Читать книгу Die schönsten Pferdegeschichten - Lise Gast - Страница 30

Lauter Pläne

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„Na, ihr beiden? Kommt nur ruhig näher, ich freu’ mich sehr, daß ihr mich besucht“, sagte Frau Taube. Sie saß im Lehnstuhl und hatte vor sich auf dem Tischchen einen Kasten stehen, dessen Deckel zurückgeschlagen war. Petra machte den Hals lang, dann lachte sie.

„Verbandszeug! Was Sie nicht immer alles parat haben. Und immer genau das Richtige!“

„Kunststück! Ich habe ja aus dem Fenster geguckt. Und hinter mir im Regal steht alles, was ich so brauche: Bücher und Nähzeug, Verbandsachen und Papier und Kulis zum Schreiben. Mein Sohn räumt mir das immer alles ein, jeden Tag fragt er: ‚Was geruhen Eure Hoheit heute zu tun?‘ Und dann legt er mir alles griffbereit hin.“

„Und heute wußte er –“

„Daß ihr einen Dogcart-Ausflug mit Kerlchen machen würdet? Nein, in die Zukunft sehen kann er nicht. Aber der Verbandskasten steht immer vorne an. Und nun her mit den Knien, Anja.“

Anja kam heran. Frau Taube hatte eine so freundliche, herzliche Art, daß das gar nicht peinlich war. Sie wollte die Hosenbeine hochschieben, aber Frau Taube winkte ab.

„Ganz ausziehen, anders geht es nicht. Ich muß ja auch die Hosen flikken, nicht nur die Knie.“

Die waren ganz schön aufgeschürft. Frau Taube drückte Salbe auf ein breites Pflaster und klebte das auf das eine Knie, wickelte eine Mullbinde darum und tat dann dasselbe mit dem anderen. Danach fädelte sie einen dunklen Faden ein und ließ sich die beschädigte Hose reichen.

„Damit deine Mutter nicht in Ohnmacht fällt.“

Petra hatte inzwischen Kaffee gekocht. Sie brachte ihn herüber. Frau Taube lachte.

„Danke dir. Alles hat sein Gutes. Wenn ihr nicht mit dem Dogcart umgeschmissen hättet, bekäme ich jetzt keinen Kaffee.“

„Werden Sie es erzählen?“ fragte Petra gespannt.

„Daß du mir Kaffee gekocht hast? Vielleicht“, sagte Frau Taube harmlos. Petra lachte.

„Das doch nicht. Das mit Kerlchen – daß wir ihn genommen haben, heimlich.“

„So heimlich war das doch gar nicht. Wenn niemand hier ist, kann man ja niemanden fragen“, sagte Frau Taube. „Nein, ich werde nicht petzen“, setzte sie in anderem Ton hinzu. „Warum sollte ich auch. Ist ja alles gutgegangen.“

„Na, so gut auch wieder nicht. Ich hatte gedacht, so ein Wagen ist sicherer. Wir würden Sie nämlich gern einmal damit ausfahren“, sagte Petra jetzt geradeheraus, setzte sich auf einen Stuhl am Fenster und betrachtete ihre Hände von innen. „Anja wird natürlich verbunden und gesalbt, und mit ihr wird ‚ei, ei‘ gemacht, aber ob Petra Wunden davongetragen hat, darum kümmert sich kein –“ Sie hielt inne.

„Kein?“ fragte Frau Taube verschmitzt.

„Kein – kein Täubchen“, sagte Petra vergnügt. „Hatten Sie etwas anderes erwartet? Ist übrigens nicht schlimm. Nein, braucht nicht verbunden zu werden. Das würde nur auffallen. – Ja, wir hätten Sie gern spazierengefahren, aber jetzt, wo Sie gesehen haben, wie leicht so ein Dogcart kippt, da wird Ihnen wohl die Lust vergangen sein.“

„Ach was, mehr als rausfliegen kann man nicht“, sagte Frau Taube und nahm sich das zweite Hosenbein vor. „Ich müßte eben nur unten wohnen. Dann führe ich sofort mit euch. Aber zu ebener Erde gibt es leider keine Dachstübchen, so ist das im Leben.“

„Und umziehen möchten Sie nicht?“ fragte Petra.

