Читать книгу Ariowist und Inkubus - Lennart Bartenstein (geb. Pletsch) - Страница 17
5. Die Jagd beginnt
ОглавлениеDie schwere Truhe unter dem Fenster wurde geöffnet und zum ersten Mal seit Jahren wurde der Schatz angerührt, der darin schlummerte. Aldrĭn griff mehrmals hinein und schüttete händevoll Goldmünzen in einen Lederbeutel. Die verletzten Stellen seines Körpers hatte er notdürftig mit Leinen verbunden und neue Kleidung angelegt. Gebrochen schien glücklicherweise nichts zu sein, auch wenn seine Arme noch immer stark schmerzten an den Stellen, wo er auf den Boden geprallt war.
Er hatte kein Wort mehr mit Juliana gesprochen, seitdem sie vor einer halben Stunde zurückgekommen waren. Mit Besorgnis hatte er beobachtet, wie ihr anfänglicher Aufruhr mit einem Mal wie weggewischt gewesen war und sie scheinbar teilnahmslos angefangen hatte, die Leichname der Männer aus dem Garten in den Wald zu schleifen. Aldrĭn hatte ihr mit einem der Körper geholfen, dann hatte sie von den Toten abgelassen und war in den Garten gegangen. Als sei nichts geschehen, hatte sie begonnen, die Eier aus dem Hühnerstall zusammen zu sammeln. Er aber hatte es nicht gewagt, sie anzusprechen oder zu berühren. Viel zu sehr war er selbst von einem Wechselbad der Gefühle vereinnahmt. Doch nun, wo er das Gold abfüllte, das er benötigen würde, spürte er, wie sich sein Verstand wieder schärfte und jeder weitere Schritt sich in seinem Kopf zu einem klaren Bild zusammensetzte.
Galeon erschien in der Türzarge und blieb verschüchtert stehen. „Was tust du?“, fragte er. „Ich werde ein Pferd kaufen, auf dem Erincshof haben sie immer ein paar zu viel.“
„Aber die Knechte verlangen viel zu viel, hast du immer gesagt“, sagte der Junge.
„Das spielt jetzt keine Rolle“, gab Aldrĭn zurück und schloss die Truhe. Er befestigte den Lederbeutel an seinem Gürtel, dann nahm er die Schwertscheide, welche er auf einen Stuhl gelegt hatte, und schob den Riemen durch die Schlaufe der Scheide. Prüfend begutachtete er das Schwert. Vergeblich suchte er nach einer Scharte oder irgendeinem Zeichen der Kämpfe, die damit geführt worden waren. Er glaubte, sich zu erinnern, dass die Klinge übersäht gewesen war von feinen Schrammen und Kerben, als er sie zuletzt bei sich geführt hatte. Doch nun war der Stahl eben und glatt, als sei er gerade erst aus der Esse genommen und beschlagen worden.
Ob es sich selbst geheilt hat in der langen Zeit?, überlegte Aldrĭn. Dann steckte er die Waffe in ihr ledernes Kleid und ging in die Hocke, um sich Galeon zuzuwenden.
„Wir brauchen dieses Gold nicht mehr. Aber wir brauchen schnelle Pferde, weil wir noch heute verreisen werden.“ Während er sprach, bemerkte er, wie sehr er darum bemüht war, gefasst und besonnen zu klingen und er war sich nicht sicher, ob es mehr der Beruhigung des Jungen diente oder seiner eigenen.
„Wohin reisen wir denn?“, fragte Galeon. Er hatte den Überfall aus der Kate heraus beobachtet und Aldrĭn war heilfroh darum gewesen, dass die Männer nicht auf ihn, sondern zuerst auf Juliana gestoßen waren. Aus seinem Versteck heraus hatte er gesehen, wie seine Schwester von den Schurken verschleppt worden war. Doch keiner seiner Eltern hatte ihm mit nur einem Wort erklärt, wer diese Leute gewesen waren und weshalb sie Rovinja mitgenommen hatten. Der einfache Grund dafür war gewesen, dass Aldrĭn und Juliana es selbst nicht wussten.
„Wir werden Rovinja wiederholen. Ich kann mir vorstellen, wo sie ist“, sagte Aldrĭn bestimmt. In Wirklichkeit konnte er es natürlich nicht wissen. Seine einzige Vermutung beruhte darauf, in welche Richtung Halldor davongeritten war, denn die Straße führte gen Südosten direkt nach Albenbrück. Halldors Burg hingegen lag im Norden und er hätte sie über den Feldweg nach Westen wesentlich schneller erreicht. Die naheliegende Erklärung war also, dass der Raubritter zur Hauptstadt unterwegs war.
„Geht es ihr gut?“, fragte Galeon geradeheraus.
Aldrĭn sah, wie sich in den Augen seines Sohnes die Angst widerspiegelte. Noch nie in seinem Leben war er längere Zeit von seiner Schwester getrennt gewesen. Und noch nie hatte er dem Tod so nahe ins Gesicht geblickt.
