Читать книгу Die schönsten Pferdegeschichten - Lise Gast - Страница 29

… und die erste Fahrstunde

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„Was bringst du denn da angeschleppt?“ fragte Herr Anders, als er, um den Stall herumkommend, Petra begegnete. Er war in Hut und Mantel und sah sehr „städtisch“ aus; er hatte heute frei. Petra zog pustend und schnaufend einen merkwürdigen Wagen hinter sich her; zweirädrig, nicht mehr neu, aus Holz, mit Motorrad-Rädern und einer Scherendeichsel aus Leichtmetall.

Anja schob hinten. Beide waren ziemlich atemlos und blieben stehen, als Herr Anders, der Pferdepfleger, sie anredete.

„Einen Dogcart, geschenkt bekommen“, meldete Petra und wischte sich über das Gesicht. „Sogar mit Geschirr. Von Bekannten, die früher Pferde hatten. Schön, nicht wahr?“

„Sehr schön. Und den habt ihr durch die ganze Stadt geschleppt?“

„Nur durch die halbe. Gott sei Dank wohnen die Leute nicht am andern Ende. Trotzdem –“

„Trotzdem. Na, wir werden sehen, was damit zu machen ist“, meinte Herr Anders und ging weiter.

„Nun können wir den Wagen ausprobieren“, sagte Petra zu Anja, die wieder anschob, und nahm die Deichseln auf. „Beim erstenmal ist es vielleicht gut, wenn wir es ohne Erwachsene probieren. Die sehen ja überall nur Schwierigkeiten, wo keine sind.“

Anja schob schweigend weiter. Sie war immer einverstanden, wenn Petra etwas ausheckte; Petra war zwei Jahre älter als sie und seit eh und je im Reitverein. Wenn sie also sagte, sie wollten es ohne Erwachsene probieren, dann war es wohl das richtige. Obwohl – ein kleines Bedenken schlummerte in ihrem Herzen, aber sie drängte es tapfer beiseite. Aufatmend stellten sie den Wagen vor dem Stall ab.

„So, das wäre geschafft. Was wir alles für den Reitverein tun!“ sagte Petra. „Die wissen gar nicht, was sie an uns haben. Mal sehen, ob noch jemand da ist.“ Heute war Montag, Stehtag, wie in allen Reitvereinen. Da viele Leute nur sonntags zum Reiten kommen können, wird an diesem Tag oft von früh um sechs an geritten und auch nachmittags, je nachdem, wie viele Interessenten kommen. Dafür ist Montag Ruhetag für die Pferde. Wer gern ausgeruhte, muntere Reitpferde haben will, schreibt sich für die Stunden am Dienstag ein. Petra wußte das natürlich. Heute war deshalb kein Mensch zu sehen.

„Fein, paßt wunderbar“, sagte sie, „vor dem Abendfüttern ist Herr Anders nicht wieder hier. Komm, wir holen uns Kerlchen.“

„Warum gerade Kerlchen?“ fragte Anja.

„Na ja, ich möchte nicht gern ausgerechnet die Moni einspannen. Womöglich geht sie die ganze Zeit auf zwei Beinen. Ob sie jemals vorm Wagen gegangen ist, weiß ich nicht. Kerlchen aber –“

„Meinst du, Kerlchen war früher ein Wagenpferd?“

„Wenn nicht, wird er es jetzt. Ich bin entschlossen, mit ihm zu fahren. Brav und friedlich, wie er ist, wird er uns keine Schwierigkeiten machen.“

„Na schön.“ Anja war nicht ganz wohl zumute, als Petra den alten guten Kerlchen aus dem Stand holte, ihm das Kopfstück überstülpte und ihn dann vor den Dogcart führte. Aber Petra mußte es ja wissen.

Sie legten ihm den Kammdeckel auf und schnallten ihn unterm Bauch fest, streiften das Brustgeschirr über und schnallten an den Zugsträngen herum, bis sie die richtige Länge zu haben schienen. Das dauerte eine Weile. Sie probierten hin und her, und dann hing in der Mitte noch ein Stück Riemen herunter, mit dem sie nichts anzufangen wußten.

