Читать книгу Ein Thron aus Knochen und Schatten - Laura Labas - Страница 14
Kapitel Neun
ОглавлениеDie Tage vergingen in einem immer gleichen Trott, während der Herbst über das Land zog und den Wind durch die Straßen sandte. Das Training wurde stetig intensiver und es machte sich bezahlt, dass Ophelia und ich so gut zusammenarbeiteten, um die anderen unserem Level anzupassen. Oder zumindest so nahe wie möglich anzugleichen. Bird ging es mittlerweile wieder so gut, dass sie einfache Bewegungsabläufe ausführen konnte und auch beim Waffentraining dabei war, wobei sie das Kämpfen noch ausließ.
Heute Nacht würden wir das erste Mal auf unsere Kondition geprüft werden. Noah hatte eine Art Schnitzeljagd vorbereitet, die wir in Teams bestreiten mussten. Hadley und ich gegen Ophelia und Ian, was in meinen Augen relativ ausgeglichen schien.
Gerade befanden wir uns auf dem überdachten Teil der Terrasse und legten unsere Waffen an, während der Regen um uns plätscherte. Er würde alles noch unnötig erschweren, aber ich wusste, dass Noah den Test nicht verschieben würde, nur weil mir das Wetter nicht zusagte.
»Reichst du mir das Ledertuch?«, bat ich Ian, der mir lediglich einen abfälligen Blick zuwarf. Aha. Anscheinend war er schon dem Konkurrenzdenken verfallen. Die Augen verdrehend beugte ich mich selbst über den Tisch und griff in demselben Moment wie Gareth nach dem Tuch. Unsere Finger berührten sich für den Bruchteil einer Sekunde, bevor wir beide zurückzuckten.
Anstatt ihn anzusehen, zog ich den Gurt um meinen Oberschenkel enger und befestigte mein Waidblatt daran, dessen Griff ich vorher eigentlich hatte säubern wollen. Das war mir jetzt aber wirklich nicht mehr wichtig.
Seit unserem Kuss, unserem zweiten Kuss, hatten Gareth und ich nur noch das Nötigste miteinander gesprochen. Obwohl er nach unserem ersten Kuss keine ernste Reaktion gezeigt hatte, war es mittlerweile doch offensichtlich, dass ihn unsere gegenseitige Anziehungskraft genauso erschütterte wie mich. Normalerweise sollte das nicht sein. Ein Dämon und ein Mensch sollten sich unter keinen Umständen zueinander hingezogen fühlen. Und doch waren Eliza und Ty ein lebendes Beispiel dafür, dass es funktionierte. Natürlich wurden sie von vielen schief angesehen, aber ihnen war es ganz offensichtlich egal. So könnte ich niemals sein. Wenn ich nur darüber nachdachte, wie Evan mich ansehen würde, würde er je von dem Kuss erfahren … Nun, sagen wir einmal so, ich würde es vermeiden wollen. Unter allen Umständen.
Ich sah, dass Gareth die Terrasse verließ, um sich auf Position zu begeben. Noah und Bird würden an unserem Zielort auf uns warten. Ty würde Hadley und mich zu einem anderen Startpunkt bringen als Clarke Phi und Ian. Obwohl das hier nur eine Art Spiel war, war ich doch ziemlich aufgeregt. Ich war nicht dafür geschaffen, Tag für Tag hier eingepfercht zu sein und allein zu trainieren nur um des Trainierens willen. Nein. Ich musste raus.
Bevor wir in den Regen hinaustraten, legte ich meinen schwarzen Umhang um, den wir alle großzügigerweise von Dorian bekommen hatten. Ich würde zwar lieber meine Lederjacke tragen, entschied aber, dass ich heute einmal nach den Regeln spielen würde.
