Читать книгу Von geilen, aber nicht allzu aufdringlichen Vampiren, Ehemännern mit Sixpack und Schokolade, die nicht dick macht - Leon Skip - Страница 13
Scheinbesetzungen - 1981
ОглавлениеManch einer lässt sich was Originelles an seinem zwanzigsten Geburtstag einfallen und da will ich auch gar nicht hintanstehen. Die Tradition muss schließlich gewahrt bleiben, auch wenn die Welt den Bach runtergeht und sich keiner um das Morgen und schon gar nicht um das Übermorgen einen Dreck schert. Da brat mir doch wer einen Storch, wenn mir nichts dazu einfiele, denke ich, und zettele mit einer Gruppe Eingeschworener was an, denn diesmal geht´s nicht allein und schließlich will man ja auch dann und wann die schönen Stunden des Protests, vollgepumpt mit Adrenalin, mit anderen teilen. Da ist rasch ein Thema gefunden, wenn´s um die Rettung der Welt geht und man seine grauen Zellen etwas bemüht. Dass die Aktion wieder mal auf meinen Geburtstag fällt, ergibt sich dann doch ganz ohne mein Zutun. Keinesfalls verspüre ich nämlich einen inneren Drang, jedes Mal am Jahrestag meiner persönlichen irdischen Inbetriebnahme Gummigeschosse oder Tränengas zu schmecken, aber man kommt eben nicht daran vorbei, an dem, was zu tun ist, wenn man einen Auftrag hat und einen Auftrag haben wir. Die Erkenntnis, dass die Welt Hilfe und Gerechtigkeit braucht, haben wir uns schließlich nicht aus den Fingern gesogen und so ist die Sache schnell beschlossen.
Der Wohnungsnot wird diesmal der Kampf angesagt. Zu viele Wohnungen stehen leer, Objekte der Spekulation, wie wir uns gegenseitig versichern. Nicht faul, spähen wir eine Woche lang die Gassen des Bezirkes aus, wo unsere Aktion stattfinden würde. Die leeren Häuser waren leicht auszumachen mit ihren dreckigen Fenstern und vernachlässigten Fassaden. Die Liste dieser Objekte ist lang und wir haben die Qual der Wahl. Am Ende entscheiden wir uns für vier Häuser, jeweils im Abstand von wenigen Gassen und packen unsere Siebensachen, die Sachen eben, die Hausbesetzer so brauchen um den Volkswillen zu stärken und den Häschern zu trotzen. Es ist Mittag, die Taschen gepackt und mit dem Wahlspruch auf zu neuen Ufern zieht unsere Kolonne von schlaksigen Weltenrettern mit bunten Haaren und zu oft gewaschenen Hosen los ins Kampfgebiet. Das schwere, zweiflügelige Holztor des ersten Hauses ist rasch geknackt - An die Jungen: Ja, damals gab´s noch Türen aus echtem Holz, nicht so Dreckszeug aus Holzimitat - wir sausen wie abgesprochen die Stiegen rauf, jeder seinen Auftrag im Kopf und wenige Minuten später sind die Fenster im zweiten Stock geöffnet, das Transparent rausgehängt, der Kassettenrekorder mit zu Solidarität animierender Musik am Fensterbrett läuft auf Lautstärke zehn und schon sind wir wieder unten, kleben die Türflügel mit schnell härtendem Epoxykleber zu und werfen einen Blick auf unser Werk. Das Transparent verkündet, dieses Haus ist besetzt, mit ein paar Seitenhieben auf die nachlässige Stadtverwaltung, die sich dieses ernsten Problems der Wohnungsnot aus zwielichtigen Gründen partout nicht annehmen will, die laute Musik mit denkbar schlechter Soundqualität brüllt hernieder und lockt bereits die ersten Passanten an.
