Читать книгу Gegenkulturelle Tendenzen im postdramatischen Theater - Koku G. Nonoa - Страница 17
1.5.3.2. Künstlerische Institutionskritik
ОглавлениеObgleich mittlerweilie Nitschs Orgien-Mysterien-Theater und Schlingensiefs Aktion 18, „tötet Politik!“, wie viele andere Theaterformen dieser Art, zum größten Teil institutionalisiert worden sind, haben sie vor geraumer Zeit für Irritation in mancherlei Hinsicht gesorgt – und sorgen dafür vielleicht heute noch. Die Theater- und Literaturwissenschaften und nicht zuletzt die Institution Theater erproben bzw. erfinden alternative Methoden, um diesen Theaterformen wissenschaftlich und institutionell gerecht zu werden. Als Praxis und Strategie institutionskritischer Theateraktionen sind sie ein dynamisches und herausforderndes Spannungsfeld, in dem experimentelle sowie innovative Theaterpraxen ständig erprobt und die etablierten institutionellen Rahmenbedingungen institutionskritisch überfordert werden.
Rückblickend begann die erste Welle der Institutionskritik Ende der 1960er- und Anfang der 1970er-Jahre. Sie konnte von der Kunstgeschichte anerkannt werden und ist heute Teil der Kunstgeschichte. Die kritische Methode der Institutionskritik fokussierte sich damals auf eine besondere künstlerische Praxis, die sich kritisch mit Kunstinstitutionen wie Museen und Galerien auseinandersetzte. Institutionskritik nahm auf diese Weise verschiedene Formen an – etwa Kunstwerke und Interventionen, kritische Schriften oder (kunst-)politische Aktivismen. Die zweite Welle begann in den 1980ern und erlebte die bereits angesprochene Erweiterung des institutionellen Rahmens, um die Rolle des Künstlers oder der Künstlerin sowie der Kurator_innen, Kritiker_innen, Sammler_innen als institutionalisierte ebenso mit einzuschließen.6
Mit der Institutionskritik wird „die Abgehobenheit von der Lebenspraxis, die immer schon den institutionellen Status der Kunst in der bürgerlichen Gesellschaft ausgemacht hat, nun zum Gehalt der Werke.“7 Das Verdienst der historischen Avantgardebewegung besteht eben darin, dass sie die Selbstkritik der Kunst sowie die Enthüllung der gesellschaftlichen Folgenlosigkeit als Wesen der Kunst in der bürgerlichen Gesellschaft ermöglicht hat.8 So steht die Institutionskritik, die sich sowohl auf eine Methode als auch auf ein soziokulturelles Objekt bezieht, für eine Hinterfragung der Rahmenbedingungen von Kunstproduktion und -rezeption. Dabei kommt der Methode eine besondere künstlerische Praxis zu, welche die Institution Kunst – wie Galerien, Kunstmuseen, Theaterhäuser etc. – als Objekt der kritischen Auseinandersetzung im Visier hat. Unter Institutionskritik werden also unterschiedliche, dezidiert künstlerische Arbeiten bezeichnet, die sich selbstkritisch bzw. selbstreflexiv mit der kulturellen Institution Kunst befassen. Auch die sich in der Institution Kunst überlappenden sozialen, ökonomischen sowie politischen Faktoren bzw. Machtverhältnisse werden dabei hinterfragt.
Fraser betont aber, dass die Praxis der Institutionskritik im Allgemeinen von ihrem inhärenten Objekt „der Institution“ definiert werde, das sich wiederum auf die etablierten und organisierten Orte für die Ausstellung von Kunst beziehe.9 Es besteht deshalb eine Definitionsproblematik der Bezeichnung Institutionskritik, in der „sich deskriptive und normative Kategorien vermischen.“10 Die Methode der Kritik, die dem Begriff der Institutionskritik innewohnt, scheint also weniger spezifisch als das Objekt der Institution zu sein: Zum einen schwankt sie zwischen einer eher schüchternen „Darstellung“, „Reflexion“ oder „Enthüllung“, zum anderen führt sie eine Vision vom revolutionären Umsturz der bestehenden Museumsordnung11 an. Für Fraser ist aber die Idee, dass Institutionskritik Kunst gegen die Institution halte oder dass radikale künstlerische Praxen vor ihrer Institutionalisierung außerhalb der Institution Kunst bestünden, in Abrede zu stellen; für sie sei die Kritik an der Institution Kunst von der Kritik an der künstlerischen Praxis selbst untrennbar.12 Das bedeutet, dass der gesamte Apparat der Institution Kunst einerseits und die künstlerischen Arbeiten sowie die Künstler_innen andererseits nicht als trennbare Kategorien bestehen. Sie stehen vielmehr in einem interdependenten und untrennbaren Verhältnis zueinander.13 Diesbezüglich führt Fraser an, dass die explizite Rolle der Künstler_innen in der Institution Kunst 1974 von Haacke zum Ausdruck gebracht wurde. Haacke schrieb, so zitiert ihn Fraser, dass sowohl Künstler_innen als auch Unterstützer_innen und ihre Gegner_innen ahnungslose Partner_innen seien. Sie nehmen gemeinsam an der Aufrechterhaltung und/oder Entwicklung der ideologischen Konstruktion ihrer Gesellschaft teil.14 Denn jede Positionierung findet innerhalb der Gesellschaft – also der Kultur – statt. So wie die Institution Kunst ohne die Rolle der Künstler_innen und ohne ihre Werke undenkbar wäre, wäre auch die Kultur in diesem Sinne ohne die kulturellen Schöpfer und Träger nicht vorstellbar. Ruth Benedict hat bereits darauf hingewiesen, dass die Gesellschaft tatsächlich niemals eine von den Individuen, aus denen sie sich zusammensetze, trennbare Einheit sei: zum einen könne kein Individuum ohne Kultur seine Fähigkeiten zur Geltung bringen, zum anderen verfüge eine Kultur über Elemente, die bei genauer Untersuchung Beiträge eines jeden einzelnen Menschen seien.15 So lässt sich jenseits der umfassenden Liste der Räume, Orte, Menschen und Objekte die Begriffsbestimmung von Institution am besten als Netzwerk sozialer und ökonomischer Beziehungen erschließen.16 In diesem Zusammenhang hat sich das sachliche Verständnis von Institution oder die Institution von spezifischen Räumen, Organisationen und Individuen zu einer Konzeption ihres Sozialfeldes hinbewegt. Die Erweiterung des institutionellen Verständnisses hat zur Folge, dass das Wesen der Institution alles und jeden einschließt: Museen, Galerien, Kunstmarkt, Künstler_innen, Kurator_innen, Sammler_innen, Betrachter_innen, Käufer_innen, Kritiker_innen, Kunsthistoriker_innen, Ateliers, Schauspieler_innen, Kultur, Politik, Ökonomie, Wissenschaftler_innen etc. Deshalb ist für Fraser die Beantwortung der Frage, was innerhalb und was außerhalb ist, umso komplexer geworden. „It's not a question of inside or outside. […] It's not a question of being against the institution: We are the institution.”17 Dies scheint die Herausforderung in der Begriffsbestimmung und der Praxis der Institutionskritik zu sein, weil selbst diese Kritik bereits vereinnahmt worden ist.