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Kapitel Zwei

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Der Rebell

Jetzt – Plowth, in den Rayons

Colin hob seine Hand auffordernd zum Barkeeper und deutete, nachdem er den Blickkontakt hergestellt hatte, auf sein leer gewordenes Glas. Es war nicht sonderlich klug, noch mehr Alkohol zu trinken, aber das hatte er auch nicht vor. Es galt lediglich, seine Beobachter in dem Glauben zu lassen, er würde sich wohl genug fühlen, sich zu betrinken. Colin erwartete keine direkte Bedrohung, aber wenn er fern von Zuhause einen Auftrag erledigte, galt für ihn stets höchste Wachsamkeit. In dieser Bar, die mit rund einem Dutzend Tunichtguten gefüllt war, rechnete er allerdings nicht mit Ärger.

»Und Matthew Teagan hat dich hergesandt, um uns zu rekrutieren?«, wiederholte ein bärtiger Mann mit langen braunen Zöpfen zum gefühlt hundertsten Mal. Colin sollte besser nicht die Geduld verlieren, aber beim Herrn im Himmel, dieser Kerl stellte ihn eindeutig auf die Probe.

»Ganz genau. Wir müssen unsere Reihen weiter aufstocken. Es gibt keinen Grund für euch, euch hier hinter den Röcken eurer Frauen zu verstecken«, stieß Colin gereizt hervor. Er war der Vertreter von Matthew Teagan, dem Anführer der Rebellen. Sobald die Worte seinen Mund verlassen hatten, ahnte er jedoch, dass es die falschen gewesen waren. Warum lief heute nur alles schief?

Vor seiner Abreise hatte er sich bestens vorbereitet und Plowth für seinen ersten Stopp ausgewählt, da sie in dieser Menschenstadt im südlichen Teil der Rayons bisher gute Erfahrungen gemacht hatten. Schon vier Rekruten hatte Keera bei ihren zwei Besuchen nach Hause gebracht. Vier!

Kopfschüttelnd überlegte er sich einen Weg aus der Misere. Vielleicht wäre sein Vorhaben besser verlaufen, wenn er Brüste und ein charmantes Lächeln gehabt hätte. Was für eine Ironie! Er wollte Kämpfer und willensstarke Männer und Frauen, wieso sollte er sich dafür verstellen müssen? Reichte es ihnen nicht, dass er muskulös, gut ausgebildet und gesund aussah? Zudem besaß er die besten Waffen weit und breit und er hatte gesehen, wie diese bei seinem Eintritt von den Barbesuchern bewundert worden waren. Nein, anscheinend hatte er einen falschen Tag und die falsche Meute an Leuten erwischt. Möglicherweise war es das Beste, den Tag – oder eher die Nacht – auf sich beruhen zu lassen und morgen einen neuen Versuch zu starten.

»Was hast du da gerade gesagt?«, schnaufte ein Glatzkopf, der neben dem Bärtigen saß, und ballte bereits die Fäuste.

Colin bemühte sich, nicht die Augen zu verdrehen. Wem machte er eigentlich etwas vor? Natürlich wollte er diese griesgrämigen Männer nicht in seinem Trupp haben.

»Tut mir leid, war nicht so gemeint«, entschuldigte er sich möglichst aufrichtig und hob dann mit einer Hand sein neu gefülltes Glas an. »Zu viel getrunken, wisst ihr?«

Das schien die Runde für den Moment zu beruhigen, doch die unterschwellige Anspannung blieb. Colin wusste, dass er schnellstmöglich abhauen musste, um keine unwiderrufliche Katastrophe herbeizuführen. So war er manchmal. Der Hitzkopf ging mit ihm durch und verschlang seinen kompletten Menschenverstand, um ihn zwei Stunden später auszukotzen. Darauf konnte er heute getrost verzichten.

»So, ich …«, begann er, kam aber nicht weiter, da er von einem ohrenbetäubenden Knall unterbrochen wurde. Die Erde erzitterte unter ihm.

Schreie und Hilferufe durchbrachen das Klingeln in seinen Ohren. Leichte Orientierungslosigkeit erfasste ihn. War das eine Explosion gewesen? Er hatte eine vor vielen Jahren hautnah miterlebt, doch die Erinnerungen daran waren verschwommen. So oder so, er hatte nicht wirklich Lust, eine Antwort auf seine Frage zu erhalten, während er sich noch mitten in der Gefahrenzone befand.

