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Der zweite Kuznets-Fluch: Ungleichheit
ОглавлениеWährend der ursprüngliche Kuznets-Fluch aus unserer jüngsten Vergangenheit das Ergebnis des blinden Strebens nach einem BIP-Wachstum ist, gibt es noch einen zweiten Kuznets-Fluch. Dieser bezieht sich direkter auf das Phänomen, für das Kuznets zu seinen Lebzeiten bekannt wurde: die sogenannte Kuznets-Kurve.
Als Kuznets in den 1950er-Jahren seine Arbeit als Wirtschaftswissenschaftler fortsetzte, begann er, zu einem interessanten Phänomen zu forschen. Ihm fiel auf, dass die Einkommensungleichheit in den USA in der Nachkriegszeit mit dem Wirtschaftsboom zu sinken begann. Das stand im Gegensatz zur Vorkriegszeit, in der Amerika zwar zu einer wirtschaftlichen Großmacht geworden war, Einkommen und Vermögen aber in den Händen einiger weniger konzentriert waren. Eine ähnliche Beobachtung, wenn auch weniger extrem, könnte für viele andere entwickelte Länder gemacht werden. Kuznets stellte Theorien über die Zahlen auf, die er in einem Beitrag für und einer Rede vor der American Economic Association fand.36 Daraus leitete er eine potenziell bahnbrechende Erkenntnis für die Entwicklungsökonomie ab, vorausgesetzt, die Ergebnisse blieben über die Zeit bestehen. In der Tat implizierte dies eine Art ökonomisches Gesetz. Die Ungleichheit nimmt zu, wenn sich eine Nation zu entwickeln beginnt, aber mit fortschreitender Entwicklung nimmt die Ungleichheit ab. Mit anderen Worten: Der Preis der Ungleichheit, den die Gesellschaften für die frühe Entwicklung zahlen, wird später durch eine höhere Entwicklung und geringere Ungleichheit ausgeglichen.
Die von Kuznets aufgestellte Theorie wurde zu einer weltweiten Sensation, insbesondere nachdem Kuznets 1971 den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften erhielt, der ihm für seine Beiträge zur Berechnung des Volkseinkommens (und nicht für die Theorie der Kuznets-Kurve) verliehen wurde. In den 1980er-Jahren bauten Ökonomen auf Kuznets‘ optimistischer Theorie auf, zeichneten Diagramme, die zeigten, wie sie auf verschiedene Länder und Zeiträume anwendbar war, und verordneten aufgrund dessen wirtschaftliche Entwicklungsmodelle.
Es gab nur ein Problem: Mit der Zeit hielt die Theorie nicht mehr stand. Dies zeigen einige der Fakten, mit denen wir heute konfrontiert sind.
Tatsächlich begann die Ungleichheit in den hoch entwickelten Ländern wieder zu steigen. In einer Schrift aus dem Jahr 2016 schlug der Ökonom Branko Milanovic vor, dass der aktuelle Aufschwung der Ungleichheit »als eine zweite Kuznets-Kurve« oder sogar als »Kuznets-Welle« betrachtet werden sollte (Abbildung 2.2).
Abbildung 2.2: Kuznets-Wellen: Wie die Einkommensungleichheit über einen sehr langen Zeitraum zunimmt und abnimmt
Quelle: Nachgezeichnet aus Lindert, P. H. & Williamson, J. G. (1985). Growth, equality, and history. Explorations in Economic History, 22(4), 341–377.