Читать книгу Ariowist und Inkubus - Lennart Bartenstein (geb. Pletsch) - Страница 19
7. Rückkehr nach Albenbrück
ОглавлениеDie hohen Dächer von Albenbrück erstrahlten in der Sonne in kräftigen Rot- und Brauntönen. Schon von weitem hatte man das goldene Dach des Drakentempels glänzen gesehen und je näher man der Stadt kam, desto imposanter erschien das mächtige Bauwerk. Doch als die beiden Pferde endlich über die breiten Steinbrücken trabten, die der Stadt ihren Namen gegeben hatten, konnte Aldrĭn auch all die anderen prächtigen Bauten der Hauptstadt erkennen. Hinter der massiven Stadtmauer ragten die weißen Türme der kleineren Tempel hervor und er sah die Wohnhäuser der reichen Patrizier, die allesamt in Hafennähe gebaut hatten. Auch die Wachtürme der Kaserne erkannte er wieder, welche unverwechselbare Spitzdächer aus Kupferblech besaßen, das in der Sonne bläulich schimmerte.
Aber auch neuere Bauwerke gesellten sich in den gewohnten Anblick, Häuser und Türme, die Aldrĭn nicht kannte. Sie waren größtenteils aus Sandstein errichtet worden und auf den flachen Dächern thronten vereinzelte Balustraden und Gerüste für Baldachine. Diese Bauweise war im Königreich verpönt gewesen, solange Aldrĭn sich erinnern konnte.
Die Architekten der Akademie hatten den Sandstein als brüchig abgetan und die Statik der Holzgerüste als viel zu instabil. In Wahrheit waren diese Gebäude um keinen Deut schlechter als die anderen Baustile des Königreiches, der Unterschied bestand schlicht darin, dass sie nach den Plänen triganischer Baumeister geschaffen worden waren.
Nach Ende des Krieges hatte es jedoch immer wieder Gelehrte der Akademie wie auch von der Insel gegeben, die sich von den architektonischen Errungenschaften des ehemaligen Feindes hatten inspirieren lassen. Die Gesichter der Städte hatten sich daraufhin in den Folgejahren gleich auf zweierlei Weisen vervielfältigt. Denn neben den triganischen Einflüssen sorgte auch die Kultur der Elbenvölker für eine bedeutsame Vergrößerung des handwerklichen Repertoires.
Auch wenn die neuen Gebäude bisweilen nicht ganz in das Bild der Stadt passen mochten, waren sie doch eine Bereicherung für die Menschen, dachte Aldrĭn, denn ohne den Einfluss der anderen Völker hätte sich der Ideenreichtum der königlichen Gelehrten bald erschöpft. Wenn er an die Jahre dachte, in denen er noch öfter die anderen Städte des Reiches besucht hatte, dann hatte dort augenscheinlich ein Stillstand in der Entwicklung von Kunst und Architektur stattgefunden. Dieser Stillstand war so weit gegangen, dass neue Bauwerke nach einem immer gleichen Schema geplant wurden, sodass sich die Siedlungen des Reiches bald immer ähnlicher wurden.
Wer könnte ernsthaft wollen, dass es wieder dazu käme?, überlegte Aldrĭn. Während die Südlande aufgeblüht waren, hatte sich das Königreich immerzu um sich selbst gedreht. Wer aus Ablehnung gegenüber allem Fremden der Entwicklung Sand ins Getriebe streute, würde früher oder später von diesen fremden Mächten überflügelt werden.
Über allem thronte wie eh und je das Schloss, dessen strahlend weiße Mauern in der Sonne besonders prächtig wirkten. Ein schwer zu benennendes Gefühl überkam Aldrĭn beim Anblick des Gemäuers. Entgegen aller Abneigungen und Ängste, welche die Stadt umgaben, und stärker noch als die schmerzhaften Erinnerungen ging von der Festung ein wohliges Gefühl der Geborgenheit aus. Er war wieder Zuhause, schoss es Aldrĭn durch den Kopf. Im gleichen Augenblick versuchte er den Gedanken zu verdrängen, denn schließlich hatte ihn nicht das Heimweh zurück nach Albenbrück geführt, sondern wieder einmal der Verlust eines geliebten Menschen.
