Читать книгу Von geilen, aber nicht allzu aufdringlichen Vampiren, Ehemännern mit Sixpack und Schokolade, die nicht dick macht - Leon Skip - Страница 11

Panzer für Chile - 1980

Оглавление

Immer wieder falle ich drauf rein. Warum macht denn hier keiner was, denke ich und sehe morgens im Spiegel jemanden, der, wenn´s sonst keiner tut, die Welt retten muss. Muss? Ja, das ist die Falle, in die ich tappe und anstatt meine Kreise zu ziehen und meinen Kurs in Richtung Authentizität abzustecken, sehe ich mich einer Aufgabe gegenüber, die so traurig wie unlösbar ist und mich weiter und weiter von mir selbst entfernt. Ein Verräter, wer wegsieht, denke ich und pflege täglich mein Dogma, das sich bereits zur prachtvollen Neurose entwickelt hat.

Psychotiker sind tendenziell außerstande, ihr Leiden bewusst wahrzunehmen. Neurotiker hingegen sind fähig, die Ursachen ihres Leidens zu erkennen, obwohl sie die Kontrolle schon längst verloren haben. Man fragt sich, wer besser dran ist. Wie auch immer, ich weiß sehr wohl, was für mich schiefgelaufen ist und ich muss da immer wieder durch. Das Leben kennt keine Atempause. Und es ist aufregend, sich querzustellen.

Also lege ich mal wieder meine Verkleidung an, die für Spezialeinsätze. Damit meine ich Lodenmantel, Jägerhut und falschen Schnurrbart und pilgere los, um mir den Ort des geplanten Geschehens näher anzusehen. Sollte technisch gesehen kein Problem sein, denke ich und bin zufrieden, als ich sehe, dass der Platz wie geschaffen für meine Aktion ist und so schlimm ist es auch wieder nicht. Gefängnis wird wohl nicht drin sein im schlimmsten Fall und alle anderen Scherereien kenne ich ja schon. Trotzdem, Vorsicht ist geboten. Morgen ist mein neunzehnter Geburtstag, der erste Mai, und da marschieren jedes Jahr die, die früher mal mit echter Überzeugung für die Rechte der Arbeiter eingetreten sind, einmal um den Wiener Ring. Das mit den Arbeitern und den Überzeugungen war mal und jetzt wollen sie Herrn Pinochet aus Chile hundertzwanzig Panzer verkaufen, was nicht spurlos an mir vorübergeht, wenn ich dran denke, was Pinochet unserem Freund Allende angetan hat. Also muss ein Transparent her und es muss das größte sein, das unsere Stadt je gesehen hat und ich muss es sein, der es entrollt, genau vor den Augen dieser…, dieser…, sonst habe ich keine ruhige Nacht mehr.

Bis in die Morgenstunden schnippele, säge, nähe und male ich. Das Ding ist etwa sieben Meter breit und fünf Meter hoch und zum Schluss schwerer als ich gedacht hatte. Keiner hätte je bemerkt, wie sehr ich im Leben danebenstehe, wenn er in dem Moment mein zufriedenes Gesicht gesehen hätte. Das Konterfei von Herrn Pinochet und das unseres Kanzlers sind zwar nicht gut getroffen, aber die Panzer rollen richtig 3D-mässig über die Leinwand, da kann keiner was dran aussetzen. Eindruck schinden wird das allemal, denke ich. Oben und unten zwei Stangen, Leinwand angetackert und ab geht´s im Minibus um zwei Uhr nachts - das Ding am Dach des Kleinbusses steht vorne und hinten einen Meter vor. Dort, wo sich am nächsten Tag die ehemaligen Gutmenschen zum Maiaufmarsch treffen sollen, ist eine riesige Baustelle, fünf Stockwerke hoch, im Rohbau, schlecht gesichert; wie geschaffen, um das Ding zu entrollen. Zigtausende würden das sehen können und das ist nicht die schlechteste Öffentlichkeitsarbeit, überlege ich, als ich den Krempel vom Wagen wuchte. Keiner merkt, wie ich das sperrige Ding vor der Fassade ablege. Es ist kalt. Ich sehe keine Menschenseele und das ist der Vorteil von ruhigen Städten wie dieser, wo sich des nachts kaum einer rumtreibt. Dann klettere ich im Inneren des Rohbaus in den vierten Stock, im Rucksack einen Flaschenzug und den restlichen Kram, befestige im Abstand von sieben Metern zwei Seile und werfe sie außen runter. Leiser als Fantomas haste ich nochmal runter, befestige die Seile an den Enden der schweren Rolle, klettere noch mal rauf und verbinde das Ganze mit dem Flaschenzug. Jetzt suche ich den Platz vor mir mit dem Feldstecher ab - der heikle Part der Sache steht bevor – wie ein Jäger auf seinem Hochsitz suche ich in aller Ruhe nach Bewegung da unten, aber in dieser Stadt schläft man um diese Zeit. Praktisch für die, die im Dunkeln munkeln, denke ich und dann ziehe ich das ganze Ding rauf zu mir. Man fragt, wies weitergeht - ich jedoch hatte mich das vor der Zeit gefragt und war vorbereitet. Die Enden der Rolle sind mit Glimmschnur zusammengebunden, wie sie Modellbauer für das Höhenleitwerk ihrer Segelflugzeuge verwenden, damit die irgendwann auch wieder runterkommen. Du zündest sie an und sie brennen mit zwei Zentimeter pro Minute ab, das hatte ich vorher probiert und war erstaunt, dass es genauso war. Ich hatte Enden von sechzig Zentimetern rechts und links drangeknüpft. Den Schalk im Nacken, husche ich wieder runter in meinem Spießer-Tarnanzug und der Wagen will nicht anspringen, was nicht erfreulich ist und auch nicht im Drehbuch steht. Verdammte Kacke, bitte tu mir das nicht an, bete ich. Warum werden eigentlich alle religiös, wenn´s ans Eingemachte geht, warum bitten alle irgendwen da oben um Hilfe, wenn´s beschissener nicht geht? Aber er erhört mich, der mit seinem Kleinbürger-Allinclusive-Club, der, der dem Teufel die Lizenz für die wirklich heißen Partys abgetreten hat und der Kack-Bus springt an, aber das ist in diesem Moment kein Kack-Bus mehr, denn ich liebe ihn jetzt und spreche ihm versöhnliche Worte in die Lüftungsschlitze und fahre nach Hause in meine WG.

