Читать книгу Von geilen, aber nicht allzu aufdringlichen Vampiren, Ehemännern mit Sixpack und Schokolade, die nicht dick macht - Leon Skip - Страница 14
Artgerechte Haltung - 2012
Оглавление»Aaahh, du schreibst! Was schreibst´n so…?«
M scheint ehrlich interessiert, gleichwohl möchte ich nicht darüber sprechen, noch dazu, weil das Buch nicht abgeschlossen ist, ganz zu schweigen davon, dass ich keine Ahnung habe, wer das Machwerk dann verlegen wird, aber soll man denn stumm bleiben wie ein Fisch, wenn freundlich und scheinbar wissbegierig nach den näheren Umständen der sinnreichen Betätigung des Worteschmieds gefragt wird? Nein, das will man nicht. Das wäre nicht fair gegenüber der Welt, die sich doch unbewusst nach neuer und neuester Lektüre sehnt. Und schließlich will man ja auch nicht, dass der am Ende noch denkt, man schreibt das Horoskop für die UBahn-Zeitung, mit der sich die Werktätigen während der Fahrt zur Arbeit ihre Meinung bilden. Solche schrecklichen Missverständnisse können sich schon mal ergeben, wenn man nicht rausrückt mit den Details seines Schaffens. Also rücke ich damit raus, gegen jede Intuition und besseres Wissen.
»Äh ja, ich bin da grad dran an meiner Autobiographie und die…«
»HE LEUTE, KANN MIR MAL WER HELFEN?«, brüllt hinter mir S, und M´s Wissbegierde schlägt in männliche Hilfsbereitschaft um, schließlich sind wir beim Grillen in großer Runde, F hat eingeladen, damit wir seinen Garten bestaunen können und da muss schon mal mit angepackt werden. Wo käme man da hin, wenn sich alle um die Arbeit drückten, denn die gibt´s ja auch, wenn man nicht in der Arbeit ist und man muss dann auch nicht nachdenken über die Ungerechtigkeit der Welt, wenn reine Manneskraft gefragt ist.
»Wart mal kurz, ja. Ich helfe nur mal S mit dem Tisch dahinten.«
Er schenkt mir ein verschwörerisches Lächeln, als er aufspringt. Ganz so, als wären wir gerade dabei gewesen, die Revolution anzuzetteln und weg ist er. Da beugt sich seine Freundin T zu mir rüber und flüstert:
»Autobiographie? Aber du bist doch erst fünfzig!«
Das verwirrt mich dann doch etwas und es ist nicht weit her mit meiner Reaktionszeit. Ich frage mich: Wie alt muss man denn sein für seine Autobiographie, du blöde Kuh? Muss man dann schon am Stock gehen und drei Bypass-OPs hinter sich gebracht haben? Ich muss wohl einen reichlich unfreundlichen Gesichtsausdruck haben, als ich unmotiviert erkläre:
»Naja, hab einiges erlebt und da…«
»Was es nicht alles gibt, sagt T.«
Kopfschüttelnd stopft sie sich ein Stück Kotelett in den Mund. Zu spät, denke ich, jetzt muss ich da durch, merke es dir fürs nächste Mal und für alle Zeiten. Das hast du doch alles schon mal durchgemacht. Wer hat denn das nochmal gesagt, mit dem Schweigen und dem Gold?
»Also, worum geht´s denn…?«
Sie tupft sich die Mundwinkel ab, als Signal, dass ich nun ihre ungeteilte Aufmerksamkeit habe und reißt ihre Augen weit auf, als Zeichen ihres Interesses.
»Ich hatte da so eine Idee für einen Mix aus den Geschichten, die ich erlebt hab und dazwischen eingefügten Statements, die unser Leben relativ…«
Neben mir schreit ein Kind auf und sofort meldet sich mein Tinnitus zu Wort. T´s kleiner Sohn hat sich an der Tischkante den Kopf angeschlagen und vergräbt nun brüllend sein Gesicht zwischen den Brüsten seiner Mutter. Dann dreht er sich zu mir und schießt mir mit seinen Blicken giftige Pfeile entgegen, schließlich braucht´s immer einen Schuldigen, wenn man sich als Kind weh tut und ich bin der nächst Greifbare als Sündenbock. Er schreit mich mit aggressiven, oszillierenden Obertönen an, als hätte ich seine Mutter vor seinen Augen aufgeschlitzt und irgendwie fühle ich mich auch schuldig und weiß nicht warum. Ich beiße von meinem vegetarischen Burger ab und warte, wie sich die Lage weiter entwickeln wird. Gerade will ich aufstehen, um einen Joint zu rauchen oder was zu trinken zu holen oder irgendjemanden zu erwürgen, als sich M wieder neben mich setzt.