Sie ritten hintereinander durch das schmale Westtor ein und schlagartig umhüllten sie die lärmenden Geräusche der Stadt. Menschen und Elben drängten sich über die gepflasterte Hauptstraße an ihnen vorbei und verschwanden in den Seitengassen, andere erschienen aus den selbigen. Händler schleppten ihre Karren voll Ware durch die Menge, manche hatten Maultiere davor gespannt und vereinzelt bahnten sich andere Pferde ihren Weg durch das Getümmel, auf denen reich gekleidete Patrizier und Ritter saßen.
Über dem Geschehen lag das Murmeln und Tuscheln von schier unzählbar vielen Stimmen, durchbrochen von den Rufen weit entfernter Marktschreier, dem Gackern von Hühnern, Pferdewiehern und Möwengekreische. Ein Schmied bearbeitete in einer Seitengasse sein Eisen und weit entfernt, aus Richtung des Schlosses, glaubte Aldrĭn Fanfarenstöße zu hören.
All dies schien ihm so vertraut, als hätte er die Stadt erst gestern verlassen, doch gleichzeitig war Albenbrück noch viel lebendiger und munterer als in seiner Erinnerung. Zur mannigfaltigen Geräuschkulisse kam die einzigartige Mischung von Gerüchen, die man nur hier riechen konnte. Die salzige Meeresbrise, der Duft von Brot und Räucherschinken, genauso wie der Mief von Pferdeäpfeln und den Kloaken am Straßenrand, die warme Sommerluft, die sich in den Gassen sammelte, und der Hauch von Elmsrosen, deren Destillat sich die reichen Damen großzügig auftrugen, all das drang an seine Nase und Aldrĭn musste nicht einmal nach dem Quell der Gerüche suchen, schon tauchten Bilder vor seinem inneren Auge auf.
Er warf einen Blick zurück zu Galeon und Juliana, die hinter ihm drein trabten. Sein Sohn betrachtete das Treiben um ihn herum mit größtem Erstaunen und all die fremden Bilder schienen in ihm eine euphorische Neugier auszulösen. Nie zuvor hatte er so viele Menschen auf einem Fleck gesehen, noch so große Häuser und auch nie eine derart große Anzahl verschieden aussehender Elben.
Schmunzelnd sah Aldrĭn dem Jungen noch einen Augenblick dabei zu, wie dessen Welt auf einmal so viel größer wurde. Dann richtete er seinen Blick wieder geradeaus, denn obwohl er geglaubt hatte, die Stadt wie seine Westentasche zu kennen, kostete es ihn einiges an Konzentration, um den richtigen Weg zu finden.
Da er nur ungefähr wusste, wo sich das Haus von Ekiredis befand, hatte er beschlossen, den einzigen Ort aufzusuchen, an dem man ihm mit Sicherheit weiterhelfen konnte. Als er auf einen kleinen Marktplatz trabte, wo sich die Greifengasse und der Drakenstieg kreuzten, warf er einen abschätzenden Blick hinauf zum Schloss, um die passende Richtung zu bestimmen. Um das Nordtor zu erreichen, wäre es am günstigsten, den Drakenstieg zu passieren, doch derart viele Bürger strömten über die schmale Straße, dass Aldrĭn absteigen und sein Pferd führen musste. Juliana tat es ihm gleich und sie bahnten sich mühsam einen Weg zwischen den Leuten hindurch.
Aldrĭn befürchtete auf einmal, erkannt zu werden und aus irgendeinem Grund bereitete ihm der Gedanke großes Unbehagen. Doch obwohl ihn hunderte von Augenpaaren im Vorbeigehen musterten, zeigte niemand wirklich Interesse an seiner Person. Hatte denn eine ganze Stadt das Gesicht ihres Prinzen vergessen? Wenigstens sorgte er nicht für das Aufsehen, das er erwartet hatte, schloss Aldrĭn.
Statt sich seiner anzunehmen, eilten die Bürger der Stadt mit einem Ausdruck freudiger Erwartung an ihm vorbei. Die meisten drängten in Richtung einer weiteren Kreuzung, die am Ende des Drakenstiegs lag. Dort hatte sich eine Traube von mehreren Dutzend Menschen und Elben versammelt und stand eng zusammengedrängt beieinander, den Blick auf eine kleine Rednerbühne gerichtet, die an eine Hauswand angelehnt stand.
