Читать книгу Die Richterin - Lisa Scott - Страница 12
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ОглавлениеCate strebte mit langen Schritten und theatralisch gebauschter Robe ihrem Platz auf dem Podium zu. Sie fühlte sich wie eine Schauspielerin, die eine festgelegte Rolle zu spielen hat. Irgendwann würde sie sich in diesem Kostüm vielleicht wohlfühlen, aber heute bestimmt nicht. Die Verhandlungen waren gescheitert; Simone hatte sich geweigert, einem Vergleich zuzustimmen, obwohl die Forderung der anderen Seite bis auf zehntausend zurückgegangen war. Das alles ergab keinen Sinn. Seinem Anwalt bezahlte Simone diese Summe für einen einzigen Arbeitstag. Hartford machte für weniger als zwanzigtausend nicht einmal den kleinen Finger krumm.
»Erheben Sie sich!«, rief der Deputy, und seine Stimme hallte in dem gut gefüllten Gerichtssaal wider.
Vor dem Richterstuhl standen Temin und Marz mit in Falten gelegten Stirnen und einem tapferen Lächeln auf den Lippen. Hartford und Simone, beide hochgewachsen, mit im Fitnessstudio gestählten Körpern unter ihren Armani-Anzügen, machten sich nicht die Mühe zu lächeln. Die Reporter, Gerichtszeichner und Zuschauer im Saal erhoben sich und legten Zeitungen und Notizblöcke zur Seite. Detective Russo saß in der ersten Reihe neben Marz’ Ehefrau, und auf dem Platz neben der rothaarigen Juryberaterin und Micah Gilbert erkannte Cate die Reporterin eines großen Nachrichtensenders. Offenbar hatte sie einen Tipp bekommen, dass sich heute etwas Wichtiges ereignen würde.
»Guten Morgen«, sagte Cate, glättete ihre Robe und setzte sich auf ihren Platz auf der Richterbank. Die Geschworenen fehlten, und ihre schwarzen Drehstühle standen, in verschiedene Richtungen gewandt, leer da. Bei der nun folgenden direkten Auseinandersetzung zwischen den Anwälten durften sie nicht dabei sein.
»Guten Morgen, Euer Ehren«, erwiderte der Chor, mehr oder weniger einstimmig, und Cate brachte ein knappes Bühnenlächeln zustande.
»Mr Hartford, Sie wollten einen Antrag stellen?«
»Ja, Euer Ehren.« Hartford ging zum Redepult und straffte sich. »Der Beklagte beantragt ein Urteil nach der Rechtsfrage Nummer fünfzig. Wie Sie wissen, muss der Beklagte, Mr Simone, nach dieser Vorschrift die Vorwürfe des Klägers als wahr erkennen. Wir nehmen daher an, dass die Fakten so sind, wie Mr Marz sie uns berichtete, das heißt, dass Mr Simone zustimmte, Mr Marz’ Treatment fürs Fernsehen zu produzieren, und auch, dass er wörtlich sagte: ›Wenn ich Geld verdiene, verdienst du mit.‹«
Am gegnerischen Tisch kritzelte Temin etwas in sein Notizbuch, und Marz saß mit rotem Kopf und auf der glänzenden Nussbaumoberfläche des Tisches verschränkten Fingern neben ihm. Seine Frau in der Reihe hinter ihm sah aus wie ein Häufchen Elend. Cate konnte nur mutmaßen, unter welchem Druck Marz stand. Sein Beruf und sein Traum – alles weg.
»Das Argument des Beklagten ist einfach, Euer Ehren. Unstrittig ist die Aussage von Mr Marz, dass er und Mr Simone keinerlei schriftliche Abmachungen getroffen haben. Wir haben es also mit einer mündlichen Vereinbarung zu tun. Unstrittig ist außerdem, dass Mr Marz und Mr Simone keinerlei Preis für ihr Geschäft vereinbarten, nicht einmal die Andeutung einer Summe in Dollar. Ebenfalls unstrittig dürfte sein, dass sie sich nicht über Zahlungsweisen oder Termine unterhalten haben. Beide Parteien haben die Wahrheit dieser Aussagen bestätigt.«
Am Tisch des Beklagten nickte Simone leicht, und Marz warf ihm einen schnellen Blick zu.
