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ОглавлениеGuten Morgen, meine Herren.« Cate schüttelte ihnen die Hand und wies Temin und Hartford ihre Plätze auf zwei nicht zusammenpassenden Stühlen vor ihrem Schreibtisch im Richterzimmer an. Die Anwälte waren nervös. Zweifellos hatte es sie überrascht, dass sie sie um dieses Treffen gebeten hatte, und als sie sich setzten, musterten sie verstohlen ihr Büro. Cate hatte das Zimmer immer noch nicht mit dem üblichen Dekorationsmaterial versehen und sah es eine Sekunde lang mit ihren Augen.
Der Tisch, den sie von ihrem Vorgänger geerbt hatte – mittelgroß, aus Regierungsbeständen, mit Mahagoni imitierendem Laminatfurnier –, konnte niemanden beeindrucken, und dasselbe galt für den dazugehörenden Bürostuhl mit seinem braunen Kunstlederpolster. Stapel voller Schriftsätze bedeckten den Konferenztisch in der anderen Ecke des Zimmers, aber wenigstens sah man auf diese Weise die Wasserflecken auf der Tischplatte nicht. Die Regale an der Wand waren leer. Darunter standen die noch unausgepackten Kisten, die sie aus ihrem früheren Büro mitgebracht hatte. Allerdings gab es in diesem Raum ein wandhohes Fenster mit spektakulärer Aussicht. Man sah die grauen Wolken, die sich wie ein phantastischer Baldachin über der blauen Benjamin-Franklin-Brücke und dem Delaware River türmten und die schneebedeckten Häuser der Altstadt von Philadelphia mit der hochmodernen Uferanlage von Camden verbanden.
Cate fragte: »Tolle Aussicht, was?«
»Wirklich großartig«, antwortete Temin etwas verkrampft. Sein lockiges Haar sah feucht aus, und an einem Ohr klebten noch Reste von Rasierschaum. Er trug seinen berühmten zerknitterten braunen Anzug. »Man kann ja ewig weit sehen. Oder mindestens bis nach Jersey.«
»Sehr eindrucksvoll«, stimmte Hartford zu und zog seine Hosenbeine hoch. Er trug graue Nadelstreifen, blank polierte Brillengläser und ein dünnlippiges Lächeln.
»Vielen Dank an Sie beide, dass Sie gekommen sind«, sagte Cate. »Ich habe Sie zu mir gebeten, weil mir dieser Fall Sorgen macht. Wie Sie wissen, habe ich ihn von meinem Vorgänger übernommen und weiß nichts von etwaigen Vergleichsverhandlungen. Nach meiner Ansicht handelt es sich um einen Wald-und-Wiesen-Vertragsfall, wenn wir den ganzen Hollywood-Glamour mal weglassen. Warum ist es bis jetzt noch nicht zu einer Einigung gekommen?«
Temin seufzte. »Der Kläger hat es versucht, Euer Ehren, aber der Beklagte wollte nicht.«
Cate wandte sich an Hartford. »Bis zu welchem Grad wollte er nicht?«
»Er wollte überhaupt nicht«, antwortete Hartford, doch Cate überhörte die Festigkeit in seiner Stimme. Sie wandte sich wieder an Temin.
