenn sie zu anmaßend wurden, bekamen Sie den Spott der anderen Gäste und des Personals zu spüren.