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Sie trat das Gaspedal durch, ohne auf das Klingeln zu achten. Wahrscheinlich war es wieder Graham. Wie eine Wahnsinnige umklammerte sie das Steuer und raste weiter – nur weg von diesem Motel! Regen hämmerte auf die weiße Kühlerhaube. Ihre Kehle fühlte sich eng an, als sei jeder einzelne Muskel straff gespannt.

Sie fuhr an den Einfamilienhäusern entlang, die die Straßen säumten, einem Hamburger-Lokal mit gläserner Front, voller Teenager. Während sie all die alltäglichen Dinge um sie herum wahrnahm, begann sie allmählich, leichter zu atmen. War sie wirklich entkommen? War sie jetzt sicher?

Die Ampel zeigte Rot, und Cate bremste. Im Rückspiegel forschte sie nach Elvis’ Lieferwagen, der nirgends zu sehen war. Ihr Puls verlangsamte sich. Er verfolgte sie also nicht. Beruhigt wartete sie, bis die Ampel auf Grün umschaltete.

Das Handy klingelte erneut. Sie sah zum Sitz, wo es aus ihrer Handtasche gerutscht war. GINA zeigte das grün leuchtende Display an. Wie bitte? Zu dieser Zeit rief Gina sie doch nie an. Vielleicht war irgendetwas mit Warren passiert. Sie klappte das Telefon auf. »Gina?«

»Ich hab’s in den Nachrichten gesehen – aber, warte, hab ich dich aufgeweckt?«, fragte Gina, und Cate spürte plötzlich, dass ihr Tränen in die Augen stiegen, als sie die Stimme ihrer Freundin hörte. Alles löste sich auf, und schließlich fühlte sie sich sicher genug, um zu weinen. »Cate? Was ist los mit dir?«

»Mir geht’s gut.« Cate versuchte, alles wieder auf die Reihe zu bekommen. »Ich bin so –«

»Was ist passiert? Hast du dich mit Graham getroffen? Wo bist du überhaupt?«

»Keine Ahnung, irgendwo beim Flughafen.« Cate sah aus dem Fenster, aber wegen des Tränenschleiers war sie kaum fähig, die Straßenschilder zu lesen. »Ellsworth Avenue? Ein blödsinniges rosa Motel? Ist das zu glauben?«

»Was machst du da?«

»Ich versaue mir mein Leben.« Cate wischte sich die Augen ab, aber die Tränen hörten nicht auf zu fließen. »Dieser Typ, mit dem ich mitgegangen bin... er hat mich angegriffen, in diesem Motel. Fast hätte er mich vergewaltigt.«

Gina stockte hörbar der Atem. »Graham?«

Ach, wenn er nur ... »Nein, jemand anders.«

»Lieber Gott! Ich komm zu dir. Ich gehe schnell zur Nachbarin und frage sie, ob sie auf Warren aufpasst. Ich bin gleich bei dir.«

»Nein, bitte nicht. Ich fahre nach Hause.«

»Aber du bist völlig durcheinander. Du kannst nicht fahren.«

»Doch. Es ist ja lächerlich. Ich führe mich auf wie ein kleines Kind.« Cate wusste nicht, was mit ihr geschah. Nichts funktionierte. Sie verlor die Kontrolle über sich selbst. »Was ist mit Warren? Ist alles in Ordnung mit ihm?«

»Ja. Fahr nach Hause, und ich komme zu dir. Und fahr vorsichtig!«

»Du bist meine beste Freundin, weißt du?« Cate klappte das Handy zu und beschleunigte, und die Scheibenwischer begannen, sich hektisch hin und her zu bewegen. In der nächsten Minute hörte sie ein lautes, knallendes Geräusch von der Vorderseite des Autos. Reifen geplatzt. Wirklich nicht meine Nacht. Sie drückte auf den Knopf mit den Anweisungen zur Pannenhilfe, und nach ein paar Sekunden meldete sich eine weibliche Stimme, die einen leichten Hall hatte wie eine echte Pannenfee: »So bald wie möglich schicken wir Ihnen einen Reparaturwagen.«

Cate stellte den Motor ab und atmete tief aus. Sie tippte Ginas Nummer ein, weil sie ihr sagen wollte, dass sie später käme, doch niemand nahm ab. Dann klappte sie das Handy zu. Immer wieder stiegen Tränen in ihr auf, während sie auf dem Fahrersitz saß und auf die Pannenhilfe wartete.

