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Kapitel Vier

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Ich stellte mich unter die Dusche, um mich zu beruhigen. Im Gegensatz zum Camp war das Wasser hier zwar eher lauwarm als wirklich heiß, aber es war allemal besser als in meinem Apartment. Dort hatte ich nicht ein einziges Mal regelmäßig fließend Wasser gehabt. Jeder konnte sich vorstellen, wie enervierend das war.

Nachdem ich mich wieder sauber fühlte und nicht mehr das Gefühl hatte, Gareths männlichen Geruch auf meiner Haut zu tragen, stellte ich das Wasser aus und trocknete mich ab. Aus meiner Tasche holte ich die Salbe hervor, die mir Cleo mitgegeben hatte. Mit leichten, kreisenden Bewegungen rieb ich die wohltuende Creme auf mein Tattoo ein, das sich von meiner linken Schulter bis zu meinem Handgelenk zog. Es zeigte diverse Muster und Symbole, die mich vor bösen Zaubern schützten. Das Beste allerdings war, dass sie mich vor der Macht der Dämonen schützten. Schattendämonen konnten sich damit weder an meiner Aura sattfressen noch war es Königsdämonen möglich, mich zu manipulieren. Leider besaß nur ich diese Schutztattoos, da Gareth der Meinung gewesen war, dass keiner meiner anderen Jäger die Kraft dazu aufbringen konnte, um diese Prozedur zu überstehen. Dabei ging es nicht nur um den Akt des Tätowierens, sondern um die Magie, die währenddessen von Cleo gewebt wurde und die sich von dem Tätowierten selbst nährte.

Cleo stammte zur Hälfte von Kaskaden ab, weshalb sie ein bestimmtes Maß an Magie wirken konnte. Sie war aber bei Weitem nicht so mächtig wie ihre verrückten Verwandten.

Nachdem ich mich in meine schwarzen Jeans, Stiefel und ein eng anliegendes Thermoshirt gezwängt hatte, machte ich mich auf den Weg zu Bird. Ich wusste nicht, wohin sie gebracht wurde, erinnerte mich aber daran, dass wir uns als Menschen hier unter dem Radar bewegen sollten. Also fragte ich einen der Königsdämonen, der mich bereits kannte, da er mich vor ein paar Wochen bewacht hatte. Es war purer Zufall, dass ich ihn gefunden hatte, nachdem ich zuvor zwei fremden Dämonen ausgewichen war. Was auch immer Gareth von mir hielt, ich wollte meine Zusammenarbeit mit Dorian nicht gefährden, indem ich auf so etwas Einfaches wie diese Bitte keine Rücksicht nahm. Nein. Dann lieber die Unannehmlichkeit auf mich nehmen und mich versteckt halten, wenn es sein musste.

Nach kurzem Zögern wies er mich in die richtige Richtung, beschloss dann aber, mich sicherheitshalber zu führen, als würde ich sonst einfach davonlaufen und in Schwierigkeiten geraten.

»Das ist euer Flügel.«

Verblüfft blinzelte ich und besah mir den Flur, den ich noch vor wenigen Minuten verlassen hatte. Nämlich mein eigener. Hervorragend. Wäre ich nicht so in Gedanken vertieft gewesen, wäre es mir schon vorher aufgefallen.

»Weißt du, in welchem Zimmer sich die Verletzte befindet?« Ich hatte nicht vor, an jeder Tür zu klopfen und damit die anderen bei ihrem wohlverdienten Schlaf zu stören. Außerdem sagte mir etwas, dass Ophelia ziemlich unausstehlich sein würde, wenn ich sie unsanft weckte.

»Das hier.« Er deutete auf die zweite Tür links von uns, bevor er sich stramm umdrehte und wieder ging.

Schulterzuckend sah ich ihm einen Augenblick hinterher und überlegte, was er wohl über uns und die ganze Sache hier dachte. Stellte er seinen König infrage? Oder fühlte er sich Ascia mehr verpflichtet als dem obersten König Billings?

Ich klopfte kurz an der weißen Tür an, ehe ich sie öffnete und langsam eintrat.

Elle begrüßte mich breit lächelnd. Sie saß auf der Kante vom Bett, in dem Bird lag. Die Jägerin war blass und wirkte müde, aber sie war immerhin wach und würde sich weiter erholen.

Im Zimmer stand die Luft, weshalb ich mich zunächst ans Fenster stellte und dieses aufzog. Der Tag war weiter vorangeschritten und derweil waren neue Wolken aufgezogen, die sich vor die Sonne geschoben hatten. Es wehte ein kühler Wind, den ich willkommen hieß.

