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Der Abend, an dem Chris kam

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Chris war schwul, und man sah es ihm auch sofort an: Er war immer sehr stylish angezogen und bewegte sich ziemlich tuntig. Außerdem sah er extrem gut aus, was alle Freundinnen von Tatjana mit Bedauern feststellen mussten, denn leider hatten sie ja absolut keine Chancen bei ihm.

„Hi Schatz, heut Abend kommt mein wundervoller Bruder zum Essen vorbei“, erklärte Tatjana ironisch, um Lars ein wenig den Wind aus den Segeln zu nehmen, sie wusste, dass er Chris nicht unbedingt mochte. „Er ist wieder von der ‚Exclusive Hair- und Beauty-Messe‘ aus Südfrankreich zurück und wollte uns mal wieder sehen.“

„Aha … ja gut. Ich hatte zwar vor, dich heute Abend zum Essen auszuführen, weil wir seit genau acht Jahren zusammen sind, aber das hast du wohl vergessen, wie ich dich Chaosweibchen kenne“, lachte Lars, aber doch mit einem gewissen beleidigtem Unterton.

„Ojemine, ist mir das peinlich, aber stell dir mal vor, was mir heute schon passiert ist …“

Tatjana erzählte ihre Begegnung mit Gregors klebrigem, schon mal gegessenen Geschenk hinter der Wohnungstür und hielt sich dabei ihre Beule am Kopf, die immer größer zu werden schien.

Lars musste lachen, als er sich das bildlich vorstellte, fragte dann aber doch besorgt nach, ob es Tatjana denn wieder gut gehen würde mittlerweile, schließlich liebte er sein Chaosweib ja von ganzem Herzen. Sie war seine absolute Traumfrau, obwohl sie eigentlich genau das Gegenteil von ihm war und sie oftmals viele Diskussionen hatten, weil sie beide so verschieden waren.


Kleiner Rückblick:

Damals, als Tatjana sich von ihrem langjährigen Freund getrennt hatte, weil er sie mit einer anderen betrog, wollte sie eigentlich so schnell keinen Mann mehr an ihrer Seite haben. Tatjana hatte die Nase bis oben gestrichen voll, doch Katrin, ihre beste Freundin, hatte da so einen Plan, von dem Tatjana noch nichts ahnte. In ihrem Freundeskreis war so ein schnuckeliger, netter Typ, den sie sich für Tatjana sehr gut vorstellen konnte, Lars Sandberg, ein großer Mann mit bäriger Statur, dunklen Haaren, leicht gelockt, wunderschönen braunen Knopfaugen und einem verschmitzten Lächeln, worauf Tatjana ganz bestimmt stehen würde, so dachte Katrin, und so war es dann ja auch!

Sie lud ihre Freundin zu einem zu einem Hörkrimiabend nach Mannheim ins Planetarium ein. Lars hatte den Auftrag, die beiden Freundinnen und Tatjanas Bruder Chris bei Katrin mit seinem Auto abzuholen. Als Tatjana damals ins Auto einstieg, wurde Lars von ihrer Ausstrahlung und ihrem Duft, der an einem zarten Sommerwind erinnerte, ganz nervös. Der Abend endete in einer Cocktailbar in Frankfurt, gleich um die Ecke von Tatjanas damaliger Zweizimmerwohnung.

Lars begleitete Tatjana noch nach Hause und verabschiedete sich bei ihr mit einem Kuss auf die Wange, womit er sie sehr beeindruckte. Er hatte nicht sofort die Gunst der Stunde genutzt, um bei ihr im Bett zu landen. Die beiden verliebten sich noch an diesem Abend.


Am heutigen Abend um viertel nach acht klingelte es an der Haustür. Lars schlüpfte noch schnell in seine bequeme Jogginghose und empfing Chris, der strahlend mit einem riesengroßen Blumenstrauß in der einen Hand und einer Flasche Rotwein in der anderen an der Tür stand. Er hauchte Lars links und rechts ein Küsschen auf die Wange und tänzelte, als wäre er auf einem roten Teppich auf irgendeiner Hollywood-Gala, ins Wohnzimmer hinein, dabei hinterließ er im Flur eine süßliche Duftwolke, von der es Lars fast schwindelig wurde.

„Schatz, wo bist du? Dein Bruderherz ist da!“, rief er durch das Haus.

Tatjana war noch im Bad und trocknete sich die Haare mit dem Handtuch ab, sie war mal wieder, wie immer, nicht rechtzeitig fertig geworden und hastete mit Bademantel und ihren warmen Fellpantoffeln aus dem Badezimmer in Richtung Wohnbereich.

„Hi Chris, schön, dich mal wieder zu sehen, nette Frisur, neu?“ Tatjana lächelte und umarmte ihren Bruder herzlich. Die beiden verstanden sich meistens ganz gut, aber sie durften sich nicht zu oft sehen, sonst gab es irgendwann die üblichen familiären Diskussionen, weil Tatjana einfach immer das Gefühl hatte, dass sie das schwarze Schaf der Familie und Chris der absolute Liebling ihrer Mutter sei.

Er konnte sich einfach alles herausnehmen, und es wurde ihm immer verziehen.

Ihr Vater starb vor zehn Jahren an Krebs, mit ihm hatte sich Tatjana sehr gut verstanden, sie lagen auf gleicher Wellenlänge und hatten sich stundenlang über Gott und die Welt unterhalten können. Tatjana vermisste ihren Vater oft, sie fühlte sich von ihrer Mutter und ihrem Bruder nicht verstanden und auch nicht wirklich wahrgenommen. Mit Problemen konnte sie zu ihnen nicht kommen, sie hatten kein Ohr dafür, damit musste sich Tatjana abfinden, aber zum Glück hatte sie für so etwas ja ihre Freundin Katrin – und Lars.

Chris setzte sich auf das rote Sofa mit den vielen bunten Kissen und wartete auf seinen Begrüßungsprosecco. Tatjana zog sich ihren grün-braun gestreiften Nickihausanzug an und machte sich einen Turban um ihre noch feuchten Haare. In der Küche angekommen, in der noch das völlige Chaos aus Töpfen, Pfannen und Schneebesen herrschte, öffnete sie eine Flasche eisgekühlten Prosecco und füllte damit drei Sektkelche. „Schatz, soll ich dir helfen?“, rief Lars ungeduldig.

„Nein, bin schon unterwegs!“ Tatjana kam mit einem silbernen orientalischen Tablett, das sie vor zwei Jahren aus der Türkei mitgebracht hatte, auf dem die Sektkelche standen und eine italienische Vorspeisenplatte, ins Wohnzimmer gehastet. Sie setzte gerade ihre Lippen an das Glas mit dem eiskalten Prosecco, um einen großen Schluck zu genießen, da spürte sie einen ziehenden, krampfartigen Schmerz in ihrem Unterleib, sie musste sich setzen und den Bauch halten.

„Hey Schatz, was ist denn los mit dir?“, fragte Lars besorgt.

Chris kam zu seiner Schwester und wedelte ihr Luft mit einer Zeitschrift zu. „Süße, verträgst du keinen Prosecco mehr?“ fragte Chris ein wenig ironisch.

„Ich weiß auch nicht, ich hab solche Schmerzen im Unterleib und mir wird auf einmal heiß und kalt. Heute ist irgendwie nicht mein Tag, obwohl er vor acht Jahren der schönste meines Lebens war!“


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