Von der Decke rieselte Putz und Staub, ein paar Gläser zerschellten, ansonsten schien das Haus nicht betroffen zu sein. Die Detonation musste weiter entfernt stattgefunden haben. Plowth war eine der größten menschlichen Niederlassungen, die heute noch existierten. Was in früheren Zeiten einem Dorf geglichen hätte, war heute eine Großstadt. Colin schätzte die Einwohnerzahl auf eintausendfünfhundert.

Er stürzte nach draußen und fand sich beinahe sofort in den Armen eines Milizsoldaten wieder. Billings’ Miliz. Zumindest ließen ihn die blauen Schulterklappen an der Uniform zu dem Schluss kommen, obwohl das übliche Abzeichen auf der Brust fehlte. Seiner schnellen Musterung entging allerdings nicht, dass ein Schatten an dieser Stelle zu sehen war, als hätte man das Abzeichen in aller Eile entfernt.

Seine Instinkte nahmen Überhand. Hände griffen nach ihm und er duckte sich unter ihnen weg, wich zur Seite aus und zog seine beiden Kurzschwerter, die er in einer ledernen Halterung an seinem Rücken trug, hervor. Sobald er die Schwerter in den Händen hielt, stand er bereits wieder sicher mit beiden Beinen auf dem Asphalt, atmete tief durch und griff dann den Soldaten an.

Es dauerte nicht lange, da hatte Colin ihn zwar mit einem gut gezielten Schlag gegen den Kopf mit einem Schwertknauf abgelenkt – das Beste, was er bei einem Königsdämon zu tun imstande war -, als ihm klar wurde, dass er einen längst verlorenen Kampf bestritt. Es wimmelte von Soldaten. Sie arbeiteten sich wie Ameisen in jede noch so kleinste Ecke vor, doch anstatt Menschen abzuschlachten, wie Colin es im ersten Moment erwartet hatte, schlugen sie diese bei Gegenwehr nieder oder fesselten sie, wenn sie aufgaben.

Es widerstrebte ihm zutiefst, seinen Rückzug anzutreten, aber seine Befehle waren eindeutig: Kehre unter allen Umständen zur Basis zurück.

Die Zähne zusammenbeißend wirbelte er herum und nahm den kürzesten Weg aus der Stadt hinaus in die Richtung, in der er am ehesten Deckung finden würde. Ein gutes Stück dahinter schloss sich ein Waldstück an, in dem er in der Dunkelheit würde verschwinden können, sollte er dieses rechtzeitig erreichen. Das einzig Gute daran, dass Billings in seiner Miliz lediglich auf Königsdämonen setzte, war, dass diese weniger gut in der Nacht sahen als Schattendämonen. Außerdem konnten sie Schatten nicht für sich nutzen. Mit ihnen hätte Colin es kämpferisch zwar eher aufnehmen können, aber wenn es darum ging zu fliehen, würde er diesen Vorteil brauchen.

Schon bald ließ er die größte Menschenmenge hinter sich, obwohl ihn weiterhin laute Schreie und flehende Rufe verfolgten. Dann hielt ihn mitten auf einer engen Asphaltstraße eine einzelne Königsdämonin auf.

Die Frau grinste ihn an, während sich ihre Fänge über ihre vollen Lippen schoben und ihre Krallen gefährliche Ausmaße annahmen. Die Pupillen in ihren Augen verschwanden. Es konnte aber auch sein, dass Colin dieses Detail lediglich in seinem Kopf ergänzte, da das Licht eigentlich zu schlecht war, um es wirklich sehen zu können.

»Du willst schon nach Hause?«, fragte sie mit diesem für Dämonen eigentümlichen Akzent, die in ihrer Welt geboren und aufgezogen worden waren, bevor sie die Erde betreten hatten.

»Die Party hat mir nicht gefallen«, lächelte Colin kühl zurück, darauf bedacht, sich nicht anmerken zu lassen, wie der Angstschweiß seine Kleidung durchtränkte. Er war nicht dumm. Vorhin hatte er Glück gehabt. Normalerweise gelang es ihm nur gerade so, einem Königsdämon zu entkommen. Aber zwei in einer Nacht? Colin wollte sein Glück ungern überstrapazieren, doch so wie es aussah, blieb ihm gar keine andere Wahl.

