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Kapitel Zehn

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Als mich das Wasser umhüllte, war ich davon überzeugt zu sterben. Selbst wenn ich schwimmen könnte, das Netz drückte mich nieder, während Hadley den Platz ausfüllte, der mir möglicherweise zum Manövrieren geblieben wäre.

Wäre ich nicht so angsterfüllt gewesen, hätte ich sämtliche Flüche in Richtung der Schattendämonen ausgestoßen. Wie konnten sie so mit unseren Leben spielen?

Kurzzeitig befand ich mich mit dem Gesicht über der Oberfläche, sodass ich einmal tief Luft holen konnte, bevor ich wieder unter Wasser gezogen wurde.

Wie durch ein Wunder hatte ich mein Waidblatt auch noch nach dem Aufprall festgehalten, versuchte aber jetzt, da ich für den Moment immerhin nicht ertrinken würde, Hadley damit nicht aus Versehen zu verletzen. Prustend kam ich für einen weiteren Augenblick an die Oberfläche, ehe ich wieder heruntergerissen wurde. Es gab keine Zeit, mich mit Hadley abzustimmen und einen Plan zu schmieden. Es war ein Spiel auf Leben und Tod. Also verließ ich mich ganz auf meine Instinkte.

Zwischen den Intervallen, in denen ich Luft holen konnte und in denen ich unter Wasser war, schnitt ich durch die festen Seile. Panik saß mir im Nacken. Ich konnte nicht schwimmen, wodurch ich immer seltener an die Oberfläche kam und die Luft immer knapper wurde. Wenn wir hier nicht bald herauskämen, wäre es das mit uns gewesen …

Hadley versuchte zwar auch durch das feste Netz zu schneiden, allerdings verlor er andauernd eines seiner Messer, von denen er scheinbar einen endlosen Vorrat besaß. Trotzdem schaffte er es als Erster, ein Loch in das Netz zu schneiden, durch das er mich zog, bevor das Seil sich wieder um mich schließen und mich auf den Grund ziehen konnte. Hadley übernahm die Führung und ließ zu, dass ich mich an seinen Schultern festhielt, ehe er mir an die Oberfläche half.

Unsere Zusammenarbeit brachte uns schließlich ans Ufer am anderen Ende der Stadt. Der Regen prasselte weiter auf uns ein, aber da wir ohnehin klitschnass waren, machte es keinen Unterschied mehr.

Wir erlaubten uns ein paar Minuten, um zu Atem zu kommen und zu realisieren, dass wir diesen wahnsinnigen Test tatsächlich überlebt hatten. Nicht nur bestanden, nein, überlebt!

»Sie sind verrückt«, spuckte ich zitternd aus. Ich konnte nicht glauben, dass sie derart mit unseren Leben gespielt hatten.

»Es ist nicht umsonst ein Test«, erinnerte mich Hadley milde lächelnd, aber auch in seinem Gesicht erkannte ich die Erleichterung darüber, dass wir es geschafft hatten.

»Bist du bereit?«, fragte ich ihn, mich noch immer an meinen Oberschenkeln aufstützend.

»Wir müssen den ganzen Weg zurücksprinten, um noch eine minimale Chance zu haben«, sprach er meine Gedanken aus. »Vorausgesetzt, die anderen wurden nicht auch ins Wasser geworfen.«

»Irgendwie glaube ich, dass ihre Aufgabe eine andere ist. Noah weiß, dass ich nicht schwimmen kann. Er wird auch die Schwächen der anderen ausnutzen«, überlegte ich laut, bevor ich mich wieder auf unsere Situation konzentrierte. »Bereit?«

Er nickte.

Ich nickte.

Wir rannten los, als wäre uns der Teufel höchstpersönlich auf den Fersen, und ließen uns von nichts und niemandem aufhalten. Besonders als wir das Stadtzentrum erreichten, wurden wir von mehreren Dämonen und Menschen schief angeguckt, doch da sie sich nicht allzu lange bei dem Wetter draußen aufhalten wollten, versperrten sie uns nicht den Weg. Weder um uns zu fragen, was wir vorhatten, noch um uns zu ärgern, einfach weil es in der Natur von Dämonen lag.

