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Kapitel 5

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Quint stapfte tropfnass durch die Gänge zu seinem Quartier.

Diese Jo hatte ihn doch tatsächlich ausgelacht! Am liebsten hätte er den Rest der Kernseife nach ihr geworfen!

Aber bei seiner Wut hätte das mit Sicherheit einen blauen Fleck hinterlassen und leider durfte er sie gemäß Agnus’ Befehl ja nur noch mit Samthandschuhen anfassen.

Er gab sich keine Mühe, sein zorniges Knurren zu unterdrücken.

Ausgerechnet jetzt liefen ihm auf dem Flur auch noch Arabella, das flippige Ex-Model, und Ambrosius, ihr Biochemiker, über den Weg, für den das ganze Leben nur aus Spaß bestand und der eine Wette nach der anderen abschloss. Im Gegensatz zu ihm waren die beiden in sichtlicher Hochstimmung und hatten Golfschläger dabei.

Er biss die Zähne zusammen, denn er kannte die beiden gut genug, um zu wissen, dass es schier unmöglich war, an ihnen vorbeizukommen, ohne zusätzlichen Spott zu ernten.

„Hey!“, fing Ambi sofort an, „Wenn das nicht unser umwerfender Begrüßungsservice ist!“ Ara brach in schallendes Gelächter aus und Ambi fuhr fort: „Hey, wenn du willst, dass Frauen dich umwerfend finden, dann lass dir lieber von mir ein paar Tipps geben. Zumindest hast du schon zweimal vollen Körpereinsatz gezeigt.“

„Ja“, presste Ara mühsam hervor und versuchte, dem Lachanfall Herr zu werden. „Halb nackt vor ihren Augen zu baden, war schon mal nicht verkehrt. Das sollte dir ein paar Punkte bei ihr einbringen.“

Als Quint verwirrt die Stirn runzelte, nahm Ara einen Schritt Abstand, bedachte ihn mit einem musternden Blick und erklärte: „Eins a Proportionen, super Muskelmasse – du wärst ein erstklassiges Körpermodel für Duschgels!“ Dann kniff sie ihn spielerisch in die Wange und meinte: „Nur dein grimmiges Gesicht müsste man weglassen, damit könntest du höchstens für die Neuauflage von Conan der Barbar ein Casting gewinnen.“

Ambi krümmte sich vor Lachen und Ara konnte sich auch nicht mehr beherrschen.

„Ha, ha, echt lustig. Ich bin hier für die Sicherheit zuständig! Kapiert ihr das nicht?“

„Echt prima, dass du uns gleichzeitig so glänzend unterhältst, während du für die Sicherheit sorgst“, meinte Ambi prustend.

„Seid ihr zwei auf Drogen, oder was?“, murrte Quint.

„Nein, wir haben nur irre gute Laune, das, was dir dringend fehlt. Wir sind nämlich auf dem Weg in die Stadt und probieren Streetgolf aus. Hat Elia auf Youtube entdeckt, der kommt auch mit.“

„Der Höhepunkt am Ende ist die stillgelegte Fabrik, die abgerissen werden soll“, erklärte Ambi. „Ich hab mit den anderen Wetten abgeschlossen, wie viele Fenster wir treffen. Wobei unsere Ara einen Nichtvampirbonus bekommt.“

„Mensch, Quint“, sagte Ara nun ernster und sah ihn für einen Moment bedrückt an. „Komm doch einfach mit und hab mal ein bisschen Spaß mit uns – so wie früher.“

Seine angestaute Wut verflog, als er daran dachte, wie er vor vielen Jahren zusammen mit seinem Bruder Samuel für ihre kleine Tochter auf allen vieren Löwe gespielt und sie auf sich hatte reiten lassen – zwei Löwen mit echten Fangzähnen wohlgemerkt. Bilder einer schönen Vergangenheit.

