Читать книгу Ariowist und Inkubus - Lennart Bartenstein (geb. Pletsch) - Страница 15
3. Aufbruch der Bruderschaft
ОглавлениеDie Fackeln ließen den runden Saal in warmen Farben erleuchten. Die schneeweißen Wände wurden in ein sanftes Gelb getaucht und einzig das Tänzeln der Flammen, wenn jemand den Raum betrat, durchbrach die vollkommene Geborgenheit.
Auf einem mächtigen Thron aus Eibenholz, in den kunstvolle Ornamente geschnitzt waren, saß ein Mann, der sich scheinbar vor Müdigkeit auf seinen Knien abstützen musste. In Wirklichkeit hatte Brenon von Asmond den Blick starr auf den Tisch vor ihm gerichtet und grübelte angestrengt.
Sein Gesicht war von Bartstoppeln umrahmt, die genau wie sein volles Haar von besonders kräftigem Rotblond waren. Über seine rechte Wange verlief eine Narbe, die zwar noch zu frisch war, um aus Kindertagen zu stammen, jedoch schon einige Jahre in seinem Antlitz prangte. Er war stolz auf sein Versehrtenmal, obwohl es ihm tatsächlich bei einem Jagdunfall zugefügt worden war. Doch gerade unter den älteren Rittern schien es ihm einen gewissen Respekt einzubringen, zeugte es doch von seiner Kampferfahrung.
Ebenso wie die Narbe war Brenon selbst nur scheinbar ein Überbleibsel des Krieges. Mit seinen sechsundzwanzig Jahren war er viel zu jung, um am triganischen Krieg teilgenommen zu haben. Doch wer ihn sah, der hätte ihn gut und gerne auf Ende dreißig geschätzt. Sein eingefallenes Gesicht, der Ausdruck in seinen Augen, irgendetwas verlieh ihm das Antlitz eines weitaus älteren Mannes und die Narbe tat ihr Übriges.
Überdies kleidete er sich nicht wie die jungen Edelleute und Kaufmänner, die sich vornehmlich in besonderen Stoffen aus den Südlanden zeigten und penibel darauf achteten, dass ihre Kleidungsstücke miteinander harmonierten.
Brenon kleidete sich geradezu altmodisch im Vergleich zu seinen Altersgenossen. Über einer einfachen, schwarzen Tunika und ledernem Beinkleid trug er einen weiten Umhang aus dunklem Leinen, dessen Ränder mit feinen aufgestickten Mustern besetzt waren. Um seinen Hals hing eine Kette aus massivem Gold, an der ein Ornament aus rotem Edelstein angebracht war, ein Erbstück von seinem Vater. Auch seine Finger waren mit prachtvollen Ringen geschmückt, deren filigrane Gravuren seine familiäre Herkunft bezeugten.
Er ließ seinen Blick über die ausgerollten Landkarten auf dem runden Tisch in der Saalmitte wandern, ohne wirklich an deren Inhalt interessiert zu sein. In Gedanken war er bei der Schlacht, die sie vor zehn Tagen gewonnen hatten. Im Morgengrauen, als noch dichte Nebelschwaden über der Turmstadt lagen, hatten sie zugeschlagen. Das Überraschungsmoment war auf ihrer Seite gewesen und niemand hatte mit einem so entschlossenen Zug gerechnet.
Nun war Tir’dahall unter der Kontrolle der Geldrischen Bruderschaft und das bedeutete: unter seiner Kontrolle.
Mit besonnenem Blick fuhr er über den Ring an seiner linken Hand, auf der die Rose prangte. Vor siebzehn Jahren noch nannte ein jeder Ritter, der unter dem Banner des Königs in die Schlacht zog, einen solchen Ring in sein Eigen.
Es war das Ehrenmal des Ordens, eine silbrig glänzende Rosenblüte auf kobaltblauem Hintergrund, eingefasst in einen goldenen Kreis. Man nannte sie auch die Geldrische Rose, wohl wegen der sagenhaften Stadt, in der die Ringe geschmiedet worden waren, wie es hieß.
Über hundert Jahre stand die Rose für das unzertrennbare Band zwischen den Rittern. Und so war sie nun wieder Zeichen ihrer Treue geworden, zusammengeführt in einem neuen Bund, um Ordnung und Gerechtigkeit einer vergangen geglaubten Zeit wiederherzustellen.