„Es geht ihr gut“, versicherte Aldrĭn ihm, doch während er die Worte sprach, spürte er einen großen Kloß in seinem Hals. Er wandte sich zum Gehen. „Ich will, dass du bei deiner Mutter bleibst“, sagte er und fasste Galeon bei den Schultern, um dem Wunsch Nachdruck zu verleihen, „sieh nach, ob sie deine Hilfe braucht.“
Der Kleine nickte und ging zusammen mit Aldrĭn aus dem Haus. Dann machte dieser sich strammen Schrittes auf in Richtung des Gutshofes. Ausnahmsweise kam kein süffisanter Spruch vom Nachbarsgrundstück und als Aldrĭn hinüber sah, erblickte er den kleinen Elben, wie dieser kreidebleich auf seiner Veranda saß und angestrengt an der Bolmgraspfeife zog.
Aldrĭn öffnete das Gatter und ging auf Atli Puk zu.
„Egal, in was Ihr Euch da verstrickt habt, ich will kein Teil davon werden!“, stammelte dieser ängstlich, als Aldrĭn sich näherte.
Aldrĭn schaute ihn durchdringend an. „Wenn ich Euch nur einmal um einen Gefallen bitten darf, Atli Puk, so ist der Augenblick gekommen.“
Er konnte im Gesicht des Elben ablesen, wie dieser innerlich mit sich rang. Schließlich sagt er trotzig: „Was könnte ich schon für Euch tun?“
„Gebt auf mein Kind und meine Frau Acht, solange ich weg bin“, antwortete Aldrĭn, „es wird nicht lange dauern.“
Atli Puk linste hinüber auf das Grundstück und sah, wie Galeon gerade in dem kleinen Hühnerstall verschwand. Es musste ihm unmöglich erscheinen, dass er auf Juliana aufpassen sollte, die für ihn eine starke und unabhängige Frau war, auf die man nicht aufpassen musste wie auf ein kleines Mädchen.
Doch dann nickte er rasch und zog eilig wieder an seiner Pfeife. „Geht, aber kommt bald wieder!“, knurrte der Elb und Aldrĭn setzte seinen Weg fort.
***
Er verließ die Straße schon wenig später, um den kürzeren Weg über die Wiesen zu nehmen. Auf dem Erincshof empfing man ihn argwöhnisch, denn er hatte sich kaum dort blicken lassen in den vergangenen Jahren. Als er aber den Grund seines Besuches nannte, wurde er mit überschwänglicher Freundlichkeit zum Stall geführt und den edelsten Tieren des Hofes gegenübergestellt. Obwohl der Stallmeister ihm einen unverschämten Preis machte, verschwendete Aldrĭn nicht einen einzigen Moment darauf, mit ihm zu verhandeln, sondern überließ ihm den gesamten Beutel voll Gold, um die Hengste auf der Stelle mitzunehmen.
Es waren stattliche Tiere, ein Fuchs mit langer Mähne und ein schwarzer Rappe, beide schnelle, doch ebenso ausdauernde Rösser, wie der Stallmeister versicherte. Sattel und Zaumzeug bekam Aldrĭn als Dreingabe dazu, nachdem der Handel abgeschlossen war, denn er hatte ohnehin weit mehr als den veranschlagten Preis bezahlt. Während er nun auf dem Fuchs zurückritt, führte er den Rappen an einem Strick mit sich, welchen er an die Trense hatte binden lassen. Das zweite Pferd wäre spätestens dann vonnöten, wenn er Rovinja gefunden hatte. Bis dahin würde es sein Gepäck tragen.
Zuhause angekommen schwang er sich vom Pferd und versicherte sich zuallererst, dass seine Familie unversehrt war. Als er die Kate betrat, stand Juliana schon im Flur und erwartete ihn. Sie trug ein himmelblaues Kleid, welches ihr bis zu den Knöcheln reichte, sich allerdings auf Höhe der Knie teilte, sodass sie damit mühelos laufen und reiten konnte. Das Kleid besaß keine Ärmel, stattdessen trug sie ein samtenes Mieder darunter, ein edles Kleidungsstück, welches sie für die Arbeit nie angezogen hatte. Ihr Haar hatte sie hinter ihrem Kopf zu einem Zopf zusammengebunden. Und an ihrer Hüfte hing der blitzende Degen, um dessen Griff sie die linke Hand gelegte hatte.