Ich rolle einmal nach links, einmal nach rechts, dann wieder auf den Bauch und das Ganze von vorne. An Schlaf ist nicht zu denken. Hat etwa Napoleon geschlafen vor seinem Ding in Austerlitz? Wahrscheinlich doch etwas und auch mein Adjutant, der Wecker, ruft mich drei Stunden später pünktlich zur Schlacht, sodass ich zur rechten Stunde im Jäger-Outfit vor Ort bin. Nur der Schnurrbart will nicht mehr halten, trotz gutem, teurem Kleber aus dem Scherzartikelgeschäft. Adrenalin und Kleber für falsche Bärte vertragen sich wahrscheinlich nicht, das muss ich mir fürs nächste Mal merken, denke ich und ich dränge mich durch die riesige Masse derer, die mal vor längerer Zeit solidarisch und international agiert und dann doch irgendwann vergessen hatten, worum es geht im globalen Zusammenhang. Durchgeschlichen durch den Polizeikordon und rauf auf meinen Hochsitz ist die Devise und mir fällt ein: Jetzt könntest du doch endlich mal deine große Rede halten von dort oben. Publikum hast du ausreichend, aber das muss warten bis zum nächsten Mal. Heute wirst du nicht die Masse mit Fackeln zum Parlament führen, um die Säcke zu verjagen. Ich zünde die Lunten an.

Kurzer Blick auf die Uhr. Ich haste das Baugerüst runter, zerreiße mir fast den Lodenmantel, als ich an einem Nagel hängenbleibe und unten angelangt, packe ich Mantel und Hut in den Rucksack und bestätige das Klischee des Verbrechers, der sich nicht vom Tatort loseisen kann. Schließlich will man ja was von seiner Tat mitkriegen. Da rackert man sich ja auch richtiggehend dafür ab. Ein Blick auf die Uhr und ich sehe mit jungen, unverbrauchten Augen zwei kleine unscheinbare Rauchwölkchen da oben aufsteigen.

Der Platz ist brechend voll. Ich stehe in der Mitte und bemühe mich, nicht zu sehr da rauf zu glotzen – schließlich kennt man ja das Verhalten der Menschen: Schaut einer rauf, dann schauen gleich mal zwei rauf und so weiter und so weiter, ich werfe lieber noch einen Blick auf die Uhr, neunundzwanzig Minuten. Dann sehe ich doch wieder rauf und es ruckt die rechte Seite der Transparentrolle runter, das ganze Ding hängt schief da oben. Neinneinneinneinnein, bitte nicht, ruf ich und die Umstehenden werfen mir mitfühlende Blicke zu, als sich dann doch die zweite Seite löst und das Ding runterrauscht wie das Oberbrahmsegel des fliegenden Holländers.

Mission accomplished, denke ich, und alle, ich meine, wirklich alle, glotzen da rauf und sehen die Panzer und die nicht allzu realistisch gemalten Gesichter der Verräter, die die Welt zu ihrem Eigennutz verscherbeln. Ich reiße die Arme hoch in der Hoffnung, dass alle nun in gemeinsamem Protest die Aktion gutheißen und stehe alleine da in meinem Jubel. Vereinzelt applaudieren kleine Grüppchen von Jungen, die noch Eier haben, das war´s. Wieder mal stecke ich in der Rolle des Undankbaren und damit unbeliebten Gastes fest, der an der Party des Lebens ständig rummäkeln muss und dafür wahrlich keine Lorbeeren erntet. Keine drei Minuten ist das Ding da oben, die Spezialeinheit erklimmt wieselflink das Gebäude und rollt den Stein des Anstoßes ein. Ich denk noch, gut, dass ich so schlau war, Handschuhe anzuziehen, als ich zu Werke gegangen bin, sonst würden die mich wieder mal einkassieren. Ich fühl mich nicht wie Fisch und nicht wie Fleisch und das war´s.

Von geilen, aber nicht allzu aufdringlichen Vampiren, Ehemännern mit Sixpack und Schokolade, die nicht dick macht

Подняться наверх