»Das Gericht muss nach Recht und Gesetz ein Urteil fällen einzig aufgrund dessen, dass die einfache Feststellung Mr Simones, ›Wenn ich Geld verdiene, verdienst du mit‹, zu unbestimmt ist, um einem gerichtlich einklagbaren, mündlich getroffenen Vertrag zu entsprechen. Mit anderen Worten, es ist gleichgültig, ob Sie in diesem Fall Mr Marz oder Mr Simone Glauben schenken. Selbst wenn alles stimmen sollte, was Mr Marz vorbrachte, hält er immer noch keinen rechtlich verbindlichen Vertrag in Händen.«
Cate machte sich eine Notiz auf ihrem Block. AUCH ICH WERDE NICHT KAMPFLOS AUFGEBEN, schrieb sie.
»Wie Sie wissen, findet bei diesem Fall allein die Gesetzgebung des Staates Pennsylvania Anwendung, da alle für den Fall relevanten Begegnungen in Pennsylvania stattfanden.«
Cate hatte den größten Teil der vergangenen Nacht mit Recherchen im Internet verbracht und herausgefunden, dass man in Kalifornien, wo man mehr Erfahrung bei Vertragsschließungen in der Unterhaltungsindustrie hatte, in diesem Fall womöglich zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre. Das zeigte auch, wie gerissen Simone war: Er hatte genau darauf geachtet, sich mit Marz jedes Mal in Pennsylvania zu treffen. Cate hatte viel für ausschweifendes Shopping übrig, aber nur, wenn es um die perfekt passenden Schuhe ging, nicht das perfekt passende Gesetz.
Hartford fuhr fort: »Die Gesetze von Pennsylvania definieren glasklar, dass mündliche Vereinbarungen, bei denen nicht über zahlbare Summen, Zahlweisen und Zahlungstermine gesprochen wird, nicht als Verträge gelten. Der ausschlaggebende Fall für diese –«
Cate hob den Finger, und Hartford verfiel augenblicklich in Schweigen. Solche Ehrfurcht wurde nur den höchsten Richtern und den saudischen Königen erwiesen. »Mr Hartford, was sagen Sie zu der Tatsache, dass Mr Marz seine Stellung bei der Bezirksstaatsanwaltschaft aufgab, nachdem es zu der mündlichen Vereinbarung mit Mr Simone gekommen war?«
»Euer Ehren, mit allem Respekt, aber das ist für den Fall nicht relevant.«
»Ich erinnere Sie daran, dass es in Pennsylvania die Doktrin des entschuldbaren Vertrauens gibt. Mr Marz’ Vertrauen auf Mr Simones Versprechungen war entschuldbar.«
»Euer Ehren, Mr Marz’ Vertrauen war angesichts dieser Tatsachen nicht entschuldbar. Ein vernünftiger Mensch hätte die Zahlungsmodalitäten schon viel früher angesprochen. Ein juristisch gebildeter Mensch wie Mr Marz umso mehr.«
»Sollte diese Frage nicht die Jury beschäftigen?«
»Nein, Euer Ehren. Ein Gericht des Bundesstaates Pennsylvania würde die Doktrin des entschuldbaren Vertrauens unter diesen Umständen nicht anwenden, und auch dieses Gericht muss sich in seinem Urteil in diesem Fall nach den Gesetzen des Staates Pennsylvania richten.«
Temin kritzelte, während Marz, die Stirn ärgerlich gerunzelt, auf seinem Stuhl hin und her rutschte. Auf Simones Lippen zeigte sich ein feines Lächeln.
Cate beugte sich vor. »In Pennsylvania gibt es auch die Doktrin der unrechtmäßigen Bereicherung. Was sagen Sie zu der Tatsache, dass Mr Marz acht Monate lang an einem Treatment arbeitete, das Mr Simone annahm und dann produzierte und an dem er Millionen von Dollar verdiente? Diese Fakten machen deutlich, dass Ihr Mandant sich auf Kosten von Mr Marz unrechtmäßig bereicherte.«
Der Saal wurde unruhig. Reporter machten sich Notizen. Zuschauer flüsterten miteinander. Der Deputy lächelte.