Nun weiter. Keine Zeit bleibt mehr, um die Ansammlung des Volkes abzuwarten und die Lorbeeren zu ernten, die den Gerechten zustehen - aufs Haupt gesetzt von den zu gerechtem Zorn aufgewiegelten Massen - und schon laufen wir einige Gassen weiter. Wieder ein Tor geknackt, Musik und Botschaft als Markenzeichen angebracht und Eingang verklebt. Das geht jetzt schon viel schneller, man kriegt da ja auch eine gewisse Routine beim zweiten und dritten Mal. Übung macht den Meister und wie Meister fühlen wir uns heute, keine Frage. Die Windmühlgasse peilen wir jetzt an. Hier sollte unser Bollwerk gegen die finsteren Mächte für diesen Tag sein und hier bleiben wir auch, natürlich mit Musik und Transparent, die Türe von innen mit schweren Ketten versperrt. Die sollen ja schließlich ein bisschen was zu tun haben, wollen sie uns da rauskriegen.
Dieses Haus, dem Abbruch geweiht, erstaunt mich doch etwas. Ich hätte nicht gedacht, dass es noch solche Perlen in meiner Stadt gibt. Ich denke an Romeo und Julia und an die Capulets, wie ich da so im Innenhof stehe und den schmiedeeisernen Brunnen und Umgang betrachte. Verwahrlost und dem Abriss geweiht und doch das Schönste aller Häuser, die ich je in meiner Stadt betreten habe. Alte Fliesen mit umwerfend stilvollem Muster bedecken den Hof, aus den Ritzen wächst da und dort Unkraut, überall schmiedeeiserne Meisterarbeit - am Brunnen, an den Stiegen und den Umgängen. Wilder Wein rankt sich, seit langer Zeit frei und unbeschnitten, die Wände hinauf. Die Dachvorsprünge aus geschnitztem Holz, Nischen aus Kalkstein in den Wänden mit Figuren, der Antike nachempfunden. Was für eine Schande, so was nicht zu erhalten, denke ich und nun ist mir endgültig klar, dass mein Werk einer guten Sache dient. Hier darf kein Bulldozer rein. Nur über meine Leiche.
Sirenen hören wir zuhauf, auch wenn wir das Geschehen vor den anderen Häusern nicht mitverfolgen können. Erst später berichten uns Späher, was vorgefallen ist. Die Polizei rückt beim ersten Haus an und megaphonverstärkt wird zum Verlassen der Immobilie aufgefordert. Zu dumm nur, dass keiner reagiert. Sonst sind Hausbesetzer ja auch nicht so publikumsscheu. Die zeigen sich normalerweise gerne, um den Häschern auch schon mal den Stinkefinger zu zeigen.
Wunderlich, dass keiner ans Fenster tritt. Die Amtsträger machen sich etwas lächerlich vor den Kiebitzen, die in Grüppchen und sicherem Abstand versammelt der Dinge harren. Was die Passanten mitverfolgen können, erhöht nicht das Ansehen der Polizei, die demoliert nämlich mit Unterstützung der Feuerwehr das Tor, ein aggressiver Akt mit symbolischer Bedeutung, denn kaputtmachen, das können sie ja, die Schergen. Und dann nur ratlose Gesichter, weil keiner da ist, den man verhaften kann. Auch dies nicht dazu geeignet, den Uniformierten zum Segen zu gereichen. Die kühne Botschaft wird achtlos entfernt, die Musik verstummt und schon kommt der Funkspruch: Es gilt, zum nächsten Haus zu eilen, denn auch da wird besetzt. Das verwaiste Haus mit kaputtem Tor wird zum Sinnbild sinnlosen Wütens der Staatsmacht, gebraucht wird das Einsatzkommando nun woanders. Doch auch hier blamiert man sich und findet es nicht mehr lustig, beim dritten Haus das Gleiche und dann rückt die Streitmacht vorm Domizil der Capulets an, gereizt wie ein Knäuel Kobras.