„Nein, denk mal an. Ich hab’ mich hier sehr gut eingewöhnt, und im Sommer sehe ich ja auch mehr. – Zieht mal die Schublade dort auf, die zweite von der Kommode, und guckt hinein. Da muß noch was Süßes drin sein, ein Kasten mit Keksen. Ja, dort. Also wie wär’s? Wenn ihr mich schon mal besucht …“

„Du, die wäre wirklich gern mitgefahren. Das heißt, sie möchte das immer noch“, sagte Petra, als sie nach einer Weile miteinander die Treppe hinunterstiegen. „Wir müssen mal gut überlegen, wie wir ihr helfen könnten. Sie ist wirklich ein Schatz.“

„Und sie petzt bestimmt nicht. Kerlchen ist ja auch nichts passiert“, sagte Anja. Nebeneinander rannten sie über den Platz vor dem Stall. Petra holte ihr Fahrrad, das an der hinteren Stallwand lehnte, und befahl: „Los, auf den Gepäckträger! Ich fahr’ dich heim. Es ist schon wieder so spät.“

Spät wurde es immer, wenn man im Reitverein war. Das sagte auch Mutter, als Anja heimkam. Anja brummte, sie wäre heute gar nicht geritten, und dann erzählte sie von der Mutter des Reitlehrers, die sie besucht und der sie Kaffee gekocht hatten. Mutter schwieg. Ganz überzeugt von Anjas Edelmut war sie anscheinend aber nicht.

Ach ja, der Reitverein.

Schularbeiten waren auch noch nicht gemacht, das aber fiel Anja erst ein, als Mutter sie zum Einkaufen schicken wollte. Da wurde Mutter ärgerlich und schalt, und Anja bockte. In diese reizende Familienszene hinein platzten Vater und Onkel Kurt, den er vor dem Haus getroffen und dem er ein lustiges Abendessen versprochen hatte. Das paßte ja wundervoll.

„Ich fürchte, hier hängt der Haussegen schief“, sagte Onkel Kurt, zog den Kopf ein und machte ein Gesicht, als stünde er allein auf weiter Flur unter einem Gewitter, das sich haargenau über seinem Kopf entlud. „Bei so was hilft nur Tapetenwechsel. Darf ich was vorschlagen? Ich ruf’ Cornelia an, daß wir sie allesamt zum Abendbrot überraschen und die Hähnchen dazu mitbringen. Die beiden Kleinen werden mitgenommen, damit Mutter sich keine Gedanken machen muß. Na, was meint ihr?“

„Wundervoll“, sagte Vater und öffnete die Tür zu seinem Zimmer. „Bitte ruf an. Cornelia wird vor Freude auf einem Bein hüpfen, wenn sie hört, daß wir zu sechst kommen.“

„Du wirst lachen, sie freut sich wirklich!“ verkündete Onkel Kurt, nachdem er mindestens eine Viertelstunde am Telefon „geturtelt“ hatte. „Auf geht’s, schlüpft in die Pelze, und steigt in meinen Rolls-Royce, der vor der Tür wartet. Ich fahre dann am Wienerwald vorbei und besorge die Flattermänner. Wie ist das, essen die Buben jeder schon ein ganzes Hähnchen, oder genügt ihnen ein halbes?“

Anja kannte Cornelias Wohnung noch nicht und war sehr gespannt darauf. Schade nur, daß Petra nicht dabei war! Aber mit Petra ging sie bestimmt bald einmal hin.

