Читать книгу Th'Ragon - Lorne King-Archer - Страница 14
Die düstere Ebene
ОглавлениеAls sie erwachten, graute bereits der neue Morgen. Das Feuer war niedergebrannt und sie froren. Padley schälte sich nackt aus der Decke und massierte seine schmerzende Schulter, die sich bereits blau und dunkelviolett zu verfärben begann. Auch seine Handgelenke waren übel zugerichtet. Das linke aufgescheuert und das rechte zeigte die noch nicht ganz verschorften Wunden an den Stellen, an denen sich Hadleys Finger in sein Fleisch gegraben hatten. Letzten Endes waren die beiden anderen aber auch nicht weniger schlimm zugerichtet, wie er selbst. Und was zählte war nur eines; sie lebten alle drei noch. Er seufzte und versuchte seine mittlerweile völlig verfilzten Haare ein wenig zu entwirren. Ein hoffnungsloses Unterfangen. Nach kurzer Suche fand er seine Kleider, die über Nacht am Feuer glücklicherweise getrocknet waren. Flad und Hadley waren jetzt ebenfalls wach und begannen sich anzukleiden.
Während Flad auf die Suche nach ein wenig brauchbarem Holz ging, mit dem sie das Feuer noch einmal entfachen konnten, ging Padley zum Ufer des Flusses. Er blickte über die fast friedlich wirkende Wasseroberfläche. Die andere Seite blieb im Nebel verborgen. Insgesamt schien der tief hängende Dunst auf dieser Seite noch viel dichter zu sein.
Vielleicht nur Morgennebel…, dachte er sich mit einem Achselzucken. Er marschiert zu seinem Rucksack und begann darin zu kramen. Er fand sein Wasch- und Rasierzeug und kehrte damit wieder zum Flussufer zurück. Das Wasser war eiskalt, aber das war ihm egal. Padley wusch sich ausgiebig die Haare und den Oberkörper. Eine anschließende Rasur komplettierte seine seit Tagen überfällige Morgenpflege. Halbwegs zufrieden betrachtete er sein Spiegelbild in der Wasseroberfläche und stellte fest, dass er abgesehen davon, dass er etliche körperliche Blessuren aufwies und schon recht mitgenommen aussah, insgesamt aber wieder vorzeigbar war.
Nach einem gemeinsamen Frühstück war eine Bestandsaufnahme fällig.
„Der gestrige Tag hat uns leider den Totalverlust meines Rucksackes beschwert und damit auch den seines Inhaltes.“
„Das stimmt Flad. Das bedeutet etwa ein Drittel unseres Proviants, deine Decke und diverse andere Kleinigkeiten, die allerdings nicht so sehr ins Gewicht fallen, können wir abhaken. Ah… und nicht zu vergessen! Mein Dolch steckt noch in dem Baumstamm. Ich habe allerdings auch keinerlei Ambitionen zurückzugehen und ihn zu holen.“
„Kann ich verstehen.“, meinte Padley und musste dabei doch ein wenig grinsen. “Vergesst dabei bitte nicht den herben Verlust, den ich erlitten habe!“
„Bitte?“ Flad und Hadley schauten ihn an, als sähen sie ihn zum ersten Mal.
„Nun, ich musste meinen wertvollen Gürtel zurücklassen!“
Padley grinste und war erleichtert seine beiden Freunde lachen zu hören. Das sorgte für eine etwas gelöstere Stimmung. Schlussendlich hatten sie den gestrigen Tag alle überlebt und das war die Hauptsache. Der Verlust von ein paar Ausrüstungsgegenständen war sicherlich zu verschmerzen.
Sie brauchten noch etwa eine Stunde, bevor sie marschfertig waren und wieder aufbrachen. Wie geplant wandten sie sich vom Ph´Dang aus gen Norden.