„Susi, die Löwenkönigin“, sagte er in Gedanken versunken. „Wir hatten eine schöne Zeit mit deiner kleinen Susi.“ Er zupfte an einem von Aras unzähligen blonden Zöpfchen, die sie derzeit trug. „Diese Woche mal deine Naturfarbe, hm? Aber du hast da was im Haar, eine Feder, warte …“

Er wollte sie gerade herausziehen, da schlug ihm Ara spielerisch auf die Hand. „Nix da, lass die ja drin! Das ist der letzte Schrei: ganz schmale Naturfedern, die man sich als Extensions reinmacht. Und die passen farblich auch super zu meinem natürlichen Haarton.“

Die Federn waren wirklich schön. Ganz schmal in goldenen und hellbraunen Nuancen und mit den für so viele Federn typischen, schwarzen Linienmustern. Zuletzt hatte er Federn in der Haartracht von Indianern gesehen, als er Lebensmittel gegen Felle tauschte. Dass das bei Weißen in dieser Art einmal in Mode kommen würde, hätte er auch nie gedacht. In den vergangenen Zeiten hatte er Federn nur in Hüten, als Boas oder Fächer gesehen.

„Danke für deine Einladung, Ara. Habt ihr ruhig Spaß und vergnügt euch. Ich muss ein Auge auf diese Jo werfen. Sicher ist sicher. Geh schon voraus, Ara, ich muss mit unserem Biochemiker noch was bereden.“

„Verstehe, Wächterkram. Na dann, wir treffen uns gleich in der Tiefgarage, Ambi.“

Leichtfüßig ging sie davon.

„Was gibt’s denn, Quint?“, fragte Ambi.

„Diese Frau. Sie hat mir in die Augen gesehen und mich irgendwie manipuliert. Ich war auf einmal ganz – weichgespült.“

„Du und weichgespült?“, meinte Ambi mit einem amüsiertem Stirnrunzeln.

„Ja, kurz vorher hatte ich noch mein Messer an ihrer Kehle, dann schaute sie mir in die Augen und …“

„Schau mir in die Augen, Kleines“, unterbrach ihn Ambrosius und vollführte eine filmreife Geste.

„Hör auf mit dem Quatsch! Ich mein es ernst. Mit ihren Augen ist irgendwas passiert und ich hatte das Gefühl, sie beschützen zu müssen.“

„Ich wette, du spinnst nur, Quint, aber hey, du hast meine Neugier geweckt. Lass uns mal für einen Moment sachlich bleiben und beschreib exakt, wie ihre Augen aussehen und was mit ihnen passiert ist.“

„Also, ihre Augen sind hellbraun – nein, warte, es ist eher so ein Orangerot, das ins Braun spielt, so wie der rotorangefarbene Hessonit aus Sri Lanka in dem Collier, das du meiner Mutter zum Geburtstag geschenkt hast.“

„Dieser Granat? Das ist gut dreißig Jahre her, aber ja, ich erinnere mich an diesen hübschen Edelstein, sprich weiter.“

„Das ist auf alle Fälle die Grundfarbe ihrer Iris, aber darin hat sie diese goldenen, sagen wir mal, Strahlen und die haben aufgeleuchtet, als sie mich angesehen hat.“

„Hm – rein biologisch geht das nicht, würde ich sagen, von so was habe ich auch noch nie gehört. Bist du dir da ganz sicher?“

„Ja!“

Ambi zuckte mit den Schultern.

„Eine Hypnose kann es eigentlich nicht sein, dafür hat die Zeit nicht gereicht, außerdem bist du als Vampir in dieser Art kaum von Menschen zu beeinflussen. Aber du hast sie angefasst, möglicherweise sondert ihre Haut Botenstoffe ab. Du kannst ja unauffällig einen Abstrich machen. Eine visuelle Beeinflussung halte ich für unwahrscheinlich. Aber frag doch Amalia, die ist steinalt, oder Elia, unseren Schreiber, vielleicht findet er auch was in unseren Aufzeichnungen oder weiß was aus den Legenden. Ich muss jetzt los.“ Ambi ließ seine Fangzähne aufblitzen und zwinkerte ihm zu. „Die Nacht dauert schließlich nicht ewig.“

Mit diesem Kommentar ließ Ambi ihn einfach stehen – in der Pfütze, die sich mittlerweile zu seinen Füßen gebildet hatte.

