Читать книгу Voller Misstrauen geliebt - Lara Greystone - Страница 11
Kapitel 9
ОглавлениеQuints Kiefer mahlten, als er nach draußen lief. Die Sonne war schon untergegangen, einige Minuten früher hätte das Restlicht noch geschmerzt, jetzt ging es gerade so.
Vor dem Teich blieb er wie angewurzelt stehen.
Mit eigenen Augen sah es noch schlimmer aus als auf dem herangezoomten Kamerabild. Abgesehen von dem Schlamm auf Jos schöner, sonnengebräunter Haut waren nämlich große, blaue Flecke zu sehen: an den Handgelenken, den Oberarmen und besonders auf ihrem Brustkorb.
War das das Werk von Snake? Oder hatte der üble Kerl gleich frühmorgens Raúls Leute vorbeigeschickt, um sie zu schlagen und zu misshandeln? Damit sie etwas über die Wächter oder das Hauptquartier preisgab?
Aber warum war sie dann heute zur Arbeit erschienen? Hatte Raúl sie gezwungen? Musste sie hier etwas für ihn erledigen?
War das Ganze seine Schuld?
Hatte Snake ihn doch als Wächter identifiziert?
War Jo deshalb zur Zielscheibe geworden?
Man kann eine Erinnerung löschen, aber nicht ein schlechtes Gewissen!, hallte der Appell seines Vaters in seinem Kopf wider.
Für einen langen Moment stand Quint einfach nur da, und als er Jo schließlich ansprach, kam ihm seine eigene Stimme fremd vor.
„Was ist passiert? Wer war das?“
Sie blickte von ihrer Arbeit hoch und die goldenen Strahlen in ihren Augen leuchteten auf wie in der Nacht zuvor. Plötzlich stieg in ihm der Drang auf, den Übeltätern jeden einzelnen Knochen im Leib zu brechen. Er würde sie für das leiden lassen, was sie Jo angetan hatten!
Jo sah ihn verwirrt an, deshalb deutete er auf ihre blauen Flecke und wiederholte: „Wer war das? Sag es mir!“
Sie schenkte ihm einen skeptischen Blick und hob dann eine Augenbraue.
„Mich haben heute Nacht die Heinzelmännchen besucht und grün und blau geschlagen.“
„Wer sind diese Dreckskerle und wo finde ich sie?!“
Von denen hatte er noch nie gehört. Vielleicht konnte Rose sie für ihn aufspüren oder Elia die Typen über das Internet finden.
Wie durch Gedankenübertragung stand der Schreiber plötzlich neben ihm, besser gesagt: auf seinem Fuß. Elia verzog sein Gesicht in merkwürdiger Weise – was Jo nicht sehen und er nicht deuten konnte – und hielt ihm ein Badetuch und einen Eimer Wasser hin.
„Das wolltest du ihr doch bringen, oder, Quint?“
Was sollte er denn mit einem Handtuch?
„Wie Sie zu so tollen Freunden kommen, ist mir fraglich“, sagte Jo, die offensichtlich mehr wusste als er. „Aber um Ihre Frage zu beantworten: Schauen Sie in den Spiegel, dann haben Sie den Kerl gefunden, nach dem Sie suchen. Oder erinnern Sie sich etwa nicht mehr an Ihren Stunt von gestern?“
Bevor er antworten konnte, sprang Elia ein: „Er hat sich zu lange nur unter harten Männer aufgehalten, verzeihen Sie ihm diese völlig blöde Frage.“
Die letzten Wörter betonte Elia und sah ihn dabei verärgert an.
Langsam wurde Quint das ganze Ausmaß seiner gestrigen Aktion bewusst. Alva hatte mit ihrer Gabe lediglich die Knochen heilen können. Die rotblauen Flecke bedeuteten aber, dass sie heute und noch für einige Tage Schmerzen haben würde – seinetwegen. Und damit hatte sie den ganzen Tag schwer geschuftet.
Agnus hatte in einem Punkt recht: Er hatte keine Beweise gegen Jo, nur Verdächtigungen.
Genervt sagte Jo: „Ich habe heute Morgen verschlafen und muss den Anhänger, mit dem ich den Teichschlamm und das andere Zeug abtransportiere, morgen früh wieder zurückgeben, also lassen Sie mich weiterarbeiten, ja?“
Quint warf einen Blick auf den Teich. Jo hatte noch eine Menge Arbeit vor sich. Andere Gärtner hätten bestimmt längst Feierabend gemacht, denn es war schon dunkel. Das Flutlicht hatte wohl Elia für sie eingeschaltet. Und die Wolkenberge, die der auffrischende Wind herantrug, würden sich gleich in einem Gewitter entladen.
