Читать книгу Th'Ragon - Lorne King-Archer - Страница 10

Erinnerungen

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Guntrall lief aufgeregt im Zimmer auf und ab. Sein Gesicht war von Zornesröte gezeichnet. Er blieb stehen und schlug sich mit der flachen Hand auf den Oberschenkel.

„Und ich sage dir, das kommt nicht in Frage, Saltney Earthland!“

Salty, der am Tisch gesessen hatte, sprang nun auf und stieß dabei den Stuhl um. Seine Mutter wirkte erschreckt und irgendwie verstört. Sie streckte die Hand nach ihm aus als wolle sie ihn beruhigen, hielt aber doch im letzten Moment inne.

„Warum nicht Paps? Bin kein kleiner Junge mehr! Hier rumsitzen kann ich auch nich'; das macht mich irre. Will so'n Leben nicht mehr, das keinen Twilly wert ist! Und du weißt, dass ich für die Arbeit auf dem Feld oder im Garten nich' der Richtige bin. Das is' nichts für mich...“

„Ich habe niemals verlangt dass du Bauer oder was auch immer wirst. Aber du bist unser einziger Sohn und in der Erbfolge wirst du eines Tages vielleicht einmal meinen Platz im Rat einnehmen...“

Guntrall atmete schwer und er schien nach Worten zu ringen. Er schritt auf Salty zu und packte in bei den Schultern. Ihre Blicke trafen sich. Er sah den Zorn in den Augen seines Sohnes und auch den jugendlichen Hitzkopf. Natürlich war er kein kleiner Junge mehr. Das wusste Guntrall nur all zu gut. Aber mit seinen zweiundzwanzig Jahren war er auch alles andere als ein erfahrener Ragwin.

„Du hast noch so viel vor dir, noch so viel zu lernen. Und wir wollen dich nicht verlieren. Es ist riskant auf diese Expedition zu gehen. Denkst du Hadley Cornpie hat seine Begleiter nur so von Ungefähr ausgewählt? Ich erlaube es einfach nicht! Du bleibst hier!“

Salty riss sich los und wirbelte auf dem Absatz herum. Er stürmte zur Tür und zerrte sie auf. Mit lautem Krachen flog sie gegen die Wand und federte halb wieder zurück.

„Saltney!“ und jetzt schrie Guntrall. Doch sein Sohn war schon hinausgestürmt. Er machte sich daran ihm hinterher zu laufen, doch eine sanfte Hand hielt ihn zurück.

„Lass ihn jetzt...“ sagte Maghra, „... er kann es nicht wissen!“

Guntrall sah seine Frau an und er wusste dass er sich seiner Tränen nicht schämen brauchte, als er die ihren sah. Sie fasste seine Hände und zog ihn mit sich an den Tisch. Sie setzten sich. Aus dem tönernen Krug goss Maghra Tee in ihre Becher. Sie tranken und redeten lange über vieles, über Saltney und darüber, warum er ihre Angst nicht verstehen konnte. Er wusste es nicht, weil sie es ihm nie gesagt hatten; es nicht konnten. Sie hatten es nie jemandem erzählt und so wusste es auch niemand anderes. Niemand wusste davon, dass Saltney zwei Schwestern gehabt hatte, die vier Jahre vor seiner Geburt gestorben waren...

~

Es war an der Zeit! Guntrall sputete sich, weil er spät dran war. Er hatte sich beim Karten spielen, Trinken und Schwatzen mit seinen Freunden völlig in der Zeit verloren. Dabei hatte er versprochen Maghra nicht so lange alleine zu lassen. Dem Stand der Sonne nach zu urteilen musste er schon fünf oder sechs Stunden fort sein. Schließlich war sie in freudiger Erwartung ihres ersten Kindes. Die alte Pidhra Spicer war bestimmt die kundigste Kräuterfrau in ganz Fildrem und hatte schon unzähligen Kindern auf die Welt geholfen. Und sie hatte gemeint, es könne bei Maghra jeden Tag soweit sein. Deswegen wollte er sie auch nicht zu lange aus den Augen lassen. Wie hatte er nur die Zeit so vergessen können!? Er raufte sich die zotteligen Haare und begann nun zu laufen. Er sauste durch die Straßen. Zwei Biegungen nach links, einmal rechts und noch mal links, schon erreichte er ihr gemeinsames Haus. Als er etliche Nachbarn vor der offenen Tür stehen sah, ahnte er bereits dass er vielleicht zu spät kam. Er schob sie beiseite, ohne wirklich darauf zu achten was sie sagten. Er registrierte auch nur beiläufig wer da überhaupt stand. Als er in das Haus trat und durch den Wohnraum eilte, sah er bereits Licht aus ihrem Schlafgemach und konnte gedämpfte Stimmen vernehmen. Dort fand er Pidhra vor, die auf einem Stuhl vor dem Bett saß. In einer großen Schüssel dampfte heißes Wasser. Sie fischte mit einem langen Holzlöffel ein Tuch heraus und wrang es aus. Guntralls Frau lag halb sitzend aufgebettet und stöhnte leise. Schweiß stand auf ihrer Stirn, der nun von Pidhra weggetupft wurde. Sie musste bemerkt haben, dass er hereingekommen war, denn sie wandte sich jetzt zu ihm um.

