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bb) Relativität des Standards

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Auf der von Ort und Zeit abhängigen gleitenden Skala des Standards gibt es ein Oben und Unten ebenso wie ein Auf und Ab, d.h. der medizinische Standard ist relativ, allerdings stets oberhalb einer „unverzichtbaren Basisschwelle“,[213] deren Bestimmung das Recht durch die Gerichte unter dem Leitgesichtspunkt „Vorrang für Schutz und Sicherheit des Patienten“ vornimmt. Diese Untergrenze liegt m.E. dort, wo das erlaubte Risiko, das in der Zulassung verschiedener Versorgungsformen ersichtlich mitgedacht ist, überschritten wird und sich die (fortgesetzte) Behandlung vielmehr als Übernahmeverschulden darstellt, weil die von der Behandlung ausgehende Gefährdung des Patienten infolge mangelnder Qualifikation oder ungenügender personeller oder sachlicher Ausstattung des Krankenhauses die Erfolgschancen des Heileingriffs überwiegt und damit „die Erfüllung des Heilauftrags […] grundsätzlich in Frage“ steht.[214] Die Unterschreitung dieses Mindeststandards kann sodann – sind auch die Übrigen Anforderungen des Delikts inklusive der individuellen Schuld verwirklicht – zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Arztes und erst recht zu seiner zivilrechtlichen Haftung führen. Mit Nachdruck betont der BGH z.B., Ärzte und Krankenhausträger dürften „sich in keinem Fall darauf berufen, ein Mangel an ausreichend ausgebildeten Fachärzten zwinge zum Einsatz unerfahrener Assistenzärzte“,[215] der gebotene Sicherheitsstandard dürfe nicht etwaigen personellen Engpässen geopfert werden[216] oder die „angemessene medizinische Versorgung sei von vornherein nicht sicherzustellen“.[217] Deshalb sind sog. Parallelnarkosen und die Einrichtung fachübergreifender Bereitschaftsdienste zwar nicht ausnahmslos rechtswidrig, aber nur unter engen Kautelen rechtlich zulässig,[218] da die Sicherheitsinteressen des Patienten gegenüber der durch solche Maßnahmen erzielten Kostenersparnis Vorrang haben. „Das Wirtschaftlichkeitsgebot findet seine Grenzen an den konkreten Bedürfnissen des Patienten, die in besonders gelagerten Fällen den ärztlichen Standard sogar übersteigen können“.[219]

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Zugleich darf dem Arzt weiter kein Vorwurf gemacht werden, wenn der medizinische Standard – oberhalb der Basisschwelle – aus Gründen, die nicht in seiner Verantwortung liegen, anderenorts deutlich höher, aber eben in seinem Tätigkeitsbereich trotz aller Anstrengungen nicht realisierbar ist. Wenn die Finanzierungs- und Wirtschaftlichkeitsreserven auch bei bester Organisation die Vornahme und Vorhaltung bestimmter Leistungen aus Kostengründen nicht zulassen, reduziert sich der für die Beurteilung der gebotenen Sorgfalt geltende medizinische Standard und begrenzt unter dem Aspekt der Zumutbarkeit die Sorgfaltspflichten. Anderenfalls würde das Krankheitsrisiko des Patienten zu einem untragbaren, weil diesem nicht vorzuhaltenden Strafbarkeitsrisiko auf Seiten des Arztes führen.[220]

Arztstrafrecht in der Praxis

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