Erstaunt betrachtete Aldrĭn seine Frau, doch noch verwunderter war er, als er zu ihren Füßen zwei lederne Taschen sah, welche bis an den Rand gefüllt zu sein schienen. Sie hatte sich für die Reise bereit gemacht. Gerade kam Galeon aus dem Nebenzimmer und legte sich einen Gürtel um. Auch er hatte seine Kleider gewechselt, trug jetzt eng anliegende Stoffhosen und eine Weste aus gestepptem Leder. Auf dem Kopf trug er einen kleinen Hut, den Ekiredis ihm von einer Fahrt aus den Südlanden mitgebracht hatte. Juliana hatte Galeon selten erlaubt, die Jacke oder den Hut zu tragen, wenn er von den anderen Dorfbewohnern hätte gesehen werden können, denn sie zeugten unmissverständlich davon, aus welchen Verhältnissen er eigentlich stammte. Doch nun ging es in die große Stadt und dort würde es von Vorteil sein, nicht wie ein einfacher Bauer daherzukommen.
Die große Stadt, sie würden geradewegs an den Ort zurückkehren, dem Aldrĭn für immer den Rücken gekehrt hatte. Und als wäre es nicht schlimm genug, noch dazu führte er seine Familie direkt dorthin. Auf einmal überkamen ihn Zweifel. Er würde Halldor auch ohne Julianas Hilfe stellen! In Albenbrück angekommen würde er Ekiredis um dessen Unterstützung bitten und sein alter Freund würde ihm zur Seite stehen. Gemeinsam hatten sie schon manch anderen Gegner zur Strecke gebracht. Und vielleicht würde ihm ja noch die eine oder andere Bekanntschaft von damals von Nutzen sein.
Doch Juliana blies all seine Überlegungen in den Wind, indem sie sagte: „Lass uns gehen!“ Die Unbeirrbarkeit, mit der sie die Worte gesprochen hatte, ließ keine Widerrede zu. „Ich habe Atli Puk aufgetragen, nach den Tieren zu schauen.“
Zielstrebig ging sie an ihm vorbei durch die Tür hinaus und trug die Taschen zu den Pferden, um sie an den Satteln zu befestigen. Galeon schaute Aldrĭn fragend an. Er warf seinem Sohn einen aufmunternden Blick zu und der Junge schien sofort ein wenig zuversichtlicher.
„Mutter sagt, dass wir nach Albenbrück reiten“, meinte Galeon sichtlich aufgeregt. Aldrĭn musterte ihn, dann musste er darüber schmunzeln, wir sehr der Knabe offenbar in Vorfreude über ihre Reise war.
„Ja, das werden wir“, bestätigte Aldrĭn, „wir reiten nach Albenbrück.“ Nachdenklich beobachtete er, wie Galeon strahlend seinen leinenen Reisesack schulterte und dann ebenfalls zu den Pferden stapfte. Solange, wie er sich auf die Stadt freute, würden die Sorgen um seine Schwester vielleicht vergessen sein.
An einem Haken hinter der Küchentür hing ein schwarzer Kapuzenumhang aus Vadmal, den Aldrĭn im vergangenen Winter aus der Wolle seiner Schafe gewalkt hatte. Der Stoff war grob und schwer, doch er schützte vor Regen und der Kälte der Nacht. Es würde zusammen mit Galyndúr das einzige Gepäck sein, das er mitnahm.
Nachdem er sich den Umhang übergeworfen hatte, öffnete er noch einmal die schwere Truhe im Schlafzimmer und nahm so lange Hände voll Goldstücke heraus, bis der Beutel an seinem Gürtel wieder bis oben hin gefüllt war. Dann schloss er die Truhe und legte eine Decke darüber. Wenn tatsächlich jemand in ihrer Abwesenheit in die Kate eindrang, dann würde es ihn wohl kaum abhalten.
Juliana saß bereits auf dem Fuchs, den sie zusammen mit dem Rappen auf die Straße geführt hatte, und Galeon hatte vor ihr auf dem ausladenden Sattel Platz genommen. Aldrĭn sah hinüber zum Nachbarsgrundstück, doch Atli Puk war verschwunden, als er Aldrĭn mit den Pferden hatte zurückkehren sehen. Nachdem er seine Pflicht getan hatte, waren ihm die Ereignisse des Tages offenbar zu viel geworden und Aldrĭn hatte vollstes Verständnis für die Scheu des Elben.
Er schloss das Gatter des Gartenzauns hinter sich und stellte fest, was für ein sonderbarer Anblick die beiden Häuser abgaben, wenn sie derart verlassen und unbelebt dastanden. Immer war irgendjemand im Garten oder hinter den Fenstern der Kate zu sehen, geschäftig seinem Tagwerk nachgehend. Und an jedem strahlenden Sonnentag, wie der heutige einer war, saß ein kleiner Elb auf seiner Veranda und ließ vergnügt die Beine baumeln. Nicht so heute.
Er schwang sich auf das schwarze Ross und schnalzte, alsbald setzte sich das Tier träge in Bewegung, als würde es ahnen, dass ein langer Weg vor ihm lag. Dann trabten die beiden Pferde los in Richtung der Berge im Osten und verschwanden bald im aufgewirbelten Staub am Horizont.