»Wie schade.« Sie zog eine Schnute, was durch die verlängerten Raubtierfänge seltsam verzerrt aussah. Nach einem kurzen Blick auf seine beiden Kurzschwerter fügte sie dem einen Dolch, den sie in der linken Hand hielt, noch einen zusätzlichen hinzu. »Wir wollen doch die Chancen ausgleichen.«

Colin schnaubte, musterte dabei jedoch genau die Umgebung. Sie befanden sich in einer kleinen Straße, die rundum von verwilderten Gärten eingerahmt wurde. Er würde keine Chance haben, rechtzeitig auf ein Dach zu klettern, um von dort aus zu flüchten. Der Boden war uneben, bestand aus einem Gemisch aus aufgebrochenem Asphalt und Kieselsteinen. Nachdenklich fuhr er mit seiner Sohle darüber und erzeugte ein knirschendes Geräusch. Er erblickte ein kleines Gartenhaus zu seiner Linken und wusste, was zu tun war. Die Dämonin schien keine Eile zu verspüren, wirkte neugierig und selbstsicher. Sie zweifelte keine Sekunde an das Ende dieses Gefechts. Sie würde siegen. Und wenn es schlechter für sie aussah, dann würde sie einfach auf ihre Fähigkeit, Menschen zu manipulieren, zurückgreifen.

Er selbst hatte bisher keine Erfahrungen damit gemacht, weshalb er nur aus zweiter Hand wusste, dass die weniger Begabten unter ihnen direkten Hautkontakt brauchten, um ihre Opfer zu steuern. Er würde ihrer Berührung also genauso entkommen müssen wie ihren Waffen.

Leider fühlte sich Colins Verstand wie leer gefegt an. Er roch Qualm, Feuer und Blut, während die Schreie hinter ihm noch immer andauerten. Schweiß rann ihm ins Auge. Er blinzelte und dann sah er es. Seine Rettung.

Es galt lediglich, sie in eine bestimmte Richtung zu treiben. Das war alles. Also stürmte er auf sie zu, schweigend, ohne Kampfgebrüll, das hatte er sich schon vor Jahren selbst ausgetrieben. Es half nicht ihm, sondern seinem Gegner, der dann erkannte, wann genau er angriff.

Die Dämonin wich nicht aus, duckte sich nicht und wirkte auch sonst in keiner Weise so, als würde sie klein beigeben, ganz so, womit Colin gerechnet hatte.

Als sie nur noch einen Meter voneinander entfernt waren, hob Colin seinen linken Arm, täuschte eine Bewegung nach rechts an und versuchte, so verängstigt wie möglich auszusehen. Sie kaufte ihm die Finte natürlich ab. Alle Dämonen waren der Überzeugung, dass sich Menschen bei einer Begegnung mit ihnen in die Hosen machten und so falsch lagen sie damit nicht.

Da sie ihren Körper nach rechts schob, um ihn aufzuhalten, konnte er fast schon lächerlich einfach mit seiner Klinge in ihren ungeschützten Oberkörper eindringen. Blut spritzte hervor, als er das Schwert quer über ihre Seite zog, bevor er selbst einen stechenden Schmerz verspürte.

Er war so auf seinen eigenen Täuschungsversuch bedacht gewesen, dass er die Schnelligkeit der Dämonin außer Acht gelassen hatte.

Ja, sie war auf seine Finte hereingefallen. Ja, er hatte sie verletzt. Leider hatte sie auch schneller reagiert, als er ihr zugetraut hatte. Das dunkelrote Haar wehte vor seinem Gesicht.

Sie beide stoben auseinander. Nur vage nahm Colin wahr, wie schwer seine Verletzung war, da er sein Opfer nun genau dort hatte, wo er es haben wollte. Bevor er reagieren konnte, spürte er ein Zupfen an seinem Bewusstsein und er wusste, dass sie versuchte, sich seiner zu bemächtigen. Der Wunsch, die Klinge in seinen eigenen Bauch zu stoßen, wurde beinahe überwältigend stark. Er beobachtete, wie seine Hände das Kurzschwert weiter anhoben und drehten, während sich noch immer ein kleiner Teil von ihm dagegen wehrte, aber er kam nicht dagegen an. Die Klinge kam seinem Brustkorb immer näher. Das Verlangen, sich selbst zu verletzen, übernahm jeden Gedanken, bis die Königsdämonin vor ihm stöhnte, als würde sie sich erst jetzt des Schmerzes in ihrem Bauch bewusst. Ihre Konzentration musste ihr kurzzeitig verloren gegangen sein, denn der Wunsch, sich selbst aufzuspießen, wurde wieder kleiner und Colin nutzte die einzige Chance, die sich ihm hier bot.