„Machen Sie für heute Schluss“, sagte Quint und meinte es freundlich. Doch seine Stimme klang viel zu rau, er war im Umgang mit Menschen eben nicht besonders gut, seit er sich nach dem Tod seines Bruders zurückgezogen hatte.
Jo war im Begriff, zu protestieren, daher fuhr er fort: „Sagen Sie mir, was zu tun ist, dann erledige ich den Rest.“
„Soll das eine Art Entschuldigung sein oder wollen Sie nur den Preis drücken?“, fragte sie stirnrunzelnd.
Elia legte mehr Gewicht auf seinen Fuß.
„Ich hab die Situation gestern falsch eingeschätzt“, erklärte Quint.
Das Gewicht auf seinem Fuß wurde nochmal erhöht.
„Entschuldigung.“
Endlich nahm Elia den Fuß von seinem herunter.
„Darf ich Ihnen den Schlamm runterspülen?“, fragte Elia übereifrig und zog an dem Eimer, den Quint sich mittlerweile gegriffen hatte.
Quint konnte gerade noch ein Knurren unterdrücken und hielt den Eimer energisch fest.
„Ich mach das schon, Elia“, sagte er und trat dabei zur Abwechslung mal dem Schreiber auf den Fuß.
Der Wink mit dem Zaunpfahl half und Elia verabschiedete sich von Jo – während sein Blick kurz bei ihr auf Wanderschaft ging. Elia drückte ihm das Badetuch in die Hand und trottete davon. Für Jo nicht mehr hörbar, murmelte der Schreiber: „Das hat man dann davon. Keiner gönnt einem was.“
Jetzt zerrte Jo an dem Eimer.
„Ich kann das selbst.“
Aber sie hatte keine Chance, denn Quint ließ einfach nicht los und redete sich ein, dass er die Gelegenheit nur nutzen wollte, um sie – nur zur Sicherheit natürlich – einmal gründlich in Augenschein zu nehmen. Elia hatte sogar einen Waschlappen mitgebracht, den Jo sich nun mit einem verärgerten Stirnrunzeln schnappte.
Während er langsam um sie herumging und sorgsam das Wasser über sie goss, suchte er nach etwas Ungewöhnlichem bei ihr. Doch alles, was er entdeckte, war ihre überaus feminine Figur, die ihm sehr gefiel. Die weiblichen Hungerhaken aus der Werbung mochte er nicht. Er bedauerte nur, dass Jo ihre schönen, welligen Haare nicht offen trug.
Als sie mit dem Waschlappen über ihr Bikinioberteil fuhr, rückten ihre runden Brüste ins Zentrum seiner Aufmerksamkeit.
Das mit dem Waschlappen hätte ich auch gern gemacht, dachte er unvermittelt und war gleichzeitig irritiert über seinen Gedankengang.
„Ihnen fallen gleich die Augen raus“, bemerkte Jo trocken.
Stimmt, er war wie von selbst stehen geblieben und starrte sie tatsächlich gerade an – und sie hatte ihn dabei erwischt. Wie peinlich!
Seine Wangen fühlten sich mit einem Mal ziemlich heiß an. Wurde er etwa rot?
Um sich aus dem Fettnäpfchen zu manövrieren, fragte er schnell: „Woher stammt denn diese große Narbe an Ihrem Oberschenkel?“
„Da hat ein Rottweiler zugebissen, als ich meinen Ball aus seinem Garten holen wollte. Er hat ein großes Stück Haut und sogar Muskelgewebe herausgerissen.“
„Ein Glück, dass er nur einmal zugebissen hat.“
„Ja, ich hätte mich auch kaum gegen ihn wehren können, ich war nämlich erst fünf Jahre alt. Nach dem ersten Angriff stand er mit gefletschten Zähnen und angelegten Ohren über mir und ich glaubte, er würde mir jeden Augenblick an die Kehle gehen. Aber das Tier starrte mir in die Augen und blieb dann reglos stehen. Plötzlich begann es zu winseln und leckte mir die Wunde.“
Das gab ihm zu denken. Wurden Hunde nicht aggressiver, wenn man ihnen in die Augen schaute?
„Vielleicht bist du ja ein Raubtierbändiger“, murmelte er und meinte es ernster, als sie glauben würde. Im Grunde waren Vampire ja auch eine Art Raubtier, oder nicht?