„Ah, der Herr des Hauses bequemt sich auch...“

Guntrall achtete nicht auf sie und trat an ihr vorbei.

„Wie geht´s Dir? Ist alles in Ordnung Maghra?“

„Ja natürlich... Andere Frauen haben das schließlich auch überstanden.“

Guntrall seufzte und ließ sich auf die Bettkante sinken. Er ergriff Maghras Hand und küsste sie.

Dafür schenkte sie ihm ein warmes Lächeln. Sie wollte etwas sagen, doch die nächste Wehe ließ ein Stöhnen daraus werden.

„Was kann ich für dich tun, meine Sonne?“, fragte Guntrall.

„Halt einfach meine Hand, dann wird alles gut...“

Es dauerte noch fast zwei Stunden, bis die eigentliche Geburt einsetzte. Zur Überraschung aller brachte Maghra zwei süße Mädchen zur Welt. Eineiige Zwillinge. Sie waren sich sofort einig, wie sie heißen sollten! Cendla und Bendha.

Pidhra wusch die beiden Babys, wickelte sie in eine Decke und legte sie in Maghras Arme. Sie bugsierte nun auch den überglücklichen Vater aus dem Schlafraum heraus und bedeutete ihm, seiner Frau jetzt etwas Ruhe zu gönnen.

Sie wies ihn an, noch beim Aufräumen zu helfen. So verbrachten sie noch einige Zeit gemeinsam im Haus, bevor Pidhra sich schließlich von ihm verabschiedete. Noch im Gehen, versäumte sie nicht ihm mindestens hundert gute Tipps und Ratschläge im Ungang mit Neugeborenen und Frauen im Wochenbett zu geben.

Guntrall versuchte möglichst gelassen zu bleiben und freundlich zu nicken. Letztlich war er heil froh, als sie endlich draußen war und er die Tür hinter ihr zumachen konnte. Er lehnte sich von innen dagegen, schloss die Augen und atmete tief aus. Jetzt begann ein ganz neues Leben. Vorbei war die Zeit der beschaulichen Ruhe. Ab sofort würde reges Treiben herrschen. In seiner Vorstellung stürmten Cendla und Bendha bereits durchs Zimmer; gingen über Tische und Bänke. Er schmunzelte bei diesem Gedanken und sagte sich, er habe es ja so gewollt. Sein größter Wunsch war es gewesen eigene Kinder zu haben und nun war es Realität...

Etwa vier Monde später ...

Ein eisiger Wind peitschte durch die Gassen von Fildrem, rüttelte an den Türen und ließ draußen liegengelassene Eimer und andere Dinge umherfliegen.

Guntrall lag wach im Bett und blickte an die dunkle Zimmerdecke. Maghra schlief neben ihm trotz des Sturms der um die Häuser tobte. Und auch die Zwillinge schienen tief und fest zu träumen.

Er wusste nicht warum er nicht einschlafen konnte. Normalerweise störte ihn so etwas nicht. Er stand auf, weil er sich einen Schluck Tee holen wollte. Auf dem Weg zum Tisch hob ihn auf einmal eine unsichtbare Faust vom Boden hoch und riss ihm die Füße unter dem Leib weg. Er krachte schwer auf sein Hinterteil und stechender Schmerz jagte sein Rückgrat hinauf. Doch er hatte keine Zeit darauf zu achten. Um ihn herum brach die Welt zusammen. Wie in Trance sah er, wie Stühle umfielen und Einrichtungsgegenstände aus dem Regal stürzten. Irgendwo zerbrach ein Krug und kleine Splitter regneten auf seine linke Hand. War das ein Erdbeben? Zeitgleich mit der Wahrnehmung eines ohrenbetäubenden Dröhnens, das von überall her zu kommen schien, vernahm er das Geschrei der Zwillinge. Den rasenden Schmerz in seinem Rücken ignorierend sprang er wieder auf die Füße. Etwas Feuchtes, Warmes lief über seine Hand. Er blutete. Die Splitter mussten ihn verletzt haben.