»Euer Ehren, Mr Marz’ Entscheidung, seinen Job zu kündigen, war sehr unvorsichtig. Ein vernünftiger Mensch hätte das nicht getan. Ein vernünftiger Mensch kündigt keine einträgliche Stellung, wenn er nichts anderes hat. Außerdem hat Detective Russo, der sich in der gleichen Situation befand, seinen Job auch nicht aufgegeben. Ein Gesetzestext über unrechtmäßige Bereicherung ist keine Versicherung gegen eine falsche Entscheidung.«
Cate machte einen neuen Versuch. »Wenn es nach der Billigkeit geht, dann sieht es für Ihren Mandanten schlecht aus.«
»Bei allem Respekt, Euer Ehren, aber es geht hier nicht um Billigkeit. Wir haben es nicht mit einem rechtmäßigen Vertrag zu tun, über den eine Jury befinden könnte, und nach dem Gesetz müssen Sie Ihr Urteil zugunsten von Mr Simone und seiner Produktionsfirma fällen. Wenn Sie es nicht tun, wird es mit Sicherheit die Berufungsinstanz tun.«
Cate funkelte ihn an. Es war unmöglich, dass sie ihm sagte, was sie dachte.
Hartford sagte: »Um mit der Beweisführung fortzufahren, Euer Ehren, der ausschlaggebende Fall in Pennsylvania ist...«
Cate sank in ihren Stuhl zurück. Sie hörte kaum zu, als Hartford die Litanei der Präzedenzfälle herunterleierte, die seine Position erhärteten. Sie hatte sie letzte Nacht schon alle gelesen, und Emily hatte sie ihr heute Morgen bestätigt. Ihre einzige Hoffnung war, dass Temin noch irgendetwas einfiel, und als Hartford geendet hatte, gab sie ihm ein Zeichen. »Mr Temin, Ihre Erwiderung?«
»Natürlich.« Temin eilte zum Redepult, und Marz schien kurz davor, auf seinem Sitz aufzuspringen. »Der Kläger widerspricht den Ausführungen des Beklagten. Es geht hier keinesfalls um eine bloße Rechtsfrage. Dieser Fall beinhaltet ein klares Problem von Glaubwürdigkeit, über das nur die Geschworenen befinden können und sollen. Wenn diesem Antrag stattgegeben wird, ist Mr Marz vor diesem Gericht verloren.«
Cates Schultern unter der weiten Robe sanken herab. Temins Argument entsprach der Wahrheit, aber hier ging es nicht um die Auslegung von Gesetzen. Er sprach von Gerechtigkeit, nicht von Gesetzen, und Hartford argumentierte mit Gesetzen und sprach nicht von Gerechtigkeit. Ob Simone den berühmten Satz nun gesagt hatte oder nicht, nach dem Gesetz war klar, dass kein gültiger Vertrag vorlag. Und in diesem Fall ließ das Gesetz es nicht zu, dass die Frage von einer Jury entschieden wurde, weil die Geschworenen unter dem Einfluss einer anderen Frage standen – der Frage nach Gerechtigkeit.
Temin fuhr fort: »Mr Marz hat das Recht auf eine faire Auseinandersetzung, Euer Ehren. Sein Wort steht gegen das von Mr Simone, und nur die Jury kann darüber entscheiden, wer lügt und wer die Wahrheit sagt. Wenn man der Jury den Fall entzieht, würde man damit Mr Simone erlauben, auf rücksichtslose Weise die Tatsache auszunutzen, dass...«
Auch ihm konnte Cate nicht lange zuhören. Temin hielt eine Rede, die die Geschworenen vielleicht überzeugt hätte; er sagte Sätze, die zu Herzen gingen und mit dem Verstand nichts zu tun hatten. Ihr Herz fühlte sich krank an. Letzte Woche hatte sie eine junge Mutter zu einem Leben im Gefängnis verurteilt, aber das war besser zu ertragen gewesen als das, was jetzt passierte. Bei dem Urteil letzte Woche hatte sie nach der Gesetzeslage entschieden und ein gerechtes Urteil gefällt. Heute musste sie nach der Gesetzeslage entscheiden und ein ungerechtes Urteil fällen. Sie hatte lange genug als Anwältin vor Gericht gestanden, um zu wissen, dass so etwas geschehen konnte, aber sie war nie selbst in einen solchen Fall verwickelt gewesen, und jetzt war sie sogar diejenige, die die Entscheidung treffen musste. Sie hatte die Verantwortung.
