Читать книгу Die schönsten Pferdegeschichten - Lise Gast - Страница 22

Zwei neue Hausgenossen

Оглавление

Sie hatten gefüttert, nachdem Dagmar die beiden Jüngeren mit großer Mühe wach gerüttelt hatte – nur eine alte Jakke überm Schlafanzug und die nackten Füße in Holzpantoffeln. „Wenn Mutter mich so sähe – dann gute Nacht!“ dachte Anja. Den Stall konnten sie auch später noch machen. Jetzt fanden sie sich erst einmal in der Küche ein, mit ganz kleinen Augen und gräßlich verschlafen. Dagmar hantierte am Herd, machte Milch heiß und fragte, ob sie einen Löffel Pulverkaffee hineinhaben oder gleich weiterschlafen wollten.

„Mir bitte keinen, ich habe vor, bis morgen früh zu pennen“, stöhnte Petra. „Abends könnt ihr allein füttern, das werdet ihr wohl fertigbringen.“

„So siehst du aus. Wir denken nicht dran“, sagte Dagmar und schob ihr den Milchbecher hin. „Komm, trink, ich hab’ Honig reingetan. Wie in der Mühle. Nun sagt bloß, was mit euch gestern abend los war. Habt ihr wirklich gedacht, der Müller geht oben um? Oder wart ihr nur zu faul, die Treppe hinaufzuklettern?“

„Ach – es hat oben mal gepoltert, als keiner von uns dort war, auch die Hunde nicht“, sagte Anja verlegen, „und da –“

„Jetzt sind die Rauhnächte, die zwölf heiligen Nächte, da geht so manches um“, sagte Dagmar – sie sagte es so ruhig und sachlich wie vorhin etwa: Möchtet ihr Pulverkaffee? – und schob auch Anja einen Becher zu. „Da darf man zum Beispiel keine Bettwäsche aufhängen und –“

„Warum denn nicht?“ fragte Petra erstaunt dazwischen.

„Weil das Unglück bringt. Es ist ein Aberglaube“, erklärte Dagmar und lachte. „Bleigießen und daraus die Zukunft sehen ist auch einer. Oder an Holz klopfen und toi, toi, toi sagen. Oder –“

„Du meinst also –“, setzte Anja an, hielt dann aber inne. Dagmar sah sie freundlich an.

„Daß es spuken kann? Im Dorf erzählen sie es. Die alten Leute jedenfalls. Natürlich kann ich mir nicht vorstellen, daß der Müller auf einmal neben mir steht und mich daran erinnert, daß kein Salz mehr im Haus ist – Himmel, hätte er doch! Das haben wir gestern vergessen!“

„Dann müssen wir eben ohne glücklich sein, das ist außerdem viel gesünder“, sagte Petra. „Aber an so was hat er die Müllersfrau gar nicht erinnert, sondern –“

„Nun ja, an was schon? Ich kann mir’s nicht vorstellen. Manchen Aberglauben aber finde ich hübsch, zum Beispiel, daß es Glück bringt, wenn man ein vierblättriges Kleeblatt findet, oder daß man sich was wünschen darf, wenn der Mond im ersten Viertel steht und man ihm drei Knickse macht.“

„Darf man das?“ fragte Anja.

„Ja, und –“

„Und daß wahr wird, was man in der Neujahrsnacht in Blei gießt. Das glaube ich wahrhaftig auch“, sagte Petra jetzt, und es klang überhaupt nicht mehr verschlafen. „Du hast doch gestern abend einen Papagei gegossen, besinnst du dich? Guck mal zum Fenster raus, da sitzt er!“

Dagmar und Anja fuhren herum. Wirklich, in den Ästen des einen Apfelbaumes, der seine Zweige bis zum Haus herüberstreckte, saß ein Papagei, bunt, sehr fremd im Weiß ringsum, unzweifelhaft ein lebendiger Papagei.

„Nein, so was!“

„Wahrhaftig!“ riefen Dagmar und Anja zu gleicher Zeit aus, und Petra lachte befriedigt und triumphierend, als wäre es ihr Werk, ihn dort hingesetzt zu haben. Immerhin war ein bunter Papagei am Neujahrstag auf dem verschneiten Apfelbaum etwas, was einem nicht allzuoft begegnete. Noch dazu einer, der einem durch das Bleigießen vorhergesagt worden war. Nein, was hier alles passierte!