Er hastete in das Schlafzimmer um nach den Kindern zu sehen. Allen Elementen zum Dank waren sie zwar verstört und erschreckt aber ansonsten wohl auf. Rasch lief er zum Bett. Maghra raffte sich gerade vom Boden auf. Scheinbar war auch sie gestürzt.

„Guntrall, was ist passiert?“

„Ich weiß es nicht; ein Erdstoss vielleicht. Bist Du verletzt?“

„Nein, nein. Mir geht es gut...“

„Oh, nur gut ! Schau nach den Kleinen Liebes. Sie sind wach und haben sich erschreckt. Ich gehe raus und sehe was mit den anderen ist. Vielleicht kann ich irgendwo helfen!“

„Ja, geh nur...aber sei vorsichtig!“

Guntrall drückte seine Frau kurz an sich und küsste ihre Stirn. Dann schnappte er sich seine Jacke und seine Stiefel und rannte los.

Vor der Tür brauchte er eine Weile, um sich an die Dunkelheit zu gewöhnen. Der Sturm peitschte ihm dem mittlerweile einsetzenden Regen ins Gesicht, so dass er kaum etwas sehen konnte. Er stolperte dadurch mehr blind voran.

Ein paar Meter vor sich, an der nächsten Hausecke, konnte er die vagen Umrisse einer anderen Person erkennen. Er tastete sich weiter voran, bis er ihn an der Schulter fassen konnte. Der andere erschrak sichtlich und fuhr zu ihm herum. Es war sein Nachbar Tingley.

„Guntrall ...!“, japste er.

„Bei allen Elementen, Tingley, was ist hier los?“, brüllte er gegen das Tosen an.

„Wenn ich das wüsste. Ich war vor der Tür, um meine Schösslinge vor dem Sturm zu retten, als es plötzlich unglaublich gerummst hat. Da bin ich los und wollte nachsehen. Es kam irgendwie aus Richtung Dorfplatz ...“

Guntrall nickte Tingley nur zu und sie machten sich gemeinsam auf den Weg. Kämpften sich weiter durch Sturm und Regen. Waren trotz Jacke schon völlig durchnässt, aber das bemerkten sie kaum. Unterwegs trafen sie auf weitere Ragwin, die ebenfalls der Dorfmitte zustrebten. Dann erlangten sie freien Blick auf den Dorfplatz und das an seinem gegenüberliegenden Ende brennende Gebäude. Oder vielmehr den in baumhohen Flammen lodernden Schutthaufen. Es war ein beängstigender Anblick. Viel erschreckender jedoch war die Silhouette eines Mannes, die sich schwarz und drohend vor dem Feuer abzeichnete.

Jemand stieß Guntrall in die Rippen.

„Der ist kurz nach dem Einschlag erschienen ...“

„Was? Welcher Einschlag?“ Guntrall blickte den Ragwin neben sich an und überlegte, welches der richtige Name zu diesem Gesicht war. Er fiel ihm im Moment aber nicht ein.

„Es war nicht wie ein Blitz, mehr wie ein gigantischer Feuerstrahl der vom Himmel fuhr und Striddleys Haus dem Erdboden gleich gemacht hat ...“

Der Mann wirkte gehetzt und seine Augen flackerten unstet. Guntrall legte seinem Gegenüber die Hand auf die Schulter. Er blickte zu dem Haus und sprach weiter...

„Ich war gerade auf dem Weg nach Hause. Hatten noch was getrunken. Als ich hier vorbei gelaufen bin, da hat es gekracht, mich völlig von den Beinen gerissen. Als ich im Dreck liege und hochschaue, sehe ich gerade noch diesen Strahl in das Haus einschlagen. War erst fast blind von dem Gleißen. Dann waren die bunten Ringe wieder weg und der riesige Kerl stand da und ...“

„SCHWEIGT ALLE UND HÖRT MICH AN!“, grollte die Stimme wie Donner in der Luft.