Die Wohnung lag im Westen der Stadt in einem neuen Viertel. Sie war klein, aber hell und reizend eingerichtet. Cornelia hatte bereits den Tisch gedeckt, Papierservietten gefaltet und Brot zurechtgestellt. Auch ein paar Flaschen Rotwein standen auf dem Tisch.

Auf einmal war alles gut. Sie saßen und knabberten ihre Hähnchen, während die Zwillinge auf dem Teppich herumkrochen.

„Das dürfen sie ruhig“, sagte Cornelia, „der Teppich ist gerade heute erst aus der Reinigung zurückgekommen. Und einen Hund habe ich nicht, leider. In diesem Falle allerdings …“

„Dafür hab’ ich ja genug Hunde“, sagte Onkel Kurt und wurde im selben Augenblick so rot, daß sich alle fast vor Lachen verschluckten. Seine Verlobung mit Cornelia lag seit ein paar Wochen so sichtbar in der Luft, daß sich dauernd jemand versprach. Warum gaben sie sie auch nicht zu!

Natürlich kam die Unterhaltung auch auf den Reitverein, und Cornelia fragte, was sie anziehen sollte. Es war nämlich üblich, daß am Faschingsdienstag verkleidet geritten wurde. Voriges Jahr war der Reitlehrer als Frau gekommen, mit einem Sommerkleid über den Reitstiefeln, zum Schießen komisch. Es war jedes Jahr ein großer Spaß.

Mutter schlug vor, Anja könnte ja als Heinzelmännchen gehen, weil sie daheim so ungeheuer fleißig sei und ihr jede Arbeit aus der Hand nähme, und Anja brachte es fertig, nicht einzuschnappen, sondern fröhlich und freundlich die Teller einzusammeln, als alle fertig waren, die Papierservietten fortzunehmen, ein neues Tischtuch zu holen und all das so hübsch und nett und geschickt zu tun, daß alle sie lobten.

„So ist sie zu Hause nie“, flüsterte Mutter, als sie einmal in der Küche war und es nicht hören konnte, halb stolz, halb kummervoll. Cornelia lachte und drückte Mutters Arm.

„Das ist nun mal so auf der Welt. Kennen Sie nicht die Geschichte von den beiden Familien mit größeren Kindern, die jede in eine neue Wohnung ziehen, einander gegenüber. Die Mutter hofft nun, daß ihr Sohn ihr wenigstens die Lampen installiert. Aber nein, er denkt nicht daran und ist dauernd weg, wenn man ihn braucht. Dafür kommt zum Glück der Sohn der anderen Familie, der bereits einer der Töchter tief in die Augen gesehen hat, und hilft. Eines Tages erzählt die Mutter das der anderen Mutter. Die lacht.

„Sie sagen, mein Sohn hat Ihnen geholfen, als Sie hier einzogen? Wissen Sie, was Ihrer tat? Er hat drüben bei mir alle Lampen installiert, tadellos und ohne daß ich darum bat. Er war so hilfsbereit und nett, nur meinen eigenen bekam ich nicht zu sehen. Bei ihm habe ich so was noch nie erlebt.“

Alle lachten über diese hübsche Geschichte.

„Ja, als was werden Sie sich nun verkleiden zum Faschingsreiten?“ fragt Vater dann Cornelia und goß ihr ein. „Haben Sie schon ein Kostüm in Aussicht?“

„Als Fee“, schoß Onkel Kurt los, gleich darauf wurde er wieder rot vor Verlegenheit. Alle wußten ja, wie verliebt er in Cornelia war, aber alle meinten, sie müßten so tun, als merkten sie es nicht.

