Читать книгу Von geilen, aber nicht allzu aufdringlichen Vampiren, Ehemännern mit Sixpack und Schokolade, die nicht dick macht - Leon Skip - Страница 12
Netzstrumpfhosen - 2012
ОглавлениеDann und wann frage ich mich, wie es wäre, wenn alle Ungerechtigkeit, aller Schmutz und alle Not getilgt wären von unserem Erdenrund, alle rundum zufrieden, nein, glücklich wären in Herrn Lamas Sinne und keiner was zu beklagen hätte. Würde ich dann Ruhe finden? Erfüllte mich dann der tägliche Strandlauf, ein wenig Meditation und liebe Worte mit lieben Freunden zur Gänze? Diese Frage stelle ich mir selbst, und da kann mir keiner dabei helfen.
Nein, ich denke, mit der Ruhe wär´s nicht weit her, trotzig würde ich die Missstände im Rest unseres Sonnen-systems und unserer Galaxie anprangern. Mir fiele stets etwas ein, was nicht passt. Da wären etwa die viel zu engen Umlaufbahnen der Planeten, und warum elliptisch und nicht rund, muss denn das so sein? Ist das nicht geometrisch unklug und wer hat sich das überhaupt einfallen lassen? Die arme Venus, so nahe der Sonne, verbrennt doch beinahe, der müsste doch mal geholfen werden und dann erst die weiter entfernten Planeten! In Eiseskälte müssen die ihre Bahnen ziehen, das ist doch nicht gerecht. Da sollte doch Abhilfe geschaffen werden. Aber man muss gar nicht so weit in die Ferne schweifen, wie sieht´s denn in unseren Körpern aus? Tritt denn keiner für die Rechte der armen Viren und Bakterien ein, die schonungslos von weißen Blutkörperchen und anderen kampfeslustigen Gesellen in unserem Organismus gemetzelt werden, sobald sie sich als körperfremd erweisen. Auch hier ist doch Rat und Abhilfe gefragt.
»Mensch, das hört doch nie auf, finde dich doch mal ab mit den Dingen«, hör ich und klar, das nervt ja echt, so einer, der nie Ruhe gibt und selbst dann noch Verbesserungs-vorschläge auf den Tisch knallt, wenn doch ohnehin schon alle rundum zufrieden sind. Aber hört denn der Tischler auf zu tischlern, der Betonierer auf zu betonieren, obwohl schon viel zu viele Tische und Hochhäuser überall rumstehen? Hörten wir denn etwa auf, als das rechte Maß erreicht war? Das bin doch nicht nur ich, der immer noch was draufkippt auf das Ganze, obwohl unsere inneren Gefäße längst voll sind, wie der brave Mönch mit buddhistischem Hintergrund so bildlich erklärt.
»Jetzt lass doch mal Fünfe grade sein!«, muss ich hören und ziehe die Handbremse, das liegt mir aber nicht und ich muss schon wieder damit anfangen. Ja, jagen wir etwa der Harmonie hinterher? Herrje, nein! Man braucht doch Spannung und Widerspruch alle naslang, das ist doch unser Lebenselixier im dualistischen Gefüge.
Wäre der weiße Hai nicht pures Kassengift, hälfe er - durch und durch Vegetarier - auf der Leinwand eineinhalb Stunden lang armen Schiffbrüchigen, das rettende Eiland zu erreichen, selbstlos und lieb und ohne Trinkgeld dafür anzunehmen? Und Odyssee 2001 hätte doch ganz sicher gefloppt, ließe uns nicht angstgeschwängerte Atmosphäre im Streifen erahnen, das HAL, der böse Bordcomputer, auf unversöhnlichste Art und Weise drauf und dran ist, nach und nach unschuldige Raumfahrer zu dezimieren? Liefen die Produzenten von Titanic heute mit vergoldeten Nasen rum, wenn Held und Heldin des Streifens sich in liebesgetränktem Egoismus das erste Rettungsboot geschnappt hätten, achtlos verängstigte, mutterlose Kinder und alte Menschen mit Gehstörungen zur Seite drängend? Hätte man da gerne gesehen, dass die zwei zum Schluss erleichtert aus dem Pulk Ertrinkender davon rudern, um ihre eigene Haut zu retten, ohne andere ins Boot zu holen? Nein, hört man, der Held muss sterben in diesem Fall, sonst hätte man doch die Hersteller dieses Machwerks zum Teufel gejagt und niemals hätte sich Frau D mit dem Honorar für ihren Titelsong das so dringend benötigte Domizil in Beverly Hills kaufen können. Wir sind doch Hiobsbotschaften gewöhnt, um unser einfaches Dasein erträglicher zu gestalten. Jetzt komme man mir nicht damit, ICH hätte das alles erfunden!