„Der ist unnötig. Da sieht man mal wieder, wie man Leder sparen könnte“, brummte Petra vor sich hin. „Aber abmachen können wir ihn auch nicht, er ist angenäht. Na, soll er hängen. So, wo ist die Peitsche? Jetzt geht’s los.“

„Wozu denn die Peitsche?“ fragte Anja besorgt. „Du willst doch nicht etwa einen Schnelligkeitsrekord aufstellen?“

„Ach wo. Nur, zum Fahren, merk dir, gehört eine Peitsche. Du weißt ja, wir sind nicht im Reitverein, sondern im Reit- und Fahrverein. Da muß man auch vorschriftsmäßig fahren. Nach Achenbach, verstehst du.“

„Achenbach?“

„Das erklär’ ich dir später. Los, steig ein.“

„Soll ich nicht lieber …“

„Nebenherlaufen? Anja! Reiten lernt man nur vom Reiten, das weißt du ja, und mit dem Fahren ist es ebenso. Also: Willst du oder willst du nicht?“

Sie selbst war schon auf den Wagen hinaufgeturnt und hob die Zügel, damit Anja darunter durchschlüpfen konnte. Anja überwand das letzte Zögern und tat es ihr gleich. Nun saßen sie nebeneinander, Petra rechts, Anja links, Petra die Zügel in beiden Händen.

„Setz dich lieber rechts hin und übernimm die Bremse. Wenn es nötig sein sollte“, sagte Petra. „Da, die Drehbremse. Versuch sie mal. Ja, so. Sehr schön. Quietschen tut sie, wir müssen sie nachher ölen. Also, Kerlchen, nun kann’s losgehen!“

Sie schnalzte mit der Zunge und berührte Kerlchens Flanke mit der Peitsche. Das Pferd zog gehorsam an. Petra lenkte ihn an der Reithalle bergab, langsam und vorsichtig, und bog dann in den kleinen Weg ein, der um den Sprunggarten führte.

„So ist’s recht, guter Kerlchen, brav, brav. Und jetzt – Terrab!“

Sie hatten den ebenen Weg erreicht, und Kerlchen setzte sich, ohne zu zögern, in Trab. Petra strahlte.

„Siehst du. Er ist ganz vortrefflich eingefahren. Das merkt der Fachmann sofort. Na, wie findest du es?“

„Wunderbar“, seufzte Anja. Dann drehte sie den Kopf.

„Ob Frau Taube uns sieht? Dort oben sind ihre Fenster. Frau Taube, juhu!“ Sie wagte nicht, richtig laut zu rufen, um Kerlchen nicht zu erschrecken. Aber mit der linken Hand konnte sie ein bißchen winken, die rechte lag an der Bremse. Und es war ihr auch, als winkte es oben hinter der Scheibe zurück. Genau konnte sie es nicht erkennen, denn sie guckte immer nur ganz schnell hinauf und dann wieder auf das Pferd.

Einmal sanken sie plötzlich beide weit nach hinten auf ihrem Sitz, und die Deichseln gingen hoch.

„Huch!“ schrie Anja. Petra aber hatte sich geistesgegenwärtig sofort nach vorn gebeugt und erlangte dadurch das Gleichgewicht des Wagens wieder.

„Na, so was. Das darf doch nicht vorkommen“, murmelte sie. „Wir müssen es beim Sitzen ausbalancieren, damit es nicht wieder passiert. Ja, so geht’s.“

Auf dem Weg war der Schnee festgestampft und hart, auf den Wiesen rechts und links lag er noch locker. Es fuhr sich schön, Kerlchen trabte, eins, zwei, eins, zwei, als wäre er im Leben nie anders als vor der Kutsche gegangen, und die beiden Mädchen wurden immer vergnügter.