„Kinder, den müssen wir fangen! Der gehört jemandem, und er ist bestimmt nicht an Schnee gewöhnt, sondern an ein warmes Zimmer.“

„Womöglich erfriert er sich die Krällchen!“ rief Petra. „Auf zum Papageienfang! Los! Habt ihr ein Netz?“

„Was denn für ein Netz?“

„Na, eins zum Drüberwerfen. So eins, mit dem man Schmetterlinge fangen kann.“

„Haben wir nicht. Das ist zuviel verlangt. Habt ihr etwa eins? Na also. Wir müssen es anders machen. Ihn mit Futter locken und dann fangen. Was fressen Papageien denn am liebsten?“

„Keine Ahnung. Sonnenblumenkerne vielleicht. Die habt ihr doch sicher, die hat doch jeder, der im Winter Vögel füttert.“

Ja, Sonnenblumenkerne waren im Haus. Dagmar rannte, um eine Handvoll zu holen. Dann aber standen sie da und sahen die Kerne an und wieder den Papagei draußen und wußten nicht weiter. Ob er sich herunterlocken ließ? Sie gingen durch die Hintertür aus dem Haus und standen nun im Schnee, das Lockfutter hochhaltend, und schmeichelten:

„Komm, komm, mein Schöner!“

„Willst du nicht mal probieren?“

„Lora, Lora, guck, was wir haben!“ Das war Petra.

„Woher weißt du denn, daß er Lora heißt?“ fragte Anja.

„Alle Papageien heißen Lora. Lora, gute, komm, komm!“ säuselte Petra. Es klang blödsinnig.

Der Papagei saß da und guckte auf sie herunter; er hielt den Kopf manchmal schief, manchmal nickte er auch.

„Wir müßten eine Leiter haben. Habt ihr denn keine?“ fragte Anja.

„Doch, aber wenn wir sie anlehnen, fällt der Schnee von den Ästen und stäubt auf, und er kriegt Angst und – aber jetzt weiß ich, was wir machen können! Wir haben eine Malerleiter, so eine, die zwei Beine hat. Die könnten wir nehmen und vorsichtig neben dem Baum aufstellen, nicht dranlehnen! Ob sie wohl lang genug ist?“

„Wir holen sie!“

Dagmar und Petra rannten los. Anja blieb stehen, die Körner in der Hand, und lockte und rief. Dann kamen die beiden wieder, sie hatten die Leiter wirklich gefunden und schleppten sie an den Baum heran.

„Vorsicht, Vorsicht, langsam! Nicht an die Äste stoßen.“

Jetzt stand die Leiter. Dagmar hielt mit jeder Hand einen Holm, und Petra kletterte hinauf. Sie hatte sich von Anja das Futter geben lassen, in der andern Hand hielt sie ein Perlonnetz, wie man es zum Einkaufen nimmt. „Vielleicht kann ich ihm das überstülpen.“

„Menschenskind, da müßtest du drei Hände haben – warte, ich komm mit rauf – Anja, halt du die Leiter –“ Dagmar klomm auf der anderen Seite aufwärts. Der Papagei saß aber immer noch höher oben. Petra streute das Futter auf das obere Brett, das die Leiter sozusagen als Plattform abschloß, und duckte sich dann, machte Dagmar ein Zeichen, es ebenso zu machen. So lauerten sie. Der Papagei schien zu überlegen, ob er das Stück herabfliegen sollte. Dabei sagte er etwas. Er sagte es schnarrend und so, daß sie es nicht verstehen konnten. „Ja, ja“, antwortete Petra jedoch, als habe sie ihn genau verstanden, beruhigend wie zu einem scheuenden Pferd, „ja, ja. Jetzt kommen wir ja, und du kriegst was Schönes zu fressen –“

Wirklich, er rührte sich. Er wackelte hin und her, guckte nach dem Futter und spreizte ein wenig die Flügel. Dann drückte er wirklich ab, flog das Stück herunter und landete am Rand der Plattform, also oben auf der Leiter, eifrig pickend. Die drei Mädchen hielten den Atem an.

