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g) Differenzierungen des Sorgfaltsmaßstabs (Standards)

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Im Bereich der objektiven Sorgfaltspflicht, also des medizinischen Standards, ist hinsichtlich der jeweiligen spezifischen Stellung und Situation des Arztes zu differenzieren. Da „die Durchschnittsanforderungen an dem engeren sozialen Bereich zu orientieren sind, in dem der Einzelne tätig ist,“[195] variiert die objektiv erforderliche Sorgfalt je nachdem, welche konkrete Position der Arzt ausfüllt, ob es sich z.B. um einen Arzt für Allgemeinmedizin, einen Facharzt oder den Leiter einer Universitätsklinik handelt, der alle technischen, diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten zur Hand hat. „Ein Facharzt schuldet ein anderes Maß an Sorgfalt als der Arzt für Allgemeinmedizin und entsprechende Unterschiede sind auch zwischen dem klinisch tätigen und dem niedergelassenen Arzt zu machen“.[196] In gleicher Weise differieren Art und Maß der objektiv erforderlichen Sorgfalt je nach der konkreten Situation, in der sich der jeweilige Arzt befindet, „mit ihren räumlichen und zeitlichen Bedingtheiten, den gegebenen Umständen und tatsächlichen Verhältnissen“.[197] Es leuchtet ein, dass die generell von einem gewissenhaften Arzt zu fordernde Sorgfalt bei plötzlichen Komplikationen, die zu einem raschen Entschluss und zu schnellem Handeln nötigen, niedriger anzusetzen ist als bei wohlvorbereiteten Eingriffen. Entsprechendes gilt je nachdem, ob diese in einem kleineren kommunalen Krankenhaus oder in einer Universitäts- bzw. Spezialklinik vorgenommen werden.

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Der Maßstab für die ärztliche Behandlung und Haftung ist daher situationsorientiert, abhängig von den verfügbaren ärztlichen, pflegerischen, räumlichen, apparativen und sonstigen therapeutischen Mitteln, so dass es zwangsläufig „zu Qualitätsunterschieden in der Behandlung von Patienten“ kommen muss und „in Grenzen der zu fordernde medizinische Standard je nach den personellen und sachlichen Möglichkeiten verschieden ist“.[198] Daher muss nicht „jeweils das neueste Therapiekonzept verfolgt werden“, um den „Stand der Medizin“ zu gewährleisten, und ebenso wenig kann „die jeweils neueste apparative Ausstattung überall und gleichzeitig geboten werden“.[199] Eine „medizinisch mögliche, aber unbezahlbare Maximaldiagnostik und -therapie[200] ist weder im Zivilrecht noch im Strafrecht der zutreffende Haftungsmaßstab“. Die Sorgfaltsanforderungen werden deshalb nicht durch die Hochleistungsmedizin und die Experten der einzelnen Fachgebiete bestimmt, sondern durch die Sicherheitsbedürfnisse des Patienten und die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten personeller und sachlicher Art auf der Grundlage einer optimalen Organisation. Ausdrücklich betont der BGH: Die Sorgfaltspflichten „dürfen sich daher nicht unbesehen an den Möglichkeiten von Universitätskliniken und Spezialkrankenhäusern orientieren, sondern müssen sich an den für diesen Patienten in dieser Situation faktisch erreichbaren Gegebenheiten ausrichten, sofern auch mit ihnen ein zwar nicht optimaler, aber noch ausreichender medizinischer Standard erreicht werden kann“.[201]

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Allerdings fordert die Rechtsprechung geeignete organisatorische Maßnahmen, um die aus mäßigen Behandlungsbedingungen vor Ort und Strukturmängeln im konkreten Behandlungsbereich resultierenden Gefahren für den Patienten zu neutralisieren, gleichgültig ob diese Gefahrenquellen auf Medikamentenrisiken, übermüdete Ärzte, Berufsanfänger oder Personalknappheit zurückzuführen sind.[202] Derartige Umstände rechtfertigen keine Abstriche am Behandlungsstandard,[203] vielmehr übernimmt das Haftungsrecht hier eine Schutzfunktion zugunsten des Patienten.

Arztstrafrecht in der Praxis

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