Der Geldrischen Bruderschaft gehörten Dutzende bedeutsamer Männer an, vornehmlich Ritter der älteren Generationen, die unter Arkil III gedient hatten. Doch zunehmend bekam die Bruderschaft auch Zulauf von jüngeren Männern, meist die Söhne der Ritter und Edelleute von dereinst. Viele von ihnen besaßen beachtliche Reichtümer, die sie von ihren Vätern geerbt hatten, nachdem diese auf dem Schlachtfeld geblieben waren. Somit war die Geldrische Bruderschaft alles andere als ein mittelloser Verband.
Die jungen Ritter vereinte jedoch noch ein anderer Umstand, denn viele von ihnen waren aus ihren Burgen und Gutshöfen vertrieben worden, als diese an die Elben verteilt worden waren. Und alle zusammen verbanden Zorn und Ablehnung gegenüber den Alten Völkern, die das herrliche Land Albenbrück ohne Befugnis regierten. Das Reich war von Menschen gegründet worden und Menschen hatten es gegen jede Bedrohung von außen verteidigt und stark gemacht. Doch nun war Albenbrück ein Ort der Dekadenz und Intrige und die letzten Menschen im Elbenrat waren Marionetten der Alten Völker.
Brenon hörte, wie sich von der Wendeltreppe her Schritte näherten. Gespannt erwartete er, ob ihr jüngstes Unterfangen von Erfolg gekrönt worden war. Dann betraten zwei Männer den Saal und zufrieden stellte Brenon fest, dass sein Plan offenbar aufgegangen war.
Der vordere der beiden war ein hochgewachsener, älterer Mann, der einen prächtigen Brustharnisch trug. Auch seine Hände waren von Kettenhandschuhen geschützt und an seinem Gürtel steckte ein langes Schwert in der Scheide. Der weite Umhang aus rotem Leinen verriet, dass es sich um einen der Ritter von Baudobriga handelte, einst Lehnsknechte des Grafen von Asyc. Das Gesicht des Mannes zeugte von einem langen, ereignisreichen Leben auf dem Schlachtfeld und ebenso wie bei Brenon zierte eine kleine Narbe seinen Wangenknochen. Langes Haar, das einst voll und schwarz gewesen sein mochte, fiel in silbrigen Strähnen über seine Schultern und ein ebenso ergrauter Bart bedeckte sein Kinn.
Es war der Ritter Herbomir von Astarwisch, einst ein ruhmreicher Krieger und Veteran vieler großer Schlachten. Er hatte Brenon in Baudobriga aufgenommen, als dieser elternlos aus Dysthirthéth vor den Hochlandelben geflohen war.
Hinter ihm betrat ein ebenso kräftiger und großer Mann den Saal, der sich jedoch vor allem durch seine beträchtliche Leibesfülle auszeichnete. Er trug einfache Kleidung in hellen Farben und das einzige, was sein Äußeres ansonsten bemerkenswert machte, war der Säbel an seinem Gürtel. Es war die Waffe der Palastgarden von Albenbrück und nur den Gardisten war vorbehalten, sie zu tragen. Obgleich er eine so prachtvolle Waffe trug, schien der Mann ansonsten keinen besonderen Wert auf seine Erscheinung zu legen, denn seine Haut war ungepflegt und das weiße Haar lag wild durcheinandergewirbelt. Trotzdem war sein Auftauchen der eigentliche Grund für Brenons Freude.
Beide Männer nahmen vor dem Thron Aufstellung und verneigten sich knapp, dann begann Herbomir zu sprechen: „Wie Ihr seht ist alles so verlaufen, wie wir es uns erhofft hatten. Die Sprache des Goldes hat in Albenbrück mehr Gewichtung denn je.“
„Es erfreut mich, Euch wohlbehalten bei uns zu wissen“, begrüßte Brenon den Anderen, „willkommen in Tir’dahall, Gorakon Esefo.“
Der alte Anführer der Palastgarde verzog seinen Mund zu einem gequälten Lächeln und nickte Brenon zu. „Ich stehe in Eurer Schuld, Herr“, brummte er. Brenon empfand Mitleid für Esefo. Nachdem er auf Triga von den königstreuen Truppen unter der Führung von Prinz Aldrĭn in Gefangenschaft geraten war, hatte man ihn siebzehn Jahre lang in den Kerker von Albenbrück gesperrt. In diesem dunklen Loch hatte er seitdem auf sein ruhmloses Ende gewartet, denn keiner der Ratsherren hatte je einen Gedanken daran verschwendet, ihn zu begnadigen. Er hatte sich als einziger bis zum Schluss gegen die Resttruppen des Königs gestellt.