Die Landschaft ringsumher unterschied sich deutlich von der auf der anderen Flussseite. Hier war es doch wesentlich feuchter und die Vegetation bestand fast nur aus Gräsern und Moosen. Das eher eintönige Bild wurde nur von einigen, wenigen Trauerweiden durchbrochen, deren Laub auch nur einen sehr blassen Grünton zeigte. Die Pflanzen ringsum machten allesamt einen kränklichen Eindruck. Dazu war und blieb es kühl. Was auch blieb, war der Nebel. Die Hoffnung, er würde sich am Ende des Morgens verziehen, hatte sich nicht bestätigt. Die feuchte, schwere Luft legte sich auf die Lungen; das Atmen wurde zunehmend anstrengender für die drei Ragwin. Etliche Stunden lang änderte sich am Landschaftsbild rein gar nichts. Erst im Laufe des Nachmittags erreichten sie eine kleine Hügelgruppe. Sie erklommen die Kuppe der mittleren Erhebungen und stellten ihre Rucksäcke ab. Da es ja jetzt nur noch zwei waren, hatten sie sich mit dem Tragen immer wieder abgewechselt, so dass einer von ihnen immer ohne Gepäck laufen konnte. Vor ihnen breitete sich jetzt eine weite, düstere Ebene aus. Fern im Norden waren die Berge als verwaschene Schemen zu erkennen. Ein Meer aus Dunst und Nebel lag vor ihnen, soweit ihre Augen sehen konnten und verbarg alle Details.
„Ist das unser Weg?“, fragte Flad und deutete mit dem Kinn voraus.
„Der Beschreibung in dem Buch zu Folge dürfte das die Tiefebene von Langrothahn sein. Demnach müssten wir sie jetzt in Richtung Norden durchqueren, also direkt auf die Berge zuhalten.“
„Hm… ist eine ziemliche Strecke, würde ich sagen. Gar´Khans Wall ist noch richtig weit entfernt. Und bei dem Nebel müssen wir echt aufpassen, dass wir die Richtung nicht verlieren.“
Padley rieb sich das Kinn und überlegte angestrengt, bis ihm etwas ins Auge fiel.
„Seht mal!“, sagte er und deutete mit dem ausgestreckten Arm auf die Berge.
„Im Moment und von hier aus können wir ja noch über den Nebel hinwegsehen… Und da, genau in Richtung Norden, ist ein tiefer Einschnitt an dem Hochplateau zu erkennen. Sieht wenigstens so aus, oder?“
„Ja stimmt, scheint mir auch so.“
„Könntest recht haben.“, bestätigte Flad.
„Also immer dann, wenn uns der Nebel gerademal einen Blick auf Gar´Khans Wall erlaubt, hätten wir also unseren Anhaltspunkt.“
„Richtig. Aber müssen wir durch diese Ebene gehen? Mir ist alles andere als wohl bei diesem Anblick.“, meinte Hadley.
Padley blickte ihn an und drückte mit der Hand sanft seinen Oberarm.
„Mir auch nicht, aber es wird nicht anders gehen fürchte ich. Das Buch spricht doch recht eindeutig von einer Durchquerung der Ebene. Zudem würde uns ein Umweg sehr, sehr viel Zeit kosten, die wir allerdings nicht haben und ich fürchte, wir könnten dabei auch am Ende noch die Orientierung verlieren.“
„Ich weiß, du hast ja auch Recht. Aber dann lasst uns wenigstens hier noch kurz rasten und eine Kleinigkeit essen. Denn ob ich da unten noch Appetit verspüren werde kann ich beim besten Willen nicht sagen.“
„Ich habe keine Einwände.“, kommentierte Flad. Padley auch nicht, also setzten sie sich. Sie packten etwas Brot und getrocknetes Salzfleisch aus. Weil ihre Vorräte durch den Verlust von Flads Rucksack aber dezimiert waren, nahmen sie nicht all zu viel und teilten es auf. Eines ließen sie sich jedoch nicht nehmen und gönnten sich einen kräftigen Schluck von Hadleys selbstgebranntem Schnaps, von dem er vorsorglich zuhause noch eine Flasche eingepackt hatte. Während sie saßen, sprachen sie kaum. Alle plagte der Gedanke, was sie wohl in der Ebene erwarten würde, die sich wie ein grauer, brodelnder Suppenkessel unter ihnen ausbreitete.
Als sie nach einer Stunde zum Aufbruch bereit waren, erschien die Landschaft ringsum noch viel düsterer. Gerade so, als wäre am Fuße des Hügels bereits der Abend angebrochen, während sich die Anhöhe selbst noch an den schwindenden Tag klammerte.
„Seid ihr soweit?“, fragte Padley. „Wir sollten versuchen noch ein gutes Stück voranzukommen, solange es noch nicht stockdunkel geworden ist. Wobei ich wenig Hoffnung habe. Die Nacht eilt uns eindeutig schon voraus, wenn ich mir das da so ansehe…“
„Also von mir aus kann es losgehen.“, eröffnete Hadley.