Schräg vor der hölzernen Bühne stand ein Gegenstand auf der Mitte der Kreuzung, welcher mit einem langen, sandfarbenen Tuch bedeckt war. Das Gebilde war etwa vier Ellen groß und ragte somit gerade über die Köpfe der Versammelten hinweg, sodass Aldrĭn den oberen Teil des eingehüllten Gegenstandes sehen konnte.
Da ein Weiterkommen durch die dicht gedrängte Menge ohnehin kaum möglich war, blieb er stehen und versuchte zu erkennen, worum es sich bei der Versammlung handelte. Ein Silvaner trat auf die Bühne und faltete eine Schriftrolle aus. Der dunkelhäutige, kräftig gebaute Elb trug einen eleganten Anzug aus einem seidenähnlichen Stoff, welcher ebenso dunkel war wie er selbst. Gespannt erwartete die Menge eine Ansprache, doch der Silvaner ließ sich die Zeit, seine Rede noch einmal mit den Augen zu überfliegen.
„Was wird denn hier verkündet?“, fragte Aldrĭn schließlich einen alten Mann, welcher direkt neben ihm stand. Der Greis, in einfache Tuche gekleidet und auf einen Krückstock aufgestützt, gab von der Frage belustigt ein heiseres Lachen von sich und sagte dann: „Sie enthüllen doch heute die Statue des Grafen! Wisst Ihr das denn nicht?“
„Verzeiht, aber ich war etwas länger nicht in der Stadt“, gab Aldrĭn zu seiner Verteidigung zurück.
„Eine ganze Zeit, vermute ich“, gab der Alte mit einem Lächeln zurück, „am heutigen Tage wird der fünfundsechzigste Geburtstag des Grafen von Asyc gefeiert.“
„Egrodts Geburtstag?“, entfuhr es Aldrĭn fassungslos.
„Ja, so hieß er wohl“, meinte der Mann, „na zumindest kennt Ihr ihn!“
Bevor Aldrĭn in Erfahrung bringen konnte, was es mit dieser höchst eigenartigen Feierlichkeit auf sich hatte, begann der Elb auf der Empore mit einer tiefen und kraftvollen Stimme zu sprechen: „Zu Ehren seiner Gnaden des Fürsten Egrodt von Asyc, Herr über Umbarien, wollen wir heute ein Meisterwerk enthüllen, welches ihm ein würdiges Andenken bereiten soll. Mehr als ein Jahr nahm die Arbeit an diesem Denkmal in Anspruch, doch nun ist es zu einer Perfektion gereift, die ihm auch in folgenden Generationen den Platz in der Geschichte sichern soll, der dem Begründer der Freundschaft zwischen Elben und Menschen gebührt.“
„Das ist ja nicht zu fassen!“, wurde Aldrĭn von hinten zugeflüstert. Juliana starrte mit finsterem Blick auf den Elben. „Ich hatte immer gedacht, dass die Geschichte von den Siegern geschrieben würde.“
„Zumindest in diesem Fall scheint Egrodt uns wohl zu überleben“, entgegnete Aldrĭn. Doch auch seine Verwunderung wich allmählich einem wachsenden Groll, denn je länger der Silvaner sprach, desto umfangreicher lobpreiste er die Taten des Grafen und deutete jedes Verbrechen, das Egrodt begangen hatte, als eigentlich notwendige Leistung, um den Frieden zwischen den Völkern wiederherzustellen.
Der Graf von Asyc hatte vor über siebzehn Jahren die Ratsversammlung hinterlistig umgebracht. Samt Aldrĭns Vater. Aldrĭn spürte, wie seine Hände um die Zügel sich zu Fäusten ballten.
Er hatte nie in Erfahrung bringen können, auf welche Weise Egrodt den Putsch angestellt hatte, denn Dirion war der einzige überlebende Zeuge dieser Tragödie gewesen. Und der hatte schließlich sein Geheimnis mit ins Grab genommen. Ebenfalls ermordet durch Egrodts Hand.
Nachdem er die Ratsversammlung vernichtet hatte, hatte Egrodt sich zum Alleinherrscher aufgeschwungen und die Alten Völker zu seinen Verbündeten gemacht. Nicht aber, wie der Silvaner nun verkündete, weil Egrodt ein ach so großer Freund der Elben gewesen war. Sondern einzig mit dem Ziel, die Insel Triga zu vernichten, angetrieben von seinen persönlichen Racheplänen.