„Wenn Herr Anders wiederkommt, erzählen wir es ihm“, sagte Petra, „oder wir fahren ihn mal aus. Er ist alt und sollte doch endlich einmal so richtig verwöhnt werden.“

„Ja, und weißt du, wen wir auch mal ausfahren müßten? Frau Taube. Die kommt doch überhaupt nicht aus der Bude.“

„Wenn man sie nur die Treppe runterkriegte“, sagte Petra und machte ein nachdenkliches Gesicht. „Ein paar Schritte gehen kann sie ja, also meinetwegen bis zum Wagen, das würde schon reichen. Nur unten müßten wir sie erst mal haben.“

Der Weg bog jetzt nach links ab und in den Wald hinein.

„Für Autos und Motorräder verboten, genau das, was wir brauchen“, sagte Petra zufrieden, „für Anlieger frei, das macht uns nichts. Hier gibt’s bestimmt wenig Anlieger.“

Sie zottelten dahin, Kerlchen in gleichmäßigem, ruhigem Trab, ganz, als habe er wirklich nichts anderes im Leben getan, als den Dogcart gezogen.

„Vielleicht war er mal ein Milchpferd“, sagte Petra versonnen.

„Was ist denn das?“ fragte Anja.

„Na, halt ein Pferd vor dem Milchwagen. Früher wurde die Milch doch ausgefahren, und der Kutscher hatte eine große Schelle, mit der klingelte er. Dann kamen die Hausfrauen mit ihren Kannen und kauften. Sehr hygienisch war das nicht, weil der ganze Staub und Dreck von der Straße mit hineinflog, aber lustig. Jetzt ist die Milch steril verpackt. Ich würde lieber an einem Milchwagen kaufen.“

„Ich auch. Vieles muß früher komischer gewesen sein“, sagte Anja. „Wenn mein Vater manchmal ins Erzählen kommt –“

„So, jetzt drehen wir um. Du, ich glaub’, dazu steigen wir lieber aus“, sagte Petra. „Ein Dogcart, der nur zwei Räder hat, dreht zwar auf der Stelle, aber vielleicht –“ Sie war schon abgesprungen, Anja folgte. „Brav, Kerlchen, und jetzt schön nach links, ja, so.“

Kerlchen wendete. Er trat erst vorsichtig im Kreis, dann aber, als ihm klarzuwerden schien, daß es nun heimwärts ging, zog er gewaltig an.

„Langsam, langsam – warte –“Petra stemmte sich gegen den Zügel, aber Kerlchen schien das mißzuverstehen. Er ruckte herum, nein, jetzt wollte er heim. So ein Pferd, auch wenn es alt und gutmütig ist, hat schon seine Kraft. Einen Augenblick kämpften sie beide, Petra und Kerlchen, miteinander, dann siegte Kerlchen. Er bog ganz kurz um, der Dogcart kippte auf das äußere Rad, das innere ging hoch, und bums lag der Wagen auf der Seite. Kerlchen erschrak und zog mit einem Ruck an. Petra ließ den Zügel nicht los, wurde aber mit vorwärts gerissen.

„Halt, halt!“ schrie Anja, aber mit Schreien war natürlich nichts geholfen. Sie rannte also hinterher und griff nach der Lehne des Sitzes, die jetzt senkrecht stand, erwischte sie auch und versuchte, den Wagen zu bremsen. Der schleifte, halb umgekippt, hinter dem Pferd her, das jetzt ganz gedreht hatte und in eiligem Trab, viel schneller als vorhin, der Heimat zustrebte, die beiden Mädchen hinter sich herziehend. Beide versuchten abzustoppen, aber sie konnten gegen den Stalldrang des Pferdes nicht viel ausrichten.

„Halt, halt! Brrrr, du Himmelsziege! Du darfst ja heim, aber erst –“

Nun kam die Kurve, und das in diesem Tempo. Petra hatte sie vorausberechnet, war etwas seitwärts gesprungen und kam auch gut herum. Anja wurde zur Seite geschleudert, hing einen Augenblick am Wagen, beide Beine hinter sich herschleifend, und ließ dann doch los. Nun lag sie auf dem Bauch. Doch sie rappelte sich so schnell wie möglich auf und versuchte, dem Fahrzeug nachzurennen, mußte aber aufgeben. Beide Knie wollten nicht recht, sie taten sehr weh, aber gebrochen war nichts, das merkte Anja gleich. Sie humpelte, so gut es eben ging, dem entschwindenden Wagen nach.