„Na fein. Und was ist mit dir Flad?“
„Wenn ich jetzt noch meine Pfeife hätte, wäre ich zu allem bereit.“
„Das könnte ich jetzt auch vertragen.“, meinte Padley. „Und, Flad?“
„Ja?“
„Wenn Du magst, kann ich dir meine Reservepfeife überlassen. Ich habe für Notfälle immer noch eine dabei…“
„Das würdest du tun?! Danke.“
„Kein Thema.“
Langsam zockelten sie den Abhang hinunter und Padley stopfte währenddessen zuerst Hadleys Pfeife, die der ihm grinsend zugesteckt hatte und danach seine beiden eigenen. Er reichte Hadley die seinige zurück und die Reservepfeife drückte er Flad in die Hand, der bereits mit dem Zunderkästchen hantierte um einen Span anzuzünden. Nach ein paar Versuchen marschierten alle drei mit dampfenden Pfeifen den Hügel hinab.
An dessen Fuß war es deutlich finsterer als sie zunächst angenommen hatten und der Nebel war eindeutig nur noch als Waschküche zu bezeichnen. Dessen ungeachtet kamen sie anfänglich gut voran. Der Weg neigte sich leicht zur Ebene hin. Je weiter sie gingen, desto spärlicher wurde die Vegetation ringsum. Nach gut zwei Stunden begann obendrein der Pfad auf dem sie gingen, steiler zu werden. Das Gefälle war bald so stark, dass sie regelrecht klettern mussten.
„Das gefällt mir gar nicht!“ brummte Padley. „Was hat das mit einer Ebene zu tun? Wir klettern doch in ein Tal runter, wenn es nicht am Ende noch irgendein finsteres Loch ist.“
„Ich weiß auch nicht.“, meinte Hadley. „Lass uns da vorne kurz anhalten und in unsere Aufzeichnungen sehen. Sieht aus als hätten wir da alle drei Platz.“
Die Stelle, die Hadley gemeint hatte eignete sich tatsächlich. Nicht nur, dass hier alle drei Ragwin nebeneinander stehen konnten, weil der Weg ein wenig breiter wurde; sondern hier befand sich auch ein flacher Felsblock auf dem sie Buch und Karte ausbreiten konnten.
Hadley rollte das Pergament aber schon sehr bald wieder ein. Darauf waren einfach keine brauchbaren Hinweise zu finden gewesen. Für diese Gegend gab es nur den Hinweis Ebene von Langrothahn, sonst war dort nichts eingezeichnet.
Padley studierte derweil das Buch auf der Suche nach einem Hinweis, den sie vielleicht übersehen hatten.
„Nun?“, fragte Flad nach einer Weile, der das unablässige Kopfschütteln von Padley bemerkte.
„Es gibt nichts, was wir übersehen haben, denke ich. Das einzige, was ich gefunden habe und was ich nicht zuordnen kann, ist diese Passage:
… fand ich den Marsch durch diese Ebene beängstigend. Schon mehrfach haben sich heute Soldaten von Hauptmann Grenald verletzt, weil plötzlich der Boden unter ihnen aufbrach und sie in die Spalten hineingetreten sind… immer wieder bebte der Boden und wir hatten Mühe auf den Beinen zu bleiben…“
„Hört sich ein wenig nach Erdbeben an. Kann sich die Landschaft in den vielen Jahren so verändert haben?“
„Hmm…“, brummte Hadley. “Die Aufzeichnungen sind sehr alt. Natürlich kann sich etwas verändert haben. Aber so?“
Padley rieb sich die Augen und streckte seinen Rücken.
„Wir könnten kehrt machen und versuchen einen anderen Weg zu finden, aber ich fürchte das brächte uns zu weit von unserem Weg und unserer Richtung ab.“
Flad und Hadley sahen darin ebenfalls keinen rechten Sinn. Sie würden auf jeden Fall den bereits eingeschlagenen Weg fortsetzen.
Es zeigte sich aber leider schon bald, dass das Vorankommen immer beschwerlicher wurde. Nach kurzer Zeit waren ihre Hände und Knie bereits von kleinen Kratzern und Hautabschürfungen übersät. Nach einer schieren Ewigkeit und einem langen und mühseligen Abstieg erreichten sie mehr oder weniger wohlbehalten den Talboden, beziehungsweise das Ende des abschüssigen Pfades. Es war hier noch viel, viel dunkler, als sie befürchtet hatten. Der dichte Nebel gewann hier eine fast spürbare und körperliche Präsenz und verhinderte, dass man weiter als zwei, drei Schritte sehen konnte. Das hier musste – so hofften sie – der Talgrund der Tiefebene von Langrothahn sein. Das Gras, das hier unten existierte, war von blassgrüner, beinahe grauer Farbe. Alles deutete darauf hin, dass es sicherlich niemals viel Sonnenlicht zu sehen bekam.