»Ist es okay für dich, wenn ich es offen lasse?«

»Ich bin keine Invalidin, Alison«, schnaubte Bird.

»Sorry.« Ich grinste und trat an ihre Seite. Elle machte mir Platz, sodass ich mich ebenfalls aufs Bett setzen konnte. Ich gab mich mit dem unteren Ende zufrieden und ließ mich neben Birds Füßen im Schneidersitz fallen. »Wie geht es dir?«

»Viel besser. Die Fahrt war zwar anstrengend, aber ich erhole mich wieder. Eliza sagte, dass ich schneller heile, als sie angenommen hat, und dabei liegt der Kampf nicht mal zwei Tage zurück.«

»Du hast gute Gene.« Ich lachte. Bird stimmte mit ein.

»Was sind Gene?«, fragte Elle sofort und ließ uns verstummen.

»Äh …«, begann ich verwirrt von dieser Frage, die ich mir selbst nie gestellt hatte. Über das Sprichwort, das ich benutzt hatte, hatte ich noch nie genauer nachgedacht. »Ich glaube …«

»Das ist das, was uns Menschen und vielleicht auch euch Dämonen ausmacht«, sagte Bird und kam mir damit zu Hilfe. Ihre Augen wirkten gar nicht mehr so verschleiert und müde wie noch Momente zuvor. »Früher, als … nun ja, alles normal war, haben sich Wissenschaftler mit der Frage beschäftigt, wie wir Menschen uns zu dem entwickelt haben, was wir heute sind. Und was wir an unsere Kinder weitervererben.«

»Entstammt ihr nicht von Aeshma oder Morrigan?« Wie gebannt starrte Elle Bird an. Es wirkte fast so, als würde sie einen Menschen zum ersten Mal sehen.

Bird lachte freundlich. »In unserer Welt gibt es viele Religionen. Sie alle behaupten von sich, die einzig wahre zu sein, aber wer weiß das schon so genau? Nein, die Biologie kann neben dem Glauben existieren. Das ist meine Meinung. Beides kann wahr sein und …«

Sie kam nicht mehr dazu, ihren Satz zu beenden, da in eben jenem Moment die Tür aufgestoßen wurde und ein hochgewachsener Dämon mit schwarzem Haar und vor Wut glühenden Augen ins Zimmer stürzte. Mit einem Blick erfasste er den Raum, sämtliche Anwesende und Ausgänge. Ein Soldat, schoss es mir durch den Kopf, da ich diesen Blick nur allzu gut von Gareth kannte.

»Wo bist du gewesen, Elle?« Er baute sich vor uns auf. Elles Gesicht veränderte sich zu einer Maske aus Angst.

Es war unmöglich, den Beschützerinstinkt in mir niederzukämpfen und so versuchte ich es erst gar nicht. Ich sprang auf und stellte mich zwischen sie und dem bedrohlich wirkenden Königsdämon.

»Was denkst du eigentlich, wer du bist und was du hier tust? Einfach hier ungebeten hereinzuplatzen und dich derart aufzuführen!« Ich ließ meiner Wut Luft, stemmte die Hände in die Hüften und machte keinerlei Anstalten, zurückzuweichen.

Seine Nase kräuselte sich einen Moment missbilligend, dann atmete er tief durch. Wahrscheinlich gab er sich Mühe, sich zu beruhigen, um mich nicht zusammenzuschlagen. Nicht, dass ich es ihm leicht gemacht hätte, aber ich war froh, dass er anscheinend vernünftig genug war, Worte zu benutzen.

»Ich bin Elles Vater. Adam. Und wer bist du, Mensch?«

»Oh«, entschlüpfte es mir und ich überlegte schnell, was ich nun tun sollte. Ich versuchte mich daran zu erinnern, ob Elle ihren Vater mochte oder nicht, kam aber nur zu dem Schluss, dass sie kein gutes Verhältnis zu ihrer Mutter hatte. Bedeutete das also, dass sie meinen Schutz nicht benötigte? »Ich bin Alison Talbot.«

Adam schnaubte. Die Wut verschwand aus seiner Miene, was mich nun endlich die Ähnlichkeit zwischen ihm und seinen Geschwistern erkennen ließ. Es war seltsam, dass seine Haare im Gegensatz zu Lilianas und Dorians so dunkel waren. Vielleicht hatten Dorians aber auch dieses Schwarz besessen, bevor sich das Grau zwischen den dunklen Strähnen festgesetzt hatte.

