Читать книгу Von geilen, aber nicht allzu aufdringlichen Vampiren, Ehemännern mit Sixpack und Schokolade, die nicht dick macht - Leon Skip - Страница 10

Lyristik - 1979

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Ja, was denken die sich eigentlich dabei?

Goethe, Schiller, Lessing, hä…? Und das einem Siebzehnjährigen? Glauben die wirklich, da kann sich noch einer einen Reim drauf machen. Noch dazu mit Pickeln im Gesicht, völlig verkorkster Biochemie und einer Orientierungslosigkeit, die zum Himmel stinkt? Doch der Lehrplan will Lyrik ins Hirn der Zöglinge pflanzen, auf Biegen und Brechen, und das können sie, das Biegen und Brechen. Zumindest meine Lehrer können das prächtig und schlafen scheinbar gut dabei. Wer fragt schon, wie´s uns geht? Und zu Fragen in diesem größeren Zusammenhang finde ich meinen Ansprechpartner nicht im Lehrerzimmer, nein, der sitzt neben mir, der H.

H, mit dem hämischsten Lachen, das die Welt je gehört hat und mit einer herzerfrischenden Autoritätsverweigerung, ist mein Spiegel, und was ich in ihm finde, dem Spiegel, verlangt nach Rache, nach Vergeltung für Mühsal und Qual im Deutsch-Unterricht und nicht nur dort. Dem gerechten Feldzug gegen die Lyrik gilt nun unsere Aufmerksamkeit. Sein Beitrag ist die Aktion, meine die Worte, von Dada wissen wir nicht viel. Doch sind nicht jene die Besten, die unverdorben von Beispiel und Gezänk der Rebellion ihr eigenes, urtümliches Unwesen anzetteln? So war es und so wird es immer sein; das ahnen wir schon und machen unsere eigenen Pläne, um die alten Knacker, in Bronze gegossen, von ihren Sockeln zu reißen.

Frau L, wenn auch gefangen im strikten Lehrplan, will nicht die Stockkonservative raushängen lassen und lässt uns Freiraum beim Zitieren der Geistesgrößen. Auch Auslegung ist gefragt und da kommen wir ins Spiel, denn Auslegung ist nicht klar umrissen, da kann man schon was wagen und nachdem die anderen ihre lyrischen Ergüsse ohne Rhythmus und Gefühl vom Stapel gelassen haben, werden wir aufgerufen.

H legt eine Kniebeuge hin, bleibt da unten, mit der Nase auf Höhe der Tischkante und hoppelt wie der leibhaftige Osterhase durch den Gang nach vorne, verbeugt sich und hoppelt wieder zurück. Das hatten wir so besprochen. Ansonsten hat er freie Hand in der künstlerischen Auslegung meiner Worte, die nun folgen:

„Der Lyristik sei Dank!“

nugliert der Eierbär;

Denn flausch´ge Zitronen

Sind nach seinem Geschmack.

Was hilft´s, mit Eidechse und Schwamm

Trübe Kemenaten zu tapezieren?

Ist´s zweierlei Gezänk,

Das Hohngelächter trinkt,

Als wär´s Honig ohne Biene?

Mit Nein muss ich´s bejahen,

Und nuglieren!

Flausch´ge Zitrone,

Dem erhabenen Eierbär entrungen,

Soll Leitstern mir sein

Im lyristischen Gewölb,

Das über mir dräut.

Klar, Siebzehnjährige haben keinen Humor und da ist es nur stimmig, dass auch Frau L keine Regung zeigt. Nur in ihren Augen blitzt kurz ein Funke von Verzweiflung auf - wie ein kosmischer Gamma Ray Burst - fast nicht wahrzunehmen in seiner Kürze, doch mit ungeheurer Energie. Wir wissen also nicht mit Sicherheit, ob unsere Auslegung angekommen ist und schon gar nicht wie, doch wir sind´s zufrieden, wenngleich wir nunmehr unsere künstlerische Unschuld am Altar des Dadaismus geopfert haben. Aber so ist das nun mal. Man äußert sich und wird einem Stereotyp zugeordnet, das war´s. Und versuch da mal wieder rauszukommen.

