Читать книгу Die schönsten Pferdegeschichten - Lise Gast - Страница 32

Gutes und Schlimmes

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„Du, Vater, kannst du mal einen Augenblick mitkommen?“ fragte Petra. Sie hatte sich durch die Menge der Feiernden hindurchgedrängt und endlich ihre Eltern gefunden. Sie saßen in der Baracke, in der man sich sonst umzog, Reitkarten kaufte und abgab und Trensen wusch, die aber heute mit Tischen und Stühlen ausgestattet als Festlokal diente.

„Ja, was gibt’s?“ fragte Herr Hartwig.

„Wir brauchen dich. Wir brauchen einen starken Mann oder zwei.“

Petra war, für ihre Verhältnisse jedenfalls, bemerkenswert schüchtern. Herr Hartwig wunderte sich, stand aber dann doch auf und folgte ihr. Sie gingen zum Reiterstübel.

„Das ist Frau Taube, die Mutter von unserem Reitlehrer, und das ist mein Vater“, stellte Petra hastig vor, als sie angekommen waren. Frau Taube saß noch am Tisch, Toni stand daneben. „Wir haben Frau Taube aus ihrem Stübchen im oberen Stock heruntergeholt, damit sie den Faschingszug sehen kann, und nun möchte sie wieder hinauf.“

„Ja, und?“ fragte Petras Vater verständnislos, aber freundlich.

„Wir haben es versucht, Toni und wir“, gestand Petra, dann schwieg sie. Ihr Vater setzte sich.

„Ja?“ fragte er.

Petra wußte nicht weiter, was bei ihr selten vorkam. Da begann Toni zu erklären.

Sie hatten, als die anderen Leute das Lokal verlassen hatten, Frau Taube zur Treppe hingeführt und versucht, sie auf der Rutsche wieder hinaufzuschieben. Das war natürlich nicht gegangen, obwohl Petra, Anja und Toni sich nach Leibeskräften bemüht hatten. Herr Hartwig besichtigte die von Petra und Anja angebrachte Rutsche und schüttelte den Kopf; er schüttelte ihn noch, als er ins Reiterstübel zurückkam.

„Wer hatte denn diese Idee“, fragte er, das heißt, er fragte es nicht, sondern sah nur seine Tochter an.

„Aber …“, setzte Petra an.

„Ich bin selbst schuld, ich hätte nicht darauf eingehen sollen“, sagte Frau Taube und hatte solch ein nettes Lachen um den Mund, daß Herr Hartwig ganz gerührt war, „aber ich wollte halt gar zu gern dabeisein dürfen, endlich wieder einmal.“

„Wir brauchen einen zweiten Mann“, sagte Herr Hartwig entschlossen. „Ich helfe Ihnen. Kannst du nicht deinen Vater holen, Anja, der ist doch auch da, soviel ich weiß?“

„Oder Onkel Kurt“, rief Petra. Sie wußte, das würde Anja lieber sein. Anja nickte erleichtert und rannte davon. Sie fand Onkel Kurt auch bald und kam mit ihm zurück, und die beiden Männer brachten es fertig, Frau Taube zurück in ihr Stübchen zu bringen. Sie bedankte sich sehr. Petras Vater setzte sich zu ihr, nachdem Onkel Kurt gegangen war. Ihn zog es zu Cornelia.

Auch Petra und Anja waren davongelaufen, sie mußten ja im Reitverein helfen. Erst später erfuhren sie, was Herr Hartwig mit Frau Taube besprochen hatte. Und als sie das hörten, strahlten sie und fanden ihn „eine Wucht“.

Ihm war etwas Wundervolles eingefallen. Er wollte mit dem Reitlehrer reden und, dessen Einverständnis vorausgesetzt, für Frau Taube einen kleinen Lift bauen, mit dem sie nicht nur bis ins Reiterstübel und wieder hinauf, sondern sogar bis nach unten fahren konnte.