»Wie hoch war Ihre Forderung?«
»Euer Ehren, unser Finanzexperte hat geprüft, was Recht @ Gesetz bis jetzt brutto eingebracht hat, abzüglich der zukünftigen DVD-Verkäufe im In- und Ausland, und danach sprechen wir von einer Summe von siebenhundertsechzig Millionen Dollar.«
Cate hätte um ein Haar gelacht. »Wie ich schon sagte: Wie hoch war Ihre Forderung?«
»Wir haben bei zwanzig Millionen angefangen, dann sind wir auf fünfzehn runtergegangen, dann zehn, dann acht, dann zwei.« Temin beugte sich zur Seite. »Jetzt stehen wir bei neunhundertfünfundzwanzigtausend.«
Das ist ein Anfang. »Klingt wie ein ernstzunehmendes Angebot. Was ist mit Ihnen, George?«
»Euer Ehren, das Problem bin nicht ich, sondern mein Mandant. Er weigert sich, auch nur einen Cent zu zahlen. Gar nichts. Er will keinen Präzedenzfall schaffen. Erfolgreiche Produzenten werden von Klagen überschwemmt werden, wenn sie zahlen. Außerdem geht es Mr Simone ums Prinzip.«
Ach so. »Es muss einen Weg geben.«
»Es gibt keinen. Er glaubt, dass sein Ruf auf dem Spiel steht.«
»In den Zeitungen ist von seinem Ruf kaum noch etwas übrig.« Cate hatte die Artikel nicht gelesen, aber ihre Sekretärin hatte ihr erzählt, was darin stand. »Die großen Publikumszeitschriften sind alle auf März’ Seite. Alle Kommentatoren sind sich darin einig, dass Ihr Mandant Mr Marz’ Idee gestohlen hat.«
Hartford schüttelte den Kopf. »Sie wollen einfach nur einen erfolgreichen Geschäftsmann zu Fall bringen, und Mr Simone denkt über den Augenblick hinaus. Er erwartet, auf lange Sicht einen Umschwung der öffentlichen Meinung erreichen zu können. Außerdem sagt er sich, dass jede Art von Presse gute Presse ist, und die Quoten gehen auch ständig in die Höhe.«
»Die Quoten?«, fragte Cate entsetzt. »Geht es denn darum? Rechnet Ihr Mandant damit, dass, solange dieser Fall in der Öffentlichkeit präsent ist, die Quoten steigen werden?«
»Nein, aber nein!«, sagte Hartford eilig. »Es geht ihm einfach ums Prinzip, ich sage es noch einmal, und um den Präzedenzfall, den er verhindern will.«
Gut, okay. Cate versuchte einen Richtungswechsel und blickte zu Temin. »Wir wollen die Sache doch beenden, Herr Anwalt. Wäre Ihr Mandant mit der Hälfte der früheren Summe zufrieden, sagen wir, mit fünfhunderttausend?«
»Ich glaube, ja. Unter uns gesagt, er ist immer noch arbeitslos.«
»Es ist sinnlos. Ich verhandle nicht über Geld.« Hartford schüttelte den Kopf, und Temin wandte sich direkt an ihn.
»George, wie wär’s mit zweihundertfünfzigtausend? Das würde dem Verdienstausfall meines Mandanten entsprechen, und ich würde wenigstens einen Teil meines Honorars bekommen.«
»Ich kann Ihnen da nicht helfen, Nate.«
Cate verschränkte die Arme und zog sich einen Moment in sich selbst zurück.
Temin sagte: »Lassen Sie sich doch nicht so bitten. Dieser Typ hat mehr Kohle als der liebe Gott.«
»Darum geht es nicht.«
»Würden Sie es ihm wenigstens nahelegen?«
»Ehrlich gesagt, nein.«
»Warum nicht?«
»Er will ein Urteil, das ihn voll rehabilitiert.«
»Er will Blut sehen!«, gab Temin scharf zurück, und Cate schaltete sich wieder ein.