So verpasst man, das Klischee Wie-es-zu-sein-hat am Banner tragend, die wirklich guten Sachen und weint im Kino, obwohl es doch was zu lachen gäbe, zeigten die Macher etwas mehr Initiative in ihrem Schaffen. Wäre es nicht neu und gewagt, wenn der teure Superstar schon nach drei Minuten auf unrühmliche Art und Weise sterben muss und sich im weiteren Verlauf des Films ergibt, dass er ohnehin nur ein sadistischer, misanthropischer Fetischist gewesen ist, dem keiner eine Träne nachweint? Ich fände das schön und es würde gleich drei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Zuerst mal wär´s was anderes und würde uns helfen, veraltete Werte und Konditionierungen über Bord zu werfen, dann wäre da noch die humoristische Komponente und wir wollen nicht vergessen, dass die Produzenten auch viel weniger Kosten hätten dabei, denn rechnen wir doch mal nach: Herr Brad P kostet für neunzig Minuten Film fünf Millionen Dollar, na, man sieht schon, worauf ich hinaus will. Drei Minuten Mitwirkung von Herrn P hingegen kosteten dann lediglich einhundertsechsundsechzigtausendsechshundertsechsundsechzig Bucks, da fiele doch eine schöne Summe ab, die man notleidenden Studenten in Harvard zukommen lassen könnte. Da muss man doch nur ein ganz klein wenig umdenken, dann versteht man das, und sagt sich: Aja, da hat er nun wirklich recht mit seinem ständigen Mäkeln, jetzt versteh ich, dass die Welt mehr Mäkeln braucht. Wie konnte ich nur so halsstarrig sein?
Na bitte, jetzt sind wir auf dem richtigen Weg. Man versteht meinen inneren Antrieb und ich kann noch eine Geschichte erzählen, um das Ganze zu vertiefen.
K, ein wackerer Mensch und einer der wenigen ehrlichen Männer, die mir je über den Weg gelaufen sind, musste eine schwere Krise mit seiner Frau durchleben, nur wegen einer Lappalie. Man nehme es mir nicht übel, wenn ich in diesem Zusammenhang diese verkleinernde, abschwächende Bezeichnung wie Lappalie für diese ganz bestimmte Angelegenheit verwende. Wunder genug, dass er es mir frei von der Seele mit ein paar Details erzählt hat. Das kam wohl vom inneren Leidensdruck, der ihn fast platzen ließ. Er musste das einfach loswerden. Zugegeben, ich schmücke das Ganze ein wenig aus und stelle mir auch manches vor, was er mir nicht erzählt hat, aber im Großen und Ganzen passiert so was doch ständig in der industrialisierten Welt.
K sitzt also vor seinem Mac und tut sich gütlich an der einen oder anderen Pornoseite. Nichts Verbotenes natürlich, sagen wir mal, es geht um Netzstrumpfhosen und, lasst mich mal was erfinden, um Stars des schlüpfrigen Genres mit lateinamerikanischem Migrationshintergrund und falschen Brüsten. K´s Angetraute an ihrem Arbeitsplatz, Frau M, ist mit der Welt zufrieden, jedoch nicht mit ihrem Mann, der will immer so komische Sachen im Bett, aber da denkt sie grad nicht dran. K muss heute nicht zur Arbeit und frönt seinem Plaisir. Sein Handy liegt am Tisch, daneben streamt der Mac Erotikinhalte, ein Glas Wein und ein Dildo sind auch mit im Spiel, alles ganz normal wie in vielen Haushalten. Und wie es das Schicksal so will, fällt der Dildo um, gradewegs aufs Handy und es wird M angewählt, ganz ohne das Wissen von K. Sie hebt ab und bevor sie fragen kann, was K von ihr will, (immerhin ist sie beschäftigt und da muss es schon was Dringendes sein; so ist es schließlich vereinbart, denn die Arbeit geht vor), hört sie:
Aaah, du geile Drecksau… ich besorg´s dir… aahh…
M, sonst recht schlagfertig, fehlen die rechten Worte. Was soll das wieder, denkt sie.
Jajaja, wix mich, ich spritz dir auf deine verfickte Strumpfhose…
M trägt heute keine Strümpfe, sondern Hose, also fühlt sie sich nicht recht angesprochen.
Oaah, nimm meinen geilen Schwanz in den Mund… oaah… ich drück ihn dir zwischen deine Silikontitten… das is so geil… oaah… ich geb´s dir…
M könnte die ganze Sache hier und jetzt beenden, doch Frauen wollen Näheres wissen über die Umtriebe ihrer Männer. Sie presst ihr Telefon fest ans Ohr, damit die Kollegin nichts hört.