Allein von Wut und Adrenalin getrieben überbrückte er die geringe Distanz zwischen ihnen. Mit einem gezielten, wenn auch leicht wackligen Tritt beförderte er sie rücklings durch die offene Tür eines Gartenhauses.

Ohne weitere Zeit zu verlieren, kam er zum Stehen, griff nach der Tür und knallte sie zu. Anscheinend besaß er doch mehr Glück, als ihm bewusst gewesen war, denn es befand sich noch ein einfaches Schloss an dem Türeisen, das er mit einem endgültigen Klicken einrasten ließ.

Danach hob er sein zweites Kurzschwert auf, das er im Lauf hatte fallen lassen, und rannte davon. Der Schuppen würde nicht ewig der übernatürlichen Stärke einer Königsdämonin standhalten. Ihr Zorn würde sie dazu antreiben, ihn zu suchen und zu erledigen. Es lag an ihm, ihr nicht die Möglichkeit dazu zu geben.

Außerdem wollte er nicht riskieren, dass sie erneut in seinen Verstand eindringen konnte. Er würde kein zweites Mal entkommen können.

Also brachte er selbst in seinem miserablen Zustand möglichst schnell möglichst viel Abstand zwischen sich und ihr, achtete dabei jedoch weiterhin auf seine Umgebung, um sich nicht erneut in einer derartigen Situation wiederzufinden. Schließlich aber musste er in einer wie ausgestorben wirkenden Straße kurzzeitig innehalten, um seine Wunde zu versorgen. Das Blut tropfte bereits auf den Boden und würde die Dämonin direkt zu ihm führen.

Stöhnend schnitt er sein blutiges Unterhemd auseinander. Einen Teil knüllte er zusammen und presste ihn direkt auf die tiefe Stichwunde, die hoffentlich nicht seine Organe beschädigt hatte. Den anderen nutzte er, um diese zu verbinden. Es war provisorisch, aber es würde halten, bis er die Stadt hinter sich gelassen hatte. Hoffentlich. Eilig zog er sich wieder an, bevor er für lange Zeit nicht mehr zurücksah. Ignorierte die Schreie. Atmete den Rauch ein und dachte nicht über die Ursache nach. Schließlich trat er in den Wald, hielt sich sehr nahe am Rand und ging gen Osten, um die Stadt weiterhin im Auge zu behalten.

Als er sich sicher war, genug Distanz zwischen sich und den Ort seines Eintretens in den Wald gebracht zu haben, suchte er sich einen Baum mit dichter Baumkrone heraus. Es war schwieriger, als es sich anhörte. Auch hier im Süden hatte der Herbst eingesetzt, raubte den Bäumen aber erst allmählich ihre Blätter. Noch färbten sich die meisten lediglich bunt.

Colin fand schließlich den perfekten Baum und streckte seine Arme aus, ehe er vor Schmerz zusammenzuckte. Es würde die reinste Folter werden, mit seiner Verletzung den Baum zu erklimmen. Aber was blieb ihm anderes übrig? Er war entkommen, ja, doch er wusste nicht, wem oder was er entkommen war und nur solche Informationen waren wichtig für Teagan.

Tief durchatmend nahm er die Schmerzen in Kauf und kletterte an den robusten Ästen nach oben bis in die dichte Baumkrone.

Eine Weile lang geschah nichts. Keine Geräusche drangen zu ihm vor und auch der Rauch über der Stadt schien sich zu lichten. Niemand war ihm gefolgt, was er als ein gutes Zeichen wertete.

Er saß auf einem dicken Ast, war mit dem Rücken an den Stamm gelehnt und hielt eine Hand auf seine Wunde gepresst. Es tat verflucht weh. Insbesondere, da allmählich das Adrenalin verebbte und der Müdigkeit Platz machte.