»Mr Temin, bitte, das nützt doch nichts.«
»Aber was will er denn, Euer Ehren?« Temin hob seine plumpen Hände. »Er hat meinem Mandanten die Serie geklaut, den Lebensunterhalt und alles. Rich hat nichts mehr. Und ich kann mein Honorar in den Wind schreiben.« Er wandte sich wieder an Hartford. »George, er ist ein anständiger Kerl. Er hat einen Fehler gemacht. Wie können Sie diesen Mann so ausnutzen und nachts noch ruhig schlafen?«
»Ich bin nicht –«
»Also dann hunderttausend!«, sagte Temin, lauter werdend. »Kein Honorar für mich. Zwei Jahre Gehalt für meinen Mandanten. Wie wäre es damit?«
»Nein.«
»Dann ein Jahr. Er hat zwei Kinder und eine Mutter, die er unterstützt. Sie lebt in einer Kammer unterm Dach.«
»Ich werde es nicht für fünfzigtausend und nicht einmal für fünfundzwanzigtausend machen. Es wird nicht passieren. Ihr Mandant hat das Ganze angezettelt, und wir werden es beenden.«
Cate hob die Hand, und Temin biss sich auf die Lippe. Ihre einzige Hoffnung bestand jetzt darin, Hartford zu überzeugen, dass es gefährlich sein würde, wenn er dem Vergleich nicht zustimmte. »Mr Hartford, Sie tun so, als sei das Urteil zugunsten Ihres Mandanten schon sicher, aber haben Sie es nicht bemerkt? Die Geschworenen sind alle auf der Seite von Mr Marz.«
Hartford lächelte ohne Wärme. »Mit allem Respekt, Euer Ehren, wir sind zuversichtlich, dass wir gewinnen. Wenn nicht heute bei Ihnen, dann später vor einer höheren Instanz. Ich bin autorisiert, bis nach ganz oben damit zu gehen.«
»Zum Obersten Gerichtshof?«, unterbrach ihn Temin ungläubig. »Was? Das hieße, eine riesige Menge Geld zu verschleudern! So etwas wird hunderttausend kosten. Und jetzt kriegt er, was er will, für ein Butterbrot!«
Hartford biss die Zähne zusammen. »Ich kann es nicht ändern. Selbst wenn ich ihm den Vergleich empfehlen würde, würde er nicht zustimmen.«
Cate musste es dabei bewenden lassen. Richter durften einen Vergleich herbeiführen; sie durften nicht bei einem Straßenraub behilflich sein. »Mr Hartford. Gehen Sie zu Mr Simone, und sagen Sie ihm, wie hoch die Summe ist. Wenn Sie ihm nicht empfehlen wollen zuzustimmen, richten Sie ihm aus, dass ich ihm dringend rate, das Richtige und das Klügste zu tun, nämlich den Vergleich anzunehmen.«
»Aber, Euer Ehren –«
»Gehen Sie, Mr Hartford«, wiederholte Cate mit fester Stimme, dann stand sie auf, wodurch sie das Treffen für beendet erklärte. »Sie haben noch eine Stunde, bis die Verhandlung wieder eröffnet wird. Wenn Sie mehr Zeit brauchen, sagen Sie Bescheid.«
»Euer Ehren –«
»Gehen Sie. Jetzt.«
Zehn Minuten später saß Cate an ihrem Schreibtisch Emily Carroll gegenüber, die wie immer in voller Kriegsbemalung und mit allen Orden und Ehrenzeichen erschienen war: schwarzem Eyeliner um die dunklen Augen, Nasenring, Augenbrauenpiercing und schweren Metallplatten in den lang gezogenen Ohrläppchen. Die junge Praktikantin war eine glühende Gothic-Anhängerin. Sie trug eine dunkelrote Strickjacke, die zu ihrem ins Violette spielenden Nagellack passte, und knallenge schwarze Hosen mit tiefsitzendem Nietengürtel. Doch abgesehen von all diesem Klimbim – wenn es einen Präzedenzfall gab, der Marz retten konnte, dann würde Emily ihn aufspüren.
»Bitte nur gute Nachrichten«, sagte Cate, die gerade ihre zweite Tasse Kaffee trank. Temin und Marz diskutierten immer noch. Sie hatten noch fünfzehn Minuten bis Verhandlungsbeginn.
»Es gibt keine. Ich habe keinen Präzedenzfall gefunden.«
»Aber es muss einen geben.«
»Nein.« Emily schüttelte den Kopf, und man hörte ein metallisches Geräusch. Cate wollte nicht wissen, was es genau war.