Die Kapuze über meinen Kopf ziehend, folgte ich Ty und Hadley nach draußen. Wir durchquerten den Garten in einem schnellen Schritt, um schließlich durch die Gartentür zu gehen, die Gareth und ich täglich nutzten, nachdem wir durch die Straßen gejoggt waren. Den ersten Kampf hatten wir nicht mehr wiederholt. Ich wusste nicht, ob Gareth mich schonen wollte oder ob ihn die Nähe zu mir genauso quälte wie mich. Wenn ich ehrlich war, wollte ich nicht mal wirklich darüber nachdenken.
»Wohin bringst du uns?«, fragte ich, den Umhang enger um mich ziehend, als wir bereits seit zehn Minuten unterwegs waren. Ich fühlte mich schon jetzt komplett durchweicht und wusste, dass es schlimmer werden würde, sollten wir stehen bleiben.
»Dorthin«, antwortete Ty tatsächlich. So ganz hatte ich nicht damit gerechnet. Er deutete auf ein Stück Stadtmauer, das zwischen zwei Häuserwänden sichtbar wurde und auf der ein roter Kreis prangte, als wäre er mit Kreide aufgemalt worden. Durch den stetigen Regen war die Farbe bereits etwas verlaufen.
»Das ist euer erster Hinweis.« Er reichte uns einen weißen Briefumschlag, gerade als die Turmuhr zur neunten Stunde läutete. »Eure Zeit läuft ab jetzt. Seid schneller als die anderen.«
Mit einem knappen Nicken verabschiedete er sich in die regnerische Dunkelheit. Ich riss den Umschlag auf und ließ Hadley näher kommen, damit wir uns beide so über die Nachricht beugen konnten, dass sie nicht nass wurde. Ein einzelner Satz stand auf dem Blatt, das ich hervorgezogen hatte:
Flackernd in der Dunkelheit
»Flackernd in der Dunkelheit?«, wiederholte ich fragend, blickte auf die Rückseite und besah mir dann wieder den Satz. »Was soll das bedeuten?«
Hadley sah mich nachdenklich unter seiner Kapuze hervor an. »Ich nehme an, es bezeichnet einen Ort, an den wir uns begeben sollen.«
Ich verdrehte die Augen. Natürlich. Die Frage lautete bloß, welcher Ort. Flackernd in der Dunkelheit.
»Was verbindest du damit?«
»Hm, Licht, Kerze, Wärme und Feuer?«
Ich runzelte die Stirn. Meine Laune sank zunehmend, je länger wir hier unbeweglich im Regen standen und über dieses Rätsel nachgrübelten.
»Mehr fällt mir auch nicht ein«, gab ich frustriert zu, blinzelte gegen den Regen an und betrachtete eine der Gaslampen, die die Gasse erhellten. Sie waren eindeutig praktischer als Kerzen und ließen sich durch ein ausgetüfteltes Rohrsystem ziemlich leicht bedienen. Licht. Oder doch Gaslampen? Aber am Docht oder in einer Feuerstelle flackerte das Feuer eindeutig mehr als in einer mit Glas umfassten Gaslampe.
Hadley stieß ein triumphierendes Keuchen aus. Sein Blick huschte von der Gaslampe zu mir. »Kerzen!« Anscheinend hatte er einen ähnlichen Gedankengang verfolgt wie ich.
»Wieso Kerzen?«
»Sie flackern in der Dunkelheit und sie gehörten zur Grundausstattung eines jeden Haushaltes«, antwortete er sofort und mit einem Lächeln auf dem Gesicht. »Seitdem es verboten wurde, Elektrizität zu benutzen, besitzt jeder Kerzen. Soweit ich weiß, gibt es in mehreren Städten Fabriken, die sich allein auf die Kerzeninnung spezialisiert haben … vielleicht …«
»Hadley!«, rief ich aus und steckte den Brief in meine Manteltasche. »Das ist genial! Weißt du, ob es hier eine Kerzenfabrik gibt?«
Er grinste. »Oh ja, im südlichen Teil, nahe des Bahnhofs.«
»Dann mal los. Wir haben unser Ziel.« Ich grinste. Die Zuversicht war mit einem Mal wieder da. Ich blickte nach oben und begann, als ich genügend Halt an der Backsteinmauer gefunden hatte, mich hochzuhangeln.