Es ist leichter, einen kaputten Reifen zu reparieren, als ein Leben.

Anderthalb Stunden später bog sie in die Einfahrt ihres Hauses in Society Hill ein und parkte neben Ginas altem braunem Kombi. Aus dessen Auspuff stiegen dunkelblaue Wölkchen auf. Gina hatte wahrscheinlich die ganze Zeit den Motor laufen lassen, um nicht zu erfrieren. Cate nahm ihre Handtasche und stieg aus. Wenigstens regnete es jetzt nicht mehr.

»Cate!« Gina sprang in ihrem Parka aus dem Wagen und lief zu ihrer Freundin. »Warum hast du so lange gebraucht? Ich hab mein Handy zu Hause vergessen, deshalb konnte ich dich nicht anrufen.«

»Tut mir leid. Es hat ewig gedauert, bis die Pannenhilfe endlich kam.«

»Was für eine Pannenhilfe?« Sie umarmten sich. »Ich hab mir solche Sorgen gemacht«, sagte Gina. »Ich hab dich noch nie so weinen hören.« Ihr Gesicht drückte größte Sorge aus, und ihr Pferdeschwanz war halb aufgelöst. Diesmal fand Cate die Reaktion ihrer Freundin angemessen. »Was ist denn eigentlich passiert?«

»Das ist eine lange Geschichte«, antwortete Cate, und sie gingen Seite an Seite ins Haus.

»Jetzt weißt du alles«, sagte Cate. Sie saßen an ihrem runden Küchentisch und tranken Kaffee aus ihren Lieblingsbechern. Halogenlicht hinter farbigen Schirmen aus Muranoglas beleuchtete ihre Gesichter und die Wände mit einem angenehmen warmen Schimmer. Cate war froh, wieder zu Hause zu sein, sicher in ihrer Küche zu sitzen und allmählich wieder lebendig zu werden. Sie hatte Gina alles erzählt und den Gesichtsausdruck ihrer Freundin dabei beobachtet, der von einfachem Entsetzen zu äußerstem Entsetzen übergegangen war. Schließlich hatte sie ihr schweigend zugehört. Doch ihre braunen Augen glitzerten, als sie hörte, was in dem Motel geschehen war.

»Du solltest die Polizei auf diesen Kerl hetzen, wirklich.« Gina nickte wütend. »Aber andererseits – es geht nicht. Es würde morgen in allen Zeitungen stehen.«

»Ich weiß nicht, ob es rein rechtlich für eine versuchte Vergewaltigung reichen würde.« Cate fühlte sich hässlich und verletzlich. »Und du – verachtest du mich jetzt?«

»Nein, überhaupt nicht.« Gina sank in ihrem Stuhl zusammen. Der Flannellkragen ihres Schlafanzugs sah aus ihrem grauen Sweatshirt hervor. »Aber ich bin sauer, dass du mir nicht früher schon von diesen Typen erzählt hast, mit denen du ins Bett steigst. Du hättest mir nicht mal heute Abend was davon gesagt, wenn ich dich nicht angerufen hätte. Wie lange machst du das schon, du dumme Kuh?«

Cate dachte nach. »Ungefähr ein Jahr, vielleicht anderthalb.«

»Schon als du noch bei Beecker gearbeitet hast? Obwohl du damals bereits einen Ruf als Anwältin zu verlieren hattest?« Gina schüttelte ungläubig den Kopf, und eine dunkle Locke fiel ihr ins Gesicht. »Ich weiß nicht, warum jemand, der so klug ist wie du, so was Dummes tut.«

»Willst du eine ehrliche Antwort? Ich weiß es auch nicht.«

»Das reicht nicht, Cate.« Gina strich sich das Haar hinter die Ohren. »Du solltest es besser wissen. Es ist selbstzerstörerisch. Und weshalb? Du kennst doch andere Männer.«

»Es ist nicht dasselbe.«

»Warum also? Denk darüber nach!« Gina sah ihr in ihrer typischen offenen Art ins Gesicht, und Cate wusste, dass sie recht hatte.

