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Wahlscheid, August 1938 Joachim
ОглавлениеAls er des Nachmittags mit seinem Vater durch den Ort fuhr, hatte Joachim die beiden schon gesehen, als sie aus dem Zug stiegen: Das Judenmädchen und ihr kleiner Bruder, die wieder mal im Dorf auftauchten und von den Merkelbachs abgeholt wurden, um bei den Judenfreunden zu schmarotzen, wie sein Vater das nannte. Der musste es wissen, denn er war der Ortsvorsteher.
„Lass bloß die Finger von denen“, hatte ihn sein Vater gewarnt. Dass das keine richtigen Menschen sind, hatte er schon kapiert, aber das schöne, hochgewachsene Mädchen mit den langen schwarzen Haaren interessierte ihn doch, seit er nachts trotz der sommerlichen Hitze das dicke Plumeau bis zum Kinn hochzog, damit nur ja niemand merkte, dass er wieder und wieder Hand an sich legen musste, um den Druck seiner knapp 14 Lenze loszuwerden. Natürlich plagte ihn das schlechte Gewissen, aber es war an der Zeit, das gierige Gerede seiner Schulfreunde zu überprüfen. Sonst war er überall der Wortführer, aber mangels praktischer Erfahrung konnte er in dieser Hinsicht nicht viel zu den Halbwahrheiten und den Phantastereien der Beuede* beitragen. Er hatte keine Schwester oder Cousine, wo er mal am Badetag durchs Schlüsselloch spinksen* konnte, und so beschränkten sich seine optischen Eindrücke auf einige Zeichnungen und zerknitterten Fotos, die seine Kumpels in der Tasche ihrer kurzen Lederhosen mit sich herumtrugen, um damit anzugeben.
Nein – er musste endlich eigene Erfahrungen sammeln und warum nicht mit dieser Judengöre, die ja ohnehin kein richtiges Mädchen ist, aber offensichtlich über die geeigneten Attribute verfügte, um als Anschauungsmaterial zu dienen. Da konnte sein Vater eigentlich nichts dagegen haben. Außerdem wollte er sich ja auch nicht erwischen lassen. Er wusste, dass die Kölner Freunde der Merkelbachs in den beiden Zimmern des Anbaus wohnten, wenn sie auf dem Hof waren. In dem Anbau hatten Willis Eltern gewohnt, bis sie vor einigen Jahren kurz hintereinander starben und ihrem einzigen Sohn den Bauernhof überließen. Und nun nisteten sich die beiden Judenbälger hier ein, um ein paar Tage der Sommerferien auf dem Land zu verbringen. Die Weide reichte fast bis an das Haus heran und lediglich ein Weg aus Steinplatten, in deren Zwischenräumen Gras und Unkraut hervorguckten, trennte den Zaun aus handgedrehtem Stacheldraht von der Hauswand. Der helle Mond stand auf der anderen Seite des Hauses und er konnte unbemerkt und im Schlagschatten bis an das Fenster herantreten in der Hoffnung, durch die kleinen Sprossenfenster einen vorwitzigen Blick nach innen werfen zu können. Gefahr drohte ihm nicht, denn er hatte gesehen, dass Wilhelm Merkelbach mit seinem Sohn Werner und dem kleinen Daniel zu einem Hochsitz gewandert waren, um Wild zu beobachten. Die Bäuerin hielt sich in der Küche auf und putzte Gemüse.
Michaela saß am kleinen Tisch an der Wand rechts von ihm und las in einem Buch. Links standen zwei Betten, die durch zwei schmale, hohe Nachtschränkchen voneinander getrennt waren. Das Mädchen hatte ihr sonst streng nach hinten zu einem Pferdeschwanz zusammengebundenes Haar offen über den Schultern hängen. Ihr Kleid, die hellrosa Bluse und die Schürze lagen achtlos hingeworfen auf einem kleinen Teppich. Auch ihr war es offensichtlich viel zu warm nach diesem heißen Sommertag und so trug sie nur eine Unterhose und ein dünnes ärmelloses Hemd. Der Raum war durch zwei Kerzen auf dem Tisch und einer Spirituslampe an der Decke beleuchtet. Der Hof verfügte zwar über Strom, aber die Leitungen reichten offensichtlich noch nicht bis in diesen Anbau. Die Tür zum dunklen Flur gegenüber stand offen, um etwas Frischluft in das Zimmer zu lassen. Wahrscheinlich hatte das Mädchen die Fenster geschlossen, um die Mücken fernzuhalten. Sie hatte ihren Kopf in die linke Hand gestützt, ihre rechte lag auf dem nackten Oberschenkel. Das flackernde Licht der Kerze beleuchtete ihr gespannt lesendes Gesicht und er konnte sehen, wie ihre Augen über die Seiten flogen. Ab und zu blätterte sie um. Fasziniert beobachtete Joachim, wie sich ihre Schenkel rhythmisch öffneten und schlossen, offenbar in nervöser Anspannung, die die Geschichte in dem dicken Wälzer hervorrief. Er konnte sich nicht satt sehen. Plötzlich klappte sie das Buch zu, stand auf und räkelte sich, streckte die Arme nach beiden Seiten und hinter den Kopf. Die kleinen Brüste drückten gegen den Stoff, als sich der junge Körper dehnte. So etwas hatte Joachim noch nie gesehen. Gebannt starrte er durch die Scheibe, als Michaela plötzlich mitten im herzhaften Gähnen und Strecken innehielt und ihre Augen weit aufriss.
„Was machst du da, du Schwein?!“ Joachim erstarrte. Sie hatte ihn entdeckt. Jetzt musste er sehen, dass er fortkam und zwar schnell. Noch konnte er hoffen, dass sie ihn zwar gesehen, aber nicht erkannt hatte. Notfalls konnte er alles abstreiten. Sein Vater würde ihn windelweich hauen, wenn er erführe, dass er einem Judenmädchen hinterher stieg. In wilder Panik versuchte er, über den Stacheldrahtzaun zu klettern, um über die Weide zu entkommen. In der Dunkelheit verfehlte er den untersten Draht und riss sich ein gehöriges Loch in sein Hemd, als er abrutschte. Ein heißer Schmerz durchzuckte seinen rechten Oberschenkel und die linke Hand, als die gebogenen Nägel in sein Fleisch schnitten.
Er hörte noch, wie das Fenster aufgestoßen wurde und die Bäuerin irgendwas hinausrief, als er endlich den Zaun überwunden hatte und sich humpelnd davon machte. Das würden sie ihm büßen, die verdammten Juden, diese blöde Kuh – wehe, sie würde ihm mal in die Finger geraten.