»Was tust du?« Ich konnte das Staunen aus seiner Stimme heraushören.
»Du glaubst doch wohl nicht, dass ich es den Dämonen einfach mache, uns Fallen zu stellen, oder?« Ich blickte ihn über meine rechte Schulter hinweg an. »Wir laufen über die Dächer.«
»Darauf hätte ich selbst kommen können«, murmelte er kopfschüttelnd.
Es war gar nicht so einfach, da der Regen den Stein glitschig machte, doch sobald ich mit einer Hand die Halterung der Gaslampe erreicht hatte, war es nur noch ein Klacks, mich hochzustemmen und die Halterung dann als Fußstütze zu benutzen. Mit den Fingern erreichte ich schließlich die Dachrinne, ließ meine Hand weiterwandern und bekam die ersten Dachziegel zu fassen, zog mich an ihnen hoch und rollte dann auf das glitschige Dach. Hadley folgte zwei Sekunden später.
»Sei vorsichtig. Es ist rutschig«, warnte ich ihn trotzdem. Er verdrehte die Augen und ich konnte es ihm nicht verübeln. Hätte ich an seiner Stelle womöglich ebenso getan. »Du führst.« Ich kannte zwar den Weg, aber ich nahm wieder die Rolle der Anführerin ein, die dafür sorgen musste, dass ihre Jäger Verantwortung übernehmen konnten.
Wir liefen schnell, aber wir blieben stets auf der Hut. Das Überwinden der Distanz zwischen den Häusern verlief problemlos, auch wenn es kein Kinderspiel war. Jeder von uns drohte einmal abzurutschen. Und bei alldem wurde das Wetter einfach nicht besser.
Schließlich erreichten wir die Straße, in der das große, einstöckige Fabrikgebäude lag. Ein wenig weiter rechts befand sich der Bahnhof von Ascia, der durch seinen alten Torbogen bestach und der hellen Gebäudefassade, die hier in der Stadt einmalig war. Er lag direkt hinter der Mauer.
»Bleib dicht hinter mir und sieh dich genau um. Wir wollen nicht sofort in eine Falle tappen«, murmelte ich, doch Hadley hörte nicht auf mich und blieb weiterhin an meiner Seite. Fragend sah ich ihn an und erkannte ein verschmitztes Lächeln auf seinen Lippen.
»Alison, ich weiß deine Anweisungen zu schätzen, allerdings schleiche ich mich nicht zum ersten Mal irgendwo an.« Seine Stimme klang freundlich, aber fest.
»Okay, okay. Entschuldige, ich lerne noch, wie man sich als Anführerin benimmt.« Er neigte leicht den Kopf. »Sag mir Bescheid, falls du was siehst«, fügte ich hinzu.
Nachdem wir keine auf uns lauernde Bedrohung feststellen konnten, beschlossen wir, den weniger offensichtlichen Eingang durch ein Dachfenster zu nehmen. Wir mussten zwar einen Halbkreis laufen, um das Dach zu erreichen, da die Lücke zwischen unserem Aussichtspunkt und der Fabrikhalle zu groß war, aber es klappte problemlos.
Das Dach war nur ganz schwach abfallend, bestand aus glatten Steinplatten und bot ungefähr in der Mitte mehrere Fenster an, die perfekt zum Einsteigen waren. Es stellte sich nur die Frage, ob wir im Inneren einen Weg finden würden, um nach unten zu klettern.
Die Fenster waren so montiert, dass sie sich zur Hälfte öffnen ließen, was durchaus ausreichte. Sowohl Hadley als auch ich waren nicht sonderlich groß und würden gerade so durchpassen. Bei Ophelia und Ian sähe das Ganze schon wieder anders aus. Obwohl sie schmaler waren als wir, würden ihnen ihrer langen Gliedmaßen Schwierigkeiten bereiten.
