Читать книгу Ariowist und Inkubus - Lennart Bartenstein (geb. Pletsch) - Страница 11
Prolog
ОглавлениеAldrĭn setzte bedächtig einen Schritt vor den anderen und spürte, wie die Feuchtigkeit des hohen Grases seine baren Füße benetzte. Er hatte sich nichts als die Hose und ein Hemd übergezogen und war dann aus dem Haus geeilt. Irgendetwas, glaubte er, hatte ihn gerufen. Irgendetwas war dort in der Dunkelheit, das seinen Namen gerufen hatte, weswegen er klopfenden Herzens aus dem Schlaf geschreckt war. Doch nun konnte er nichts mehr hören. Nur das Gefühl war noch da, das sich eingestellt hatte, als er den Ruf vernommen hatte. Ein Gefühl, das ihm zwar vertraut erschien, jedoch seit Jahren tief im hintersten Winkel seines Herzens geschlummert hatte.
Über den saftigen Wiesen hingen dichte Nebelschwaden. Das fahle Mondlicht konnte nur mit Mühe hindurchbrechen und ließ die Schatten der spärlichen Bäume erkennen, die am Ufer standen. Nichts regte sich und bloß das leise Plätschern der Wogen, die an die Böschung des Sees schwappten, durchbrach die Stille.
Er sah hinauf zum Himmel und betrachtete die schwarzen Wolken, die wie mächtige Dreimaster im kräftigen Seegang am Mond vorbeifuhren. Es mussten Schiffe von weit her sein, die dort über das Himmelszelt in die Heimat eilten. Je länger er die Umrisse der Kähne beobachtete, desto realer schienen sie ihm, bis er schließlich glaubte, das Rauschen des Windes zu hören, der in die Segel ging. Immer lauter wurde das Geräusch, bis es beinahe wie das Schlagen von Flügeln klang, die zusehends näher kamen.
Plötzlich verdunkelte sich der Mond und ein riesiger Schatten tauchte über Aldrĭn auf. Die Dunkelheit schien ihn mit einem Mal ganz und gar zu verschlingen und ihn überkam ein kalter Schauer. Die düstere Gestalt blieb noch einen Augenblick über ihm in der Luft und schlug die weiten, gefiederten Schwingen. Dann ließ sich der Schatten beinahe lautlos im Gras nieder und richtete sich nur wenige Schritt vor Aldrĭn auf. Auf seinen Hinterbeinen stehend und mit angelegten Flügeln war das Geschöpf noch immer um einiges größer als er und allein dieser Umstand verlieh ihm eine unheimliche Erscheinung in der Nacht. Doch noch furchteinflößender waren die leuchtenden gelben Augen, die wie zwei Diamanten aus der Unterwelt glühend auf der Stirn prangten.
„Ariowissssst“, zischte die Gestalt und Aldrĭn erkannte einen krummen Schnabel anstelle eines Mundes. Instinktiv griff er zu seinem Gürtel, wo er sein Schwert glaubte. Doch hatte er Galyndúr in der Truhe zurückgelassen, wo er es seit Jahren verwahrte. Die Präsenz seines Gegenübers aber schleuderte ihn mit einem Mal weit zurück in die Vergangenheit. Er empfand dieselbe Furcht, die ihn überkommen hatte, als er auf dem großen Turm des Apukunen auf Triga dem Inkubus gegenübergestanden hatte. Vor nunmehr über siebzehn Jahren.
„Deine Waffe…“, sprach das Ungeheuer mit heiserer Stimme, „sie wird dir nichts nützen.“
Er wollte flüchten, zurück ins Haus eilen und sein Schwert hervorholen. Es hatte den Dämon schon einmal vernichtet, es würde ihm seinen Dienst auch ein zweites Mal erweisen! Er würde die Nachbarn rufen, sie warnen. Und er würde seine Familie in Sicherheit bringen!