Der Fremde hatte das Wort ergriffen. Es war nur zu deutlich, dass er nicht dem Volk der Ragwin angehörte. Die Flammen und das gleißende Lodern ließen ihn nur als schwarzen, riesigen Schatten erscheinen, aber Guntrall schätzte ihn auf etwa die doppelte Größe eines ausgewachsenen Ragwin. Sein Körperbau zeichnete sich auch durch andere Proportionen aus. Zwar hatte Guntrall noch niemals leibhaftigen Kontakt zu diesem Volk; dennoch war er sicher einen Menschen vor sich zu haben. Sie konnten keine geborenen Läufer sein, denn ihre Beine schienen bestenfalls halb so lang wie ihr ganzer Körper zu sein...

Mittlerweile war der fremde Mann etwas weiter vom Feuer weggetreten, so dass man ihn nun deutlicher erkennen konnte.

Er war nicht nur groß, sondern erschien ihm auch unglaublich kräftig. Zumindest ließ sich das aus dem Anblick seiner Unterarme schließen. Der Rest von ihm steckte in einer Art Harnisch oder Rüstung. Es war nicht zu erkennen, woraus sie bestand. Es schien weder Leder noch Metall zu sein. Das Material war schwarz mit einem leichten Bronzeschimmer und erweckte den Eindruck einer feuchten Oberfläche, die sich einer genaueren Betrachtung irgendwie immer wieder zu entziehen schien. Die Augen begannen zu schmerzen, wenn man zu lange darauf schaute.

Ein Gesicht war überhaupt nicht zu erkennen. Das lag unter anderem an dem klobigen Helm, der Schatten warf und aus demselben dunklen Material gefertigt zu sein schien. Wobei „gefertigt“ vielleicht nicht der richtige Ausdruck war. Der Kopfschutz des Mannes sah eher wie ein Tierschädel aus. Der von Fleisch und Haut befreite Überrest irgendeiner scheußlichen Monstrosität.

Die Stimme riss Guntrall jäh aus seinen Überlegungen...

„ICH BIN GEKOMMEN EUCH MEINEN SCHUTZ ZU BIETEN“, rief er mit dieser furchtbaren, knarrenden Stimme, die wie eine rostige Eisenkette klang.

„Schutz, wovor?“, rief einer der Ragwin aus der wie gebannt lauschenden Menge.

Ein heiseres Lachen, leise und doch grollend entrang sich der Kehle des Mannes. Er neigte den Kopf zur Seite und drehte sich ein wenig herum. Mit dem ausgestreckten linken Arm deutete er auf die immer noch lodernden Überreste des Hauses.

„SCHUTZ VOR BÖSEN DINGEN…“

Guntrall vermeinte in den Schatten des Gesichtes ein hämisches Grinsen zu erkennen.

„Aber so etwas ist doch noch nie passiert und wir brauchten bisher auch keinen Beschützer!“

„NUN... DIE ZEITEN ÄNDERN SICH!“

Jetzt konnte auch Guntrall nicht mehr an sich halten.

„Was soll das? Wer seid ihr überhaupt? Und wieso glaubt ihr, ihr könntet uns einschüchtern? Ihr seid zwar ein großer Kerl, aber wir sind euch ja wohl zahlenmäßig um ein Vielfaches überlegen!“

Zustimmendes Gemurmel der anderen wurde laut.

„KOMM ZU MIR KLEINER BAUER!“

Guntrall schluckte schwer und spürte auf einmal das Pochen in seiner verletzten Hand. Er hatte den Schnitt gar nicht mehr beachtet. Unbewusst musste er die Hände zu Fäusten geballt haben. Jetzt spürte er wieder Blut über seinen Handrücken laufen. Er versuchte das so gut es ging zu ignorieren. Mit den vielen anderen Dorfbewohnern hinter sich, konnte ihm ja eigentlich kaum etwas passieren. Also fasste er sich ein Herz und beschloss dem Mann gegenüberzutreten. Eigentlich war er kaum mehr als vier oder fünf Schritte von ihm entfernt gewesen. Trotzdem kam es ihm nun vor, als verginge die Zeit gar nicht und die Distanz verringere sich kaum. Mit jedem Schritt den er tat, schien der Mensch vor ihm weiter in die Höhe zu ragen. Es kam ihm vor, als sei er stundenlang gegangen, als er endlich vor ihm angelangt war. Dabei konnten es kaum mehr als zwei oder drei Augenblicke gewesen sein. Er hatte sich deutlich verschätzt. Der Kerl ragte wie ein in schwarze Bronze geschmiedetes Monument vor ihm auf. Und es wurde nun zur Gewissheit; dort oben war kein Gesicht zu sehen. Unter den tiefen Schatten des gruseligen Helms war eine Maske zu erkennen, die bis auf das Glitzern kohlenschwarzer Augen alles verbarg. Guntrall hoffte, dass diese Maske kein Abbild des Gesichtes ihres Besitzers darstellte. Sie zeigte eine unbeschreibliche Scheußlichkeit, ein albtraumhaftes Geschöpf, dessen Anblick nur schwer zu ertragen war. Guntralls Magen wollte rebellieren, gab aber Ruhe als er tief durchatmete.