Als wir den südlichen Teil erreicht hatten, war ich so erschöpft wie bei meinem ersten richtigen Trainingstag im Camp. Erst hatte mich Gareth an die Grenzen meiner Erschöpfung gebracht und dann hatte ich noch mit den anderen trainieren müssen. Heute war ich dankbar, dass er mich so hart vorangetrieben hatte. Ohne ihn würde es mir wie Hadley ergehen, der sich gerade übergab. Wir waren zwar noch immer eine Meile vom Tempel entfernt, aber wir mussten uns nun in Acht nehmen und langsamer gehen. Neue Hinterhalte könnten auf uns lauern.

»Geht’s dir gut?«

Hadley wischte sich den Mund an seinem Ärmel ab. Obwohl ich das Gesicht vor Ekel verzog, sagte ich nichts. Er nickte. Links und rechts von uns befanden sich hohe Hauswände, hinter deren Fenstern Licht brannte.

»Nimm.« Ich reichte ihm meine Wurfsterne, da er alle Waffen bis auf ein schmales Messer, das er in seinem Stiefel trug, im Wasser verloren hatte.

Wir schlichen die Route entlang, die zwar nicht die kürzeste, dafür aber die sicherste war, da uns hier deshalb hoffentlich niemand erwarten würde.

Plötzlich entdeckte ich etwas, das nicht hierher gehörte, und riss Hadley lautlos an der Schulter zurück. Ich deutete auf die Straße vor uns, die links und rechts von Häuserreihen eingerahmt wurde.

»Was …?«, begann er, doch dann sah er das schmale, helle Seil selbst, das sich auf Knöchelhöhe von Haus zu Haus spannte. Eine Stolperfalle, die uns im Laufen vielleicht nicht das Genick gebrochen, aber einen Fuß verstaucht hätte.

»Dieses Miststück«, stieß ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und riss das Seil von seinen Halterungen.

»Du glaubst, das war …?«

»Phi. Das hier ist viel zu provisorisch gemacht, um von den Dämonen zu stammen. Wenn wir Glück haben, sind sie gar nicht so weit vor uns. Vielleicht wurden sie auch von etwas aufgehalten«, grübelte ich mich umschauend. Oder sie ist im Gegensatz zu euch nicht in die Falle gelaufen. »Kannst du noch?«

»Immer.« Er grinste. Das Konkurrenzdenken spornte ihn weiter an. Genauso wie mich.

Wir kletterten zurück auf ein Dach und liefen so schnell, wie es der Regen erlaubte, und dann hatten wir die beiden Jäger entdeckt, die bereits in Sichtweite des Tempels waren. Zwischen ihnen und dem Eingang lag eine lange Straße, die frei und ungefährlich im matten Licht der Straßenlampen erschien. Sie wussten es natürlich besser, hielten sich streitend im Schatten des letzten Hauses und bemerkten uns nicht.

»Lass mich«, wisperte Hadley, schob sich die Kapuze vom Kopf und entblößte seine nassen Dreadlocks. Er sah aus, als hätte sich eine nasse schwarze Katze an seinem Kopf festgekrallt.

»Sie gehören ganz dir.« Ich grinste süffisant und trat beiseite.

Er holte die Sterne hervor, die ich ihm vorhin gegeben hatte, atmete noch einmal tief durch und entließ dann innerhalb weniger Sekunden sämtliche Sterne. Surrend flitzten sie nach unten und nagelten Ian an seiner Kleidung an der Wand hinter ihm fest.

»Ich glaube, du hast seinen Oberarm getroffen«, sagte ich, die Augen zusammenkneifend, ohne wirkliches Mitleid.

»Niemand ist perfekt.«

Beinahe wäre ich in lautes Gelächter ausgebrochen, wenn die Situation nicht so drängend gewesen wäre. Wir sprangen vom Dach auf einen kleineren Schuppen und von dort aus war es ein Klacks, zur Straße zu gelangen.

Rechts und links schien alles in Ordnung zu sein. Bäume reihten sich aneinander und boten Deckung für mögliche Angreifer, nur dass sie keinen Grund sahen, sich zu verstecken. Dies war unsere letzte Aufgabe.

Ein Schattendämon schälte sich aus der Dunkelheit und versperrte uns den Weg zum Tempel. Ich wusste, dass es ein Schattendämon war, denn ich kannte ihn und sein raubtierhaftes Lächeln. Camun.

Hadley verlor keine Zeit und setzte zum Angriff an, während ich wie erstarrt zusah. Vage registrierte ich, dass Gareth an mir vorbeischoss, um als das letzte Hindernis für Phi und Ian zu fungieren. Ich sollte mich auf Camun konzentrieren und meinem Teammitglied unter die Arme greifen, doch ich war vollkommen erstarrt.