»Haben Sie wirklich alles durchsucht?«
»Ja.«
Cate hatte selbst am Vorabend das Internet durchforstet und nichts Ähnliches gefunden. »Gibt es keine neuen Theorien dazu?«
»Nein. Tut mir leid, ich hab alles versucht. Das Gesetz ist eindeutig. Sie müssen diesem Antrag stattgeben. Klar wie Kloßbrühe.« Emily legte den Kopf schief, oder vielleicht zog das Gewicht ihres Augenbrauenrings sie nach einer Seite. »Sie haben Mitleid mit diesem Mann, oder?«
»Mit Marz?« Cate hatte nicht an ihn gedacht. »Ja, wahrscheinlich.«
»Aber er ist so uncool. Er hätte es von vornherein wissen müssen.«
»Das entschuldigt nicht, dass man ihm so übel mitspielt.« Cate verstand Marz zum ersten Mal. »Er hat einen Traum, das ist alles. Jeder hat das Recht auf seinen Traum, oder nicht?«
»Mein Traum ist es, von meinen Studienschulden runterzukommen. Banaler geht’s nicht.«
»Sagen Sie das nicht.«
»Na gut.« Emily zuckte ihre schmalen Schultern. »Aber Marz musste jedenfalls wissen, dass er verlieren würde. Er hat Jura studiert.«
»Er hat sich vorgestellt, dass es wenigstens eine kleine Chance gibt, dass ich die Entscheidung der Jury überlasse. Es geht um seinen Traum, und er wollte einfach nicht kampflos aufgeben. Eigentlich bewundere ich das.«
Auf einmal knisterte etwas an der Tür, und sie sahen beide auf. Es war Jonathan Meriden, der in einem der angrenzenden Zimmer sein Büro hatte. Bella musste ihn vorbeigelassen haben, oder vielleicht hatte er sie einfach ignoriert, was zu ihm gepasst hätte. Er lehnte sich in seinem dunklen Anzug über die Schwelle.
»Cate, ich hab gehört, Sie haben heute über einen gewissen Antrag zu befinden.«
»Ja.«
»Na endlich.« Meriden rollte die Augen. »Ich kann diese Hollywoodleute nicht ausstehen. Gestern haben sie den ganzen Tag den Gang blockiert, und die Verteidiger und Staatsanwälte meiner Verfahren haben meine Tür nicht mehr gefunden. Heute wird dieser ganze Zirkus ein Ende haben, oder?«
»Wenn es nicht noch zum Vergleich kommt.«
»Ich würde mich weigern.« Meriden zog skeptisch eine Augenbraue hoch. »Nach allem, was ich gehört habe, hat dieser Kerl nichts mehr in der Hand.«
»Wenn es nach mir ginge – ich würde dem Vergleich zustimmen. Ich würde das Ding für ein Butterbrot bekommen, und es wäre nur gerecht.«
»Gerechtigkeit? Ach, die Jugend!«, sagte Meriden wegwerfend, was Cate auf die Palme brachte.
»So jung bin ich auch wieder nicht.«
»Für mich werden Sie immer ein Neuling bleiben«, erwiderte Meriden scharf, und dann verschwand sein Kopf aus der Türöffnung so rasch, wie er aufgetaucht war.
Mistkerl.
»Was für ein Arsch!« Emily kräuselte ihre perforierte Nase. »Und seine Praktikanten sind ebenfalls Ärsche. Alle hassen sie, und alle wünschen sich, sie würden für Sie arbeiten. Bei Ihnen macht die Arbeit Spaß.«
Na, großartig. »Ich bin also der Klassenclown des Eastern District.«
Emily lächelte. »Wir sind das coolste Büro des ganzen Gerichts.«
»Zu viel der Ehre.«
Sie lachten beide, aber Cate fragte sich, ob Marz und Temin sich wohl schon geeinigt hatten.