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Teil 2 Verletzter – Opfer – Anwalt des Verletzten › IV. Mandatsübernahme – Aufklärung der Mandantschaft – Glaubhaftigkeitsgutachten

IV. Mandatsübernahme – Aufklärung der Mandantschaft – Glaubhaftigkeitsgutachten

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Mit der Übernahme des Mandates nach einem ausführlichen Gespräch mit dem Verletzten oder/und seinen Angehörigen wird zivilrechtlich ein Dienstvertrag gem. § 611 BGB geschlossen, dessen Inhalt eine Geschäftsbesorgung im Sinne des § 675 BGB darstellt. Die Vorschriften des BGB finden daher Anwendung. Allerdings gelten für den die Verletzteninteressen vertretenden Rechtsanwalt als unabhängigem Organ der Rechtspflege zusätzliche Regelungen, die sich aus dem anwaltlichen Berufsrecht ergeben. Die Bundesrechtsanwaltsordnung und die dort geschaffene Berufsordnung muss stets Grundlage allen anwaltlichen Handelns sein. Über diese berufsrechtlichen Rahmenbedingungen hat der Verletztenanwalt selbstverständlich vollumfassend im Bilde zu sein – auch um im Gespräch mit dem Mandanten diesem die Möglichkeiten und Grenzen seiner Interessenvertretung aufzeigen zu können.[1] Darüber hinaus können die „Thesen zur Strafverteidigung“[2] nicht nur dem Strafverteidiger, sondern auch dem Verletztenvertreter hier zumindest in weiten Zügen eine gewichtige Orientierungshilfe bieten. Ebenso wenig wie der Strafverteidiger darf auch der Verletztenanwalt Ermittlungsorgane, Gerichte und die übrigen Verfahrensbeteiligten unter Vorspiegelung falscher Tatsachen täuschen, den Sachverhalt zugunsten des Verletzten wissentlich verdunkeln, Beweismittel verfälschen oder vernichten oder sonst das Ermittlungsverfahren unrechtmäßig beeinflussen. Die Thesen 19 ff. der „Thesen zur Strafverteidigung“ gelten für den Verletztenanwalt daher sinngemäß. Die Vorschriften der Begünstigung (§ 257 StGB), der Strafvereitelung (§ 258 StGB) und des Parteiverrats (§ 356 StGB) gelten selbstverständlich in gleichem Umfang wie für den Strafverteidiger.[3] Bei Interessenkollision scheidet eine Mandatsübernahme aus[4]. Im Gegensatz zum Strafverteidiger kann der Verletztenanwalt allerdings in einer Angelegenheit mehrere Mandanten vertreten, sofern sich dort keine Interessenkollision ergeben sollte. § 146 StPO mit dem Verbot der Mehrfachverteidigung gilt für den Verletztenanwalt nämlich nicht. Dass der Rechtsanwalt nicht auf Verletzte zugehen und um Mandate unzulässigerweise werben darf, ergibt sich aus der Berufsordnung.

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Der Auftrag zur Mandatsübernahme kann allerdings auch von Dritten, insbesondere von Angehörigen, kommen. Die schriftliche Vollmacht und der Umfang der Vertretung sind sorgfältig zu fassen. Bei der Vertretung eines von einer Straftat Betroffenen empfiehlt es sich, die Befreiung von der ärztlichen Schweigepflicht gleichzeitig mit der Vollmacht unterzeichnen zu lassen.

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Wenn nach entsprechender Aufklärung des Mandanten das Mandat erteilt wird, sollte durch den Rechtsanwalt eine zeitnahe schriftliche Mandatsbestätigung erfolgen, in der nochmals der konkrete Umfang der Mandatierung beschrieben ist. Mandatsbedingungen ergänzen die Vollmacht und sind ebenfalls vom Mandanten zu unterschreiben. Es ist immer wieder erstaunlich, dass Rechtsanwälte, die den qualitativen Unterschied zwischen dem Zeugenbeweis und dem Urkundenbeweis kennen sollten, so wenig Gebrauch von einer Urkunde als Mandatsgrundlage machen.