Schließlich, kurz bevor er einnickte, nahm er eine Bewegung am östlichen Rand der Stadt wahr. Eine Prozession machte sich auf den Weg in nördlicher Richtung. Die Karawane wanderte um die Stadt herum, als wüsste sie, dass die Straßen durch die Explosion unpassierbar geworden waren.

Am liebsten wäre er ihnen gefolgt, aber mit seiner Verletzung würde er es, wenn überhaupt, nur noch ins Basislager schaffen.

Er schätzte, dass man jeden Bewohner, den man hatte finden können, in Fesseln mitschleppte. Die Frage war nur, wieso? Was wollte Billings mit diesen Menschen? Jeder wusste, dass er sie als Abschaum, als Ungeziefer betrachtete und sie am liebsten tot sehen wollte, oder? Zumindest hatte Colin diese Art von Gerüchten bisher als wahr empfunden.

Vor sich hin grübelnd beobachtete er die Kolonne, bis sie hinter der Stadt aus seinem Sichtfeld verschwand. Daraufhin stieg er von seinem Baum und humpelte zurück nach Plowth. Er hoffte, wenn nicht seines, dann immerhin irgendein Pferd zu finden. In der Kolonne waren höchstens zwei Dutzend dabei gewesen und es war sicher anzunehmen, dass die Königsdämonen zumindest mit ein paar ihrer eigenen Tiere angereist waren.

Er strich sich sein längeres rostbraunes Haar zurück, das kaum noch von seinem Haargummi zusammengehalten wurde, bevor er merkte, dass er sich überall Blut hinschmierte.

»Hervorragend«, grummelte er wenig begeistert, verzog das Gesicht, als der Schmerz kurzzeitig an Intensität gewann, und schleppte sich dann weiter in Richtung Stall, den er zuvor benutzt hatte.

Plowth wirkte wie ausgestorben, was es vermutlich auch war. Colin konnte nicht mal Katzen oder Hunde sehen, die noch vor wenigen Stunden umhergestreunt waren. Dann nahm er den scharfen Geruch von verbranntem Fleisch wahr und er wusste, was ihn erwartete, noch bevor er die Hauptstraße erreichte.

Wenige Meter von dem Lokal entfernt, in dem er vorhin mehr oder weniger gemütlich getrunken hatte, war ein Scheiterhaufen errichtet worden. Er brannte noch an einigen Stellen, aber das Feuer schien an Kraft verloren zu haben. Verkohlte Leichen waren übereinandergestapelt worden. Colin drehte sich von Übelkeit übermannt weg. Anscheinend waren nicht alle bereit gewesen, widerstandslos abgeführt zu werden.

Eilig entfernte er sich von diesem grausamen Ort und vernahm schon bald das laute, unruhige Wiehern der Pferde. Vor Erleichterung wäre Colin beinahe hier und jetzt zusammengebrochen. Das konnte er sich allerdings nicht leisten, wenn er überleben wollte.

Er konnte kaum glauben, dass die Dämonen keine Verwendung für die Pferde gehabt hatten. Waren sie so auf ihre Aufgabe fokussiert gewesen, die Menschen fortzubringen? So wie es aussah, war ihnen daran gelegen, keine Zeugen zurückzulassen und so viele Menschen wie möglich zum Mitgehen zu bewegen. Wieso nur?

Darüber musste er sich später Gedanken machen. Es galt fürs Erste, von hier zu verschwinden, wenn er nicht riskieren wollte, erwischt zu werden. Vielleicht würden sie ein paar Königsdämonen zurückschicken, um zu überprüfen, ob hier auch wirklich niemand überlebt hatte.

Im Stall selbst öffnete er die Boxen der schnaubenden, unruhig tänzelnden Pferde, die kaum zögerten, diesen Ort zu verlassen. Auch sie hatten Tod und Verderben gerochen. Bei seinem Pferd machte er halt. Es würde ein Kraftakt werden, den großen Braunen zu satteln, aber mit dem Sattel würde Colin auch den Proviant zurücklassen müssen, der sich in den Taschen befand.

»Kurz und schmerzlos«, murmelte er immer wieder, ignorierte den schneidenden Schmerz und lobte Tessla, der sich trotz des Gestanks von verbranntem Fleisch benahm. Zur Belohnung hielt Colin dem Hengst ein paar Karottenstücke hin, die er immer in der Satteltasche dabeihatte.