Temin kam zum Ende: »Und deshalb bitten wir Sie, Euer Ehren, den Antrag des Beklagten abzulehnen.«
»Danke, Mr Temin. Ihre Beweisführung war deutlich.« Cate sah zu Hartford. »Zurückweisung, Herr Anwalt?«
»Ja, danke.« Hartford stand wieder aufrecht vor dem Pult, und Temin trat beiseite. »Euer Ehren, der Kläger beruft sich auf das Verhalten des Gerichts und dessen Definition der Tatsachen, aber ich erhebe Einspruch gegen –«
Wie bitte? Cate runzelte die Stirn. »Mein Verhalten ist von keinerlei rechtlicher Bedeutung, und ich habe die Tatsachen nicht irgendwie definiert, Mr Hartford. Ich habe nur ein paar Fragen gestellt. Dazu bin ich berechtigt, das dürfen Sie mir glauben.«
»Selbstverständlich. Das wollte ich nicht bestreiten«, sagte Hartford kleinlaut. »Noch einmal. Der Kläger beantragt, dass das Gericht aufgrund der Gesetzeslage entscheidet. Danke, Euer Ehren.« Er ging zu seinem Tisch zurück, und Simone nickte ihm zu.
Cate übersah die ganze Szene. Marz und Temin, steif und mit gespannter Aufmerksamkeit dasitzend, Simone und Hartford, fast unmerklich hin und her rutschend. Sie kannte die Gesetze, und sie wusste, dass sie geschworen hatte, sie einzuhalten und nach ihnen zu urteilen. Es war sinnlos, das Unausweichliche noch länger hinauszuzögern. Es gab keine andere Möglichkeit. Oder doch?
Cate straffte sich. »Gentlemen, ich werde mein Urteil fällen und es später auch schriftlich formulieren, doch bevor ich das tue, möchte ich noch ein paar Worte sagen.« Sie drehte sich zum Tisch des Beklagten. »Mr Simone, ich spreche jetzt direkt zu Ihnen. Einen Fall von größerer manifester Ungerechtigkeit als den, den ich heute zu entscheiden habe, kann ich mir nicht vorstellen. Ich glaube, Ihr eigenes Gewissen hat Sie völlig im Stich gelassen – falls Sie überhaupt jemals vermochten, zwischen richtig und falsch zu unterscheiden.«
Simones Augen hinter seinen modisch schmalen Brillengläsern zogen sich zusammen, und Hartfords Mund klappte auf. Reporter schrieben eifrig mit, Gerichtszeichner drehten ein Blatt nach dem anderen um, und im Saal erhob sich Geflüster. Der Deputy sah mit glänzenden Augen von seinem Tisch auf. Cate griff nicht nach ihrem Hammer. Sie fühlte sich kräftig genug.
»Ich bin noch nicht sehr lange Richterin, und ich hoffe, dass ich nie mehr einen solchen Fall zu entscheiden habe. Sie haben ein Vermögen verdient, Mr Simone, aber nach meiner Meinung haben Sie jeden Cent davon gestohlen. Sie sind nicht besser als ein ganz gewöhnlicher Dieb.«
Hartford sprang entsetzt auf. »Einspruch, Euer Ehren! Das ist Verleumdung!«
»Setzen Sie sich, und halten Sie den Mund.« Cate würdigte Hartford keines Blickes, sondern sah immer noch unverwandt zu Simone. »Die Idee der Sendung stammt von Mr Marz, die ganze Geschichte hat er sich ausgedacht, und sie gehört ihm allein. Sie haben ihn manipuliert und ausgebeutet. Ich will die Meinung, die ich von Ihnen und von diesem Fall habe, unmissverständlich ausdrücken, unabhängig davon, welches Urteil ich als Richterin fälle. Sie bekommen heute vielleicht Ihr Urteil, aber ich werde Sie deshalb nicht höher achten, und ich werde meinen Gerichtssaal nicht für Werbezwecke oder, noch schlimmer, Einschaltquoten, missbrauchen. Sie haben ein Verbrechen begangen, das wissen Sie, und Sie werden nicht dafür bestraft. Kurz gesagt: Das Urteil ergeht, gegen meine persönliche Meinung, im Sinne des Beklagten.« Sie nahm den Hammer und ließ ihn mit einem lauten Krachen fallen.