Eine titanenhafte Hand schwang auf ihn zu und packte sein Hemd und seinen Jackenkragen. Wie ein Spielzeug wurde er in die Höhe gehoben. Dann waren ihre Gesichter auf gleicher Höhe. Der Blick in diese Augen war zuviel für Guntralls Magen. Sein Gegenüber stieß ein hässliches Lachen aus, als er sich übergab. Der saure Geschmack in seinem Mund trat in den Hintergrund. Diese Augen bannten ihn und ließen keinen Raum für andere Eindrücke.

„SAG MIR DEINEN NAMEN, WENN DU IHN NOCH WEISST...“

„Guntrall Earthland“, antwortete er mechanisch mit bebender Stimme.

„UND ICH BIN DIE EISERNE FAUST, KH’RHYBOK!“, flüsterte der Mensch und es klang als rieben rostige Ketten über Felsen.

Mit einem heftigen Ruck wurde Guntrall fortgeschleudert. Er landete hart auf dem Rücken und schlidderte noch ein gutes Stück über den Boden. Ächzend stemmte er sich auf die Ellenbogen. Sterne tanzten vor seinen Augen, die auch nach mehrmaligem Blinzeln einfach nicht verschwinden wollten.

Kh’Rhybok stand derweil immer noch hoch aufgerichtet auf dem Platz; den rechten Arm gen Himmel gereckt. Seine Hand schloss sich zu einer klauenhaften Faust, als wolle er etwas zermalmen.

„ICH WIEDERHOLE MICH UNGERN! AB SOFORT WIRD EUCH MEIN SCHUTZ ZUTEIL...“und wieder schien die Maske dämonisch zu grinsen. „... UND MEIN SCHUTZ HAT SEINEN PREIS!“

Ein Rauschen in der Luft schwoll zu einem Tosen an und kleine Staubwirbel bildeten sich überall auf dem Dorfplatz. Brausender Wind riss Flammen und Asche von dem niedergebrannten Haus in die Höhe. Eine graue Wolke füllte die Luft wie erstickender Nebel. Die Wirbel vereinigten sich zu einem donnernden Zyklon und verhüllten Kh'Rhyboks Gestalt. Die umherstehenden Ragwin wurden zu Boden gedrückt, wenn sie sich nicht ohnehin schon hingeworfen hatten. Die meisten verschränkten schützend die Arme über ihren Köpfen. Sie hielten sich gegenseitig fest oder rollten sich zusammen. Es war kaum noch ein Blick auf die sich abspielende Szene möglich, da Staub und Asche in den Augen brannte und sie tränen ließ. Nach schier endlos erscheinendem Wüten mischte sich ein stetig anschwellender Donner in das Tosen. Als sie bereits fürchteten, der Lärm würde ihre Trommelfelle zerreißen, brach er urplötzlich ab. Stille senkte sich totengleich über den Platz. Vereinzelt hoben sich verstaubte Köpfe und blinzelten sich Tränen aus den Augen. Die Sicht war immer noch eingeschränkt, doch es schien, dass der Wirbelsturm auch das Feuer gelöscht hatte. Langsam lösten sich die Schwaden auf und wurden von dem wieder stärker werdenden Regen aus der Luft gespült. Die Ragwin rappelten sich einer nach dem anderen wieder auf. Gemurmel und leise Gespräche erschollen inmitten des Chaos.

„Wo ist er hin?“, brüllte Tingley.