„Raubtierbändiger?“, meinte Jo sarkastisch. „Dann war das ein mieser Karrierestart. Der Hund wurde eingeschläfert. Ich bekam eine Tollwutspritze, später eine Hauttransplantation und das alles hat furchtbar wehgetan. – Darf ich?“, fragte Jo und streckte ihre Hand nach dem Badetuch aus.
Auch das ließ er nicht los, sondern wickelte die verblüffte Jo darin ein – dass es ihm gefiel, versuchte er zu ignorieren.
Jo rubbelte sich ab. Als sie sich bückte, um ihre Beine abzutrocknen, zischte sie und fasste sich mit einer Hand an den Rücken.
„Alles in Ordnung? Haben Sie das auch mir zu verdanken?“
„Nein, das ist nur das Übliche. Geben Sie mir eine Minute, bevor ich Ihnen erkläre, was am Teich noch zu tun ist, ja?“
Er ließ Jo nicht aus den Augen, als sie zu ihrem Rucksack ging, eine Flasche Wasser herausholte und noch etwas, das sie mit ihrem Rücken verdeckte. Beinahe hätte er verpasst, dass sie sich, vor seinen Blicken verborgen, etwas in den Mund stecken wollte – aber nur beinahe.
Im Bruchteil einer Sekunde war er bei Jo und hielt ihre Hand, in deren Faust sie etwas verbarg, eisern fest.
„Drogen?“, fragte er mit finsterer Stimme.
Die ersten Blitze zuckten und erhellten den schwarzen Nachthimmel.
„Langsam reicht’s mir mit dieser Tour“, sagte sie anklagend und schaute ihm herausfordernd in die Augen.
Die goldenen Strahlen darin leuchteten auf. Wie von selbst ließ er ihre Hand los.
„Schon besser. Wissen Sie, die Mädchen, die als Teenies brav waren, bekommen die Drogen später auf Rezept.“
Er verstand beim besten Willen nicht, was sie damit meinte, und musste wohl ziemlich dumm aus der Wäsche schauen, denn nach einem Blick auf sein Gesicht, lachte sie. Dann wurde sie jedoch wieder ernst.
„Glauben Sie wirklich, ich nehme Drogen? Sie trauen wohl niemandem.“
„Sicher ist sicher.“
Mehr wollte nicht über seine Lippen kommen. Ihre Behauptung erinnerte ihn nämlich daran, dass er selbst Johns neuer Frau Lara anfangs nicht über den Weg getraut hatte, aber ohne sie wäre der Wächter verloren gewesen, und das auf mehr als eine Weise.
„Also gut – um Alice’ willen“, sagte Jo schließlich. „Damit das Mädchen ihr Indianerzelt bekommt.“ Sie öffnete ihre Hand. Zwei weiße, längliche Tabletten lagen darin. „Ibuprofen. Wollen Sie auch noch die Packung sehen?“
Als er nickte, meinte sie kopfschüttelnd: „War ja klar“, zeigte ihm jedoch die Schachtel und er prägte sich jedes Detail davon ein. Später würde er das von Alva überprüfen lassen.
„Zufrieden?“
„Ja.“
„Falls ich mal mit einer Wasserpistole hier auftauchen würde, um mit Alice zu spielen, würden Sie mich womöglich erschießen, oder?“
„Ja“, sagte er, ohne auch nur für eine Sekunde darüber nachzudenken.
Jo starrte ihn schockiert an, während der Himmel über ihnen seine Schleusen öffnete und sich ein heftiger Schauer über sie ergoss. Während sie sich gegenüberstanden und der Regen sie beide in Sekunden durchnässte, wurde ihm bewusst, was er da gerade gesagt hatte: Im Zweifelsfall hätte Jo eine Kugel von ihm zwischen den Augen, bevor er nachfragen würde, was sie in Händen hielt. Ein ausgeliehenes Badetuch und eine Entschuldigung würden dann auch nicht mehr helfen.
Als wäre die Zeit eingefroren, stand er da, sah zu, wie der Regen über Jos Gesicht lief, an ihren Wimpern hängen blieb und dann heruntertropfte.
Was war nur aus ihm geworden?
Vielleicht hatte Agnus recht und er war wirklich außer Kontrolle.
Und Vampire, die die Kontrolle verloren und Menschen töteten, mussten eliminiert werden – durch Wächter wie ihn.
Er brachte kein Wort mehr heraus.