»Es kommt nur vor, wenn ich mich gestresst fühle. Es ist so, wie andere Leute trinken oder Drogen nehmen. Genauso reiße ich mir eben einen Typen auf.«

»Igitt.«

»Danke.«

»Bist du sexsüchtig?«

»Nein.« Cate war ehrlich. »So oft passiert es auch wieder nicht.«

»Wie oft?«

»Höchstens einmal im Monat. Und außerdem tun Männer das schon seit Jahrhunderten.«

Gina schien das nicht zu akzeptieren. »Damit willst du es also rechtfertigen? Wenn du so stolz darauf bist, warum willst du es dann geheim halten?«

»Ach, hör auf, immer recht zu haben.«

»Es geht hier nicht um Frauenbefreiung, es geht um dich. So ein Verhalten – das bist nicht du.« Gina schüttelte unnachgiebig den Kopf. »Du verlässt Graham, einen ganz normalen Mann, einen Börsenmakler, der dir schon beim dritten Rendezvous etwas von Tiffany schenkt. Das ist gegen alle Regeln. Und du verlässt ihn, um dich einem Vergewaltiger an den Hals zu werfen!«

Cate spürte das Armband, das immer noch an ihrem Handgelenk hing. »Nie wieder.«

»Du hörst auf damit? Bist du sicher? Wie hast du dich nur so benutzen lassen können?«

»So habe ich es nicht gesehen.« Cate dachte nach. »Ich glaube, ich fühle mich mit diesen Männern einfach wohler. Ich bin lockerer in ihrer Gesellschaft. Wie mit meinem Mann. Ich kannte ihn schon in der Highschool, weißt du noch?«

»Ich kann mich kaum erinnern. Er war doch Bauarbeiter, oder?«

»Ja. Da komme ich her. Ich habe mich hochgearbeitet. Es wurde mir nicht in die Wiege gelegt, Anwältin zu werden. Meine Mutter war nicht mal auf dem College. Ich bin nicht das Hotel Ritz, ich bin das rosa Motel.«

Gina runzelte die Stirn. »Du hast deine Mom sehr gern gehabt, oder?«

»Ja, sie war wunderbar. Sie hat alles für mich getan. Als uns mein Vater verließ, hat sie in meiner Schule im Büro gearbeitet. Wir haben immer zusammengehört.« Ihre Mutter war gestorben, kurz nachdem Cate den Abschluss an ihrem College gemacht hatte, und sie dachte immer noch jeden Tag an sie. »Wir gegen die ganze Welt, das war unser Wahlspruch. Sie arbeitete für meinen Direktor. Die Leute haben geglaubt, wir wären hochnäsig, weil sie wollte, dass ich aufs College ging. Sie beschützte mich – vor der rachsüchtigen Nonne an der Schule, den Gespenstern in der Nacht, einfach vor allem.«

»Wie alt warst du, als deine Eltern sich trennten?«

»Drei Jahre.«

»Und du hast ihn nie wiedergesehen? Kam er denn nie zu Besuch?«

»Nein. Er war einfach weg. Das weißt du doch alles –«

»Ganz klar, du hast Angst, von Männern verlassen zu werden.«

»Na und? Wer hat das nicht?«

Gina lachte nicht. »Du bist eine intelligente Frau, Cate. Wir müssen herausfinden, was dich zu so einem Verhalten gebracht hat. Es hat vor anderthalb Jahren angefangen. Gab es da irgendwas Besonderes in deinem Liebesleben?«

Cate konnte sich kaum an die Zeit erinnern. »Ich habe mich mit diesem Marc getroffen. Marc mit C. Du konntest ihn nicht ausstehen.«

»Ein echter Narziss. Mit goldenen Manschettenknöpfen. Ich hab’s dir ja gesagt, aber du wolltest nicht auf mich hören.«

Cate lächelte. »Kurz danach war es zu Ende. Aber ich hatte sowieso keine ernsten Absichten mit ihm.«

»Aber war das nicht auch die Zeit, als sie anfingen, über dich als Richterin zu reden?«

Cate dachte nach. »Ja, stimmt.«

»Marc mit C fühlte sich davon bedroht. Ich erinnere mich, dass du mir das erzählt hast. Er wollte nicht, dass die Leute ihn als Lebensabschnittspartner einer Richterin betrachteten.«

Cate lächelte erneut. »Könnte stimmen. Du erinnerst dich besser daran als ich.«

»Danke. Du warst auch ziemlich überrascht, als dein Name im Zusammenhang mit diesem Amt genannt wurde. Du hast gedacht, da müsste man politisch sein. Du hast nicht daran geglaubt, dass du jemals nominiert würdest.«

