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Retardierung
ОглавлениеStellen Sie sich vor, jemand steht in einem geschlossenen Innenhof. Der Boden beginnt heiß zu werden und zu brennen. Der Mensch entdeckt eine Leiter und beginnt die Flucht über die Mauern. Die Leiter fängt Feuer. Es gelingt ihm, gerade noch durch das Kippen der Leiter die einstweilige Rettung in einen Tümpel, der schon mehr als warm ist. Dort liegt eine Metallleiter am Boden. Der Mensch beginnt wieder mit dem Aufstieg, aber in der Mitte des Weges brechen die Sprossen heraus, und das Feuer kommt näher. Er versucht, sich an den Außenseiten der Leiter bis zu der Stelle hochzuziehen, an der die Sprossen noch intakt sind, aber die sind glitschig, durch die Algen, die an der im Wasser gelegenen Leiter kleben. Ab jetzt könnten wir weitere Verzögerungen zur Auflösung in die Geschichte einbauen oder den Zuschauer ab einer nahe am Ziel gewähnten Stelle mit einem neuen Schicksalsschlag konfrontieren. Diese Verzögerung wird Retardierung genannt.
Als Spannungserzeugung funktioniert dieser Kunstgriff nicht nur auf der Ebene der Erzählung und des Drehbuchs, auch in der Musik gibt es zahlreiche Beispiele für die Hinauszögerung des finalen Auflösens, wie zum Beispiel das Finale von „Hair" immer wieder ein Element einfügt, das den direkten Weg zur Apotheose „Let the sunshine in" verzögert.
Übertragen auf den Tanz können Sie die Form der Retardierung als dramaturgischen Griff vor dem Hintergrund unterschiedlicher dramaturgischer Konzepte einsetzen.