Camun war der Dämon gewesen, der mich damals, als ich gerade zurück nach Ascia gekommen war, vor dem Grimmer, dem Treffpunkt der Jägergilde, angegriffen und verschleppt hatte. Er hatte Rache für irgendwelche von mir getöteten Schattendämonen gewollt, obwohl wir beide gewusst hatten, dass das nur ein Vorwand gewesen war. Es war ihm ein Spaß gewesen, die wilde Jägerin wie eine Blüte zu pflücken und zwischen seinen Fingern zu zerquetschen. Er hatte mich gefoltert und war gerade dabei gewesen, seinen Job zu Ende zu bringen, als Dorian zu meiner Rettung herbeigeeilt war. Ironischerweise hatte ich ihm mein Leben zu verdanken.

Doch hier und jetzt? Ich war wie gelähmt und konnte mich nicht mehr daran erinnern, wie man die einfachsten Kampfbewegungen ausführte. Innerlich schalt ich mich selbst. Wie sollte ich denn jemals meine Rache verüben, wenn ich schon jetzt versteinerte? Camun bedeutete mir nichts. Ich sollte mich nicht so von seiner Anwesenheit beeinflussen lassen. Er war ein Schattendämon wie jeder andere auch und das musste ich nur im Kopf behalten. Es sollte ein Leichtes sein, ihn zu erledigen.

Ganz langsam fand ich wieder zu mir, spürte die Kälte in meinen Gliedern und schöpfte Kraft aus dem Schlüssel. Wärme durchfuhr meinen Körper, machte mich stark und machte mich schnell.

Die Lippen zusammenpressend umfasste ich das Waidblatt fester und zog dann ein kleineres Messer aus einer Halterung an meinem Gürtel hervor.

In dem Moment, in dem Hadley seinen Halt verlor und rückwärts in den Matsch fiel, warf ich das Messer und traf Camuns Schulter. Seine Augen glühten, bevor die Pupillen schwanden und er die Wandlung vollzog, um seine Kräfte vollständig auszuschöpfen. Seine Hände verformten sich zu schwarzen Klauen und seine Zähne glichen nunmehr scharfen Raubtierfängen. Er knurrte, als er auf mich zustürzte. Ich war bereit, stand breitbeinig da, einen Fuß weiter nach vorne gesetzt, und hielt das Waidblatt in der rechten Hand. Bevor ich mehr Schaden anrichten konnte, hatte er sich wieder aus meiner Reichweite entfernt.

Ich wich ihm aus und versetzte ihm einen gezielten Tritt in die Seite. Er stolperte nach vorne.

»Hast du mich vermisst?«, grunzte er.

»Ungefähr so sehr wie Fußpilz«, keuchte ich, preschte vor und bekam ihn zu fassen. Ich riss an seinem feuchten roten Haar und berührte ihn gerade mit der Klinge an seinem Hals, als er sich drehte und sich wie ein Aal aus meinem Griff wand. Fluchend brachte ich mich wieder in Stellung. »Warum bist du hier?«

»Mein ganz persönlicher Freigang«, lachte er, sprang vor und versuchte seine Krallen in meine Seite zu rammen. Ich duckte mich weg, wurde jedoch von seinen Fängen in meiner Schulter zurückgerissen. Ich schrie auf und ließ mein zweites Messer fallen. Mit dieser Attacke hatte ich beim besten Willen nicht gerechnet, dabei hätte ich das tun sollen. Nur weil sich Gareth nicht wandelte, hieß das noch lange nicht, dass auch alle anderen damit ein Problem hatten. Meine Angst kratzte an der Oberfläche. Bilder meiner Erinnerungen, wie er mich gefoltert hatte, schossen vor mein inneres Auge und wirbelten dann durcheinander. Ich war so hilflos gewesen, bereit zu sterben, und dann waren Dorian und Gareth aufgetaucht.

Irgendwie schaffte ich es, mich unter Schmerzen loszureißen, wobei ich das Gefühl hatte, einen beachtlichen Teil meiner Haut zu verlieren.

Mit fahrigen Bewegungen entledigte ich mich des Umhangs, der nur hinderlich war, und griff nach einem größeren Messer. Camun und ich umkreisten uns, schöpften Atem, während sich Hadley mittlerweile wieder aufgerappelt hatte. Ich blieb stehen, damit Camun den zweiten Jäger nicht sah.

