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Der Zug

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Am gemütlichsten schlängelt sich der Zug die Landschaft hinauf, zuerst lange dem Rhein entlang, dann, in Trun, schwenkt er langsam in die Wiesen und hinter ­Rabius tadác tadác in den Hang. Gewohnt, von Bahnhof zu Bahnhof anzuhalten, und gezwungen, sich an einen Fahrplan zu halten, fährt er im Rhythmus des Immergleichen, ohne den Stress des Wettbewerbes, der auf der Strasse herrscht. Er geht tadác immerfort einfach sein Tempo, zieht über Eisenbrücken, schleicht durch Galerien, verschwindet in Tunnels, fährt über elegante Viadukte, die da sind, ohne das Landschaftsbild allzu sehr zu stören, gibt dem Fahrgast die Möglichkeit anzuschauen, wo er ist und sich hinbewegt. Anders als aus dem Auto: «Was das eilige Auge aus dem Automobil gesehen hat, kann nicht behalten werden, und wie jede Spur in ihm verschwindet, so verschwindet es ohne jegliche Spur» (Adorno).

Disentis / Mustér ist Endstation zweier Eisenbahnen: der Rhätischen und der Furka-Oberalp-Bahn. In den Sech­ziger-, Siebzigerjahren war das leicht zu sehen. Die Züge der Rhätischen waren grün, die der Furka rot. Dann hat die Rhätische einen roten Zug bekommen, einen neuen und schnelleren, und alle wollten mit dem roten fahren, und irgendwann sind alle Züge rot gewesen, wie sie es jetzt sind.

Im Winter unterscheiden sich die Lokomotiven, die vom Berg herunterkommen, von den anderen, die von unten heraufkommen, dadurch, dass sie strapaziert, weiss vom Schneestieben sind, man sieht, dass diese Maschinen alles gegeben haben, um durch Sturm und Schneemassen zu kommen, und sie werden zu wohlwollenden Tieren, den Menschen sympathisch und von ihnen respektiert. Ohè, die schneeverstaubten Lokomotiven der Furka-Ober­alp sind der Beweis dafür, dass es Maschinen mit einer Seele gibt, selbstbewusste, solche, die wissen, dass sie unersetzlich sind.

Über dem Bahnhof erstreckt sich das Kloster, ebenfalls weiss wie eine winterliche Lokomotive, kurzum: wie ein fünfstöckiger Zug, bereit, talabwärts zu fahren. Aber was wollte Disentis sein klosterlos, um Gottes Willen, ohne das Kloster, diese christliche Lokomotive, diese Kulturfestung, diese Fassade mit hundert Fenstern, diesen Ort der betenden Mönche und der lernenden Studenten.

Auf der Suche nach dem verlorenen Schnee

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