»Na, worum geht´s jetzt in deinem Buch…?«
»Wie bitte?«
Links mein Tinnitus, rechts das schluchzende Kind mit seinen vorwurfsvollen Blicken, da kann´s schon vorkommen, dass man nicht gleich versteht.
»Na dein Buch!«
»Äh, ich hab T grad erklärt, dass ich so einen Mix aus verschie…«
»Momentchen!«
Ich höre die Ode an die Freude, aber keine Bässe, nur die Höhen, und M zieht sein Handy aus der Tasche. Widerlicher Sound, denk ich, am liebsten würde ich ihm das Teil aus der Hand reißen, in das Biotop gegenüber schmeißen und ihn hinterher.
»Nein, ich hab dir doch gesagt … was? … ich hör dich schlecht, was?«
»Komm gleich wieder«, sagt er zu mir, mit der Hand auf dem Mikro.
Er probiert einen bedauernden Gesichtsausdruck, wie ein Mime in einem ländlichen Bühnenstück, wenn er bei einer wichtigen Angelegenheit gestört wird, aber gestört fühl ICH mich, geistes - gestört. M verschwindet wieder.
»Nun erzähl mal…« T meldet sich wieder zu Wort.
Sie isst ihre Nachspeise und ihr Kind achtet darauf, dass sie nicht alles selbst reinlöffelt. Alle naslang füttert sie den Kleinen mit einer Portion davon, ganz fürsorgliche Mutter, und der Kleine zieht an ihren Haaren von wegen Nachschub, sowie er runtergeschluckt hat.
»Ja, wie ich schon sagte, ich arbeite seit ein paar Wochen an der Sache und komm ganz gut voran. Ist mein bes…«
I, die Frau von F, dem Gartenbesitzer, hebt mich mit festem Griff an der Schulter an.
»Steh doch mal auf, die Bank steht ja ganz schief, ich mach das mal.«
»Ja klar. Ich komm gleich wieder«, sag ich jetzt mal zur Abwechslung zu T und mache, dass ich wegkomme. Ich brauche Flüssigkeit, Liebe oder ein Raumschiff, entscheide mich in Ermangelung der beiden letztgenannten Dinge für ein Getränk und peile die Bar beim Geräteschuppen an. Da stehen A, H und F beim Rauchen. Ich mag A sehr, immer könnte ich auf sie zählen und sie weiß, dass mit mir auch immer zu rechnen ist, wenn nötig. Und sie weiß natürlich, dass ich schreibe.
»Na, wie geht´s beim Schreiben…?«
»Gutgut, ich hab endlich entschieden, dass ich das Ganze chronologisch ordne, immer eine Geschichte von mir und dann ein Statement, so eine Art kurzes Essay, im Anschluss daran, damit…«
»Aber wär´s nicht geschickter, die Geschichte in einem zu erzählen und dann im Anschluss die Statements?«
Ich nehm´s ihr nicht krumm. Ich mag sie zu sehr, da fährt die Eisenbahn drüber. Ich sage:
»Naja, auch eine Möglichkeit, ich denk mal drü…«
»HE FREUNDE, ALLE MAL HERHÖREN«, schreit S in die Menge, »ES REGNET VIELLEICHT BALD UND WIR GEHEN DANN ALLE REIN. NEHMT DANN BITTE EURE SACHEN MIT!«
Ich wühle in der riesigen Vase neben der Bar rum, die zum Zweck der Feier mit Flaschen und Eiswürfeln gefüllt ist. Cola, Almdudler, Fanta, Bier - lauter Zeug, auf das ich keine Lust habe. Ich sehe ganz unten nach, ob´s Apfelsaft gibt, finde aber keinen und ziehe ein Cola raus. Ich öffne die Dose und trinke einen Schluck und der Zucker beleidigt schon im nächsten Moment meine empfindlichen Zahnhälse. Puah, denke ich, so kann´s einem ergehen. Muss ich jetzt wirklich bei der nächsten Einladung selbst Apfelsaft mitnehmen? Doch wie immer vergleiche ich mich mit Ärmeren, die weniger haben und komme zum Schluss: Mensch, du hast doch wenigstens IRGENDWAS zu trinken und andere nicht, jammere hier nicht rum! Da spricht mich H an.