Megaphone kennen wir schon, die können uns nicht erschrecken, trotzdem geht es laut zu an diesem Freitag. Die gepanzerten Fahrzeuge stehen sich bald gegenseitig im Weg in der engen Gasse und das Sondereinsatzkommando in schwarzer Montur hat doch, wenngleich unbewusst, Wirkung. Ich denke, die lassen dich heute nicht ohne Tritte abziehen und den Schlaf des Gerechten im eigenen Heim schlafen wirst du gewiss auch nicht an diesem Tag. So wird das nicht ausgehen, nicht heute. Und das ist doch nicht gerecht, dass immer die Mutigen jung sterben müssen, aber schon macht der Wein die Runde und wir haben ja doch auch was zu lachen, denn lachen tut doch der Letzte am besten - das ist Weisheit aus dem Volksmund, nicht von mir, und den Volksmund wollen wir ja gerade zu freier Rede ermutigen.
Mein Pech, dass mich alle Offiziellen der Stadt kennen und ganz besonders der Einsatzleiter S, der unpassender Weise mit mir den Namen teilt, er weiß, dass ich da drin bin und denkt, dass ich wegen der Namensgleichheit sein Ansprechpartner bin. Das Megaphon am Mund, bellt er seine Aufforderung:
»Gehn´s, Herr S, kommen´s doch ans Fenster. Wir können das doch alles in Ruhe besprechen«, und das ist doch peinlich, die amikable Anrede. Anlass für mich, ans Fenster zu treten und lautstark zu verkünden, dass es hier keinen Anführer gibt und auch keinen Ansprechpartner, sind wir doch schließlich gleichberechtigte Genossen hier drin und wer möchte da für alle anderen sprechen? Das sag ich ihm und noch mehr und schnell wird allen klar, dass hier und heute keine Verhandlungen stattfinden werden, genauso wenig wie die Revolution und andere Ereignisse von historischer Wichtigkeit. Da bleibt nur, die Gesetzeshüter mit Hohn und Spott zu überschütten, alles andere wäre doch Hausbesetzern auch nicht würdig.
Er tut es nochmal, tritt näher ans Fenster und versucht mich, diesmal ohne Megaphon, freundlich umzustimmen. Ich merke schon, dass das den anderen gegen den Strich geht und ich wünsche mir nur, dass er mich endlich aus dem Spiel lässt. Vielleicht ist er gar kein schlechter Kerl, denke ich trotzdem.
Hat nicht jeder im Kern was Gutes? Würde nicht jeder wünschen, dass die Menschheit weiter existieren dürfte, wäre da nicht das klitzekleine Problem, dass die Erde im Arsch ist? Ich ziehe mich zurück und setze mich in den Innenhof. Ich liebe alte Häuser und auch den Verfall; er hat etwas Konstruktives für mich. Das kann keiner verstehen, der nicht so wie ich empfindet, dass die Welt auf dem Kopf steht. Und in diesem Moment möchte ich mich auch nicht verständlich machen. Es genügt mir, der letzte Augenzeuge solch einer Architektur zu sein – ganz ohne Silikon und Vollwärmeschutz. Hier drin haben Generationen ihr Ding durchgezogen. Hier haben noch Menschen gewohnt, die nichts vom nahen Ende wussten.
Nun gilt es für die Belagerer, die Straße freizumachen für das Rammfahrzeug. Das dauert ganz schön und verschafft uns noch eine Atempause vor der unrühmlichen Begegnung mit den Schlagstöcken. Gegenseitig versichern wir uns noch einmal die Sinnhaftigkeit unseres Wirkens mit Zuprosten und Schulterklopfen, tauschen Telefonnummern von Anwälten aus, die sich der gerechten Sache verschrieben haben und uns schon rausholen würden. Zumindest würde man uns nicht vergessen, soviel ist sicher und da kracht das Tor auch schon aus den Angeln. Lange hing es in diesen Scharnieren, die nicht im Baumarkt gekauft, sondern von Meisterhand gefertigt worden waren. Lange schützte es dieses Relikt aus früheren Tagen vor ungebetenen Gästen, zu einer Zeit, als Architekten noch nicht völlig verblödet waren. Stillose Trendsetter wie Loos und Corbusier! Ich wünsche ihnen nur, dass sie im stinklangweiligen postmodernen Himmel schmoren für alle Zeiten.