»Du hast stark abgebaut, mein Freund«, provozierte ich ihn, um seine Aufmerksamkeit allein auf mich fokussiert zu halten. Wir würden ihn nur zu zweit erledigen können.

An meinem Arm rann Blut herab, was ich nur spürte, weil es wärmer war als der Regen, mit dem es sich vermischte. Ich traute mich nicht, auch nur für den Bruchteil einer Sekunde die Augen von meinem Kontrahenten zu nehmen, was er förmlich auszukosten schien. Seine Haltung war die eines Gewinners.

»Oh, wie werde ich es genießen, dich auseinanderzunehmen«, schnurrte er, als würde er es sich bereits vorstellen. »Ich habe deine Qual bereits gekostet und sie hat mir so gut geschmeckt, dass ich noch mehr von ihr will. Deine Schreie. Dein Stöhnen. Deinen Schmerz.«

Mein Herz hüpfte bis zu meinem Hals. Erneut ergriff mich die Panik und ich bewegte mich zu langsam, als der Schattendämon auf mich zustürzte. Er schlug mir ins Gesicht und zog dabei seine Klauen nach. Schmerz brannte in meiner Wange, machte mich blind. Blindheit bedeutete Tod.

Keuchend fiel ich auf die Knie, bevor ich mich daran erinnerte, meine Dolche zu heben, um mich zu verteidigen. Im nächsten Moment wurde Camun jedoch, als er erneut ausholte, von Hadley hinter ihm überrascht, der das Messer in seinen Rücken rammte. Er sank auf die Knie, die Arme leblos an den Seiten herabhängend. Ich konnte ihn nur anstarren.

Hadley zog sein Messer hervor und rammte ihm dieses zusätzlich in die Brust. Als er zur Seite trat, sah ich, wie Camuns Lider flatterten, als er mit dem Kopf voran auf dem Boden landete. Schwer atmend starrte ich seinen leblosen Körper an. Es würde ihn nicht töten. Nein. Dafür hätten wir ihn köpfen oder verbrennen müssen. Vielleicht sollte ich das noch nachholen …

»Alison?« Hadley berührte mich zaghaft an der Hand.

»Es tut mir leid, ich …« Ich räusperte mich. »Danke.«

»Schon gut.«

Gemeinsam rannten wir zum Tempeleingang, nachdem wir gesehen hatten, dass Phi und Ian noch immer mit Gareth beschäftigt waren. Die massiven dunkelgrauen Säulen endeten in einem steinernen, recht schmucklosen Spitzdach, welches das zweistöckige Gebäude bedeckte. Wir erreichten Noah und Bird, die uns grinsend unter dem Vordach begrüßten. Den heiligen Dämonentempel durften wir Menschen natürlich nicht betreten.

»Herzlichen Glückwunsch. Ihr habt gewonnen«, strahlte Noah und umarmte mich sogar. Ich ließ es über mich ergehen, war mit den Gedanken jedoch weit entfernt. Der Sieg bedeutete mir nichts, obwohl ich mich für Hadley freute. Ohne ihn wäre ich Camun nicht entkommen.


Ophelia und Ian waren durchgefallen, da sie es nicht geschafft hatten, gegen Gareth zu bestehen. Dementsprechend schlecht waren auch ihre Launen, als sie mit uns Gewinnern zurück zum Rathaus gingen. Wie auch schon zuvor, nahmen wir den Garteneingang und strömten wie schmutzige Kinder, die beim Spielen draußen übertrieben hatten, ins Haus. Jeder machte sich sofort auf den Weg in sein Zimmer. Ich deutete allerdings nur an, in meines zu gehen, wartete, bis sie sich eingeschlossen hatten, und rannte dann den Flur entlang nach unten bis zu Dorians Arbeitszimmer. Die Wut trieb mich an.

Als ich die Tür öffnete und in den Raum stürmte, begrüßte mich nichts außer Dunkelheit und Leere. Niemand war hier.

»Hat sich Dorian dir gegenüber nicht klar genug ausgedrückt? Eure gemeinsamen Teestunden finden nicht mehr länger statt.« Gareth war mir gefolgt und ich hatte ihn nicht bemerkt. Anscheinend war ich noch um einiges erschöpfter als angenommen.