»Kann man mal ein paar Seiten lesen von deiner Geschichte?«
»Nein, nicht drin«, sage ich und ich weiß, dass es unfreundlich klingt, aber so ist es nun mal, was soll ich sonst sagen? Das ist schließlich schwer zu erklären und ich bin dankbar, dass er nicht fragt warum, denn es wäre nicht erfreulich für ihn, die Hintergründe zu erfahren. Trotzdem ist es eine freundliche Frage von ihm und ich will ihn nicht alleine im Regen stehen lassen.
»Weißt du, das machen Worteschmiede nicht so gern, die glauben dann irgendwie, das bringt Pech, wenn das andere lesen, bevor es fertig ist…«
Eine glatte Lüge von mir und auch das tut mir leid, der Grund ist doch vielmehr, dass es einen auf die Palme bringt, wenn Menschen ohne Ahnung von Stil oder Rhythmus Statements zu einem Manuskript abgeben. Als ging´s darum, RICHTIG zu schreiben. Schlimmer noch: Wenn man dann verglichen wird mit anderen Schreiberlingen, die einem vielleicht nicht so ganz ans Herz gewachsen sind. Das tut dann echt weh und ich schütze mich nur vor dem Schlimmsten. Es geht einfach um Respekt und bevor ich respektlos bin, lüge ich lieber, was das Zeug hält.
»Schade«, sagt H und ich weiß, ich kann ihm nicht helfen, seinen Wissensdurst nicht stillen.
»Hast schon den neuen Coelho gelesen, wie findst´n den?« F bringt sich ins Spiel.
Ich blicke kurz in den verwaschenen Himmel hinauf, aber da ist nur Blau und Grau und keine Raumschiffe mit durchgeknallten, androgynen Geschöpfen im Landeanflug, die extra gekommen sind, um Leute meines Schlages abzuholen, für die hier keine artgerechte Haltung möglich ist, und ich fühle mich wie ein Tischler, den man auf einem Planeten ohne Bäume abgesetzt hat. Ich sollte einfach nur mehr zuhause bleiben bei meinen Geschichten, denke ich und weiß, dass das auch keine Lösung ist. Man muss sich schon seine Portion Grauen abholen im Leben, da führt kein Weg dran vorbei. Mir fällt Roald Dahl ein und ich kann nachvollziehen, wie er auf die Idee mit den Gremlins gekommen sein muss und auf die Unwirklichkeit in seinen Geschichten.
»Nein, hab ich nicht gelesen, den Coelho…«
»Waaaas? Den musst du lesen, ist das Beste seit ewig!«
»Jaja, die Geschmäcker sind eben verschieden…«
Nett von A, dass sie versucht, den Karren aus dem Dreck zu ziehen. Trotzdem hasse ich den Spruch und mir wird nicht wohler dabei.
»Aber das ist doch der Star, den muss man doch als Schriftsteller gelesen haben. Ich versteh dich einfach nicht, das ist doch Weltliteratur vom Besten«, hakt F nach.
Der gute H ahnt, dass das so nicht weitergehen kann, sieht in meine Richtung und kneift die Lippen zusammen, während er seine Augäpfel bis zum Anschlag nach oben drückt. Nette Geste, wieder einer auf meiner Liste für die Freiexemplare, falls ich mit dem Buch rauskommen sollte, denke ich. F muss das irgendwie mitgekriegt haben und empört sich.
»Was, was ist denn? Ist doch so wie ich´s sage!«
Null Feedback für F. Coelho ist in dieser Runde scheinbar nicht der Hammer, von F mal abgesehen. Ich drehe mich um und sehe B mit einem Joint vorbeigehen, der kommt mir jetzt gerade recht, auch wenn ich nur mehr sehr selten kiffe. Teufel noch mal, denke ich und renne ihm einfach hinterher in sein Versteck, denn jeder hier muss das nicht sehen, da gibt´s sonst Stunk. Außerdem bin ich wegen dem Zeug vorbestraft. Wir setzen uns auf ein Bänkchen hinter einem Busch, dessen Art oder Gattung oder wie man das nennt, mir partout nicht einfallen will und das finde ich irgendwie schade, denn der Worteschmied sollte doch wenigstens die heimische Flora beim Namen nennen können, wenn er schon nicht so viele Bücher verkauft wie Coelho. Ich ziehe am Joint und muss lachen, denn ich hätte nicht mitgeraucht, wenn die Verzweiflung mich nicht hier und jetzt am Schopf gepackt hätte, und ich denke: So funktioniert das also mit der Flucht in die Sucht.
»Kommst eigentlich voran beim Schreiben…?« fragt B entspannt.
»Ja, geht gut was weiter…«
»Schön… Das ist schön, freut mich für dich…«