Wir hoben das Glasfenster an, welches ein quietschendes Geräusch von sich gab, das mich zusammenzucken ließ. Was auch immer für einen leisen Eintritt wir uns gewünscht hatten, er war damit dahin. Überraschen würden wir heute niemanden mehr.
Ich blinzelte in die dämmrige Dunkelheit der Fabrik, die durch ein paar wenige Gaslampen erhellt wurde, und erkannte sofort zwei Silhouetten, die sich durch die Eingangstür schoben, bevor sie hinter einem der schweren Bottiche, in denen Wachs erwärmt wurde, innehielten. Eine Treppe oder eine andere Möglichkeit, von hier oben nach unten zu gelangen, suchte ich leider vergeblich.
Fluchend zog ich mich zurück. »Wir müssen den Eingang benutzen. Und ich warne dich schon mal vor, Phi und Ian waren schneller.«
Hadley stimmte in mein Fluchen mit ein, was ihn aber nicht davon abhielt, vor mir den Eingang zu erreichen. Er zögerte lediglich eine Sekunde, ehe er in die Fabrik schlüpfte. Ich war direkt hinter ihm, um ihm den Rücken freizuhalten, und hatte das Waidblatt bereits gezogen, als wir von dem ersten Schattendämon angegriffen wurden. Kampfgeräusche weiter hinten in der Halle ließen darauf schließen, dass auch das andere Team böse überrascht worden war.
Ich überließ Hadley den Schattendämon, der mir aus der Zeit im Camp bekannt vorkam. Sein Name war etwas Ähnliches wie Frederik oder Freddy. Ich vertraute Hadleys Fähigkeiten, dass er gut genug war, mit einem Schattendämon fertig zu werden, während ich nach einer weiteren Nachricht Ausschau hielt.
Mich achtsam umschauend umrundete ich Bottich Nummer eins und zwei, wich den langen Arbeitstischen aus, auf dem noch diverse Werkzeuge ausgebreitet lagen, und versuchte den penetranten Geruch von unterschiedlichen Aromen zu ignorieren, der mir Übelkeit bereitete. Mein Geruchsinn war damit vollkommen überfordert. Im nächsten Moment war es mir jedoch kaum mehr möglich, mich auf das Bekämpfen meiner Übelkeit zu konzentrieren, da sich ein weiterer Dämon in den Schatten bewegte. Ich würgte unkontrolliert, aber noch behielt ich die Oberhand über meinen Magen.
Den Dämon hatte ich selbst über die Kampfgeräusche der anderen hinweg gehört, sobald er die Verfolgung aufgenommen hatte, wobei man es nicht wirklich hören nennen konnte. Es war, als würde sich etwas in meiner Umgebung verschieben. Ein Klang, der misstönend war und nicht zum Rest des Ensembles passte. Nun versuchte er sich anzuschleichen, um mich in einem denkbar ungünstigen Moment zu attackieren. Ich musterte meine Umgebung und entschied, dass er mich wohl angreifen würde, sobald ich mich in die Sackgasse begeben hatte, die sich vor mir ausbreitete. Eine metallene Treppe zog sich seitwärts nach oben, wurde jedoch von beiden Seiten eingezäunt. Die eigentliche Öffnung musste sich also weiter links befinden. Auf den anderen beiden Seiten befanden sich ein weiterer Bottich sowie die Seite eines steinernen Ofens.
Ich würde den Schattendämon in jedem Fall besiegen müssen, was bedeutete, ihn kampfunfähig zu machen, also drehte ich mich auf der Stelle um, um den Vorteil auf meiner Seite zu behalten. Wie erwartet, hatte er nicht damit gerechnet, dass ich sein Auftauchen bereits bemerkt hatte. Ich nutzte das Überraschungsmoment, duckte mich an ihm vorbei und rammte ihm meinen Ellbogen in den Rücken, sodass er nach vorne taumelte. Direkt in die Sackgasse.