→ Muster 1 ff., Rn. 521: Vollmacht, Entbindung von der ärztlichen und anwaltlichen Schweigepflicht

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Eine umfassende Aufklärung der Mandantschaft, also des Verletzten, sowie erforderlichenfalls auch der Angehörigen, des Betreuers und anderer in Betracht kommender Personen oder Institutionen wie etwa Hilfsorganisationen usw. gewährleistet die spätere Interessenvertretung des Betroffenen, die seiner Stellung im Strafprozess sowie seinen berechtigten Ansprüchen und Erwartungen entspricht. Es ist anzuraten, den Inhalt eines solchen Aufklärungsgesprächs schriftlich festzuhalten, damit später keine Missverständnisse aufkommen können. Der wesentliche Inhalt eines solchen Gesprächs, an dem auch die oben erwähnten Personen zugegen sein können, weil dieses noch nicht das Prozessverhalten, den Inhalt der Akten und die Vorbereitung der Zeugenaussage umfasst, sollte – unabhängig von individuellen Besonderheiten – folgende Themenkreise umfassen:

Person und Persönlichkeit des Mandanten;
sein soziales Umfeld, wie Familie, Beruf, Freundeskreis etc.;
seine mögliche Beziehung zu dem Täter und seinem Umfeld sowie
die erforderliche Abschirmung und den notwendigen Schutz;
die Folgen der Tat, körperlicher und seelischer Art sowie
die ausreichende Versorgung und Betreuung;
die Bereitschaft zur eventuell notwendigen Beweissicherung;
Glaubhaftigkeitsgutachten;
Stellung und Rechte im Ermittlungsverfahren und im Prozess;
Strafantragsfristen;
Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche im Strafverfahren;
Hinweis auf einen möglichen Täter-Opfer-Ausgleich;
je nach Fallsituation: Der Umgang mit den Medien;
Ziel der anwaltlichen Vertretung;
Kosten des Verfahrens und Anwaltskosten;
Einschaltung von Hilfsorganisationen, Opferschutzverbänden etc.;
Verhalten im Ermittlungsverfahren;
Klarstellung des Mandatsverhältnisses zwischen Verletztem und Anwalt.

→ Muster 2, Rn. 524: Checkliste für das Gespräch mit dem Verletzten

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Die weitergehenden inhaltlichen Gespräche mit dem Mandanten, die konkrete Sachverhaltsschilderung und die persönliche Beratung sollten hingegen – je nach der Einzelfallsituation – allein mit diesem unter Beachtung der Verschwiegenheitspflicht geführt werden, da die Anwesenheit Dritter deren Zeugenstellung begründen oder beeinträchtigen könnte. Es ist auch hier zu empfehlen, die Inhalte zu dokumentieren, aber in den Akten des Rechtsanwalts zu belassen, damit diese nicht durch Beweisanträge der Verteidigung oder Maßnahmen der Staatsanwaltschaft in den Prozess eingeführt werden können.

Möglicherweise ist es angesichts der individuellen Verletzungsfolgen und dem Leiden des Betroffenen für den anwaltlichen Berater sehr schwer, die für eine sachgerechte Interessenvertretung notwendige Distanz zum Mandanten zu wahren. Hier gilt aber Ähnliches wie im Verhältnis zwischen Strafverteidiger und Beschuldigten.

Hinweis

Nur mit ausreichender Distanz zum Verletzten und dem Geschehen ist der Verletztenanwalt in der Lage, glaubhaft seine Stellung als Interessenvertreter des Verletzten den übrigen Verfahrensbeteiligten gegenüber darzustellen und damit seiner anwaltlichen Pflicht gegenüber dem Mandanten zu genügen.

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Ist der Mandant der deutschen Sprache nicht ausreichend mächtig, ist die Einschaltung eines versierten Dolmetschers – und gerade bei ausländischen Mandanten darüber hinaus oftmals die zusätzliche Auseinandersetzung mit dem kulturellen Hintergrund und dem persönlichen Umfeld des Verletzten – von besonderer Bedeutung. Auch die Einschaltung der Konsulate kann hier zur Unterstützung in Betracht kommen. Oft sind Dolmetscher in der Lage, insoweit weiterzuhelfen. Aber auch Kulturvereine, Religionsgemeinschaften oder das Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg können Erkenntnisse vermitteln, die erforderlichenfalls durch Stellung entsprechender Beweisanträge in den Prozess eingebracht werden können.