»Hätte ich mir gleich denken können«, murrte er so leise, dass ich fast glaubte, mich überhört zu haben. Aber nur fast!

»Was soll das denn heißen?«

»Das soll heißen, dass es nur eine Person gibt, die es wagt, ihre Stimme gegen den Bruder des Königs von Ascia zu erheben«, konterte er, sich keineswegs zurücknehmend. Ich trat einen Schritt vor und musste meinen Kopf in den Nacken legen, um weiterhin den Blickkontakt zu halten. Er war sogar noch größer als Gareth. Es kribbelte in meinen Händen bei dem Gedanken, dass mich dieser Königsdämon im Handumdrehen töten könnte. Ich war mir fast sicher, dass er Fähigkeiten besaß, denen ich nichts entgegenzusetzen hatte.

»Ich habe mich nicht gegen dich gestellt, sondern vor Elle. Du hättest wer weiß wer sein können! Ich hätte nicht zugelassen, dass jemand deiner Tochter ein Haar krümmt, also solltest du mir besser dankbar sein, anstatt mich zu behandeln, als wäre ich ein ungehorsames Balg.« Ich atmete tief ein und aus. Ich fühlte ein seltsames Schwindelgefühl in mir aufsteigen und das wurde nicht nur durch die Angst in mir hervorgerufen. Ich war es gewohnt, Streit mit Dämonen zu suchen, doch diese Situation war nur entstanden, weil ich eine Dämonin beschützen wollte. Und dieser Gedanke war … verwirrend.

Adam hielt meinen Blick für eine weitere Sekunde, ehe er einen Schritt zurücktrat und sich dann durch sein längeres Haar fuhr. Seine Schultern entspannten sich.

»Gut. Du hast recht. Ich entschuldige mich für mein Verhalten. Bist du jetzt zufrieden? Darf ich jetzt meine Tochter sehen?« Seine Stimme trug einen Hauch Sarkasmus in sich, sodass ich nicht glaubte, dass er die Worte ehrlich meinte.

Nickend wich ich zur Seite aus. »Ich wollte keinen Streit entfachen«, murmelte ich kleinlaut, jetzt, da mein Zorn verpufft war. Ich beobachtete, wie Elle zu ihrem Vater trat, der mich geflissentlich ignorierte.

»Ich wollte nur Hallo sagen«, sagte Elle sehr leise. Der Schock, den ich fälschlicherweise für Angst gehalten hatte, war mittlerweile verschwunden. Sie wirkte nur noch wie ein schuldbewusstes Kind.

»Habe ich dir nicht gesagt, dass du in deinem Zimmer bleiben sollst, bis Lystra und ich unser Gespräch beendet haben?« Lystra. Ich erinnerte mich daran, dass sie Elles leibliche Mutter war. Kurz vor meiner Abreise hier war sie wieder in Elles Leben getreten. Niemand schien darüber wirklich glücklich zu sein.

»Lass uns gehen.« Adam Ascia legte eine Hand auf ihre Schulter und warf mir einen letzten, nachdenklichen Blick zu, bevor sie verschwanden. Ich unterdrückte den Impuls, die Augen zu verdrehen.

»Du warst echt mutig«, rief Bird bewundernd aus. »Er hat mir gerade eine Höllenangst eingejagt. Ich weiß nicht, wie die süße Elle mit ihm zurechtkommt.«

»Sie liebt ihn«, sagte ich nur, da ich durchaus die wärmenden Gefühle in ihren Augen gesehen hatte. Sie hatte gewollt, dass er sich Sorgen um sie machte. Zumindest wäre es mir an ihrer Stelle so ergangen. »Ich denke, sie vermisst ihn bloß und versucht, durch Ungehorsam seine Gefühle zu testen.«

»Und du wusstest nicht, was Gene sind?«, lachte sie und ich stimmte mit ein. Es tat gut, einmal alles loszulassen und den Moment mit einer Freundin zu genießen, die ich fast verloren hätte. »Wann hast du … Psychologie studiert?«

»Das Gefühl kommt mir nur bekannt vor. Nichts weiter.« Ich winkte ab und schob die Erinnerung an meine Tante weit von mir. »Ich lasse dich jetzt allein. Wir müssen beide etwas Schlaf nachholen.« Wir umarmten uns und ich schlüpfte in mein eigenes Zimmer zurück.