Schließlich wurde die Statue enthüllt und Aldrĭn konnte die stolze Erscheinung des Grafen von Asyc sehen. Das Denkmal präsentierte Egrodt in einen langen Mantel gehüllt, in der rechten Hand das gesenkte Schwert, den linken Arm weit ausgestreckt, als würde er dem Himmel die offene Hand reichen. Der Blick der bronzenen Statue war in die Ferne gerichtet und strahlte die Zuversicht eines großen Visionärs aus. Die Menge jubelte und applaudierte Beifall, als der Stoff zu Boden fiel und das Denkmal in seiner vollen Pracht frei gab.
„Wie können sie vergessen haben, was wirklich geschehen ist?“, fragte Juliana scharf.
„Die Wahrheit lebt in der Erinnerung“, gab Aldrĭn zurück, „ und seine Erinnerung wird die unsrige um Jahrhunderte überleben.“
„Lass uns einen Umweg nehmen“, beschloss Juliana und führte ihr Pferd am Zaumzeug in Richtung der Gasse, durch die sie gekommen waren, „ich kann mir diesen Unsinn nicht weiter anhören.“
Aldrĭn jedoch blieb noch eine Weile gebannt am Gesicht des Grafen hängen. Für einen kurzen Augenblick glaubte er, dass die Statue ihm ein höhnisches Grinsen zuwarf.
***
Der Drudenkofel war viel gewaltiger als in Aldrĭns Erinnerung. Bis in die Wolken schien der alte Schieferberg zu reichen, an dessen Fuße das Schloss gelegen war. Sie ritten den Weg hinauf, welcher zwischen dem Nordtor und der Festung lag und sich über die grasbedeckten Wiesen schlängelte. Als sie über die Zugbrücke in den Innenhof einritten, wurden sie zu Aldrĭns Erstaunen von keinem einzigen Wachposten aufgehalten. Erst als sie abstiegen, kam ein junger Gardist herangeeilt und fragte nach dem Begehr der Reisenden.
„Nun, ich dachte, ich sollte mal nach dem Rechten schauen, nur um sicher zu gehen, dass mein altes Heim noch steht“, entgegnete Aldrĭn verschmitzt. Doch anstatt auf die Bemerkung einzugehen, fragte der Palastwächter bloß pflichtbewusst nach, bei welchem der Ratsherren er Meldung machen dürfe.
Mit einer gewissen Resignation begriff Aldrĭn, dass der junge Mann ihn nicht erkannte. „Wir sind alte Freunde des Konsuls von Jalúa“, gab er schließlich an und sogleich eilte der Gardist zurück ins Schloss, um Meldung zu machen.
Es dauerte nur wenige Augenblicke, dann wurden Aldrĭn, Juliana und Galeon hineingebeten, während sich ein Stallbursche um die Pferde kümmerte. Sie durchquerten die langen Gänge des Schlosses und Aldrĭn glaubte, nun tatsächlich in eine lange vergangene Zeit zurückversetzt worden zu sein. Das Innere des Schlosses hatte sich um keinen Deut verändert, noch immer strahlte es eine majestätische Erhabenheit aus, zu der sich die Kälte des alten Gemäuers gesellte.
„Mit dieser Art von Besuch hatte ich nun wahrlich nicht mehr gerechnet!“, erklang plötzlich eine freudige Stimme neben ihnen. Marius von Jalúa kam eine der breiten Treppen hinunter, welche in die oberen Trakte führten. Genau wie damals, als Aldrĭn ihm auf Triga zum ersten Mal begegnet war, trug der Graf eine blütenweiße Strumpfhose und darüber eine knielange Pluderhose aus Samt. Eine ebenfalls weiße Weste mit einer Reihe goldener Zierknöpfe kleidete den Oberkörper und nur der purpurne Kragen fiel farblich aus dem strahlenden Gewand heraus. Das rote Kollar war bereits zu Zeiten des alten Königreichs ein Abzeichen gewesen, das nur besonderen Würdenträgern am Hofe vorbehalten war. Nun aber diente es, gewissermaßen an Stelle einer Krone, als Erkennungszeichen des Ratsobersten.
„Ist es denn wahr und ich täusche mich auch nicht?“, hakte Jalúa mit kritischem Blick nach, „die holde Dame erkenne ich wohl.“ Mit diesen Worten deutete er eine Verbeugung vor Juliana an und gab ihr einen galanten Handkuss. „Doch an Euch, mein Herr – mit Verlaub – sind die Jahre nicht spurlos vorbeigezogen.“ Bevor sich der Graf auch vor Aldrĭn verbeugen konnte, umarmte dieser ihn aus einem Impuls heraus, was Jalúa mit Erstaunen geschehen ließ.