Grinsend ließ ich ihm keine Zeit, sich zu orientieren, und schlug mit den Fäusten zu, denen er leider beiden auswich. Dann war der Moment meiner ersten Angriffswelle vorüber und wir befanden uns wieder auf gleicher Höhe. Nun ja, fast gleicher. Ich wusste, dass ich besser, flinker und stärker war als er.
Er versuchte mich mit seiner Kraft, anstatt mit seiner Schnelligkeit zu besiegen, was glücklicherweise nicht funktionierte. Es war fast schon lächerlich einfach, ihm auszuweichen. Vielleicht lag es auch daran, weil er mich unterschätzte, da er mindestens einen Kopf größer und auch um einiges breiter war als ich. Zudem sah er sich als unbesiegbaren Dämon und mich als schwachen Menschen. Die alte Leier eben.
»Das ist alles?«, lachte ich, als er mit einer Hand nach mir griff, um mir mit der anderen einen Schlag zu versetzen.
Er schnaufte heftig.
Da ich keine weitere Zeit zu verlieren hatte, machte ich kurzen Prozess, täuschte einen Angriff von rechts an, obwohl ich ihm mit links einen Schlag in die ungeschützte Kehle verpasste. Als er sich krümmte, setzte ich mit einem gezielten Tritt nach und positionierte mich dann hinter ihm. Mein Waidblatt lag geschärft an seiner Kehle.
»Du hast gewonnen«, gab er auf. Ich grinste süffisant, verpasste ihm mit dem Knauf einen Schlag auf den Hinterkopf und wartete, bis er keuchend zur Seite fiel. Er war zwar nicht bewusstlos, aber der Schmerz würde ihn weiter aufhalten. »Sorry, aber ich gehe lieber auf Nummer sicher, als es später zu bereuen.«
Hadley schloss zu mir auf, als ich gerade über das Gerüst auf die Treppe kletterte. Ich hatte keine Lust gehabt, den Anfang zu suchen und von dort oben aus würde ich vermutlich einen besseren Überblick über die Situation gewinnen.
»Gute Arbeit«, gratulierte er mir. Seine Zähne wirkten in dem schwachen Licht unnatürlich hell.
»Ebenso. Hast du was von den anderen gehört?« Er schüttelte den Kopf. Gemeinsam sprinteten wir über die Eisenkonstruktion, die quer über die Halle verlief. Es dauerte nicht lange, da zog ein kreisrunder, rot ausgefüllter Punkt meine Aufmerksamkeit auf sich. »Dort! Das ist das gleiche Symbol wie an unserem Startpunkt.«
Als wir über das erhöhte Gitter liefen, passierten wir dabei Ophelia und Ian, die auf dem Boden gegen zwei Schattendämonen kämpften und sich ganz gut schlugen. So gut, dass wir uns am besten beeilten, wenn wir den Zielort vor ihnen erreichen wollten. Schließlich befanden wir uns über dem roten Punkt, neben dem auch einer in blau war. Unter beiden Farbsymbolen war jeweils ein Umschlag befestigt.
Nachdem Hadley und ich einen Blick ausgetauscht hatten, kletterten wir über das Eisengeländer. Sobald ich nur noch mit den Händen an einer Strebe hing, ließ ich mich die restlichen zwei Meter fallen und rollte mich auf dem schmutzigen Betonboden ab.
Hadley riss den Umschlag von der Wand und machte sich daran, ihn zu öffnen, doch ich hielt ihn davon ab. Fragend sah er mich an.
»Lass uns erst etwas Distanz schaffen, bevor wir wieder angegriffen werden«, schlug ich vor. Nickend stimmte er mir zu und steckte den Brief ein, damit wir die Halle gemeinsam verlassen konnten.
Draußen regnete es nach wie vor, aber es störte mich weniger, da wir die erste Aufgabe vor den anderen erledigt hatten. Euphorie mischte sich mit Adrenalin.
Wir beschlossen, uns wieder auf eines der Dächer zurückzuziehen, von dem aus wir den Eingang zur Halle im Auge behalten konnten. Sobald wir uns sicher waren, nicht sofort entdeckt werden zu können, steckten wir die Köpfe zusammen und lasen den Inhalt des Briefs.