„Ich weiß nicht, ob man als Fee gut reiten kann“, sagte Cornelia. „Mit so flatternden Gewändern um einen herum, oder nicht?“ sagte Vater trocken. „Sag, Anja, als was will Petra denn eigentlich gehen, die hat doch immer so herrliche Ideen.“

„Sie weiß schon, als was! Als Kosak. Sie kann doch den Kosakenhang – man hängt seitlich am Pferd, den Kopf nach unten, ein Bein in der Schlinge und eins nach oben gestreckt!“ sagte Anja. „Und mich hat sie gefragt, ob ich nicht Cowboy sein will. Das ist zwar ein Kostüm, was viele tragen, aber wir könnten uns dazu den Westernsattel von Dagmar borgen. Die hat einen echten. Und Cowboy ist leicht zu machen. Zu Jeans einfach eine karierte Bluse, wenn’s geht, eine Weste dazu, Hüte gibt’s aus Pappe.“

„Halt, halt! Ich besitze einen echten Westernhut, den borg’ ich dir“, fiel hier Onkel Kurt ein. „Ich war doch mal in Amerika, von dort habe ich ihn mitgebracht.“

„Wunderbar! Und als Lasso nehme ich eine Wäscheleine.“

„So eine moderne, ganz dünne aus Perlon“, neckte Cornelia, „die man nicht sieht?“

„Nein, eine altmodische. Und einen Colt muß ich mir besorgen.“

„Den kriegst du auch von mir“, versprach Onkel Kurt. „Einen echten, aber ungeladen. Knallen kannst du nicht damit.“

„Das will ich ja gar nicht. Nie würde ich das tun, da könnten die Pferde doch erschrecken. Nein, erschrecken darf man Pferde nie.“

Anja konnte es kaum erwarten, Petra dies alles zu erzählen. Am anderen Tag suchte sie auf dem Schulhof so lange, bis sie die Freundin erwischte.

Und nun schüttete sie ihre ganze Begeisterung über Petra aus.

Die hörte mit funkelnden Augen zu. „Machen wir. Wir müssen am schönsten verkleidet sein, du und ich und natürlich Cornelia. Meinen Kosakenkittel näht Frau Taube, das hat sie mir schon vor einem Jahr versprochen. Das heißt, sie hat einen, den macht sie mir enger. Ich sollte ihn schon voriges Jahr tragen, aber da ging ich als Teufel. Weißt du, Frau Taube müßte beim Faschingsreiten zusehen können. Sie möchte es so gern. Vielleicht reiten wir ja draußen, wenn das Wetter danach ist. Aber womöglich regnet es. Schnee wäre ja nicht so schlimm. Im Regen findet das Faschingsreiten aber bestimmt in der Halle statt.“

„Ja, auf den Petrus ist kein Verlaß.“ Sie standen da und sahen einander nachdenklich an.

„Man müßte …“

„… mit dem Reitlehrer sprechen!“ schlug Anja vor. „Ihn bitten …“

„Ich weiß nicht. Ich finde, wir sollten es ohne ihn versuchen. Bei allen Festen – Turnier oder Weihnachtsreiten oder so – ist er immer furchtbar beschäftigt und entsetzlich streng. Nein, besser, wir finden allein eine Möglichkeit.“

„Vielleicht könnten wir …“

„Jetzt weiß ich was!“ unterbrach Petra Anja. „Jetzt – also hör mal zu! Wir besorgen uns …“Da schrillte die Schulglocke: Pause vorbei. Alles drängte dem Tor zu. Petra verdrehte die Augen auf eine komisch-verzweifelte Art.

„Immer, wenn man was Wichtiges bespricht, kommt die blöde Schule dazwischen! Ich muß sofort in meine Klasse, wir schreiben jetzt eine Arbeit. Aber ich weiß was ganz Schönes! Ich erzähl’ es dir heute nachmittag. Bist du im Reitverein?“

„Klar! Und du weißt wirklich was?“

„Ja. Ich hab’ einen tollen Plan. Du kannst dich schon vorfreuen.“

Damit war Petra verschwunden, untergegangen im Schwarm der anderen Schüler. Anja ließ sich vom Sog der Hineindrängenden mitziehen. Petra fand ja immer einen Weg …

Die schönsten Pferdegeschichten

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