„Ich freue mich auch, Euch wiederzusehen“, sagte Aldrĭn mit einer ehrlichen Freude, „…mein Konsul!“
„Und dies ist also der Prinzensohn, von dem ich schon so manches vernommen habe“, meinte Jalúa mit einem wertschätzenden Blick zu Galeon, der sich verunsichert hinter Juliana versteckte.
Er wandte sich wieder Aldrĭn zu und sie setzten ihren Gang durch das Schloss fort. „Euer Schwager brachte mir zuletzt die Kunde, dass Ihr nicht in der Position wäret, auf mein Hilfegesuch einzugehen“, meinte Jalúa, „es erfreut mich umso mehr, dass Ihr den Weg auf Euch genommen habt, um uns zur Seite zu stehen! Ihr müsst wissen, dass wir derzeit auf einem schmalen Grat zwischen Frieden und Bürgerkrieg wandeln.“
„Ihr hattet von einer rebellischen Gruppe abtrünniger Ritter geschrieben“, gab Aldrĭn zurück, ohne sofort darauf einzugehen, warum sie tatsächlich nach Albenbrück gekommen waren.
„Ich fürchte, dass es längst nicht mehr als Gruppe zu bezeichnen ist, vielmehr können wir mit Fug und Recht von einer Truppe sprechen, die sich dort zusammengerottet hat. Meine wundervolle Stadt ist im Morgengrauen überrannt worden. Seitdem herrscht in Tir’dahall Chaos und Lynchjustiz, unter der Herrschaft dieses jungen von Asmond.“
„Woher habt Ihr diese Kunde, ohne dort gewesen zu sein?“, fragte Juliana. „Es herrscht dort freier Ein- und Ausgang“, erklärte Jalúa, „deswegen ist es auch ein Leichtes, die nächsten Schritte unseres Feindes zu beobachten, bisher zumindest. Einige vertrauenswürdige Kundschafter bringen mir täglich Nachricht aus meiner Stadt. Und was wir mit Sicherheit schon heute behaupten können ist, dass sich Brenon von Asmond nicht mit Tir’dahall zufrieden geben wird.“
Sie schritten durch den Bogengang, dessen hohe Fenster dem Trakt seinen Namen gegeben hatten und durch den sie Sonne nun hereinschien und den weißen Putz in warmen Farben erstrahlen ließ.
„Wie können wir Euch behilflich sein?“, fragte Juliana geradeheraus. Und Aldrĭn fügte hinzu: „Wir haben ja schließlich keine Armee mitgebracht.“
„Ich hatte mich an Euch gewandt, weil das eigentliche Problem nicht die Mittel sind, mit denen wir einen Aufstand niederschlagen könnten“, erklärte Jalúa, „ sondern vielmehr die Einigkeit im Rat. Die elbischen genauso wie die Ratsherren aus den Reihen der menschlichen Edelleute befinden sich in einem ganz und gar festgefahrenen Streit miteinander, wie auf die Rebellion zu reagieren sei. Wie Ihr bemerkt haben werdet, wird das Schloss kaum noch bewacht, ebenso gibt es an den Toren der Stadt keine Soldaten, sodass jeder ungehindert nach Albenbrück einmarschieren kann.
Einst wurden diese Wachen abgeschafft, um die Öffnung der Stadt gegenüber den Alten Völkern zu beweisen. Auch bestand in den vergangenen Jahren schlichtweg keine Notwendigkeit dazu, denn wir haben nun siebzehn Jahre des Friedens hinter uns. Selbst geringere Verbrechen waren nie so wenig an der Zahl wie in den letzten Jahren. Es schien mir geradewegs, als hätten wir alle aus dem endlosen Blutvergießen gelernt und der Gedanke von Gewaltlosigkeit hätte im Geist des Reiches Wurzeln geschlagen. Doch wie Ihr selbst wisst, unterlag ich einem furchtbaren Irrglauben und die Zeit des Leidens ist von einem Tag auf den anderen zurückgekehrt.“
„Mir scheint es eher so, als hätte der Groll die ganze Zeit schon in einigen von uns geschlummert und wurde nur wieder wachgerüttelt. Warum sollte von Asmond sonst so viele Anhänger finden?“, warf Juliana ein.
