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a) Der Tatbestand der unechten Unterlassungsdelikte

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Wegen eines sog. unechten Unterlassens haftet der Arzt nur dann aus dem Tatbestand der fahrlässigen Körperverletzung oder Tötung, wenn er „rechtlich dafür einzustehen“ hatte, dass die Gesundheitsschädigung oder der Tod des Patienten „nicht eintritt, und wenn das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch Tun entspricht“ (siehe jeweils § 13 Abs. 1 StGB). Es muss also ein „besonderer Rechtsgrund nachgewiesen werden, wenn jemand ausnahmsweise“ für ein Unterlassen „verantwortlich gemacht werden soll“.[296] Daraus folgt: Der Arzt muss eine besondere, deutlich über die Pflicht aus § 323c Abs. 1 StGB hinausgehende Garantenposition innehaben, die ihm auferlegt, „einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört“ (§ 13 Abs. 1 StGB).

Zusätzliche Voraussetzungen für die Strafbarkeit wegen eines fahrlässigen unechten Unterlassungsdelikts sind im Einzelnen[297] neben der rechtswidrigen und schuldhaften Tatverwirklichung die folgenden Anforderungen:

1. Eintritt des tatbestandlichen Erfolges (z.B. des Todes bei § 222 StGB).
2. Nichtvornahme der zur Erfolgsabwendung objektiv erforderlichen Handlung trotz physisch-realer Handlungsmöglichkeit – die gebotene Rettungshandlung muss dem individuellen Arzt zunächst einmal tatsächlich möglich gewesen sein.[298]
3. Ein quasi-ursächlicher Zusammenhang zwischen Untätigbleiben und Erfolgseintritt (sog. Quasi-Kausalität). Danach ist das Unterlassen im Rechtssinne ursächlich für den Erfolg, „wenn die gebotene Handlung den schädlichen Erfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ verhindert hätte (hypothetische Erwägung, bei der der Grundsatz in dubio pro reo gilt).[299] „Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ lautet die „überkommene Beschreibung des für die richterliche Überzeugung erforderlichen Beweismaßes“.[300] Verlangt wird keine „absolute, das Gegenteil oder andere Möglichkeiten denknotwendig ausschließende Gewissheit“, sondern ein „Maß an Sicherheit, das vernünftige Zweifel nicht aufkommen lässt“.[301] „Vernünftige Zweifel“ sind auf sachbezogenen Tatsachen beruhende, nicht bloß theoretisch-abstrakte Zweifel. Für das Zivilrecht formuliert der BGH[302] etwas konkreter: „Ausreichend ist ein Grad von Gewissheit, der Zweifeln eines besonnenen, gewissenhaften und lebenserfahrenen Beurteilers Schweigen gebietet. Zweifel, die sich auf lediglich theoretische Möglichkeiten“ ohne tatsächliche Anhaltspunkte gründen, „sind nicht von Bedeutung“. Für die Kausalitätsfeststellung wird kein „medizinisch-naturwissenschaftlicher Nachweis“, keine „von niemandem anzweifelbare Gewissheit“[303] verlangt. In der Sache liegt dem genau die Betrachtung zugrunde, die zur Ermittlung des im Arztstrafrecht besonders bedeutsamen Pflichtwidrigkeitszusammenhangs notwendig ist (dazu siehe näher Rn. 504 ff.).[304] Auf die entsprechenden Maßstäbe ist insoweit zu verweisen.
4. Außerachtlassung der im Verkehr entsprechend der Übernahme der Garantenstellung erforderlichen Sorgfalt bei objektiver Voraussehbarkeit des tatbestandlichen Erfolges (objektive Sorgfaltspflichtverletzung).

Hinweis

Der Sorgfaltsmangel kann einen Verhaltensfehler bei Vornahme der deshalb unzureichenden Rettungshandlung, die fehlende Kenntnis vom Bevorstehen des Erfolgseintritts, von den vorhandenen Rettungsmöglichkeiten, von der bestehenden Garantenstellung oder sonstigen Merkmalen des objektiven Tatbestandes betreffen.

5. Objektive Zurechenbarkeit des Erfolges unter Berücksichtigung des Pflichtwidrigkeitszusammenhangs zwischen dem Sorgfaltsmangel und dem Eintritt des Erfolges sowie des Schutzzwecks der einschlägigen Sorgfaltsnorm.
6. Zumutbarkeit der gebotenen Rettungshandlung nach den konkreten Umständen. Für das Unterlassungsdelikt hat die je nach Auffassung schon dem Tatbestand oder der Schuld zuzuweisende Zumutbarkeitsschwelle eine vergleichsweise große Bedeutung.[305]
Arztstrafrecht in der Praxis

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