Читать книгу Des Vaters, der Tochter, und des ewigen Geistes - K.T. Rina - Страница 12

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Es war der zwölfte Januar, der Todestag von Siegfrieds Vater, der wortwörtlich keine Woche ohne seine Frau überlebt hatte. Siegfried und seine fünf Geschwister trafen sich nun wieder alle zum Decenium. „Nüwa, woher kennst du eigentlich alle Namen meiner Geschwister? Ich hab sie nie erwähnt, oder?“

„Ich bin deine Freundin, so was is‘ selbstverständlich zu wissen als Freundin, deshalb weiß ich‘s.“

„Was weißt du alles sonst, was du für selbstverständlich hältst?“

„Nun, wie du weißt, kenn ich jetzt auch deine Passwörter, deine Fetische–“

„Okay, das reicht. Willst du wirklich mit?“ fragte er, während Nüwa ihm die Krawatte band. „Ich wüsste nämlich nicht, wie ich das Cintia erklären würde. Ich hab ja gesagt, du wärst die Waise von meinem Cousin.“

„War ich nicht deine Nichte ersten Grades?“

„Ja, ich sagte ihr, ich hatte es beim ersten Treffen nur aus Simplizität als Tochter meines Bruders genannt. Und jetzt wird sie ja schließlich meine Brüder kennenlernen und unser Geheimnis wäre gelüftet.“

Die Beziehung von Siegfried und Cintia festigte sich. Nachdem sie ihn über die Weihnachtstage ihrer Familie, den Lachance, vorgestellt hatte, war es nun seine Zeit, sie seiner wirklich blutsverwandten Familie vorzustellen. „Ich tu dir den Gefallen, weil‘e sie wirklich gern has‘.“

Es änderte sich nichts. „Hast du was gemacht, Nüwa?“ Die Tür klingelte. „Oh, das muss schon Cintia sein.“

Schrödinger begrüßte die Braungelockte mit einem desinteressierten „Miau“, beugte ihr seinen Kopf höflich und widmete sich dann weiter seinem Futter. „Ah, meine liebste Adoptivtochter Nüwa, die ich vor vielen Jahren aus dem Waisenhaus in Osteuropa auf einer meiner so vielen Reisen adoptiert hatte und seit ich sie adoptiert habe vor so vielen Jahren is‘ mein Leben erst erfüllt. Hey, Siegi“, gab Cintia herzlos Siegfried ein Peace Zeichen. Mit dem bösesten Blick fielen seine Augen auf die kichernde Nüwa. „Schon gut, schon gut, schon gut“, gab die Göttin genervt zurück. „Ouh, Siegfried, du siehst aber schick aus.“ Cintia blinzelte dreimal. „Und auch meine allerliebste Adoptivtochter sieht wie immer wunderschön aus.“

Siegfried zwängte sich in seine guten Lederschuhe. „Cintia, würdest du so nett sein und mir die Schuhe zu machen? Mit der Hose kann man sich nicht bücken.“

„Aber natürlich, Schatz.“

Während Cintia die Schnürsenkel knotete, pickte Nüwa den kleinen Schrödinger vom Napf und stülpte ihn in ihre rechte Pullovertasche. Siegfried sprühte sich noch etwas von dem neuen Parfüm, das er von Cintia mit einer neuen Packung Unterhosen zu Weihnachten geschenkt bekommen hatte. „Pfui! Siegi, warum übertönst du deinen wundervollen, verlockenden alten Gouda Duft mit diesem Mist?“ beklagten sich Nüwa ruhelos und Schrödinger lautlos, der aus der Tasche spickte.

„Also ich finde, er riecht damit fabulös. Magst du auch?“ Ohne abzuwarten sprühte Cintia Nüwa etwas vom Toilettenwasser auf den Pullover. Schrödinger sprang heraus und es bedarf göttlicher Intervention, damit er wieder in seine Höhle gebracht wurde.

Schweigend umgab die Familie Siegfrieds das mit Schnee bedeckte Grab. Die Kinder(Nüwa zählte sich wohl dazu)waren bereits vor den Friedhofstoren und spielten mit dem riesigen Haufen gekehrten Schnee. Cintia sprach ihr Gebet zu Ende und verließ als letzte das Grab nach ihrem Kreuzzeichen.

„Wie geht’s deiner Lunge?“ fragte Siegfried seinen hustenden Bruder.

„Das ist eine scheiß Plage, sag ich dir“, antwortete Siegmund, der ältere Bruder Siegfrieds. „Jochen, kannst dich glücklich schätzen, dass du diesen Scheiß—Gott weiß warum—nicht hast.“

Jochen, mit 36 Jahren der Zweitälteste der Geschwister, erlosch seine Zigarette mit einer Sohle, die gerade die tausendste Zigarette ausdrückte. Er legte seine Haare nach hinten und grinste zu Siegmund: „Hättest wohl auch rauchen müssen, Siegi. Wirst dieses Jahr noch Glück haben; ist doch dein Jahr, das Jahr der Hunde, nicht?“

„Du meinst, es geht vor die Hunde“, konterte Siegmund pessimistisch. Seine Frau Lisa konnte die Fassade besser tragen als er und spielte die unberührte, hoffnungsvolle Frau. Dass es sie innerlich zerstörte und sie jeden Tag nach einer Therapiesitzung um ihn geweint hatte, merkte ihr niemand an.