Bis zum Treffen später hatte ich noch einige Stunden Zeit, auch wenn ich mir besser vorher überlegen sollte, was ich wollte. Ich war mir keineswegs sicher, dass meine Trainer davon begeistert waren, sich mit mir über den Stundenplan auszutauschen. Ob Dorian sie vorher davon in Kenntnis setzte? Oder hatte Gareth ihnen von der Veränderung berichtet, als er sie um das verfrühte Treffen gebeten hatte? Jedenfalls hoffte ich, dass ich es nicht mehr tun musste. Das würde die ganze Angelegenheit nur unnötig in die Länge ziehen.

Liliana weckte mich, als sie am Abend mit einem Tablett in mein Zimmer kam, von dem ein köstlicher Geruch ausging. Ich tippte auf einen Gemüseeintopf.

»Habt ihr keine Bediensteten dafür?«, fragte ich, mir verschlafend die Augen reibend. Ich schlug die Decke zurück und schwang die Beine über die Bettkante, ehe ich noch einen Moment innehielt, um meinem Kreislauf Zeit zu geben, in Gang zu kommen.

»Doch, aber wir wollen deine … eure Anwesenheit schließlich, so weit es geht, unter Verschluss halten. Bedienstete tratschen furchtbar viel.« Das Gespräch fühlte sich leicht an, was fast schon zu unglaublich war, um wahr zu sein. In meiner Zeit im Camp hatten wir kaum einen Moment allein miteinander verbracht, da ich so vom Training eingespannt gewesen war, weshalb ich überrascht von der entspannten Stimmung zwischen uns war. Wir hätten uns auch wieder voneinander entfernen können, wenn ich ihre Freundlichkeit am Anfang meiner Entführung vergessen hätte.

Nachdem ich gegessen hatte, zog ich meine Boots an und schnürte sie möglichst fest. Ich hatte es satt Trainingskleidung zu tragen. Sie minderte bloß den Ernst der Lage. Wir trainierten, um schlussendlich am Leben zu bleiben.

Ich blickte aus dem Fenster. Die Sonne würde schon bald untergehen. Der Wind hatte zugenommen. Ohne meine Sweatshirtjacke würde ich nicht rausgehen, aber die Lederjacke ließ ich hier.

Den Weg zur Terrasse hatte ich mir damals, als ich während meines Aufenthalts flüchten wollte, so genau eingeprägt, dass ich nicht anhalten musste, um jemanden zu fragen. So war es vermutlich auch für Dorian besser.

Um den Tisch, der sich mittig auf der mediterran angehauchten Terrasse befand, die rundherum von grünen Pflanzen, Hecken und Sträuchern eingefasst wurde, hatten sich bereits alle Verantwortlichen gesammelt. Mehrere Gartenlichter boten dem schwindenden Sonnenlicht Gegenwehr.

Noah und Gareth befanden sich so weit wie möglich voneinander entfernt. Während Gareth neben Ty und gegenüber von Clarke stand, hatte es sich Noah in einem Stuhl am anderen Ende des Tisches gemütlich gemacht. Das war wieder mal so typisch, aber ich sollte glücklich darüber sein, dass sie überhaupt aufgetaucht waren. Nicht, dass Dorian ihnen Ungehorsam hätte durchgehen lassen, aber trotzdem. Man wusste nie.

»Wir sind hier«, begann Ty. Er war im Gegensatz zu Clarke etwas bulliger, aber trotzdem unglaublich schnell und flink. Ich hatte schon das eine oder andere Mal die Ehre gehabt, gegen ihn zu kämpfen, und jedes Mal hatte ich von Gareths Blut geheilt werden müssen. Außerdem war er Elizas … Mann. Sie kannten sich seit mehreren Jahren und waren ungefähr im gleichen Alter, auch wenn Ty keinen Tag älter als vierzig aussah. Königsdämonen alterten meist nur halb so schnell wie wir Menschen. Schattendämonen waren uns da schon ähnlicher.

»Was gibt es also so Wichtiges an unserem Training zu ändern? Wir haben uns schon ein paar Gedanken darüber gemacht, weißt du?« Er war gekränkt darüber, dass ich sie hergebeten hatte, um unser Training zu besprechen. Das erstaunte mich mehr, als wenn er einfach nur der Meinung gewesen wäre, ein Mensch hätte nichts in den Angelegenheiten eines Dämons zu suchen.

»Das weiß ich«, nickte ich bedächtig, um die Bombe zu entschärfen. Ty verschränkte brummend die Arme vor seinem breiten Oberkörper und warf Clarke einen Blick zu, als würde er sagen: Pass auf, jetzt kommt’s.