Guntrall wusste nicht gleich was er meinte. Doch dann wurde ihm klar, dass er von Kh’Rhybok gesprochen hatte. Es war offensichtlich, dass er ein Opfer des unglaublichen Sturms geworden war. Die Ragwin jubelten, als sie das begriffen.

Dass sie einem folgenschweren Irrtum unterlagen, wurde nur wenige Tage später klar...

Guntrall hatte gerade das Mittagsgeschirr vom Tisch geräumt und die Reste ihres Mahls in die Vorratskammer geräumt. Maghra war nebenan und stillte die Zwillinge.

„Guntrall?“, rief sie.

„Ja Liebes?“

„Ich werde die Kleinen noch baden müssen. Kannst Du bitte Wasser für den Zuber reinholen und mindestens einen Kessel heiß machen?“

„Ja sicher, bin schon unterwegs!“

Er griff sich die beiden großen Eimer und ging damit vor die Tür. Trotz der Mittagsstunde war es an diesem Tag noch nicht wirklich hell geworden. Der Himmel hatte sich merkwürdig zugezogen, obwohl es bis vor wenigen Minuten noch sehr sonnig gewesen war. Guntrall blieb stehen und sah gen Himmel. Er wunderte sich. Merkwürdig war auch, dass es sehr still war. Kein Vogelgezwitscher, kein Windhauch, kein Blätterrascheln.

Er schüttelte den Kopf und ging hinüber zum Brunnen. Er stellte die Eimer ab und begann sich an der Winde zu schaffen zu machen. Ein plötzlicher Windzug blies über seinen Nacken und er spürte wie sich die Härchen auf seiner Haut aufstellten. Guntrall verharrte bewegungslos und konnte fast körperlich die Präsenz einer anderen Person spüren. Ein seltsam süßlicher Geruch, wie von faulendem Obst, lag in der Luft. Schwere Schritte kamen näher und der Boden schien unter ihnen zu beben. Guntrall rang mit sich und drehte sich schließlich mit einem Ruck herum.

Vor ihm ragte ein schwarz-bronzener Koloss in die Höhe, dessen Gesicht von einer abscheulichen Maske verborgen wurde. Sein Herzschlag setzte für einen entsetzlich langen Moment aus, bevor er wie von Sinnen hämmernd wieder einsetzte.

„Was...?“ krächzte Guntrall.

„Es ist nicht gut mich wütend zu machen, Ragwin!“, grollte die Stimme.

Abgelenkt von diesem hässlichen, leisen Lachen sah er zu spät Kh’Rhyboks Bewegung. Wie ein Schmiedehammer knallte die behandschuhte Faust gegen Guntralls Schläfe und riss seinen Kopf herum. Er verlor das Bewusstsein noch bevor er schwer auf dem Boden aufschlug und Dunkelheit seine Sinne umspülte. Konnte nicht mehr sehen, wie sich Kh’Rhybok dem Haus zuwandte und sich durch die viel zu niedrige Tür zwängte...

Dröhnen, Hämmern, Schmerz, Dunkelheit... Guntrall blinzelte ein, zwei Mal. Alles was er sah, waren bunte Ringe vor den Augen. In seinem Mund war Staub, gemischt mit dem eisernen Geschmack von Blut. Nur allmählich kehrte das Gefühl in seinen Körper zurück. Er spürte kleine Stiche in seiner linken Gesichtshälfte, die andere fühlte sich feucht und warm an. Er war sich sicher, dass er auf dem Boden lag und sich kleine Kiesel in seine Wange bohrten. Und er musste bluten. Die Erinnerung an den furchtbaren Hieb war nun wieder präsent, aber er konnte sich nicht bewegen, war wie gelähmt. Staub drang in seine Nase, wenn er atmete. Sein Kopf schmerzte grauenvoll und es fühlte sich an, als hätte Kh’Rhybok ihn regelrecht in den Boden gerammt. Es war verwunderlich, dass der Schlag ihm nicht regelrecht den Kopf von den Schultern gerissen oder das Genick gebrochen hatte.

Es kostete ihn unendliche Mühe auch nur die kleinste Bewegung auszuführen. Letztendlich gelang es ihm, sich ein wenig auf die Seite zu wälzen und somit seinen rechten Arm zu befreien, auf den er gestürzt war. Mühsam stemmte er sich auf die Hände und zog sich an der Brunnenmauer in Höhe. Wieder tanzten bunte Lichter vor seinen Augen und er schwankte, musste sich abstützen. Ganz langsam verschwand das Schwindelgefühl und er wischte sich mit dem Ärmel durchs Gesicht. Den großen Blutfleck auf dem Stoff beachtete er nicht einmal. Sein Blick wanderte zum Haus. Vages Entsetzen beschlich ihn, als er die schief in den Angeln hängende Eingangstür sah.