»Nein!«, rief Marz plötzlich. Er stand aufrecht hinter dem Tisch. »Du Scheißkerl, ich bringe dich um!« Er stürzte sich auf Simone und packte ihn bei den Schultern. Hartford duckte sich weg, und Simone fiel mitsamt seinem Stuhl zu Boden, während Marz ihn mit Fäusten bearbeitete.
»Gerichtsdiener!«, schrie Cate erschrocken. Simones elegante Brille rutschte von seiner Nase, und Marz ging ihm an die Kehle. Seine Frau schrie. Der Deputy sprang auf und kam dem Umgestoßenen zu Hilfe. Der Gerichtsschreiber verließ die Stenomaschine. Im Saal brach Chaos aus. Reporter schrieben hastig mit. Simones Praktikantin kam ihrem Chef ebenfalls zu Hilfe. Russo versuchte, Marz zu beruhigen, und von hinten kamen Marshals herbeigeeilt.
»Gehen wir«, sagte eine Stimme nah an Cates Ohr. Es war Emily. »Sie sollten wirklich nicht länger hierbleiben.«
»Aber mir geht’s gut«, antwortete Cate. Ihr Mund war trocken geworden. Ihr Herz hämmerte, und ihre Knie fühlten sich weich an. »Ich habe das Ganze schließlich verursacht, und ich bleibe, bis es vorbei ist.«
Zurück im Richterzimmer, saß Cate auf ihrem schäbigen Schreibtischstuhl und starrte aus dem Fenster. Die Türen waren geschlossen, und es war still im Raum, wenn man vom ständigen Klingeln der Telefone absah. Sie nahm nicht ab. Auf der anderen Seite der geschlossenen Tür wimmelte Bella Venton, ihre Sekretärin, die Anrufe der Medien ab. Bella war tief religiös, aber das hieß nicht, dass sie unangenehmen Reportern nicht die Hölle heißmachen konnte. Die beiden Praktikanten diskutierten sicher immer noch heftig das Geschehen, obwohl sie auf Cates Geheiß hin wenigstens den Fernseher abgeschaltet hatten. In den Mittagsnachrichten waren Zeichnungen des Faustkampfes zu sehen gewesen, und in dem ganzen Tumult war die Predigt, die sie ihrem Urteil vorangeschickt hatte, untergegangen.
Wieder begann ein Telefon zu klingeln, und Cate versuchte, es zu überhören. Sie betrachtete die zinnfarbenen Wolken über der Skyline hinter der Ben-Franklin-Brücke. Es sah nach einem aufziehenden Sturm aus, aber vielleicht war es nur ihr Geisteszustand. Sie wusste nicht, was sie eigentlich getan hatte. Schlimmer, sie wusste nicht, ob sie dazu befugt gewesen war.
Auf ihrem Telefon leuchtete ein weißes Licht auf, was bedeutete, dass Bella ihr signalisierte, sie solle abnehmen. »Was? Ist der Feind schon am Tor? Mit Fackeln und Schwertern?«
Bella kicherte. »Gerichtspräsident Sherman ist dran. Soll ich ihn durchstellen?«
»Habe ich eine Wahl?«
»Nein, aber lassen Sie sich nicht von ihm einschüchtern. Nur vor Meriden sollten Sie sich in Acht nehmen. Ich hab gehört, er jammert allen was vor über Sie.«
»Danke.« Cate nannte ihre Sekretärin gern »Bella, die Unentbehrliche«, denn das war sie tatsächlich.
Es gab ein Klicken in der Leitung, und dann ertönte die weiche, zittrige Stimme des Gerichtspräsidenten.