Alle Welt sah in ihm einen Verräter und eine Gefahr für den Frieden zwischen Elben und Menschen. In Wahrheit war er derjenige, der verraten worden war. Er hatte bis zum bitteren Ende seinem Herrn, dem Grafen von Asyc, die Treue gehalten und war dann von den Kriegern der Alten Völker im Stich gelassen worden. Natürlich hegte er einen gewaltigen Groll gegenüber den Elben und dieser war in all den Jahren, die er in Gefangenschaft verbracht hatte, verständlicherweise nur noch gewachsen. Nun war der einst stolze Würdenträger zu einem gebrochenen Mann geworden. Doch dank Herbomirs Verhandlungsgeschick und den Reichtümern der Bruderschaft hatten sie ihn nun endlich von seiner ungerechten Bestrafung befreien können.
„Schon bald werdet Ihr Gelegenheit dazu bekommen, Euch erkenntlich zu zeigen“, erklärte Brenon, „denn niemand kennt den Palast so gut wir Ihr. Es wäre für die Bruderschaft von allerhöchstem Interesse, unbemerkt bis in den Thronsaal zu gelangen.“
Esefo betrachtete Brenon schweigend und wartete mit seiner Antwort ab, bis dieser hinzufügte: „Einige der Edelmänner aus unseren Reihen gaben mir zu verstehen, dass dies unmöglich sei. Das Schloss sei der sicherste Ort im ganzen Reich und niemandem gelänge es, ohne Verluste dort einzudringen.“
Gespannt erwartete Brenon die Antwort seines Gegenübers. Tatsächlich hatten mehrere der älteren Ritter sich gegen Brenons Plan ausgesprochen, das Schloss Albenbrück im Alleingang einnehmen zu wollen. Doch Esefo hatte zwanzig Jahre lang in jenen Mauern für Sicherheit und Ordnung gesorgt und wenn es jemanden gab, der dazu in der Lage war, den tollkühnen Plan zu vollbringen, dann war er es.
„Nicht unmöglich, Herr“, sagte der alte Gardist in weiterhin brummigem Tonfall, „doch erlaubt mir die Frage, was Ihr dann zu tun gedenkt.“ Brenon frohlockte innerlich über die Worte des Freigekauften. Er hatte sich nicht in ihm getäuscht! Und glücklicherweise hielt er einen Plan bereit, zu dessen Teilnahme Esefo mit seinem Herzblut unterschreiben würde.
„Sobald wir in Waffen in den Thronsaal gelangt sind, werden wir diejenigen für immer aus dem Rat verbannen, welche ihn unrechtmäßig unterwandert haben“, sagte Brenon mit ausgesprochen feierlichem Ausdruck. Er beobachtete, wie ein Funkeln in den müden Augen seines jüngsten Verbündeten aufzog.
„Ihr…Ihr meint die Elben?“, fragte Esefo und eine Mischung aus Ehrfurcht und Freude schwang in seiner Frage mit.
Brenon lächelte ihm gönnerisch zu: „Eben jene, denn sie sollen nie wieder über das Leben eines einzigen Menschen richten, so wie sie es mit dem Eurigen getan haben.“
Auf einmal nahm Esefo Haltung an und richtete sich mit stolz geschwellter Brust vor Brenon auf. Jetzt konnte man in ihm wieder den ehrfurchtgebietenden Primus der Palastgarde erkennen, der er einst gewesen war. „Ich stehe mit allen Kräften zu Eurer Verfügung, Brenon von Asmond. Und ich versichere Euch, dass Euer Vorhaben von Erfolg gekrönt sein wird.“
Innerlich triumphierend nickte Brenon ihm dankbar zu. Binnen eines Monats würde er auf dem Thron von Albenbrück sitzen.
