Читать книгу Gegenkulturelle Tendenzen im postdramatischen Theater - Koku G. Nonoa - Страница 12
1.5. Theoretische Überlegungen
ОглавлениеViele kulturelle Erscheinungsformen lassen mit und in unterschiedlichen Sparten des gesellschaftlichen Teilsystems Kunst auffassen. In Anbetracht dessen steht Kunst als Oberbegriff für eine besondere Ausdrucksweise kultureller Praktiken und Erkenntnissuche zu verstehen, die sich im klassisch-modernen und konventionellen Kunstverständnis von der üblichen Lebenspraxis deutlich abhebt. Die Kunst spiegelt am Beispiel von Theaterformen kulturelle Symbolsysteme und -komplexe wider und basiert außerdem auf kulturellen Aushandlungsprozessen: Gegenwärtige transkulturelle Erscheinungsformen von Kultur laden z.B. zu entsprechenden Produktions- und Rezeptionsformen im Theater ein. Dabei geht es um die „Umgestaltung bestehender Denk- und Handlungsformen“1 in der Theaterforschung und -praxis, welche im postdramatischen Theater die Widerspiegelung der gegenwärtigen Kulturinterferenzen nicht nur als „Kultur-im-Zwischen“,2 sondern auch über das „Denken-wie-üblich“3 hinaus als „Projekt“ und konsequenterweise als „Prozess“4 analysiert. Einige Merkmale postdramatischen Theaters, die für diese Arbeit relevant sind, bauen auf Voraussetzungen von Prozess, Dazwischen, Unbestimmbarkeit und Unentscheidbarkeit auf. Aufgrund der performativen Infragestellung sowie Dekonstruktion binärer Denkmuster5 als eine künstlerische Strategie lässt sich zudem beobachten, dass sich tradierte Wahrnehmungskategorien nicht mehr eignen, um Kunst von Nichtkunst zu unterscheiden. In dieser Hinsicht überzeugt die Annahme im Kontext postdramatischer Ästhetik, dass der Autonomisierung bzw. der Freiheit der Kunst zu verschiedenen Zeiten unterschiedliche Bedeutungen beigemessen werden. Insofern wird die nicht mehr eindeutige Bestimmbarkeit sowie Entscheidbarkeit, ob es sich bei einem inszenierten Ereignis um Kunst handelt oder nicht, geradezu zu einem Kriterium für Kunst.6 Viele künstlerische Schauplätze der nicht a priori distraktionsorientierten Gegenwartskunst „scheinen sich nämlich […] dem Vergleich mit der Kunst der Vergangenheit zu entziehen, weil sie sich […] nicht mehr eindeutig vor den Hintergrund je einer Tradition (der Musik, der Malerei, der Bildhauerei, der Literatur usw.) lesen und beurteilen lassen.“7 Folglich ist es in der Auseinandersetzung mit solchen künstlerischen Entwürfen aufschlussreich, sich von dominanten Wahrnehmungsgewohnheiten und Urteilskriterien zu emanzipieren. Durch ihre unklaren Grenzen zur nichtästhetischen Lebenswelt bzw. durch die Unklarheit darüber, welche Elemente überhaupt noch zur Inszenierung zu zählen sind,8 sind unter anderem Nitschs Orgien-Mysterien-Theater und Schlingensiefs Aktion 18, „tötet Politik!“ prägnante Beispiele von gegenkulturellen Tendenzen postdramatischer Gestaltungsformen. Im nächsten Schritt wird auf theoretische Überlegungen und Begriffserklärungen, an die sich die Analyse in dieser Arbeit stark anlehnt, eingegangen: cultural performance und cultural celebration, Institution Kunst/Theater, Institutionskritik, Kultur als Institution, Kult- und Ausstellungswert von Kunst.