»Ach du meine Güte! Ich hab gerade gehört, was passiert ist. Was für eine Katastrophe! Wie geht es Ihnen?«
»Danke, gut. Es war nicht so schlimm, wie es sich im Fernsehen anhörte.«
»Ich habe sowieso keinen Fernseher im Büro. Ich habe es von Jonathan gehört, der sagte, es sei ein ganz schöner Krawall gewesen.«
Meriden. »Aber ich habe doch nur einen von ihnen k.o. geschlagen, Chief.«
Sherman lachte leise. »Was für ein Fall! Es ist wirklich eine Feuerprobe für Sie gewesen, nicht? Ich dachte, ich hätte Ihnen etwas Gutes getan, aber jetzt stellt sich heraus, dass der Wurm drin ist. Verzeihen Sie mir.«
»Das sehe ich ganz anders. Ich denke, es war faszinierend, und ich habe in vielerlei Hinsicht dazugelernt. Wenn ich das Urteil geschrieben habe, wird bald wieder alles völlig normal sein.«
Sherman kicherte. »Mir war die Aufregung eigentlich ganz recht. Ich habe gehört, dass Steven Bochco letzte Woche im Saal war. Erinnern Sie sich an Hill Street Blues?«
»War ich da schon auf der Welt?«
»Haha! Übrigens hörte ich, dass Sie auf der Richterbank ein paar sehr wenig maßvolle Dinge geäußert haben.«
Cates Herz zog sich zusammen. Jetzt kommt’s.
»Ich habe ein paar Anrufe bekommen. Wahrscheinlich ist es meine Aufgabe als Chief, Sie davon zu unterrichten. Ich hätte es genauso gemacht wie Sie. Aber wenn Sie nichts gegen konstruktive Kritik haben, würde ich sagen, ich an Ihrer Stelle hätte diese Kommentare nicht in der Öffentlichkeit abgegeben.«
»Zu meiner Verteidigung möchte ich sagen, dass alles, was ich sagte, der Wahrheit entspricht.«
»Zweifellos.« Sherman senkte die Stimme. »Das nächste Mal sagen Sie alles, was Sie wollen, aber lassen Sie es nicht nach draußen dringen. Wie es die Alten und Weisen tun.«
Cate lächelte. »Verstanden. Danke. Entschuldigung.«
»Na, sehen Sie.« Sherman hielt inne. »Wissen Sie, wir alle werden von bestimmten Fällen bewegt, die wir zu entscheiden haben. Das gehört zu der Leidenschaft für das Gesetz, die ich habe und die ich auch in Ihnen erkenne. Wir suchen uns unsere Fälle nicht aus, sie kommen zu uns. Wie unsere Kinder.«
Cate dachte an Warren.
»Und ganz ehrlich, ich mag Ihr Feuer, Cate. Sie sind eine neue Art von Richter. Sie beleben das verknöcherte alte Gericht mit frischer Energie. Das Gesetz braucht von Zeit zu Zeit frischen Wind, damit es nicht alt und schal wird. Unflexibel, brüchig. Wir sollten uns der neuen Zeit öffnen, und das tun wir. Das liebe ich an diesem Gericht. An unserem Gericht.« Sherman kicherte. »Nun gut, ich will Sie nicht länger langweilen. Ich habe wirklich einen Hang zum Rabbinischen.«
»Aber nein. Danke für den Rat, Rabbi.« Cate hätte am liebsten noch bis in alle Ewigkeit mit ihm geplaudert.
»Dann machen Sie’s gut«, sagte Sherman und legte auf.
Auch Cate legte auf. Ohne es zu wollen, grübelte sie darüber nach, wer Sherman wohl angerufen hatte. Meriden – und wer noch? Warum hatten diese Leute nicht direkt mit ihr gesprochen? Warum waren sie zu Daddy gelaufen? Wieder sah sie den Himmel vor ihrem Fenster, an dem sich Sturmwolken zusammenballten, aber sie versuchte, es nicht persönlich zu nehmen. In ihr baute sich ein vertrauter Druck auf, der nach Entladung drängte, und ihre Gedanken flogen weiter.
Jetzt würde sie sich schon zum dritten Mal mit ihm treffen.