„Ein paar Schritte bis zu einer Bank, die wir dort aufstellen, werden Sie sicherlich gehen können, und dann haben Sie es doch viel besser“, sagte er herzlich. Frau Taube strahlte.

„Da hat mein Sohn bestimmt nichts dagegen! Wenn das möglich ist …“

„Wozu bin ich denn Architekt.“ Herr Hartwig lächelte. „Möglich ist so was bestimmt. Ich habe mir alles genau angesehen“, sagte er.

Dies alles erfuhren Petra und Anja aber erst später. Jetzt waren sie schwer beschäftigt. Das Faschingsreiten verlief über die Maßen schön und prächtig. Daß Cornelia mit ihrem Kostüm den größten Beifall erntete, war klar, und Onkel Kurt strahlte und war stolz.

Am Abend kam Cornelia mit zu Anjas Eltern, und sie feierten zusammen den gelungenen Tag. Anja saß dabei; sonst hielt sie sich nicht gern bei den Erwachsenen auf, aber wenn Cornelia dabei war, konnte sie nicht widerstehen. Mitten in die Unterhaltung hinein schrillte das Telefon. Vater hob ab und winkte dann Anja heran.

„Petra. Du sollst mal kommen.“

„Haben die beiden nicht den ganzen Tag über Zeit gehabt, sich zu unterhalten?“ fragte Mutter halblaut und ein wenig empört. Dann aber sah sie, wie Anjas Gesicht in ungläubigem Entzükken aufstrahlte.

„Ist das wahr? Wirklich?“ stammelte sie. Und dann, als sie den Hörer aufgelegt hatte, platzte sie heraus:

„Wißt ihr was? Frau Taubes Tochter ist wieder da! Diejenige, die damals im Zorn wegging, vor vielen Jahren! Frau Taube hat uns davon erzählt. Der schwarze Ritter, der heute mitritt im Faschingszug, der mit dem geschlossenen Visier, das war sie …“

„Wahrhaftig?“ fragte Cornelia, der sie damals davon erzählt hatten. Und nun brach aus Anja alles heraus, was Petra ihr berichtet hatte: wie glücklich Frau Taube wäre und auch der Reitlehrer, daß er nun seine Schwester wiederhabe. Sie erzählte und erzählte, und Mutter wunderte sich, wie sehr ihre kleine Anja am Schicksal dieser Leute teilnahm.

„Sie ist eben doch kein solcher Egoist, wie ich manchmal annahm“, dachte sie und betrachtete mit verstohlener Zärtlichkeit das glühende Gesicht ihrer kleinen Tochter. „Hoffentlich muß sie nicht einen ähnlichen Umweg gehen, um zu mir zurückzufinden …“

Es wurde spät, und am nächsten Morgen schlief Anja wieder ein, nachdem Mutter sie geweckt hatte. Mutter merkte es zuerst nicht, dann aber kam sie noch einmal und schalt, und Anja antwortete patzig und frech. Außerdem fand sie das Buch nicht, das sie heute unbedingt in der Schulbücherei abgeben mußte. Sie suchte und suchte, und es wurde spät. Sie rannte dann zur Schule, um die Zeit einzuholen; unterwegs fiel ihr ein, daß ja heute eine Klassenarbeit geschrieben wurde, für die sie sich nicht vorbereitet hatte. Oh, das würde bestimmt eine Pleite geben! Es war Erdkunde, und dafür muß man lernen, ob man will oder nicht. Sie kam im letzten Augenblick in die Klasse gestürzt, die anderen hatten schon ihre Hefte aufgeschlagen, und Herr Wruck sah sie strafend an.

Afrika war das Thema, und Anja wußte so gut wie nichts. Sie versuchte, von ihrer Banknachbarin etwas abzugucken, aber Herr Wruck gehörte leider zu den Lehrern, die sehr gut aufpassen. Er ermahnte sie – schließlich setzte er sie allein auf eine Bank. Nun war nichts mehr zu machen. Kurzum, es war ein richtiger Aschermittwoch.