Dann schob sich Petra, die es nicht mehr aushielt, langsam aufwärts. Sie hatte das Perlonnetz in der rechten Hand und hielt sich mit der linken fest. Jetzt – jetzt – „ooooh!“

Sie schrien es alle drei. Der Papagei hatte das Netz im letzten Augenblick gesehen, war aufgeflogen, landete zunächst auf einem höheren Ast und flog dann, zielsicher, als täte er das jeden Tag, auf das Haus zu und husch! in die Luke hinein. In die Luke, die wahrhaftig offenstehen mußte – man konnte das von unten nicht genau sehen bei dem Schnee auf allen Simsen. Jedenfalls war er weg.

Petra begriff zuerst. Sie sprang von ihrem erhöhten Platz herunter, ohne ein Wort zu sagen, landete im Schnee, taumelte und riß sich wieder hoch. Schon war sie am Leiterchen, das zur Luke führte, und turnte wie ein Affe hinauf. Jetzt war sie oben – klapp! Zu! Der Papagei war im Haus!

„Hurra, hurra! Da kriegen wir ihn irgendwie!“ schrie Dagmar und sprang nun auch herunter. Anja war schon auf dem Weg ins Haus. Petra folgte. Sie rannten, diesmal ohne jegliche Rücksicht auf Gespenster oder Müllererscheinungen, die Treppe hinauf und hielten im ersten Stock erst mal an, atemlos.

„Wo – wo ist er –“

„Dort flattert was!“

„Ruhig, ihr erschreckt ihn noch mehr.“

„Sind auch alle Fenster zu?“

Ja, alle waren zu. Und auch die Luke, die Petra ja von außen zugeklappt hatte.

„Wieso war sie eigentlich vorher auf?“ wunderte sich Dagmar jetzt. Sie sahen einander an. Endlich gestand Petra: „Kinder, vielleicht war ich das. Am ersten Tag, als ihr mal nicht da wart, bin ich rausgeklettert. Ich wollte mal sehen, wie das so ist. Und da muß ich sie –“

„Offengelassen haben? Du bist mir ein Held! Da konnte also jeder, der wollte, ins Haus, trotz verschlossener Haustür und wachsamer Hunde am Fuß der Treppe.“

„Ja“, gab Petra beschämt zu, „aber – aber den Papagei hätten wir sonst nicht gekriegt.“

„Wir haben ihn ja noch gar nicht!“

„Aber im Haus ist er.“

„Los, wir suchen!“

Sie liefen durch die Räume. Im hinteren Winkel, wo Cosys Kasperletheater stand, rührte sich etwas.

„Ich hab’ was gehört. Dort muß er stecken!“ rief Petra, riß das Theater zur Seite und blieb wie angewurzelt stehen. Vor ihr, in die Ecke gepreßt, stand ein Junge, etwa so alt wie sie selbst, mit ziemlich langem Haar, und guckte sie entgeistert an. Eine Sekunde lang glaubte sie, der Papagei habe sich verwandelt …

„Nanu“, sagte sie dann halblaut – ihre eigene Stimme klang ihr fremd. Und dann sagte sie etwas ganz Dummes, noch aus dem vorigen Gedanken heraus, worüber sie später immer wieder lachten. Sie sagte: „Bist du etwa der Papagei?“

„Nein, wirklich nicht“, sagte der Junge verstört, „aber ich hab’ einen gesehen. Ich wollte ihn locken – gehört er euch?“

Jetzt waren auch Dagmar und Anja herangekommen. Sie blieben neben Petra stehen, ohne zunächst etwas zu sagen. Der Junge guckte mit scheuem Blick, den Kopf zwischen die Schultern gezogen, von einer zur anderen.

„Was machst du denn hier?“ fragte Dagmar dann langsam. Ihr ging ein Licht auf. Das Poltern, das Huschen, das Wegrennen, die ausgetrunkene Schlagsahne aus dem Kühlschrank … „Wie lange bist du denn schon hier?“

„Seit vorgestern.“ Er senkte den Blick. „Seit – na, seit einer Weile halt.“

„Und gehört dir der Papagei?“

„Aber wo, den hab’ ich hier zum erstenmal gesehen. Wo –“ Er brach ab, gerade flatterte etwas um die Ecke, und nun sahen sie alle vier, wie der Papagei die Kurve nahm, auf die Luke zusteuerte und, als er sie verschlossen fand, auf der Schrankecke landete.