Petra dagegen ließ nicht los. Mehr geschleudert als gezogen, riß es sie am Sprunggarten vorbei, den kleinen Weg zur Halle hin. Dort ging es, gottlob, ziemlich steil bergauf. Da wurde auch Kerlchen das Ziehen des umgekippten Wagens zuviel; er fiel erst in Schritt und blieb dann sogar stehen. Petra auch. Sie pustete.

„Du bist mir der Rechte. Erst tust du so, als wärst du ein Leben lang Wagenpferd gewesen, und bei der ersten Gelegenheit … Wo ist übrigens Anja geblieben. Die haben wir wohl verloren. Anja, lebst du noch?“ rief sie nach hinten.

„Ja! Ich komme!“

„Na, du siehst ja ganz hübsch geküßt aus“, fand Petra, als Anja herangehinkt kam. „Warum steckst du eigentlich die Nase in den einzigen Haufen Pferdeknetel, der auf dem ganzen Weg zu finden war?“

Anjas Gesicht sah nämlich nicht ganz so sauber aus wie vorher, als sie losfuhren. Sie wischte mit dem Ärmel drüber.

„Dumme Frage. Das war weicher als die Straße“, brummte sie und spuckte ein bißchen. „In den Mund hätte ich es ja nicht zu nehmen brauchen …“

„Find’ ich auch. Also los, erst mal den Wagen aufgestellt. Oder spannen wir lieber vorher aus?“

Das erwies sich als das klügere. Die eine Deichsel war stark verbogen – zum Glück waren es Leichtmetalldeichseln und keine hölzernen.

„Die wären womöglich gesplittert, und das hätte Kerlchen verletzen können“, sagte Petra und bekam noch im nachhinein weiche Knie, wie sie sagte. „Mensch, wenn der Wagen kaputt ist, das macht nichts. Oder du oder ich. Aber Kerlchen – dem durfte nichts passieren.“

Petra hatte das Geschirr abgemacht und hob es dem Pferd über den Kopf. Dann nahm sie Kerlchen am Halfter.

„Komm, mein Süßer. Da hat der heilige Georg aber gut aufgepaßt, daß dir nichts passiert ist.“

Sie führte ihn den Weg hinauf in den Stall. Anja folgte mit dem Geschirr. Das hängte sie dann hinter die Tür und sah ihre Knie an.

„Die Hosenbeine sind durch. Nur gut, daß es meine alte Hose ist und nicht die Reithose.“

„Na, überhaupt. Glück haben wir schon gehabt. Der Wagen ist auch noch ganz, bis auf die verbogene Deichsel.“

„Das Sitzkissen haben wir verloren“, sagte Anja. „Ich geh’ es holen. Nein, laß mal, ich kann schon. Versuch du, die Deichsel geradezubiegen.“ Anja humpelte davon. Es ging bei jedem Schritt besser. Brennen tat es natürlich noch, aber wenn schon. Sie wanderte den Weg zurück, hob das Kissen auf und kehrte damit um. Während sie so ging und zur Reithalle hinaufsah, fiel ihr etwas auf. Sie blieb stehen und blickte genauer hin – das war doch Frau Taube, die da am Fenster winkte! Anja winkte zurück, setzte sich dann in Trab und kam im Stall an, als Petra eben den letzten Handgriff an Kerlchen getan hatte.

„Du, Frau Taube winkt. Wir gehen mal zu ihr.“

„Wahrscheinlich hat sie uns und unsere Fahrt ins Grüne beobachtet. Ach, die petzt schon nicht. Komm, los!“

Miteinander liefen sie über den festgetretenen Schnee der Halle zu.

Die schönsten Pferdegeschichten

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