Schließlich konnte er aufsteigen und dem Morgen entgegenreiten. Die Welt verschwamm immer wieder vor seinen Augen, während der Schmerz abnahm und durch Taubheit ersetzt wurde. Colin war in der Medizin ausreichend bewandert, um zu sagen, dass dies kein gutes Zeichen war. Das Blut, welches seine Jacke von innen tränkte, und seine fahrigen Bewegungen verstärkten seine Ahnung.

»Schneller, Tessla«, spornte er den Braunen an und beugte sich tiefer, bis er mit seinem Gesicht fast die wehende Mähne berührte. Die Sonne hatte ihren Zenit bereits überschritten und näherte sich immer mehr dem Horizont zu seiner linken Seite, nun da er sich Richtung Norden bewegte. Er hielt sich stets nahe oder auf einer Straße, auf der das Pferd hin und wieder einem stehen gebliebenen Auto ausweichen musste.

Erst bei Einbruch der Nacht gönnte er sich und seinem Pferd in einer fremden Stadt eine Pause. An diesem Ort, der so verlassen war wie die meisten anderen, die er passiert hatte, führte er Tessla durch ein offen stehendes Tor in einen der grasbewachsenen Gärten. Er selbst taumelte benommen ins Haus und suchte verzweifelt nach etwas, mit dem er die Wunde neu verbinden konnte.

Er hatte Glück. Das Haus war recht unbeschadet. Schien vielleicht nur einmal von Räubern und Umherwandernden durchsucht worden zu sein, die ein oberflächliches Chaos zurückgelassen hatten, bevor man es sich selbst überlassen hatte. Im Badezimmer stellte er erleichtert fest, dass die Wasserleitungen intakt waren und kaltes, klares Wasser ausspuckten. Er fand außerdem ein paar Leinenbetttücher, die er in gleichmäßige Stücke zerschnitt und so als Verband nutzen konnte. Die Verletzung würde, sobald er das Camp erreichte, gesäubert und genäht werden. Er hoffte einfach, dass es bis dahin nicht schon zu spät sein würde.

Obwohl er unruhig war, fand er ein paar Stunden Schlaf, um sich dann nach Mitternacht wieder in den Sattel zu setzen. Tessla schien vollkommen ausgeruht und genoss den Trab über die Felder neben einem Highway, auf dem sich kilometerlang Autos aneinanderreihten.

Zwei Tage später erreichte er fiebrig und halluzinierend das Camp der Rebellen, das sich südlich von Ascia befand. Sie zogen alle paar Wochen in ein neues Quartier, um einer Entdeckung zuvorzukommen, doch es würde dauern, bis es das nächste Mal so weit war.

Das Lager war in einem ehemaligen Erziehungscamp inmitten von Wald errichtet worden. Schon als er die ersten Bäume passierte, wurde er von einer Patrouille erkannt und ins Innere begleitet.

»Colin!«, rief jemand, bevor er kraftlos vom Rücken des Pferds glitt und von jemandem aufgefangen wurde, ehe er auf dem Boden aufschlagen konnte. »Bringt ihn ins Krankenlager!« Das musste Keera sein. Sie sorgte sich stets um ihn und wurde zur Glucke, wenn er nur einen Kratzer aufwies.

Wie im Delirium nahm er wahr, dass man ihn in ein Bett legte, ehe seine von Schweiß und Blut getränkte Kleidung entfernt wurde. Seine Verletzung brannte wie Feuer, als jemand darin herumzupulen begann.

»Das sieht schlimm aus. Wir müssen operieren«, kommentierte Keera leise, aber bestimmt. Das war ihr Job als Ärztin. »Ich gebe dir ein Sedativum und ein fiebersenkendes Mittel.«

»Gnnh. Nicht!« Er wollte sich deutlicher weigern, da sie die kostbare Medizin, die sie noch besaßen, möglicherweise für andere brauchen könne, doch Keera wollte nichts davon wissen.

»Wir haben sie für genau diesen Zweck, Colin.« Eine Nadel wurde in seinen Arm gestochen, der für ihn zu schwer war, um ihn zu bewegen. Stille. »Schlaf gut.«

Er spürte, wie er immer weiter weggetragen wurde. Wasser schien sich um seine Sinne zu legen und begrub ihn unter sich.

Ein Thron aus Knochen und Schatten

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