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Irgendwann geht es weiter

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Am nächsten Morgen um fünf Uhr kam die Stationsschwester herein mit einem lauten „Guten Morgen, die Damen!“ Neben Tatjana lag noch eine sehr nette, ältere Dame, die schon 95 Jahre alt war, aber geistig noch sehr fit, und obendrein die reinste Optimistin, das war für Tatjana sehr gut.

Die Dame erinnerte sie an ihre Großmutter väterlicherseits, die leider schon im Himmel mit den Engeln Tango tanzte. Diesen Spruch pflegte sie kurz vor ihrem Tode Tatjana zu sagen, um sie noch mal lachen zu sehen. Sie war ein sehr herzlicher Mensch gewesen, der viel Wärme ausstrahlte.

„Was wollen sie trinken, Frau Sandberg, Pfefferminztee oder Kaffee?“, fragte die Krankenschwester in einem sächsischen Dialekt.

„Haben Sie auch Prosecco im Angebot? Kleiner Scherz am Rande, aber mein niedriger Blutdruck könnte jetzt ein Gläschen gebrauchen!“ Tatjana wurde durch die freundliche Art ihrer Bettnachbarin wieder ein wenig munterer. Während sie frühstückten, unterhielten sie sich angeregt. Tatjana war beeindruckt, was Gretel, so war der Name der älteren Dame, in ihren langen Lebensjahren schon alles erlebt hatte, viele Glücksmomente, aber auch viel Leid, trotzdem, oder vielleicht auch gerade deswegen, hatte Gretel eine unwahrscheinlich positive Ausstrahlung.

Um neun Uhr klingelte das Telefon bei Tatjana. „Hallo, ich bin’s, guten Morgen, mein Schatz. Konntest du etwas schlafen?“, fragte Lars.

„Ja, es ging, hab eine halbe Leck-mich-am-A…-Tablette genommen und hatte dann einen echt guten Trip!“

„Oh, ich höre, du hast wieder ein wenig Humor, das freut mich.“ Lars war erleichtert, er hatte sich schon ausgemalt, dass Tatjana in Depressionen verfallen könnte, doch diese versuchte, ihrer Traurigkeit keinen Platz einzuräumen, sie wollte keineswegs in ein tiefes Loch fallen, sie war schon immer „posimistisch.“ Tatjana erfand gern schräge Wörter.

Am späten Nachmittag kam Tatjanas Mutter mit einem Strauß Blumen und in einer Wolke süßen Parfums ins Krankenhaus „Sie nimmt wohl den gleichen Duft wie Chris“, dachte Tatjana.

Gott sei Dank war das Fenster gerade auf zum Lüften, der Geruch war jedenfalls sehr aufdringlich und kaum zu ertragen. „Na du, was machst du denn für Sachen? Ich dachte, du könntest gar nicht schwanger werden!“ Das waren die ersten Worte von Tatjanas Mutter. Sie drückte ihr den Blumenstrauß in die Hand und streichelte ihr roboterartig kurz über den Arm. „Wie konnte denn das auf einmal passieren?“, fragte sie vorwurfsvoll.

„Vielleicht hat mich ja der Heilige Geist geschwängert!“, motzte Tatjana zurück. „Bin ich vielleicht Jesus? Kann ich übers Wasser rennen? Mein Gott, Mutter, was Besseres fällt dir wohl jetzt auch nicht ein? Mir geht es total scheiße, und du willst mir noch Vorwürfe machen!“, regte sich Tatjana auf, ohne Luft zu holen. Sie merkte, dass sie ganz heiße Wangen bekam und ihre Halsschlagader stark zu pulsieren begann.

„Jetzt reg dich nicht auf, soll ich besser gehen und dich morgen Abend mal anrufen? Ich wusste ja nicht, wie sehr deine Hormone Karussell fahren! Heutzutage ist es sowieso besser, keine Kinder zu bekommen, du siehst ja, wie schwierig das mit den Ausbildungsplätzen ist und wie viele dicke Kinder es gibt.“ Tatjanas Mutter steigerte sich wieder in ein negatives Weltbild hinein, ohne Punkt und Komma, dann verabschiedete sie sich mit den Worten: „Wird schon wieder, am besten, du fährst mal ein paar Tage mit Lars weg, vielleicht in ein Wellnesshotel, mit ayurvedischer Massage. Da kann ich euch ein schönes Hotel in Bad-Kreuznach empfehlen, Günther und ich waren auch schon dort, einfach traumhaft!“ Tatjana stellte ihre Ohren auf Durchzug und nickte nur monoton, bei dem Namen „Günther“ wurde sie fast ein bisschen hysterisch. Günther war der neue Lebenspartner ihrer Mutter.