„Maghra...!“, flüsterte er.

Die Angst verlieh ihm Kraft und ließ seine Füße über den Boden fliegen. Er stürzte durch die Tür ins Haus. Im Vorraum war kein Geräusch zu vernehmen. Die Zeit schien hier eine andere Dimension zu haben, als draußen. Er konnte sich nur noch wie in Zeitlupe bewegen. Als hätte die Luft Substanz angenommen und wolle ihn festhalten, kämpfte er sich Schritt für Schritt voran, auf ihren Schlafraum zu. Maghra war nicht dort. Die Kinder? Sie musste bei den Kindern sein. Er wandte sich wieder um und ging langsam zum angrenzenden Raum hinüber. Die Tür stand nur einen Spalt breit offen. Vorsichtig stieß er sie mit den Fingern an und sie schwang mit einem leisen Knarren auf.

„Oh nein...“, wimmerte er und sank kraftlos auf die Knie. Tränen rannen haltlos und in Strömen über seine Wangen, tropften mit Blut vermischt zu Boden.

Maghra lag an der linken Wand, leicht zusammengekrümmt unter dem Fenster. Sie schien noch zu atmen. Doch in der Mitte des Raumes, wo die Wiege der Kinder hätte stehen sollen, befand sich nur ein rauchender Haufen Asche auf den Dielen. Ohnmacht stieg in Guntrall empor und er sank im Türrahmen zusammen...

Zwei Wochen später ...

Maghra und Guntrall waren tagelang wie gelähmt vor Entsetzen gewesen. Hatten ihre, glücklicherweise nur harmlosen, Verletzungen gepflegt. Maghra hatte nie sagen können, was tatsächlich passiert war. Ihre Erinnerung endete in dem Moment, als sie ein Geräusch im Zimmer der Kinder gehört hatte, nachschauen wollte und dann von irgendetwas niedergeschlagen wurde. Mit einiger Sicherheit von Kh’Rhybok. Sie hatten das Wissen um dieses schockierende Ereignis nur mit einigen wenigen Ragwin im Rat geteilt und mit der alten Pidhra. Man hatte sich darauf geeinigt, es den anderen im Dorf nicht zu erzählen, um sie nicht zu beunruhigen. Ihnen berichtete man lediglich, dass die Zwillinge unter nicht erklärbaren Umständen verschwunden seien.

Guntrall musste noch immer die schmerzende Schwellung in seinem Gesicht kühlen. Aber er war froh, dass ihm der Hieb weder Zähne gekostet hatte, noch einen Kieferbruch beschert hatte.

Als er gerade sein Gesicht mit einem feuchten Tuch betupfte, kam Tingley herein.

„Guntrall, Kh’Rhybok hat einen Boten geschickt. Er wird auf dem Dorfplatz etwas verkünden. Kommst Du?“

Guntrall nickte stumm, griff seine Weste und warf sie sich im Gehen über.

An diesem Tag verkündete ihnen der Gesandte Kh’Rhyboks, dass die Ragwin ab sofort ein Drittel ihrer Ernte und Erträge an ihn abzuführen hätten. Im Gegenzuge würde er sie behüten, wie seine eigenen Kinder. Dabei war es ja eigentlich nur er, vor dem die Ragwin Schutz benötigten.

Es stellte sich sehr schnell heraus, dass es auch in Borbath, Corning und allen anderen Siedlungen ähnliche Zwischenfälle gegeben hatte und sie nun alle unter Kh’Rhyboks „Schutz“ standen.

Die Jahre gingen ins Land und immer wieder gab es vereinzelte Widerstände der Ragwin, die aber von der „Eisernen Faust“ jedes Mal gnadenlos und unbarmherzig bestraft wurden. Seine Forderungen steigerten sich permanent und es wurde immer und immer wieder höherer Tribut verlangt. Gelegentlich verschwanden auch hier und da Dorfbewohner, von denen man nur annehmen konnte, dass sie irgendwie von diesem Finsterling oder seinen Schergen verschleppt oder gar getötet wurden.

Th'Ragon

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