„Auch damit mögt Ihr Recht haben!“, gab Jalúa zu, „weswegen ich nun aber Eure Hilfe erbat, war der Umstand, dass der Rat nach jemandem verlangt, der ihn eint. Und ich kann derjenige nicht sein, denn auf meine Stimme hören sie nicht, wenn es den Feldzug gegen diese Rebellion betrifft.“
„Aber zumindest die älteren Ratsmitglieder, welche das Unglück des Krieges zur Genüge erfahren haben, müssten doch darum bemüht sein, diesen Frieden zu erhalten“, meinte Juliana verständnislos.
„Ich wünschte, dass dem so wäre“, entgegnete Jalúa, „doch selbst jene, auf deren Stimme ich viel Hoffnung gelegt hatte, scheinen vor einem Feldzug zurückzuschrecken, in der Angst davor, gerade dadurch einen weiteren Krieg zu entfesseln, der viele Jahre andauern mag.
„Wir werden vor dem Rat sprechen“, meinte Juliana mit entschlossener Stimme, „kündigt dem Sekretarius eine Audienz durch den Prinzen an!“
Während Aldrĭn seine Frau ungläubig anschaute, hellte sich Jalúas Miene schlagartig auf und er bestätigte begeistert: „Mit Freuden werde ich Euch schon am morgigen Tage die erste Rede in der Sitzung einräumen! Ich bin so überaus glücklich wie dankbar, Euch nun auf der richtigen Seite zu wissen. Sogleich lasse ich Euch Gemächer einrichten!“
Mit diesen Worten eilte Jalúa so plötzlich, wie er erschienen war, wieder davon und verschwand in den Gängen des Schlosses. Aldrĭn blickte Juliana unterdessen mit einer Mischung aus Verständnislosigkeit und Vorwurf an. „Wie kannst du ihm so etwas zusichern? Ich glaube kaum, dass wir mit dieser Sache irgendetwas zu tun haben sollten!“
„Wie meinst du das, wir hätten nichts damit zu tun?“, entgegnete Juliana gereizt, „du hast doch selbst gehört, was hier geschieht. Wenn du nicht vor dem Rat sprichst, dann werde ich es tun. Dieser Brenon ist im Begriff, alles zu zerstören, wofür wir gekämpft haben!“
„Hast du vergessen, weswegen wir hier sind?“, rief Aldrĭn auf einmal wütend aus. Galeon zuckte zusammen, erschrocken über den plötzlichen Aufruhr seines Vaters. Aldrĭn bemerkte in diesem Augenblick erst, wie grob er Juliana angefahren hatte, ging einen Schritt auf sie zu und griff nach ihrer Hand.
Sie ließ ihn gewähren, doch nichts Zärtliches lag in der Berührung. „Verzeih“, sagte Aldrĭn leise, „aber du weißt doch, weswegen wir hier sind.“
Sie nickte und wartete einen Augenblick mit ihrer Antwort ab, dann sagte sie in einem ruhigen Tonfall: „Eben deswegen musst du vor dem Rat sprechen. Halldor raubt nicht ohne Grund ein junges Mädchen und reitet mit ihr in Richtung Süden davon. Du musst doch verstanden haben, dass es da eine Verbindung geben muss, wenn ein Ritter ein derart undurchschaubares Verbrechen begeht, während sich anderswo eine Gruppe seines Standes zusammenrottet, um die Ordnung zu zerschlagen! Es muss eine Verbindung geben, wenn Halldor gen Süden reitet und auch Brenon im Süden lagert, siehst du das denn nicht? Wir ziehen am selben Strang wie Graf Jalúa!“
Beschämt begriff Aldrĭn, dass Juliana Recht hatte und er tatsächlich das Offensichtliche verkannt. Der Griff ihrer Hände lockerte sich und sanft nahm sie auch seine andere Hand in die ihre. Einen Augenblick standen sie sich wortlos gegenüber und sahen sich in die Augen. Schließlich rang Juliana sich ein Lächeln ab und Aldrĭns Herz wurde von warmer Zuversicht erfüllt.
„Es stimmt“, sagte er und nickte. „Ich hasse es, das zu sagen, aber es scheint, als wäre das Schicksal des Reiches das unsrige…wieder einmal.“