»Ich respektiere eure Arbeit, die ihr sogar trotz meiner … nur mäßigen Bereitwilligkeit hervorragend ausgeführt habt. Allerdings haben wir einen Menschen verloren, der nicht hätte sterben müssen. Clay Dupont«, sagte ich energisch. Ich sah jedem von ihnen für eine Sekunde ins Gesicht, um sicherzugehen, dass sie verstanden hatten. Clarke nickte und auch Noah neigte seinen Kopf leicht. »Ich schlage lediglich ein paar Verbesserungen vor, die ihr gerne abschmettern oder annehmen könnt. Vielleicht können wir uns ja gegenseitig weiterhelfen.« Ich rieb mir unsicher über das Kinn. »Zuallererst, ich will meine Waffen zurück. Alle«, begann ich mit der schwierigsten meiner Forderungen, doch sie war nicht verhandelbar.

»Alison«, sagte Gareth warnend neben mir, doch ich hob eine Hand. Er gehorchte überraschenderweise.

»Ich bin die Anführerin und obwohl ich in den letzten Wochen viel gelernt habe, so habe ich auch einiges wieder verlernt. Ich brauche meine Waffen an meinem Körper. Vor einem Monat waren sie noch wie zusätzliche Gliedmaßen für mich und das Gefühl brauche ich zurück, um mich zu hundert Prozent sicher zu fühlen.« Ich machte eine kurze Pause, damit sie die Worte sacken lassen konnten. »Ich verstehe, dass Dorian erst sein Einverständnis geben muss, aber ich rechne mit keinem Widerstand, wenn ihr dahinter steht.«

Clarke zog die Schultern hoch und rieb sich nachdenklich das Kinn. Ty sah auch nicht so aus, als würde er uns an seiner Meinung teilhaben lassen und so blieb es an Gareth oder Noah. Schließlich war es Letzterer, der sich dazu äußerte.

»Sie hat recht. Ich weiß, was es bedeutet zu wissen, wo sich welche Waffe an deinem Körper befindet. In einem schnellen Kampf kann dieser Umstand den Unterschied zwischen Leben und Tod ausmachen.« Seine Worte waren an die gesamte Runde gerichtet, aber natürlich fühlte sich nur einer angesprochen. Oder sollte ich besser sagen, angegriffen?

»War klar, dass du das sagst«, antwortete Gareth missbilligend und verschränkte wie Ty die Arme. Er hatte ebenso wie ich auf Trainingskleidung verzichtet und trug stattdessen legere Jeans, die man in Duster oder Triste nicht kannte, und darüber ein schwarzes kurzärmeliges Shirt. Er war in jenem Moment so verdammt attraktiv, dass ich fast den Faden des Gesprächs verloren hätte. Aber nur fast.

»Ach ja?« Noah lehnte sich noch weiter in seinem Stuhl zurück, langsam und provokant. Er hob beide Augenbrauen, während er seine Hände auf seinen flachen Bauch legte. Ich hatte ihn in Gareths Anwesenheit noch nie so entspannt gesehen.

»Du schiebst die Verantwortung dieser Entscheidung einfach von dir und erwartest, dass wir uns schlussendlich mit den Konsequenzen beschäftigen!«

»Ich dachte, ich hätte mich gerade entschieden …«

»Oberflächlich, ja. Du schlägst es vor und rechnest damit, dass wir dem Vorschlag folgen, und wenn etwas schiefläuft, ziehst du dich aus der Affäre. Wie immer.«

Noahs Lächeln schwand. So wie ich den Schattendämon kannte, haderte er innerlich mit sich selbst, ob er aufspringen sollte, um Gareth an die Gurgel zu gehen. Er blieb jedoch sitzen. »Das ist Blödsinn und …«

»Hört auf!«, zischte ich ungehalten und stützte meine Hände auf den hölzernen Tisch. »Es wird keine schlimmen Konsequenzen geben. Ich werde nicht mit meinen Waffen durchs Haus laufen, um jemanden zu verletzen, verflucht. Ihr solltet lernen, mir zu vertrauen.«

»So wie du uns vertraust?«, höhnte Gareth und richtete seinen wütenden Blick nun auf mich. Vielleicht nicht wütend, aber durchaus missbilligend.

»Ich vertraue dem Wort eures Königs. Das sollte genügen«, erwiderte ich kühl und hielt seinem bohrenden Blick stand.

»Schön«, gab er schließlich nach.