„Da kriegen wir ihn! Wartet.“ Der Junge schlich sich – er war sowieso in Strümpfen – an der Wand entlang bis zum Schrank, reckte sich und griff mit beiden Händen zu.

„Bitte!“ Er hatte den Papagei wirklich erwischt. Sein Gesicht war wie verwandelt, strahlend hielt er ihn den drei Mädchen hin.

„Toll!“ sagte Petra anerkennend. „Großartig! Wie du das kannst! Mit dem ersten Griff hast du ihn erwischt!“

„Wir haben zu Hause viele Vögel, kleinere natürlich, einheimische – auch ein paar Exoten. Da muß man immer mal einen herausgreifen, wenn er beringt werden soll oder eine Wunde hat oder so was“, erklärte er. „Ja, mein Guter, keiner tut dir weh. Du mußt keine Angst haben. Wohin soll er?“

„Ich weiß –“ Dagmar war davongerannt, die Treppe hinunter. Unten im Milchgewölbe hörte man es poltern, dann die Tür schlagen, und schon erschien Dagmar wieder mit einem Drahtkorb, der ziemlich groß war, an sich dafür bestimmt, Rüben oder Kartoffeln zu transportieren. Den stellte sie verkehrt herum auf die Erde, schob noch ein Fußbänkchen hinein – “damit er was zum Sitzen hat“ – und hob dann den Korb etwas an.

„So, dahinein. Da kannst du erst mal wohnen“, sagte sie und machte dem Jungen ein Zeichen, den Papagei hineinzusetzen.

Der tat es, und Dagmar beschwerte den Korb mit einem dicken Buch.

„Großartig. Siehst du, jetzt fühlst du dich schon ganz zu Hause.“ Der Papagei war auf das Fußbänkchen gehüpft und hielt den Kopf schief. Dann sagte er wieder etwas.

„Ja, ja, du hast recht“, sagte Petra in beruhigendem Ton, „ganz recht hast du.“ Endlich kamen sie alle zu Atem und konnten sich dem anderen Fremdling im Haus, dem Jungen, zuwenden.

„Komm mit runter in die Küche, wir wollen noch mal frühstücken“, sagte Dagmar, „so was am hellen Morgen geht einem ja an die Nerven. Das Jahr fängt gut an.“

Sie hockten sich in der Küche um den Tisch, und Dagmar wärmte wieder einmal Milch. Der Junge war in die Bankecke gerutscht. Sie stellte einen Becher vor ihn hin und schnitt dann ein Stück Weihnachtsstollen für ihn ab.

„Hier, iß. Und dann erzähl.“

Er gehorchte, jedenfalls was das Essen betraf. Die anderen futterten auch. Ihnen war, als hätten sie eine dreitägige Elefantenjagd hinter sich, so hungrig waren sie schon wieder. Und beim Essen kam so langsam eins nach dem andern aus dem Jungen heraus.

Er hieß Heiner, war zwölf Jahre alt wie Petra und ging ins Gymnasium einer kleinen Stadt, etwa dreißig Kilometer entfernt. Dagmar kannte sie. Seine Eltern wohnten etwas außerhalb, der Vater hatte dort eine kleine Fabrik. Geschwister besaß er nicht.

Soviel erzählte er. Dann kam nichts mehr. Petra wollte fragen, aber Dagmar trat ihr auf den Fuß.

Laß! hieß das. Petra verstand. Sie schob ein riesiges Stück Weihnachtsstollen in den Mund und sagte dann während des Kauens – es klang undeutlich und sehr gleichmütig: „Na, dann wollen wir mal in den Stall. Jetzt sind wir alle munter. Schade, daß ihr nur drei Pferde habt, Dagmar.“

„Ja, schade. Schlimmstenfalls können wir uns ja eins dazuborgen. Es gibt hier im Dorf noch mehr. Erst wird aber ausgemistet, daß ihr’s wißt. Erst die Arbeit, dann das Vergnügen.“

Alle waren einverstanden. Zu viert trottete man dem Stall zu.

Die schönsten Pferdegeschichten

Подняться наверх