Cate lachte. »Ja, ich dachte, dass ich unpolitisch bin. Ich habe immer zu viel Arbeit gehabt, um wählen zu gehen.«

»Und dann haben sie angefangen, Erkundigungen über dich einzuziehen, bevor sie sich für dich entschieden. Vielleicht hast du dich irgendwie selbst sabotieren wollen. Vielleicht hattest du Angst, nicht qualifiziert genug zu sein.«

»Nein, das weißt du. Die Erkundigungen sind nicht so schlimm wie bei Berufungsrichtern. Wir werden ernannt, und dann kommt nicht mehr viel. Ich wusste, dass ich einen guten Ruf als Anwältin hatte, und ich war eine Frau, was sich als vorteilhaft erwies. Zu meinen Gunsten sprach, dass ich politisch nicht hervorgetreten war. Sie waren in ihrer Meinung so polarisiert, dass ich schließlich die Einzige war, auf die sich alle einigen konnten.«

»Vielleicht wolltest du eigentlich nicht Richterin werden.«

Cate kniff die Augen zusammen. »Natürlich wollte ich das.«

»Wirklich? Wir haben doch schon so oft davon gesprochen, wie einsam dieser Job ist und dass du deine alten Partner von der Kanzlei kaum noch sehen kannst. Du hast auch so gern Plädoyers gehalten! Ist es jetzt nicht viel schwieriger?«

»Ja, aber es ist das Höchste, was man als Anwalt erreichen kann. Es gibt nur siebenhundert im ganzen Land, auf Bundesebene. Mehr Anerkennung kann man nicht kriegen.«

»Darum geht es mir nicht.« Gina bog den Kopf zurück. »Du wolltest auf der Karriereleiter höher steigen. Aber wolltest du wirklich Richterin werden?«

Merkwürdigerweise hatte Cate noch nie über diese Frage nachgedacht. Richterin zu sein war das Beste, was ihr als Anwältin passieren konnte, und sie hatte immer die Beste sein wollen. »Ich weiß nicht.« Sie schüttelte den Kopf. Sie war zu müde, um weiterzudenken, und die Erschütterung saß ihr noch in den Knochen. »Wahrscheinlich sollte ich mal eine Therapie machen.«

»Wahrscheinlich, sagst du? So gestört, wie du bist?«, antwortete Gina scherzend, und Cate stand auf.

»Gut, jetzt ist es genug. Willst du noch Kaffee?« Sie ging zum Wandschrank, holte Filterpapier und setzte die Kaffeemaschine in Betrieb. »Wie geht’s unserem Liebling?«

»Die Nachbarin ist da. Er ist nicht mal aufgewacht.«

»Super. Danke, dass du gekommen bist.« Cate ging zur Spüle, um die Kanne mit Wasser zu füllen. »Übrigens – warum hast du mich heute Abend eigentlich angerufen? Hatte er wieder einen Anfall?«

»Nein, es war nicht wegen ihm. Ich habe im Fernsehen das mit deiner Verhandlung gesehen. Da dachte ich mir, es geht dir vielleicht nicht gut.«

»Ach, die Verhandlung. Zwischen Vergewaltigung und plattem Reifen hatte ich sie schon fast vergessen.« Cate stand plötzlich Marz wieder vor Augen.

»War sie der Grund dafür?«

»Wofür?«

»Für deinen kleinen Ausflug heute Abend.«

»Das frage ich demnächst meinen Seelenklempner.« Plötzlich klingelte das Telefon, und sie wechselten einen schnellen Blick. Cate sagte: »Ich nehme nicht ab. Es ist bestimmt Graham, und mit der Therapie hab ich ja noch nicht mal angefangen.«

»Vielleicht ist es die Nachbarin. Sie weiß, dass ich hier bin, und ich habe mein Handy zu Hause gelassen.«

»Na gut.« Cate nahm ab. »Hallo?«

»Ms Fante? Habe ich Sie aufgeweckt?«

»Die Unentbehrliche.« Cate lächelte erleichtert, als sie Bellas Stimme hörte. »Warum sind Sie zu dieser unchristlichen Zeit noch wach?«

»Mr Sherman wollte Sie dringend erreichen, aber er hatte Ihre Nummer nicht. Da hat er mich angerufen.«

»Was gibt’s?«

»Schlechte Nachrichten.«

Die Richterin

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