Schnurstracks ging Quint zu Elia, der offiziell den Titel Schreiber trug, in der Neuzeit den Wächtern aber mehr in seiner Eigenschaft als Computergenie diente.

Er beschrieb Elia, was zwischen Jo und ihm vorgefallen war.

„Du und eine Frau beschützen?“, fragte Elia verblüfft, „Das klingt in der Tat untypisch für dich und gehört habe ich davon auch noch nie. Klar, kann ich für dich in den alten Pergamenten nachforschen. Ich werd einen Suchlauf starten.“

„Einen Suchlauf? Ich dachte, du gehst ins Archiv und …“

Elia schüttelte spöttisch den Kopf.

„Du denkst doch nicht, ich gehe in irgendeinen Keller und rolle stundenlang Hunderte von Pergamenten auf?“

Ja, das hatte er eigentlich gedacht, hielt aber lieber den Mund. Für heute hatte er sich schon genug blamiert.

„Ich hab schon vor langer Zeit alles eingescannt und digitalisiert“, erklärte Elia. „Die alten Handschriften mit selbst erstellter Texterkennung in Dateien umgewandelt. Du solltest aber wissen, dass unsere ältesten Pergamente bei dem Brand der Wächterburg im Mittelalter ein Raub der Flammen geworden sind. Aber zum Glück kennen wir beide ja eine uralte Sirene, die bei einem Großteil unserer Geschichte live dabei war.“

„Und Männer in den Wahnsinn getrieben hat“, ergänzte Quint.

Elia grinste. „Na ja, diese Eigenschaft würde wohl so mancher Mann seiner Frau zuschreiben, oder nicht?“

„Ich bin nicht zu Scherzen aufgelegt, Elia“, murrte Quint.

„Schade, das wär nach über zwanzig Jahren eine echte Abwechslung. Und wenn du mich fragst: Ich glaube, du verlierst nicht deinen Verstand, sondern nur dein Herz, falls du überhaupt noch eins hast.

„Sehe ich für dich etwa liebeskrank aus?“

Elia verzog sein Gesicht zu einem freudlosen Grinsen.

„Nein, ganz sicher nicht. Du hast recht, wenn unsere Sirene durch ihren Gesang Männer beeinflussen kann, warum soll es nicht eine Frau geben, die das mit ihren Augen fertigbringt. Geh und frag Amalia danach. Hier sind übrigens die Ausdrucke der Bankdaten und Vermögenswerte unserer Gärtnerin“, erklärte Elia und hielt ihm einen Stapel Papiere hin. Quint wollte sie schon greifen, da zog Elia sie wieder weg. „Wie heißt das?“

„Danke, Elia – und ja, ohne dich wären wir alle aufgeschmissen“, ratterte Quint gelangweilt das Lob herunter. Und während er schon begann, die Blätter durchzusehen und Elias Büro zu verlassen, murmelte er: „Komm endlich drüber hinweg, Elia. Vergiss ein für alle Mal die Zeiten, wo wir dich im Schwertkampf immer geschlagen haben, weil du der Kleinste von uns warst. Heute kann dir in Sachen Computer und Internet keiner mehr das Wasser reichen. – Die anderen warten übrigens schon auf dich, Streetgolf oder so.“

„Stimmt, hätte ich beinahe vergessen! Also bis zum Sonnenaufgang“, rief Elia und drängelte sich noch vor ihm durch die Bürotür.