Über Wasser Laufend
»Das ist jetzt wohl etwas einfacher«, grinste Hadley und packte den Brief wieder in die Innentasche seines Mantels.
»Ach ja?«
»Komm schon, Aly, wir haben nur einen Fluss in Ascia und es gibt nur eine Brücke, die wichtig genug ist. Wo läuft man sonst über Wasser?«
»Ich glaube, was das Rätselraten angeht, bist du eindeutig besser als ich.«
Eine Bewegung vor dem Halleneingang lenkte mich ab. Anscheinend hatten Phi und Ian gegen die Dämonen gesiegt, denn sie schlichen zurück in die Nacht. Würden wir erneut den gleichen Ort aufsuchen oder bekamen sie eine andere Anweisung?
Ohne weitere Zeit zu verschwenden, machten wir uns auf den Weg zur größten Brücke in Ascia. Immer auf der Hut vor dem gegnerischen Team, das sich gar nicht so weit von uns entfernt befinden konnte. Vorausgesetzt, sie hatten dasselbe Ziel bekommen wie wir.
Um die Brücke, die sich über den kleinen Fore River spannte, zu erreichen, mussten wir zurück auf den Boden. Ein paar Passanten schlenderten an uns vorbei, warfen uns argwöhnische Blicke zu, verschwanden aber wieder um die nächste Ecke.
Eine Hand um meinen Dolch gelegt und meine Muskeln vollkommen angespannt näherte ich mich von links. Der Regen hatte den Fluss anschwellen lassen, der laut neben uns toste. Die Strömung war stark, aber nicht lebensgefährlich. Zumindest wirkte sie von Weitem so und für jeden, der schwimmen konnte, sollte es kein Problem sein, sich daraus zu befreien. Also für jeden außer mir.
»Siehst du was Verdächtiges?«, fragte ich Hadley über das Rauschen hinweg. Er schlich neben mir her und wirkte genauso auf der Hut wie ich, als wir uns langsam dem Beginn der steinernen Brücke näherten. Sie war rund sechs Meter breit und zwanzig Meter lang. Das Licht der Gaslampen an den Brückenenden reichte nicht mehr bis zur Mitte, sodass wir uns persönlich davon überzeugen mussten, dass sich dort nichts von Wert befand.
»Nichts«, murmelte der Jäger, der ebenfalls seine Waffe gezogen hatte. Der Dolch hatte eine etwas längere und breitere Klinge als mein Waidblatt und wirkte dadurch fast schon wie ein Kurzschwert. Die Art, die Noah gerne benutzte. Das Heft war schwarz und schmucklos.
Blinzelnd gingen wir weiter und ließen unsere Augen sich an die neue Dunkelheit gewöhnen.
Dann entließen wir gleichzeitig ein Geräusch der Überraschung. In der Mitte waren wieder zwei Punkte und auch zwei Briefumschläge zu sehen. Ich griff nach dem unter dem roten Punkt und betete, dass der Inhalt trotz der Nässe zu lesen wäre. Ich las die verschwommenen Wörter:
Im Tempel des Erzdämons
Grinsend sahen wir uns an, da wir beide wussten, dass der Tempel des Aeshma höchstwahrscheinlich das letzte Ziel sein würde und so wie es aussah, würden wir die Ersten dort sein. Doch dann wurden wir gleich von vier Schattendämonen überrascht, die sich uns von beiden Seiten näherten, aber nicht angriffen. Stattdessen bewarfen sie uns mit einem dicken, schweren Fischernetz, während ich noch überlegte, wen ich als Erstes mit meinem Waidblatt attackieren sollte. Hadley und ich konnten das Netz nicht abwehren. Je mehr wir zappelten, desto stärker verhedderten wir uns. Als ob das noch nicht schlimm genug wäre, packte man uns und warf uns über die Brücke ins eiskalte, stürmische Gewässer.
Das war’s dann wohl.