Doch noch wissen wir nicht, dass wir ab jetzt auf vorgezeichnetem Wege wandeln werden. Eine Woche später zeigt mir H zwei winzig kleine Papierfetzchen im Kaffeehaus und es trifft sich gut, dass ich eine volle Tüte mit Zehngroschen-Münzen dabeihabe, die ich bei der Bank einwechseln will, denn H hat kein Geld mit und erklärt mir, die Groschen würden schon reichen, um die Zeche zu begleichen und bestellt nochmal mit leerer Börse Kaffee und Kuchen, während er mir einen der Trips in den Mund steckt. Lange dauert es nicht, die Zeitwahrnehmung verschiebt sich aufs Gröbste, deshalb sei angemerkt: Das Lange dauert es nicht muss ich relativieren. Kann auch sein, dass es eben gerade LANGE gedauert hat, oder eben KURZ. Wie auch immer, die Kellnerin bemerkt ungewöhnliche Vorgänge an Tisch Nummer sieben und fragt nach, ob wir uns nicht lieber verpissen möchten. Da zieht H die Schnur aus dem Bund seiner Jogginghose, bindet sie sich um den Hals und drückt mir das freie Ende in die Hand. Er, auf allen Vieren, gibt artiges Wauwau von sich und ich bin in die Rolle des Hundehalters gezwungen, mit einer Einkaufstüte voller Groschen in der einen und einer Hundeleine in der anderen Hand. H streift - ganz Hund - an die Schenkel der anderen Gäste und die Kellnerin verlangt von mir die Begleichung der Zeche, denn Hunde müssen und können schließlich nicht zahlen. Das hat er fein eingefädelt, der H.

Ich greife in die Tüte und reiche der Frau mit transzendentaler Miene und weichen Knien einen Haufen Groschen entgegen. Sie streckt, irgendwie gegen ihren Willen, die Hand aus und denkt sich ihren Teil, da kommt schon die zweite Ladung, denn trotz meines trippigen Zustandes ahne ich, dass diese Menge Alu-Münzen nicht ausreicht und schon steht die Kellnerin groschenbeladen mit vollen Händen im Kaffeehaus und H gibt alten Damen Pfötchen. Es hat nichts mit Respektlosigkeit zu tun, dass wir in schallendes Gelächter ausbrechen, für Außenstehende ungewöhnlich, für uns das Normalste der Welt, denn der kosmische Kauz will auf seine Rechnung kommen und der kosmische Kauz steckt in uns allen, kommt aber so nur auf LSD zum Vorschein. Das wissen die alten Damen im Kaffeehaus aber nicht und manche verrenken sich den Hals nach der versteckten Kamera, doch kein gutmütiger Fernsehregisseur kommt, um sie aus der erzwungenen Komik zu befreien, und wie so oft im unwirklichen Dasein fragt man sich an Tisch fünf und sechs, warum man ausgerechnet hier und heute vom Leben geprüft wird, und am meisten die Kellnerin, der ich nun nach und nach die Taschen ihres Kittels mit Groschen fülle, dass fast die Nähte reißen.

Solcherart von künstlerischem Aktionismus ermutigt und mit völlig neuem Blick für die Welt als Bühne, treffen wir am nächsten Tag P, der meint, wir sollten in die Provinz zum Angeln. Barschaft ist fast nicht vorhanden, wir drehen also auf der Autobahn die Daumen nach oben, kommen aber nur schleppend voran, wir drei mit Sack und Pack und Angelzeug auf dem Weg Richtung Westen. Auf der dritten Etappe beginnt es zu schütten. Es wird entschieden, dass einer mit dem Zug weiterfahren soll, jedoch mit der Auflage, alles Gepäck und auch die Angeln mitzunehmen und er muss seinem Gegenüber im Waggon Lyristik zitieren, komme, was wolle. Vor dem Losen schwört jeder, dass er die Regeln einhalten wird, sollte das Los auf ihn fallen.

Wir schwören extra nochmal. Doppelt hält besser.

Ich ziehe das kurze Streichholz, denke kurz, ob das wohl ein abgekartetes Spiel ist, füge mich aber in mein Schicksal und schleppe den ganzen Kram zum nahegelegenen Bahnhof, in der Tasche eine winzige Phiole mit Hasch-Öl, eine Wegzehrung von P.

