Читать книгу Gegenkulturelle Tendenzen im postdramatischen Theater - Koku G. Nonoa - Страница 7
1.1.2. Dramatisches und postdramatisches Theater: ein Nebeneinander
ОглавлениеEs ist notwendig, auf den ersten Seiten dieser Arbeit das Verhältnis zwischen dem textzentriert-dramatischen und dem körperzentriert-postdramatischen Theater erneut zu verdeutlichen. Bereits ab dem 19. Jahrhundert werden kennzeichnende Merkmale des Dramas ins Wanken gebracht und abgelehnt. In der Theorie des modernen Dramas: 1880–1950 schreibt Peter Szondi 1954, dass die thematische Wandlung für die Krise des Dramas gegen Ende des 19. Jahrhunderts verantwortlich sei und dass die alte dramatische Form mit entsprechenden Gegenbegriffen ersetzt werden sollte.1 Er führt deshalb das Epische als Gegenmodell ein. Die entscheidende Innovation dabei ist Bertolt Brechts episches Theater, das den traditionellen Bühnendialog ansatzweise in die Form des Diskurses oder Monologs transformierte. Mit Brechts Theorie wird eine Aussage im Theater durch eine gleichwertige Beteiligung von verbalen und kinetischen Elementen vermittelt und ist nicht ausschließlich literarischer Natur.2
Heutzutage bestehen Formen dramatischen und postdramatischen Theaters nebeneinander. Eines der großen Missverständnisse, das es zu überwinden gilt, ist die Annahme, dass postdramatisches Theater Formen der literarisch-dramatischen Theatertradition aufgelöst hat oder aufzulösen versucht. Mit Gegenkultur im Verhältnis zur Institution des klassischen Theaters wird das Augenmerk darauf gelenkt, dass das textzentrierte Theaterverständnis im Sinne von Bettine und Christoph Menke nur eine der Erscheinungsformen des Theaters sei. Die postdramatische Perspektive ist in diesem Kontext als gegenkulturell und institutionskritisch aufzufassen – sie ermöglicht mindestens zwei emanzipatorische Betrachtungsweisen: erstens das stärker gewordene Bewusstsein des erweiterten Theaterbegriffs, der aktionistische, performative, installativ-experimentelle theatrale Ausdrucksformen – inklusive ritueller Bezüge – ins Theater einschließt; zweitens verweist diese Betrachtungsweise auf das antike Theater als voraristotelisch, aber auch auf mittelalterliche und außereuropäische Theaterformen. Beide Ansichten veranschaulichen zugleich, dass das Drama oder das dramatische Theaterverständnis für „eine historisch spezifische, vor allem und zuvor aber als eine strukturell beschränkte Option des Theaters“3 steht. Gegenkulturelle Tendenzen im postdramatischen Theater heißen demnach
ganz und gar nicht: Theater ohne oder gar gegen Text. […] Postdramatisch aber heißt die gegenwärtige Theaterlandschaft nicht, weil es darin keinerlei Dramen und keinerlei dramatische Elemente mehr gäbe, sondern weil das Dramatische seine Bedeutung als Norm des theatralen Vorgangs eingebüßt und das in der frühen Neuzeit entwickelte Dispositiv des Theaters der Repräsentation sich aus vielerlei Gründen, nicht zuletzt wegen der inflationären Fülle von dramatisierenden Repräsentationen im Alltag der Medienkultur, erschöpft hat. Soviel jedenfalls beweist die enorme Ausweitung, die Begriff und Praxis des Theaters im Zeitalter der Medienkultur erfahren haben. Theater ist in keiner Weise mehr auf das dramatische Paradigma festzulegen, das in Europa zwischen Renaissance und dem Aufbruch der historischen Avantgarden in Europa theoretisch und weiterhin praktisch beherrschend gewesen ist.4
Im Folgenden soll nun auf die Verwechslung von postdramatischem Theater mit dem Begriff Postdramatik ausdifferenzierend eingegangen werden.