Wie ich war er vollkommen durchnässt, aber weniger verschmutzt und überhaupt nicht verletzt. Meine Schulter und Wangen pochten, aber gerade hatte ich besseres zu tun, als mich um meine Verletzungen zu kümmern.

»Das war, bevor er mir Camun auf den Hals gehetzt hat!«, schrie ich außer mir, nicht mehr länger dazu in der Lage, den Schock und den Zorn in mir zu halten. Ich zitterte am ganzen Körper. »Oder habe ich etwa dir dafür zu danken?«

Er hob beide Augenbrauen und kreuzte abweisend die Arme.

»Wenn du bereits bei jemandem wie Camun gelähmt bist, wie willst du dann den Mördern deiner Eltern begegnen? Mit eingeklemmtem Schwanz?« Ich holte aus, um ihm mit meiner Faust zu zeigen, was ich tun würde, doch er hatte selbst nach einer ereignisreichen Nacht wie dieser übermenschliche Reflexe und bekam mein Handgelenk zu fassen, bevor ich überhaupt nur in die Nähe seines Gesichts kam.

»Was interessiert dich das?« Ich versuchte mich zu befreien, aber er ließ mich nicht los. »Also, warst du es?«

»Es war Noahs Idee. Ich habe dem bloß zugestimmt.« Er beobachtete mich ganz genau, als er seinen Griff endlich lockerte und ich ihm meine Hand entziehen konnte. Plötzlich kraftlos.

»Noah?«, hauchte ich entsetzt. »Und du … du konntest dir keinen besseren Zeitpunkt aussuchen als diesen, um ihm zuzustimmen?«

Fassungslos schüttelte ich den Kopf.

»Ich hielt es für eine lehrreiche Lektion. Offensichtlich lag ich damit richtig. Camun hätte dir nicht derart unter die Haut gehen dürfen.« Wie konnte er nur immer noch so ruhig sein? Er verstand wirklich nichts von menschlichen Gefühlen.

»Du selbstgerechtes Arschloch!«

»Beschimpfe mich ruhig, wenn es dir dadurch besser geht, aber wir wissen beide, dass du noch viel zu lernen hast. Du bist zu weich und naiv.«

»Naiv? Weich?« Ich starrte ihn mit offenem Mund an. Mir war in meiner Zeit als Jägerin schon viel vorgeworfen worden, ganz oben auf der Liste standen stur, hartherzig und mein persönlicher Favorit gefühlskalt, aber weich und naiv waren Neuheiten. »Du hast sie doch nicht mehr alle.«

Ich drängte mich an ihm vorbei in den Flur.

»Du bist zu seiner zahmen Katze geworden und frisst ihm aus der Hand.« Er meinte Dorian und brachte mich dazu, stehen zu bleiben. Wieder dachte ich an meine eigene Befürchtung von vorhin und wusste plötzlich, was Gareth von mir wollte. Ich blickte ihn verblüfft an.

»Dorian hat Camun in meine Richtung gelenkt, um sich selbst nicht die Finger schmutzig zu machen«, formte ich meine Ahnung endlich in Worte und erkannte an Gareths strammem Nicken, dass ich ins Schwarze getroffen hatte.

»Er ist ein Diplomat und wollte sich nicht aktiv in Angelegenheiten der Gilde einmischen. Einmal hier, besaß er allerdings die Verfügungsgewalt über dich.« Er zuckte mit den Schultern. »Camun weiß bis heute nicht, dass er manipuliert worden ist.«

»Und wieso erzählst du es dann mir?« Meine Stimme war kratzig und rau, als würde die Ermüdung nun auch meine Stimmbänder erreichen.

»Du hast es doch bereits gewusst«, sagte er leise, den Blickkontakt zu mir haltend, bis ich es war, die sich abwandte. Ich brauchte keine Wiederholung von dem letzten Moment, in dem wir zwei allein im Flur gestanden hatten.

Wortlos ließ ich ihn stehen, um die Person aufzusuchen, die meine Wut wirklich verdient hatte. Noah konnte sich auf was gefasst machen.

Während ich den Flur mit meiner nassen Kleidung volltropfte und die Teppiche damit vermutlich ruinierte, kam mir der Gedanke, zuerst zu duschen, aber da ich zu aufgebracht war, verwarf ich den Einfall sofort wieder.

Mit geballten Fäusten klopfte ich an seine Tür, die sich auf derselben Etage wie mein Zimmer befand. Ohne eine Antwort abzuwarten, platzte ich in den Raum und fand Noah auf dem Bett sitzend und über Stadt- und Baupläne grübelnd vor. Bevor er sie umdrehen konnte, erkannte ich einen der Titel. Billings’ Rathaus.

