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Die Idee mit Norwegen

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Tatjanas Geburtstag stand vor der Tür, hormon- und pralinengeladen, und klopfte ganz wild, voller Erwartung, ob sie öffnen würde. Doch Tatjana war sich nicht sicher, ob sie es schaffen würde aufzumachen und ob sie es zulassen konnte, 36 Jahre alt zu werden.

Nur ihrer besten Freundin konnte sie davon erzählen, wie sehr sie diese Zahl störte, die in ihrem Kopf herumspukte und die sie am liebsten aus sich herausprügeln würde, wenn das ginge.

Katrin war diese Freundin, schon seit Kindertagen, und von ihr stammte der Vorschlag, mit dem Wohnmobil ihrer Spät-Hippie-Eltern nach Norwegen zu reisen, zu Mortens Konzert in Oslo.

Bei dem Gedanken daran bekam Tatjana leichte Hitzewallungen und war sofort Feuer und Flamme.

„Jaaa, das wäre super toll“, freute sie sich, doch gleichzeitig sagte ihre innere Stimme, sie müsste bis dahin noch mindestens zehn Kilo abnehmen, wenn sie Morten begegnen wollte.

„Wann ist denn das Konzert?“, sprudelte es ungeduldig aus ihr heraus.

„Ende September, morgen bekomme ich die Karten, Hammer oder?“, fragte Katrin. „Meine Eltern wissen auch schon Bescheid und leihen uns Ihren Hippie-Bus gern aus. Wir fallen halt ein bisschen damit auf, mit den vielen bunten Blumen.“

„Das ist doch ultrawitzig!“, entgegnete Tatjana kichernd und kramte dabei in ihrer riesengroßen, regenbogenfarbenen Basttasche nach ihrem Geldbeutel, um die zwei Prosecco zu bezahlen.

Die beiden Freundinnen trafen sich jeden Donnerstag in Katrins Mittagspause in dem französischen Alternativ-Café an der Ecke, neben Katrins Büro.

Katrin arbeitete als Event-Managerin und war genau das Gegenteil von Tatjana, eher strukturiert und gut organisiert.

Auch sonst gab es Unterschiede. Katrin war 1,80 m groß und wog sportliche 65 kg. Ihre langen, blonden, lockigen Haare fielen ihr weich ins Gesicht, sie war schon ein wirklicher Hingucker für die Männerwelt.

Tatjana dagegen wirkte eher als Vollweib mit üppigem Busen, brünetten langen Haaren und leicht gebräuntem Teint. Ihr Mann Lars war sehr angetan von ihren Rundungen und ließ sie das auch gern spüren, was Tatjana keineswegs störte.

Nachdem Tatjana sich von Katrin mit einer dicken Umarmung verabschiedet hatte, warf sie noch einmal einen Blick in ihre Lieblingsbücherei um die Ecke.

Sie ging gleich zur Esoterik-Abteilung, vielleicht würde sie ja hier eine Antwort auf ihre Sinnfrage finden.

Wie sagte Morten mal so schön in einem Interview: „Fragen gehören zur spirituellen Seite des Menschen!“

Und richtig, sie entdeckte wunderschön kitschige Engelkarten im Regal, die sie auf nahezu magnetische Art und Weise ansprachen.

Sie spürte den Drang, sie sofort zu kaufen, sich eine leckere Tasse Yogi-Tee zu kochen, Kerzen und Räucherstäbchen anzuzünden und auf eine Antwort der Engel zu lauschen. Mit den Karten fuhr sie so schnell sie konnte, was bei dem Verkehr in Frankfurt sehr schwierig war, nach Hause, um genau das zu tun, was sie sich eben so wunderschön ausgemalt hatte.

Endlich zu Hause angekommen, in ihrer kleinen, alten Villa mit Garten am Ende der Stadt, schloss sie ungeduldig die Haustür auf, und mit ihrem ersten Schritt ins Haus trat sie in ein weiches, rutschiges, fast klebriges, undefinierbares Etwas. „Oh mein Gott!“, schrie Tatjana noch und fiel auch schon in Richtung Diele, genau mit dem Kopf an die Kante des wuchtigen Bauernschrankes, den sie von ihrer Lieblingsoma geerbt hatte.

Sie sah nur noch Sternchen vor ihren Augen leuchten und wachte erst wieder richtig auf, als ihr eine warme, raue Zunge über die Nase schleckte und Schnurrbarthaare sie am Kinn kitzelten.

„Gregor, du? Also, du hast das hier angerichtet?“

Tatjana fasste sich an den Kopf, ihr wurde auf einmal schwindelig und sie hatte das Gefühl, sich übergeben zu müssen.

Gregor war der Familienkater, ein rot-weiß getigertes Geschöpf, klein, zierlich und frech, und Tatjanas absoluter Liebling. Sie hatte ihn vor einem halben Jahr aus dem Tierheim mitgenommen, als sie das Gefühl hatte, ihren Kinderwunsch begraben zu müssen.

Lars und sie versuchten schon seit fünf Jahren, ein Baby zu bekommen, und hatten etliche Behandlungen hinter sich. Irgendwann hieß es laut den Ärzten, dass Tatjana und Lars zwar fähig wären, Kinder zu bekommen, aber anscheinend nicht miteinander.

Sie blieben also ein medizinisch ungelöstes Rätsel, und ihr Fall wurde, wie viele, auf Eis gelegt.

Das Telefon klingelte: „Tatjana Strand… äh, Sandberg“, meldete sie sich noch etwas benommen.

„Ja, hi, hier ist Chris, dein Bruderherz, darf ich mich heute Abend bei euch zum Lecker-Schmecker-Abendessen einladen? Ich bringe uns auch eine Flasche Rotwein mit, direkt aus St. Emilion!“

Tatjana räusperte sich und überlegte ein paar Sekunden, was gerade geschehen war.

„Ähm, ja klar, ich bin nur gerade hingefallen, also, auf Gregors Kotze ausgerutscht, und muss erst mal wieder zu mir kommen, weißt du?“

„Oh Gott, oh Gott, das ist ja furchtbar. Hast du dir wehgetan, Süße? Soll ich den Arzt verständigen, oh je …“

„Nein, Quatsch, jetzt übertreib mal nicht gleich, deine Schwester ist doch nicht aus Zuckerwatte, auch wenn ich so aussehe, als würde ich mich nur davon ernähren!“

Chris lachte und meinte sie aufbauen zu müssen, indem er ihr den Vorschlag machte, Fotomodell für „Große Größen“ zu werden und sich damit ein wenig Taschengeld zu verdienen.

Tatjana konnte darauf wirklich keine Antwort geben, übersprang ganz dezent die peinliche Situation und machte die Verabredung für abends um 20 Uhr fest.

Sie überlegte kurz nach dem Gespräch, ob sie einen Fehler begangen hatte, als sie ihrem doch so feinfühligen „Elefant-im-Porzellanladen-Bruder“ zusagte, am Abend kommen zu können, aber ihr Kopf fing wieder an wehzutun, und so hatte sich das mit dem Nachdenken erübrigt.

Nachdem sie das Erbrochene aufgewischt und eine Schmerztablette eingenommen hatte, rief sie Lars an, um ihn mitzuteilen, dass am Abend glamouröser Besuch eintreffen würde.


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