Wenn man von einer Meute bewaffneter Beamter aus einem Haus gedroschen wird, ereignet sich ein sonderbares Phänomen: Die Zeit steht still oder sie vergeht viel schneller, das weiß man eben nicht so genau. Das ist das Besondere daran. Trotzdem vergeht sie irgendwie, die Zeit, und früher oder später hat man´s hinter sich, das kenne ich schon und wenn man den Kopf unten hält, treffen die nicht deine Schläfen, das ist das Wichtigste. Ich sage Goodbye zu Romeo und Julia und allen schönen Dingen, die es im analogen Zeitalter noch gegeben hat und ducke mich unter den ersten Schlägen weg, aber die sind nicht blöd und nehmen sich jeden einzeln vor, schließlich müssen sie sich abreagieren und wer will denn schon, dass sie abends ihre Frauen schlagen müssen, nur weil sie bei uns nicht zum Zug gekommen sind? Ich lasse mich fallen. Nicht aus Feigheit, nein, das ist einfach Instinkt wie bei den Käfern, die sich totstellen, aber das macht es nicht besser, denn Tritte in die Nieren verbessern in dieser Situation deine Lage nicht wirklich. Also wieder hoch und Sterne sehen und hämisches Grinsen, wutverzerrte Fratzen, Sterne sehen, Sterne sehen und Blut schmecken.
Als Draufgabe gibt es die Spezialität des Hauses, und damit meine ich, zwanzig Personen in einem Arrestantenwagen, der für zehn Bösewichter ausgelegt ist. Wir quetschen uns auf den Bänken und am Boden da rein, die Tür fällt knallend zu und es ist zu eng, viel zu eng - nicht geeignet, das Herz klaustrophobischer Zeitgenossen höher schlagen zu lassen und ich denke mir: Gleichmäßig atmen, das ist bald vorbei, doch irgendwie ist zum Atmen nicht genug Sauerstoff hier drin. Ich denke, mit den wenigen kleinen Schlitzen in der Seitenwand würde der Dreckswagen Monate brauchen, um zu versinken, wenn man ihn ins Wasser schmisse. Ich denke an Geronimo und Sitting Bull und Crazy Horse und White Cloud und daran, was die durchmachen mussten und das war doch keine Kleinigkeit verglichen mit meinem Los. Verweichlicht wie ich bin, fürchte ich mich vor dem Spießrutenlauf in der Polizeikaserne, den die Herren mit uns abziehen werden, dabei werde ich aber weiterleben im Unterschied zu den wahren Helden, die vor lachendem Publikum geschändet wurden bis zum Tod.
Doch den Schalk, den kann man nicht ausrotten, denn der muss ja später mal dem Nichts den Arscgtritt verpassen, damit der nächste Urknall und somit das ganze Spiel aufs Neue beginnen kann. Der Schalk lebt ewig und folglich auch heute. Mit rasender Geschwindigkeit und Folgetonhorn geht es über den Wiener Gürtel, von den Wänden rinnt der Atem von zwanzig Gerechten - verwandelt in Kondensat - und alle sehen wir mit Sehnsucht dem Aussteigen entgegen. Lasst uns doch endlich da raus, um uns zu verprügeln! Und da bleiben wir bei einer Kreuzung stehen und irgendwer kommt drauf, dass ich Geburtstag habe und noch dazu meinen Zwanziger. Ich hole gerade Luft bei einem der kleinen Schlitze und sehe mit einem Auge raus auf die Passanten, die den Zebrastreifen überqueren und was können die denn schon sonst, als durchs Leben zu schlurfen? Da erschallt ein markiges HAPPY BIRTHDAY TO YOU aus neunzehn Kehlen - ein trotziges, heroisches HAPPY BIRTHDAY TO YOU und ich sehe durch die schmalen Schlitze im Blech des Wagens den absolut und unwiederbringlich verwirrten Gesichtsausdruck dieser Menschen da draußen, die so was noch nie aus einem Gefangenentransporter gehört haben und dieses Bild bleibt mir, auch wenn sonst nichts bleibt.