„Wird schon, Brüderchen. Euch scheint’s doch gut genug zu gehen, wenn du dir deine Eier hier abfrieren willst. Jetzt kommt, wir haben den Tisch für dreizehn Uhr.“ Nur schwer und mit Mühe wurden die Kinder davon abgebracht, sich wieder in die Autos zu setzen.

„Wo ward ihr so lange?“ fragte Sieglinde, die mittlere Schwester, Siegfried. Sein Blick ging zu Nüwa, die sich bereits einen Teller voll Speisen vom Buffet geschnappt hatte. „Ihre Tochter, Cintia?“

„Adoptivtochter. Sie ist mein allergrößter Schatz.“ Cintia gab Nüwa einen Luftkuss rüber.

„Nehmt euch auch schon was, wir sitzen hinten im Nebenraum“, sagte sie und ging zu diesem.

„Linda sieht wirklich charmant aus, Siegfried. Man merkt ihr überhaupt nicht an, dass sie bald fünfunddreißig wird. Sie wird noch einen guten Mann finden, da bin ich mir sicher.“

Johanna, die Älteste, musste sich stets um ihre nervenraubenden, elfjährigen Drillinge kümmern und fand nur selten Zeit, über ihr Leben zu plaudern; sie erzählte stückweise von ihrem „langweiligen Hausfrauen Leben“, wenn ihr Mann Theodor nicht dazwischen redete.

Amelie, mit 27 die Jüngste, war hingegen das genaue Gegenteil ihrer älteren Schwester, körperlich(außer dem Busen, ein großzügiges Erbe der Familie Grass)sowie geistlich. Sie war Journalistin und war erst neulich von einer Reise aus dem Norden Kanadas zurückgekommen. Sie berichtete über die neuen Ölanlagen, die dort errichtet werden sollten. „Wisst ihr, wie viele Tiere allein schon beim Bau der Anlage sterben werden? Es ist einfach unglaublich, was sich diese—entschuldigt mein französisch—Kapitalistenschweine erlauben. Deshalb esse ich auch kein Fleisch oder Fisch“, und blickte böse auf den Neuzugang Cintia, die äußerst verwirrt vom Zusammenhang war. Wie ihre Natur so war, fühlte sie sich sofort schlecht dafür, dass sie den Reis mit drei verschiedenen Tierarten bedeckt hatte und schob den Teller etwas von sich weg. Sie blinzelte nicht.

„Lass dir nichts von ihr erzählen“, flüsterte Siegfried Cintia ins Ohr, „sonst ergeht es dir wie ihren drei letzten Männern.“ Ihre hoch aufgerissenen dicken braunen Augenbrauen genügten als Frage und er bestätigte seine Aussage nochmals mit einem grinsenden Nicken. Sie blinzelte lächelnd.

„Cintia, deine Tochter hat aber einen Mordshunger“, kommentierte Amelie Nüwas dritte Rückkehr vom Buffet, während die meisten nicht mal ihren ersten Teller angerührt hatten. „Ich muss gestehen, mir gefällt ihre Frisur: Stark, schick und schreit »unabhängig«.“

Cintia nahm Nüwa, die sich rechts neben ihr setzte, in den Arm und küsste ihre Glatze an der linken Kopfhälfte. „Sie ist mein Engelchen.“ Nüwa kippte ihren Stuhl und blickte fragwürdig hinter Cintias Rücken zu Siegfried, der ebenso fraglich nur mit den Schultern zucken konnte.

„Jetzt schon ein Bier, Siegmund?“ fragte seine ältere Schwester Johanna.

„Du weißt doch: Kein Bier vor vier, außer es ist nach zwölf“, antwortete er ihr und sie teilten ein Lachen.

„Hast du mittlerweile was von Melissa gehört?“ fragte Sieglinde ihr Brüderchen Siegfried.

„Nein, nur dass sie wohl einen anderen Trottel gefunden hatte.“

„Es war nicht deine Schuld, Friedchen. Niemand hätte geahnt, dass sie ohne dich wegziehen würde.“

„Eine Schlange war sie, das hab ich beim ersten Blick gesehen. Sau was Sau heißt“, fügte Jochen hinzu, der ihnen gegenübersaß.

„Aber du hast trotzdem nichts gesagt“, wiedersprach Sieglinde. Tatsächlich lief Jochens Aussage damals darauf, dass die Amerikaner auf den Genuss von echten, deutschen Brot kommen und dann Deutschland besetzen würden, wenn er mit Melissa eine Bäckerei aufmachen würde. „Nein, niemand hätte das geahnt“, fuhr Sieglinde fort. „Nur Mama hätte es vielleicht gewusst, sie war immer gut beim Einschätzen von Menschen.“

Die Familie fiel in einen Moment des Schweigens, bis Nüwa diesen durch einen saftigen Rülpser zerbrach. „Sorry, die Cola.“ Alle Geschwister gerieten in lautes Gelächter. Die neuen Außenfamiliären jedoch blickten und blinzelten sich gegenseitig verwundert an.

„Mama hat mindestens einmal pro Mahlzeit am Tisch gerülpst. Es war ein gutes Essen, wenn sie die Schuld aufs Getränk geschoben hatte und nicht auf ihre verschlingende Essensweise“, erklärte ihnen Siegmund lachend.

Des Vaters, der Tochter, und des ewigen Geistes

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