Ja, ja, steck mir den Finger in den Po, du kannst das so gut… OOOaaahhh… ich liebe Silikon … dreckige geile Sau, mach´s mir mit deiner Netzstrumpfhose… ich komm gleich, du Latinoluder, schau dir meinen Schwanz an, ja, sieh ihn dir an…
K greift zum Weinglas, sein Blick streift das Handy und da steht: Verbunden mit MAUSI. Ätzendes, heißes Adrenalin füllt seine Blutgefäße, sein stolzes Glied wird in Sekundenbruchteilen zum kleinen Mann, da sein Gehirn alle Ressourcen, also auch das Blut, für den Flucht-Modus benötigt, während er in blankem Entsetzen auf die Auflegen-Taste hämmert. Schon rinnt der Schweiß in Strömen über seine Schläfen, just im Moment spult sich sein ganzes Leben vor ihm ab und auch das Ende desselben. Er sagt mit zittriger Stimme:
»Ohmeingottohmeingottohmeingott!«
»Ohmeingott, was hab ich getan?«
Die Hand will ihm nicht gehorchen, als er den Browser schließt und unrühmlich Abschied nimmt von der bestrumpften Latinoschönheit. Krasses Unwirklichkeitsgefühl stellt sich ein, und jetzt ist nicht die Libido gefragt, sondern Rechtfertigung und die Frage: Wie, wie erklär ich´s ihr, verdammt? Die Option des Suizids ist schnell vom Tisch, das ja doch wirklich nicht, aber was?
»Sie killt mich, ja, sie killt mich«, quetscht er mit bleichen Lippen und Tunnelblick hervor. Er springt auf und setzt sich wieder, die Knie gehorchen ihrem Herrn nicht, noch nicht. Dildo, Mac und Weinglas, die verräterischen Komplizen, blicken ihm hämisch entgegen: Wir können da nichts dafür, uns kannst du jetzt nicht die Schuld geben. Er greift sie sich, springt wieder auf und schafft sie weg, der Ohnmacht nahe, das Haupt gesenkt vom pulsierenden Kopfschmerz.
»Shit, Shit, Shit!« An die ungerechten Götter da oben ist seine Klage gerichtet und an die Drecks-Engel. Wo sind sie denn jetzt, die Gabriels, Michaels, Raphaels und Uriels, wo sind sie, wenn man sie wirklich mal braucht, hä?
Man will natürlich unverzüglich wissen, wies weitergeht, aber jetzt drück ich mal mitten im Geschehen die Stopp-Taste und frage die weiblichen Leser: Was würden sie tun? Was M tat, ist gesichert, aber ich möchte ihnen doch die Möglichkeit geben, sich unbeeinflusst selbst zu überlegen, was zu tun wäre, wenn ihnen das mal passiert. Scheidung? Liebesentzug? Oder würden sie ihrem K das Modem wegnehmen? Wäre das denn die Lösung? Na?
War denn K als zweifacher Vater und liebenswerter Gatte nicht stets ein fürsorglicher Geselle? War er nicht letztens mit Phasenprüfer und Blockklemme zur Stelle, als die Stehlampe im Wohnzimmer den Dienst versagte. Murrte er etwa an all den Tagen, als M ihm den Sex verwehrte?
Drum spreche ich von einer Lappalie, und wie leicht wäre K geholfen, riefe sie jetzt an und spräche sanfte, lustige Worte von wegen: Na, da werd ich mir mal Netzstrümpfe kaufen müssen, damit ich auch was davon hab nächstes Mal. Aber nein, böse Rache schwört sie für K´s Verfehlung, in ihren Augen Betrug der schlimmsten Sorte. Aber hat denn K so weit gefehlt, ist es so schlimm um beide bestellt, als dass ein herzhaftes Lachen nicht hilfreich wäre für weiteres Gedeihen von Zweisamkeit und Lebensfreude? Und schlimmer noch: Sie erzählt es der Kollegin, der besten Freundin des Hauses und zu Scham und Schande kommt für K jetzt auch noch die Häme dazu. Da haben wir die Bescherung.
Die Moral von der Geschicht: Man sei doch froh, wenn man auf solcherlei Art mehr erfährt über den Lebenspartner und über Dinge, die freiwillig nie rausgekommen wären. So ist man doch viel besser informiert! Man sehe doch auch mal im schlimmsten Dilemma die positiven Aspekte, es gibt doch im Leben ohnehin nur zwei, drei Dinge, über die man nicht lachen könnte!