***
Mit wild klopfendem Herzen und schweißgebadet erwachte Aldrĭn. Der böse Traum hatte ihn in dieser Nacht schon wieder überkommen, doch diesmal hatte er sich dem Dämon gegenüber noch hilfloser gefühlt. Kein Wort des Trotzes war über seine Lippen gekommen, so groß war die Furcht gewesen, die in ihm aufgestiegen war. Und wieder hatte es mit Rovinjas angsterfülltem Schrei geendet. Im Gegensatz zu seinem letzten Erwachen aus dem grauenvollen Schlafbild war es jetzt früh am Morgen. Aus dem Fenster heraus konnte Aldrĭn sehen, wie die dunkle Nacht allmählich dem blauen Dunst wich, den die Sonne vorausschickte, bevor sie ihre ersten Strahlen über den Horizont entsandte. Die ersten Vögel begrüßten den neuen Tag mit ihrem Zwitschern, ansonsten lag eine friedliche Stille über dem Land.
Als er sich zu Juliana umwandte, sah er, dass sie von seinem Aufschrecken offenbar geweckt worden war. Aus schlaftrunkenen Augen blinzelte sie ihn an. „Was ist dir denn zugestoßen?“, fragte sie leise. Seufzend ließ Aldrĭn sich wieder ins Bett fallen. „Ein Albtraum“, sagte er und schmiegte seinen Kopf an Julianas Brust. Sie fuhr ihm zärtlich mit der Hand durchs blonde Haar. „Das soll man doch nicht mehr sagen“, tadelte sie scherzhaft. „Ja stimmt“, entgegnete Aldrĭn, „aber so lange kein Alb in der Nähe ist, werd ich’s auch weiterhin so nennen.“
„Worum ging es denn?“ Aldrĭn brummte etwas und überlegte, ob er seine Frau damit wirklich behelligen sollte. Die vergangenen Tage hatte er auch kein Wort darüber verloren. Doch der Umstand, zweimal hintereinander von derart unheimlichen Eingebungen heimgesucht zu werden, beunruhigte ihn nun doch mehr, als er sich gestehen wollte.
„Es ging um Rovinja, ihr wurde Leid zugefügt und ich konnte nichts dagegen unternehmen. Ich war völlig hilflos“, erzählte er, „und derjenige, der das getan hat war...der Inkubus.“ Nun, wo er Juliana von seiner Sorge berichtet hatte, fühlte er sich ein wenig besser, doch zugleich wurde ihm die Unsinnigkeit seiner Furcht bewusst. „Ich weiß, dass das unmöglich ist“, fügte er hinzu, „solange der Ariowist auf der Erde wandelt, kann der Inkubus das Totenreich nicht verlassen, aber…“ „…aber es ist selbstverständlich, dass du dir Sorgen machst“, wandte Juliana ein.
Bestärkt von ihren anerkennenden Worten drehte er sich zu ihr und sah sie durchdringend an. „Als ich diesen Traum vor einigen Tagen zum ersten Mal hatte, sind wir im Dorf mit Halldor aneinandergeraten.“
„Du hattest davon erzählt.“
„Was ich dir nicht erzählt habe, ist, dass Rovinja dort kurz zuvor einen jungen Mann getroffen hat“, erklärte Aldrĭn in ernstem Ton.
„Und?“, fragte Juliana und grinste.
„Ich kannte ihn nicht!“ Seine Worte, in derartiger Bestürzung gesprochen, ließen Juliana heiter auflachen. „Na und?“, gab sie schließlich amüsiert zurück, „was glaubst du denn? Dass sie dir jeden vorstellt, mit dem sie eine kleine Liebelei hat?“
„Zumindest, dass sie mir jeden vorstellt, der ihr nachstellt!“ „Unsinn“, meinte Juliana sanft, „sie wird schon damit herausrücken, wenn sie den richtigen Zeitpunkt kommen sieht.“
Jetzt fühlte Aldrĭn sich wieder wie vor wenigen Tagen, als er seiner Tochter in das Dorf gefolgt war. Juliana hatte Recht, er war schon wieder bevormundend gewesen. „Aber sie erst siebzehn“, versuchte er sich ein letztes Mal zu verteidigen.
„Und wie alt war ich?“, entgegnete seine Frau und legte ihre Hände um seine Schläfen, um ihn zu küssen.