Der Zug zischt und dampft auf den Gleisen - würd ich jetzt gerne – nur wegen der Dramatik - behaupten, - nur: Es dampft nicht, ganz nüchtern und ohne Gewölk drumrum steht der Zug da. Ich rein, im Waggon links sind die Doppelreihen mit jeweils gegenüber angeordneten Sitzbänken alle besetzt, rechts die Einzelsitze, natürlich auch gegenüber angeordnet, sonst gäbe das ja keine Ordnung hier, alles besetzt außer einem, gegen die Fahrtrichtung. Ich packe den Kram auf die Gepäckablage, die aus Alustreben besteht, mit vorne einer Randleiste dran. Der Zug ruckelt und fährt auf seinem vorgeschriebenen Weg an. Auf dem Sitz gegenüber liegt eine unbeaufsichtigte Herren-Handtasche. Ich denk, man gönnt sich ja kaum was im Leben, wie wär´s mit einer Zigarette mit Hasch-Öl im Klo und schon sperre ich mich da ein, tunke eine Kippe in das dickflüssige Zeug aus der Phiole und ziehe sie mir rein.

Pech nur, dass ich mit der Dosierung nicht vertraut bin und nach zwei Zügen versagen mir die Beine ihren Dienst. Die weiteren Gedankengänge lauten: Das passiert jetzt nicht! Ich kann da jetzt nicht raus! Nicht in diesem Zustand! Doch die Not treibt mich raus, der enge Raum ist so verraucht, dass jedes weitere passive Inhalieren mich einen großen Schritt in Richtung Bewusstlosigkeit trägt. Das darf nicht sein, soviel ist klar. Ich denke, es ist nicht weit, zehn Schritte vielleicht bis zu deinem Sitz, das schaffst du, mitten in der Blüte deines Lebens. Komm, steh auf, du schaffst es.

Und der menschliche Wille, eisern in der Not, trägt mich zurück zu meinem Platz. Ich falle in den Sitz. Mir ist schlecht, doch das kenne ich und es kann mich nicht erschüttern, denn nachher wird´s dann lustig. Man muss da nur durch, die Zähne zusammenbeißen und abwarten. Kreidebleich blicke ich auf und ins Gesicht eines Priesters mit Collarkragen, dem Besitzer der Herrenhandtasche, der mir da gegenübersitzt, mit Bibel in der Hand und strengen Zügen. Muss das jetzt auch noch sein? Er sieht, dass ich nicht ansprechbar bin und schüttelt entrüstet den Kopf, da kommt schon das erste Lachen aus mir raus, Herr oder Teufel - ich kenn mich da nicht aus - vergib mir, der Zug schlingert kurz und heftig und es löst sich aus dem Haufen aus Taschen und Angeln, den ich da oben unsachgemäß verstaut habe, ein Angelhaken über uns und bleibt auf Nasenspitzenhöhe zwischen uns hängen. Die Physik der bewegten Dinge will es, dass das Ding zu schaukeln beginnt und sich mal bei meiner Nase, mal bei seiner fast verfängt und mir fällt mein Auftrag ein.

Die Zitate, ich hab´s versprochen. Der Priester ist zu blasiert, den Haken zu entfernen, der hascht immer wieder mal nach einem unserer Nasenlöcher. Ich krame in meiner Hosentasche, ziehe einen der zerknitterten Zettel raus und zitiere mit klarer, lauter Stimme an mein Gegenüber gerichtet:

Was kümmert´s?

Was spielt die Leier falschen Ton?

Ist nicht nuglieren Trost genug

dem armen Manne?

Kann Oben sich verbreitern

Zu Scham und Morgenröte?

Kann Unten helfen gar,

bei zänkischem Liebesspiel?

Planlos knurrt das Gras im Winde,

jetzt und nie und immerdar!

Ich möcht´s nicht missen,

Das knarrende Gehölz.

Von geilen, aber nicht allzu aufdringlichen Vampiren, Ehemännern mit Sixpack und Schokolade, die nicht dick macht

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