Читать книгу Choreographie - Handwerk und Vision - Konstantin Tsakalidis - Страница 28

Im zeitlichen Umgang mit dem Wendepunkt tauchen immer wieder zwei Fehler auf:

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1 Der Choreograph und Regisseur ist nervös und hat Angst vor Langeweile. Seine Szenen wirken wie angerissen und nicht ausformuliert. Allem fehlt die Tiefe, es stellt sich kein Kontrast her, und manche Szenen lassen sich nicht einordnen.

2 Der Choreograph und Regisseur will seinen Szenen den nötigen Raum geben und breitet sich dadurch zu sehr aus. Es wird langatmig. Kipppunkte werden nicht mehr als dramatisch gelesen, sondern als willkommene Abwechslung, der dramaturgische Bogen der Wahrnehmung ist verzerrt. Emotionale Kipppunkte werden in ihrer Absicht zu durchschaubar und vorhersehbar.

Wie viel Zeit notwendig ist, um szenisch einen emotionalen Kipppunkt zu erzeugen, lässt sich nur durch Beobachten trainieren, und dabei werden Sie immer wieder überrascht werden. Das Stück „Die sieben Ströme des Flusses Orta" hatte eine Spieldauer von acht Stunden. Nach etwa sieben Stunden begannen, nach dem Eintreten eines Wendepunktes, im Parkett Tränen zu fließen. Das schwappte von dort über die Ränge, die Logen bis zur Verfolger-Brücke hoch. Menschen weinten im Theater, die nie im Kino, bei einem Buch, geschweige denn bei einer Bühnenvorstellung, geweint haben. Es hat nichts absolut Außergewöhnliches stattgefunden. Es hing mit dem Aufbau der Identifikation zusammen. Sieben Stunden lang wurde der Zuschauer mitgenommen, und der Emotion des sorgfältig aufgebauten Wendepunktes konnte sich dann keiner mehr entziehen.

Egal, wie lange Ihr Stück ist, ob zwei Minuten oder sieben Stunden, Sie werden sich immer fragen müssen, ob eine Sequenz über die beanspruchte Zeitdauer hinweg trägt oder ob die Szene eine Verdichtung braucht, ob es einen Bruch mit Gegensätzen braucht, der aus dem Nichts kommt oder ob er sich aus dem Vorangegangenen entwickelt.

Choreographie - Handwerk und Vision

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