»Schön«, fauchte ich und richtete mich wieder auf. »Können wir zum nächsten Punkt kommen?« Ich hoffte wirklich, dass sie mich nicht bei jedem Vorschlag derart bekämpfen würden wie Gareth gerade.

Niemand antwortete und jeder wich meinem Blick aus.

»Wir müssen das Kämpfen in der Dunkelheit trainieren Wir haben gegen die Kaskaden ziemlich übel ausgesehen. Ihr seid durch die Dunkelheit nicht beeinträchtigt, weshalb euch dieser Gedanke vermutlich noch nicht gekommen ist«, fügte ich an, um Ty nicht weiter zu kränken. »Es wäre von Vorteil, wenn wir lernen, unsere anderen Sinne zu schärfen, um uns nicht mehr allein auf unsere Sehkraft zu verlassen. Ich zähle mich selbst dazu.«

Ty nickte. »Du hast recht. Es würde euch einen entscheidenden Vorteil bringen.«

»Gut. Zudem möchte ich, dass alle ihre Kondition trainieren und nicht nur ich.« Bei diesen Worten sah ich absichtlich Gareth an, der eine Braue hob, als würde er fragen wollen, ob ich versuchte, ihm aus dem Weg zu gehen. »Das Einzeltraining zwischen Gareth und mir bleibt bestehen«, antwortete ich ihm und überraschte ihn dadurch. Die zweite Augenbraue gesellte sich zur ersten. »Während die anderen an ihrer Ausdauer arbeiten, werde ich weiter mit Noah trainieren. Es kann nie schaden, mit verschiedenen Waffen zu üben.«

»Das halte ich auch für eine gute Idee«, brummte Clarke in meine Richtung. »Ist ja schon fast peinlich, wie fertig ihr manchmal nach dem Training seid.«

Ty und Noah lachten, als würden sie sich über unsere Schwäche köstlich amüsieren. Ich ließ ihnen ihren Spaß, solange sie mir nicht im Weg standen.

»Wie lange werden wir hierbleiben?«, fragte ich schließlich, da sich Dorian ziemlich vage in Bezug auf unsere Aufenthaltsdauer geäußert hatte.

»Ein paar Wochen. Danach suchen wir das Ausbildungszentrum unserer Soldaten auf, das von Adam geleitet wird«, antwortete Gareth. »In der Gegend darum haben wir bisher auch die meisten Vessen entdeckt. Es eignet sich perfekt als Ausgangspunkt.«

Vessen – wahnsinnig gewordene Schattendämonen. Allein aus diesem Grund war ich hier.

»Werden wir dort nicht Probleme bekommen, weil uns noch mehr Dämonen sehen?«

»Ihnen vertraue ich um einiges mehr als denjenigen, die sich hier aufhalten. Soldaten gehorchen Befehlen ihrer Vorgesetzten. Der Adel hört nur demjenigen zu, der mit dem meisten Geld vor ihrem gepuderten Gesicht wedelt.«

»Ich stimme Davenport ausnahmsweise einmal zu«, grinste Noah breit und verschränkte die Hände an seinem Hinterkopf.

»Du machst Witze«, grummelte ich. Bevor jemand etwas hinzufügen konnte, wurden wir von der Ankunft der anderen Novizen unterbrochen, die beinahe in Reih und Glied die Treppe herunterschritten. Sie wirkten ernst.

»Lasst uns mit dem Training beginnen«, verkündete Ty. »Wir müssen uns, solange wir hier sind, mit dem Garten als Trainingsort für das Waffentraining zufriedengeben, aber wir haben Ascia überzeugt, uns einen Raum zur Verfügung zu stellen.« Er ging zusammen mit Clarke wieder die Treppen hoch.

Ich zögerte einen Moment, dann ließ ich Noah allein mit Gareth zurück und betete, dass er keinen Streit vom Zaun brechen würde. Noah war zwar ein überdurchschnittlich guter Kämpfer, aber ich war mir nicht sicher, ob er eine Chance gegen Gareth hatte, der seinerseits ein überdurchschnittlich geschickter Königsdämon war. Und das, obwohl er sich nicht mal während eines Kampfes wandelte, um damit seine gesamte Kraft auszuschöpfen. Hinter dieses Geheimnis war ich noch immer nicht gekommen, wenn es denn ein Geheimnis gab. Vielleicht hatte er es auch nur unter seiner Würde gefunden, sich im Kampf gegen einfache Kaskaden zu wandeln.

Ein Thron aus Knochen und Schatten

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