Doch konnte er sich keinen Schritt von der Stelle rühren, noch vermochte er um Hilfe zu schreien. Die Angst hatte ihn ganz und gar gelähmt und ließ ihn wie angewurzelt vor dem Ungeheuer dastehen.
„Du willst mich vernichten“, raunte der Inkubus ihm verachtungsvoll zu, „doch das wirst du nicht, denn ich bin weit weg. Unter die Erde hast du mich verbannt.“ „Und ich werde es wieder tun!“, brachte Aldrĭn endlich hervor. Die Furcht war plötzlich einem unbändigen Zorn gewichen. Wäre dieses Ungeheuer nie auf Erden gewandelt, so wäre nie all das Leid über ihn gekommen. So viele seiner Lieben wären noch am Leben. Ein brodelndes und zischendes Geräusch erklang aus dem Adlerzinken des Dämons und es erschien Aldrĭn, als würde das Ungetüm lachen: „Du begreifst nichtsss, du jämmerlicher Tor! Ich bin tief unter der Erde gefangen, am Fuße des Gramrok, wo Grimm und Anxius zusammenfließen.“ Aldrĭn kannte die sagenhaften Ortsbezeichnungen der Unterwelt. Doch glaubte er kein Wort von dem, was die unheimliche Erscheinung dort behauptete. Wenn es tatsächlich der Inkubus und dieser in die Unterwelt gebannt war, dann konnte er sich kaum zugleich vor Aldrĭns Haus am Bengadesch aufhalten. Es sei denn… es handelte sich tatsächlich bloß um eine Erscheinung.
Doch bevor Aldrĭn sich nicht absolut sicher war, würde er kein Risiko eingehen. Wenn das Ungetüm ihn hätte töten wollen, so hätte es längst Gelegenheit dazu gehabt. Es musste also aus einem anderen Grund aufgeschlagen sein.
„Was willst du von mir?“, fragte Aldrĭn trotzig. Der Inkubus brummte einige Worte in einer fremden Sprache, dann knurrte er: „Dein Herz rauben werde ich dir!“ „Was will ein Ungeheuer wie du mit einem reinen Herzen?“, pöbelte Aldrĭn stolz zurück und wunderte sich im nächsten Augenblick selbst über seinen plötzlichen Mut. Doch tadelte er sich ebenso innerlich dafür, dass er den Dämon auch noch reizte, obwohl dieser ihm doch zweifelsohne überlegen war.
Wieder gab der Inkubus sein glucksendes Gelächter von sich, dann spreizte er ruckartig seine Flügel und Aldrĭn erwartete schon, dass er im nächsten Augenblick über ihn herfallen würde.
Doch nichts dergleichen geschah. Stattdessen zuckte Aldrĭn zusammen, als er einen markerschütternden Schrei hinter sich hörte. Es war der angsterfüllte Schrei eines Mädchens gewesen, das aus seinem Haus zu ihm gedrungen war. Es war der Schrei seiner Tochter! Mit einem Mal überkam ihn wieder die Panik und sie war größer denn je. Ungläubig sah Aldrĭn sich nach dem Inkubus um, doch der Dämon war urplötzlich verschwunden. Vor seinem inneren Auge überschlugen sich die Ereignisse und Aldrĭn malte sich bereits das Schlimmste aus.
Stolpernd eilte er zurück in Richtung seines Hauses, machte einen Satz auf die Veranda und stürzte durch die noch offene Vordertür hinein. Im Zimmer seiner Tochter flackerte Licht, wie Kerzenschein im Windzug und er hörte lautes Poltern, als er näher kam. Alle Muskeln in seinem Körper spannten sich, sein Gesicht zu einer hasserfüllten Fratze verzogen und mit geballten Fäusten stürmte er in das Zimmer, bereit zu einem Kampf auf Leben und Tod.
Doch gerade, als er die Tür aufstieß, wurde er von einem gleißenden Licht geblendet, das ihn wie von unsichtbarer Hand zurückschleuderte, sodass er rücklings in unergründliche Finsternis stürzte. Schweißgebadet erwachte er.