In der Pause suchte sie nach Petra, um ihr Herz bei ihr auszuschütten, fand sie aber nicht. Eine aus Petras Klasse erzählte ihr, Petra wäre krank, jedenfalls hätte sie sich entschuldigen lassen. Anja empfand dies als neuen Schicksalsschlag und rief, sobald sie zu Hause war, bei Hartwigs an. Sie bekam Petra sofort an den Apparat.

„Ach, ich war so müde, da hab’ ich einfach gesagt, ich hätte schreckliches Bauchweh und ob ich nicht Kamillentee haben könnte. Meine Mutter weiß, wie widerlich mir Kamillentee ist, und so glaubte sie mir die Bauchschmerzen. Und als sie mir das Zeug brachte und ich es roch, da kam mir schon alles hoch. So konnte ich im Bett bleiben und mich richtig auspennen. Eine Arbeit habt ihr geschrieben, und du hattest das vergessen? Herzliches Beileid! Na, mach dir nichts draus. Cornelia hat mal gesagt, man soll alle Schrecknisse des Lebens so ansehen, als wäre man schon zehn Jahre älter und erinnerte sich nur noch daran. Dann machst du dir bestimmt keine Gedanken mehr über eine schiefgegangene Erdkundearbeit, wetten? Also – tschüs, morgen komm’ich wieder in die Schule.“

Das war kein großer Trost. Anja ahnte, daß noch mehr nachkommen würde, und richtig! Vater hatte ausgerechnet heute Herrn Wruck getroffen. Es gab also bei Tisch ein recht unerfreuliches Hin und Her, und natürlich – wie konnte es anders sein! – sagte Mutter: „Wenn so was noch mal vorkommt, gehst du eine Woche nicht in den Reitverein. Immerzu hast du nur den Reitverein im Kopf. Die Schule darf nicht darunter leiden.“

Und damit war „die Katz den Bach nunder“, wie eine schwäbische Tante in solchem Fall zu sagen pflegte. Anja sagte wütend, das hätte mit dem Reitverein gar nichts zu tun, aber alles würde nur darauf geschoben, und Pech könnte jeder mal haben, und …

Vater beschwichtigte, Anja bockte, Mutter fing an zu weinen. Das konnte Anja nicht ausstehen. Sie warf die Gabel hin und rannte vom Tisch weg, die Tür hinter sich zuschmetternd.

Ach ja, so einfach ist das Leben nicht, wenn man Kind ist und die Erwachsenen immerzu alles anders haben wollen, als man es gern hat. Anja warf sich in ihrem Zimmer aufs Bett und heulte, weil sie sich schlecht behandelt vorkam; Mutter wollte sich nicht trösten lassen, und Vater sah seufzend seine Aktentasche an, die die Hefte, die er korrigieren mußte, kaum fassen konnte. Er sagte nichts, ging aber nach einer Weile seiner Tochter nach und fand sie schlafend vor.

„Das Beste, was ihr passieren konnte“, dachte er und sagte zu seiner Frau: „Lassen wir sie schlafen. Das tut ihr bestimmt gut. Und du legst dich auch hin. Du hast es genauso nötig.“

„Und die Jungen?“ schnupfte Mutter anklagend.

„Ich mach’ dir einen Vorschlag: Statt Hefte zu korrigieren, wozu ich nicht die mindeste Lust habe, mach’ ich mir ein Fest und fahr’ die beiden jetzt eine Stunde durch die schöne Luft aus. Bis dahin hast du ausgeschlafen und bist wieder vergnügt und munter, und meine Hefte laufen nicht weg. Einverstanden?“

Mutter versuchte, ihm dankbar zuzulächeln. Aber so recht in Ordnung kam der Tag nicht wieder.

Die schönsten Pferdegeschichten

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