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ОглавлениеTeil 1
Wie alles begann
Mein Bruder, der im fernen Kanada lebt und für den ich ursprünglich mit dem Schildern unserer Situation begonnen habe, schlug mir vor einiger Zeit vor, zu beschreiben, wie alles begann. Ich habe lange darüber nachgedacht. Schließlich wäre es meinen LeserInnen gegenüber nur fair, etwas Genaueres über unsere Situation zu erfahren. Ich habe wirklich lange darüber nachgedacht und mir die Entscheidung nicht leicht gemacht. Aber ich kann nicht darüber erzählen. Noch nicht.
Es fehlen mir die Worte, um zu beschreiben wie es ist, wochenlang in der Klinik zu sein. Jeden Morgen aufs Neue beim Aufwachen nicht zu wissen, ob dein Kind den Tag überlebt. Jeden Tag aufs Neue mit Todesangst zu beginnen. Noch bevor man aus dem Bett steigt, bevor man die Augen öffnet, zu spüren, wie die Angst sich von der Wirbelsäule aus den ganzen Körper entlang frisst und alles lähmt, was Hoffnung ist, oder Leben, oder sich echt anfühlt. Ich kann und möchte das nicht beschreiben.
Deshalb alles nur in ein paar kurzen Worten: Als mein vermeintlich gesunder Sohn zwei Monate alt war, verstärkte sich eines Abends mein ungutes Gefühl (das schon vorher immer wieder mal aufgeflammt, aber von Kinderärzten und Hebammen als übertrieben abgetan worden war) so sehr, dass ich mitten in der Nacht in die Notaufnahme fuhr. Zu dem Zeitpunkt wusste ich nicht, dass wir die nächsten drei Monate nicht mehr unser Zuhause betreten würden.
Innere Blutungen, Notoperation, vier Tage Bangen, Diagnose: Leberschaden. Transport in eine Spezialklinik in einer anderen Stadt, weitere OPs, Diagnose: Gallengangsatresie, seltene Erkrankung, 1 von 15 000 Kindern, Ursache unbekannt. Weitere Operationen, die Leber war jedoch schon zu sehr zerstört. Keine Zeit, auf ein Organ zu warten. Sechs Wochen später Lebertransplantation.
Glück im Unglück: Ich konnte einen Teil meiner Leber spenden. Ob ich keine Angst hatte? Oh doch. Ich habe mein Testament geschrieben, Abschiedsbriefe. Aber dann musste es auch gut sein. Hätte ich die Angst um mein eigenes Leben zugelassen, das einer erwachsenen, gesunden Frau, dann wäre die Angst um meinen Sohn, der drei Monate alt war, bereits sechs Operationen hinter sich hatte und schwer krank war, ins Unerträgliche gewachsen. Dabei war sie doch schon nicht mehr erträglich. Insgesamt sechs Wochen Intensivstation, ein Baby das Tag und Nacht vor Schmerzen weint. Aber er hat die Leber bisher angenommen. Kein Wunder, sag ich immer. Sie war ja noch drei Monate zuvor sein Dach in seiner Wohnung in meinem Bauch gewesen.
Was wir durchgemacht haben, wünscht man seinem ärgsten Feind nicht. Und doch hat es sich gelohnt, und für den Moment ist es gut. Das haben wir in der Klinik gelernt: Sich für den Augenblick freuen, die Hoffnung nicht aufgeben, auch wenn die Angst tief drinnen immer präsent und das Glück ganz schön zerbrechlich ist.