Kurz darauf stand Quint vor Amalias Quartier. Ursprünglich lautete ihr Name einmal Lorelei, aber das war lange her. Er klopfte und kurz darauf öffnete Amalia die Tür. Ihre langen, grauen Wellen trug sie offen und hatte sie nur mit wertvollen Kämmen nach hinten gesteckt.

„Quintus“, grüßte ihn die Frau mit einem knappen Nicken und einer Haltung, die immer noch der einer Königin entsprach, die sie einst war. Ihr edles, mittelalterliches Kleid, das bis auf den Boden reichte, unterstrich ihr Auftreten.

Ob sie je den Weg in die Neuzeit finden würde?

Er hatte den Gedanken noch nicht zu Ende gedacht, da war ihm klar, dass er einen Fehler begangen hatte. Doch es war zu spät, Amalia musterte ihn bereits von oben bis unten.

„Ich weiß nicht, ob das den modernen Sitten entspricht, Quintus, aber ich dulde so etwas nicht.“ Dabei hob sie das Kinn in einer anmutigen Weise und gleichzeitig wie eine Gouvernante, die ihren Schützling maßregelte. „Du wirst dich sittlich kleiden, wenn du von mir empfangen werden willst, und einen Leibeigenen anweisen, die Pfützen aufzuwischen, die du hinterlassen hast.“

Er zog den Kopf ein, drehte sich wortlos um und murmelte: „Wir haben keine Leibeigenen mehr. Obwohl das vieles einfacher machen würde.“

Leibeigene würden sich auch um den Garten kümmern und nicht eine Fremde, die ein erhebliches Sicherheitsrisiko darstellte.

Leibeigene, die einen Blutschwur der Verschwiegenheit geleistet hatten, waren die einzige Ausnahme: Ihnen durfte das Geheimnis ihrer Art anvertraut werden.

Später in dieser Nacht kehrte Quint zurück – sittlich angezogen – und Amalia ließ ihn mit einer wohlwollenden Geste eintreten.

Sie setzte sich auf einen verzierten Holzstuhl, als wäre er ein Thron, und bedeutete ihm, Platz zu nehmen.

„Was ist dein Anliegen, Quintus?“

Er erzählte von Jo und ihren Augen, beschrieb seine seltsame Reaktion darauf. Leider hatte selbst Amalia noch nie etwas von so einer Gabe gehört. Als er aufstand, ging sie zu ihrem antiken Eichensekretär, den sie selbst jedoch nie als antik einstufen würde, ebenso wie ihr Kleid. Vielleicht deshalb, weil die uralte Sirene dies bewusst als ihre Normalität gewählt hatte und die nachfolgenden Zeitepochen eher als Zuschauer betrachtete.

„Bitte warte einen Moment, Quintus und bring dieses Schreiben zu Elia.“

Sie tauchte die Feder ein letztes Mal in das Tintenfässchen und unterzeichnete das Pergament. Dann ließ sie Wachs darauf tröpfeln, siegelte es mit ihrem Ring und übergab es ihm.

Er räusperte sich. „Du weißt aber schon, dass wir keine berittenen Boten mehr haben wie früher?“

Ihr Rücken wurde noch gerader, als er eh schon war, und mit empörtem Ausdruck meinte sie: „Nur weil ich die Sitten dieser Zeit nicht annehme, heißt das nicht, dass ich meinen Verstand verloren habe, Quintus, Sohn des William! Elia wird dieses Schriftstück einscannen und dem Duke mit diesem unsichtbaren Netz durch die Luft übermitteln. Er hat mich zu einer Jagdgesellschaft eingeladen und will mir für die Reise sein Luftschiff senden. Für eine Brieftaube wäre das Pergament doch zu groß, Quintus, und der Weg nach England zu weit.“

Und wieder war er in einem Fettnäpfchen gelandet!

Für heute hatte er die Nase gestrichen voll und wollte nur noch weg.

„Verzeih, Amalia“, sagte er schnell und beugte demütig seinen Kopf. Dann nahm er den Brief entgegen und verschwand.

Voller Misstrauen geliebt

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