Sie hatte ihn ein Jahr nach dem Tod von Tatjanas Vater kennengelernt.

Günther war einer von der Sorte Mann, die sich ständig selbst groß machen mussten, um ihre Unsicherheit zu verbergen, außerdem hatte er die schlechte Angewohnheit, immer wieder andere Menschen zu beleidigen. Einmal benahm er sich vor vielen Menschen auch Tatjana gegenüber daneben und wies auf ihre Narbe am Kinn hin. Lars war so sauer auf ihn, dass er ihn sich zur Seite nahm und ihm mit einem Lächeln erklärte, dass er wohl unter einer Profilneurose leiden würde. Somit waren die Fronten geklärt, und sie gingen sich seitdem, soweit es möglich war, aus dem Weg.

Tatjana war froh, als ihre Mutter ging, sie holte tief Luft und wählte die Nummer von Katrins Büro.

„Hi Kati, weißt du schon Bescheid?“, meldete sich Tatjana und erzählte ihr kurz, dass sie im Krankenhaus läge.

„Ja, ich hab es vor einer Viertelstunde von Lars erfahren, wollte dich auch gerade anrufen!“, antwortete Katrin besorgt. „Ich würde gern in meiner Mittagspause zu dir kommen, ist dir das recht?“

„Ja, bitte, ich brauche ein paar aufbauende Worte, meine Mutter war gerade da, du weißt ja wie sie ist!“

„Tati, bleib ganz cool, ich bring uns einen Piccolo und deine Lieblingspralinen mit, und dann schwatzen wir, okay?“

„Danke, bis dann!“ Tatjana legte erleichtert den Hörer auf und freute sich auf den Besuch ihrer besten Freundin. Sie hatten sich damals im Sandkasten im Alter von fünf Jahren kennengelernt und waren seitdem unzertrennlich. Tatjana war froh, so eine Freundin wie Kati zu haben, sie waren immer füreinander da.

Wie abgemacht, stand Katrin um Punkt fünf Minuten nach zwölf an Tatjanas Krankenbett mit einem eisgekühlten Piccolo und den Lieblingspralinen ihrer Freundin. „Hi meine Arme, erzähl mal, wie geht es dir?“, fragte Katrin.

„Tja, wie einem ausgebluteten Lamm vielleicht, oder so ähnlich!“, versuchte Tatjana zu witzeln, um die ernste Situation zu entschärfen. Sie tranken – ratzfatz – das kleine Fläschchen leer und Tatjana verhaftete dabei die halbe Pralinenschachtel. Sie klagte Katrin ihr Leid, und Katrin versuchte, ihre Freundin zu trösten, so gut sie das konnte, indem sie Tatjana an die bald bevorstehende Reise nach Norwegen erinnerte. Dazu schenkte Katrin ihr noch Konzerttickets, die sie ihr eigentlich erst an ihrem Geburtstag überreichen wollte. Tatjana freute sich riesig über die Karten.

In diesem Moment kam der Arzt herein, er wollte noch einmal nach seinem „Sorgenkind“ schauen, wie er so schön sagte.

„Schönen guten Tag, Frau Sandberg, wie geht es Ihnen heute? Sind die Hormone wieder am richtigen Plätzchen?“, grinste Dr. Bender, was Tatjana nicht gerade als witzig empfand.

„Sagen Sie mal, könnten Sie mich heute schon entlassen? Ich kann mich in dieser Atmosphäre hier wirklich nicht erholen, bei diesem ironischen Humor schon gar nicht!“, protestierte Tatjana.

„Aber Frau Sandberg, wer wird denn gleich so aus dem Häuschen fahren?“ Dr. Bender schaute über seinen Lesebrillenrand auf Tatjana herab. „Ich denke, noch eine Nacht zur Beobachtung wäre ganz gut, und dann dürfen sie sich zu Hause erholen, solange sie es brauchen.“

Katrin schaute Tatjana mitleidig an und musste dann das Zimmer verlassen, weil Dr. Bender Tatjana noch untersuchen wollte. Die Mittagspause war sowieso vorbei, und so verabschiedete sie sich gleich mit einer dicken Umarmung. „Ich ruf dich gegen Abend noch mal an!“, versprach sie Tatjana.


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