Seine braunen Haare sahen dunkler aus als sonst, da sie noch feucht vom Duschen waren. Er blickte mich fragend an; auf der Hut. Er wusste, dass ich nicht hergekommen war, um zu plaudern. Die Tür drückte ich hinter mir ins Schloss. Noch immer sagte er nichts. Entweder er ahnte wirklich nicht, wieso ich hier war, oder ihm war es egal. Ich konnte nicht sagen, was schlimmer war.

»Was sind das für Pläne?« Ich trat näher ans Bett heran, während ich mit einem Blick die Einrichtung seines Zimmers aufnahm. Das Mobiliar unterschied sich kaum von meinem, aber es gab unzählige Bücher, Manuskripte, Pläne und Schreibutensilien, die auf jeder freien Oberfläche zu finden waren. Es wirkte chaotisch.

»Geht dich nichts an«, antwortete er ausweichend und rollte die großen Papiere zusammen, ohne dass mich seine hellgrünen Augen losließen.

Er traut mir nicht, schoss es mir durch den Kopf und dämpfte meine Wut ein wenig. Wieso war ich so überrascht darüber?

Als ich direkt vor ihm stand und er seinen Kopf in den Nacken legen musste, um mir ins Gesicht zu sehen, erhob er sich mit langsamen Bewegungen, als würde er es vermeiden wollen, ein Raubtier zu provozieren.

»Gareth sagte mir, dass Camun auf deinen Mist gewachsen ist«, sprach ich endlich den Grund an, der mich zu ihm geführt hatte. Meine Fäuste hatten sich mittlerweile gelöst. Ich zitterte vor Kälte.

»Und du glaubst ihm natürlich sofort«, schnaubte er abfällig und fuhr sich mit einer Hand durch das nasse Haar. Seine Lippen pressten sich missbilligend zu einem hellen Strich zusammen.

»Hat er gelogen?« Eine Hand hatte unbeabsichtigt ihren Weg zu dem Griff meines Waidblatts gefunden.

»Macht es einen Unterschied?«

Mein Herz pochte heftig in meiner Brust. Diese Seite war mir fremd. Noah hatte mir so viel von sich gegeben, hatte mir gezeigt, dass ich ihm vertrauen konnte, nur um mir jetzt mit dieser gleichgültigen Attitüde zu begegnen?

»Natürlich«, wisperte ich entsetzt. »Du kennst mich, Noah. Du kennst mich wie niemand sonst und trotzdem hast du dieses … dieses Monster geschickt, um gegen mich zu kämpfen. Weißt du überhaupt, was ich durchgemacht habe?« Ich stieß überwältigt von meinen Gefühlen ein Keuchen aus, während sich Tränen in meinen Augen sammelten. »Er hat mich gefoltert. Stundenlang! Ich weiß, ich benehme mich oft übermenschlich taff und stark, als ob mich nichts berühren könnte, aber gerade du müsstest doch wissen, dass das nur eine Fassade ist. Du bist doch genauso. Und Gareth. Ihr zwei hättet das nicht tun dürfen.«

Noah senkte seine Stimme. »Ich kenne dich überhaupt nicht.«

»Ich dachte, wir sind Freunde.«

»Freunde?« Er lachte trocken auf. Es schnitt brutal in mein Herz. »Du weißt nicht mal, wie man eine Freundschaft mit anderen Menschen aufrechterhalten kann. Wie soll das dann mit uns funktionieren?«

»Ich war der Meinung, dass es gerade deshalb klappen würde. Aber offensichtlich habe ich mich getäuscht.« Ich drehte mich auf dem Absatz um und rannte förmlich aus dem Zimmer, um ihm nicht meine Tränen zeigen zu müssen. Es war traurig, wie sehr mich sein Verrat berührte; wie sehr ich an eine Freundschaft geglaubt hatte. Aber wäre er wirklich mein Freund gewesen, hätte er mich niemals absichtlich in solch eine Situation manövriert. Er hätte stattdessen versucht, mich vor so einem Moment zu bewahren.

Ja, vielleicht verstand ich nicht viel von Freundschaft, aber ich wusste doch, dass Freunde sich gegenseitig beschützten und nicht attackierten.

Ein Thron aus Knochen und Schatten

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