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In schwierigen Verfahren, insbesondere in Sexualstrafverfahren oder in Fällen von Kindesmissbrauch, ist die Mandantschaft frühzeitig darüber aufzuklären, dass das spätere Einholen eines Glaubhaftigkeitsgutachtens in Betracht und dieser Gutachtenerstattung im weiteren Verlauf regelmäßig eine besondere Bedeutung zu kommen kann. Spätestens, wenn während des Ermittlungsverfahrens oder in der Hauptverhandlung von Amts wegen oder auf Antrag eines Prozessbeteiligten tatsächlich ein Glaubhaftigkeitsgutachten eingeholt werden soll, ist dies ausführlich mit dem Mandanten zu besprechen. Einem solchen Antrag gehen oft Fragen voraus, die den persönlichen Lebensbereich betreffen und dem Verletzten oder einem nahen Angehörigen zur Unehre gereichen können. Die Beachtung der Voraussetzungen von § 68a StPO ist eine der wesentlichen Aufgaben des Verletztenanwalts. Nur wenn es unerlässlich ist, solche Fragen zu beantworten, wird dieser ausnahmsweise eine Beantwortung zulassen. Dass für solche Fälle im Prozess ein Antrag auf Ausschluss der Öffentlichkeit gestellt werden kann, muss der Rechtsanwalt, aber auch sein Mandant selbstverständlich wissen. Da im Gegensatz zum Angeklagten der Verletzte als Zeuge zur Sache aussagen muss – und dies wahrheitsgemäß –, hat der Verletztenanwalt eine gegenüber dem Strafverteidiger eingeschränktere Stellung im Strafprozess. Umso wichtiger sind daher fundierte Kenntnisse über die prozessualen Rechte des Verletzten.

Im persönlichen Gespräch mit dem Mandanten kann der Verletztenanwalt oftmals frühzeitig erkennen, ob und inwieweit die Aussage seines Mandanten glaubhaft ist. Vor falschen Angaben ist der Mandant daher ebenso zu warnen wie vor Übertreibungen oder gar Falschaussagen. Gerade Übertreibungen führen oft zu Zweifeln an der Glaubhaftigkeit der Angaben des Anzeigenden und zu dessen Unglaubwürdigkeit. Eine möglichst sachliche Schilderung des Geschehens erleichtert auch dem Verletzten seine Aussage. Darauf kann und soll der Betroffene vorbereitet werden. Schließlich muss der Verletzte wissen, dass bei Glaubhaftigkeitsgutachten der Sachverständige auch als Zeuge zu den im Rahmen der Exploration gemachten Angaben in Betracht kommen kann. Eine Anwesenheit des anwaltlichen Vertreters bei der Exploration wird von den Sachverständigen regelmäßig nicht akzeptiert werden. Sie ist aber auch nicht anzuraten, um sich nicht dem Vorwurf einer versuchten Einflussnahme auszusetzen.

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Der Mandant, der sich weigert, ein Glaubhaftigkeitsgutachten über seine Aussage erstellen zu lassen, muss wissen, dass dies prozessentscheidend werden kann – und regelmäßig auch sein wird. Fundierte Kenntnisse über die Erstellung von Glaubhaftigkeitsgutachten sowie die höchstrichterlichen Anforderungen an solche Gutachtenerstattungen sollte der Verletztenanwalt daher unbedingt besitzen und seinen Mandanten darüber aufklären – ihn dabei allerdings nicht in unzulässiger Weise beeinflussen. Die weitergehende Auseinandersetzung mit der Auswahl des Sachverständigen und dem Inhalt des Gutachtens setzt voraus, dass sich der anwaltliche Vertreter des Betroffenen rechtzeitig über die Person des Gutachters und seine bisherigen Gutachtenerstattungen kundig macht.[5] Ferner sollte er dessen fachliche Kompetenz er- bzw. hinterfragen und erforderlichenfalls Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft bzw. im Rahmen der Hauptverhandlung auch mit dem Gericht halten. Erforderlichenfalls sind Gegenvorstellungen zu erheben.

Die Rechte des Verletzten im Strafprozess

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