„Es ist unheimlich hier.“, stelle Flad fest, dessen Stimme durch den Nebel einen dumpfen Klang erhielt. „Ein Glück, dass wir bei Tage wandern. Möchte gar nicht wissen, wie hier die Nacht aussieht.“
„Dann lasst uns auch nicht lange hier aufhalten, sondern lieber weitergehen. Wenn es tatsächlich Nacht wird, finden wir hoffentlich etwas Brennholz um ein Feuer machen zu können.“
Hadley mochte gar nicht daran denken, wie es wäre nachts hier ohne ein Lagerfeuer zu kampieren.
Mittlerweile marschierten sie nebeneinander über das vom Nebel feuchte und leicht glitschige Gras. Diese Gegend war bis auf ein paar verstreut herumliegende Geröllbrocken tatsächlich absolut leer und verlassen. Zumindest nahmen sie das an…
Immerhin noch ein paar Stunden wanderten sie durch diese Einöde. Ihre Füße begannen bereits schwer zu werden. Die feuchte, stickige Luft tat ihr Übriges und erschwerte das Atmen auf ganz unangenehme Weise. Flad blieb irgendwann keuchend stehen, um etwas zu verschnaufen und stützte sich mit beiden Händen auf seinen Oberschenkeln ab. Nach drei oder vier tiefen Atemzügen richtete er sich ruckartig auf, denn er vermeinte ein Geräusch gehört zu haben. War das ein Knarren von Leder gepaart mit einem leisen, metallischen Klirren? Er lauschte angestrengt in die neblige Dunkelheit hinein. Dann war aber nichts mehr zu hören. Flad schüttelte verwundert den Kopf und ging einfach weiter. Schließlich wollte er ja nicht zurückbleiben und die anderen in dieser Waschküche verlieren. Ich höre es schon spuken, dachte er. War ja auch kein Wunder, wenn man seit Stunden nichts anderes zu hören bekam, als das gedämpfte Geräusch der eigenen Schritte und das seiner Begleiter. Er beeilte sich, zu Pad und Hadley wieder aufzuschließen.
Flad hatte schon bald wieder vergessen, dass er geglaubt hatte etwas gehört zu haben. Seine Gedanken schweiften ab nach Fildrem, zu seiner Schmiede, seiner Heimat …
Allmählich begann die Erschöpfung nach ihnen zu greifen Zudem war es mittlerweile fast stockfinster geworden, also hielten Sie an. Padley rang nach Luft und die beiden anderen machten auch keinen frischeren Eindruck mehr.
„Ich gehe keinen Schritt mehr. Lasst uns bloß unser Nachtlager aufschlagen. Vielleicht finden wir ja sogar etwas Holz und …“
Genau in diesem Moment vernahm Flad das beinahe schon vergessene Geräusch ein zweites Mal.
„Psst!“, zischte er.
Was…?“, setzte Hadley an, doch Flad gestikulierte ihm, er solle still sein. Er hielt seine Handflächen hinter seine Ohren, um den anderen deutlich zu machen, dass sie lauschen sollten.
Das Geräusch erklang wieder, ganz schwach. Wie durch Watte gedämpft und aus einer nicht zu bestimmenden Richtung drang es an ihre Ohren. Und diesmal hatten es auch Pad und Hadley gehört.
Sie drängten sich eng aneinander; Rücken an Rücken, schauten sich um und versuchten die sie umgebende Wand aus Nebel mit ihren Blicken zu durchdringen. Doch sie konnten beim besten Willen nichts ausmachen. Bedächtig und leise zogen sie ihre Schwerter.
Wieder hörten sie Geräusche. Lauter jetzt und näher! Angst kroch ihnen wie eine kalte Spinne den Rücken hinauf und ließ sie frösteln. Flad stach mit seiner Klinge aufs Geratewohl in den Nebel hinein, ohne allerdings auf irgendeinen Widerstand zu stoßen.
„Lass das!“ zischte Padley.
Dann, noch bevor sie etwas sehen konnten, hörten sie eine raue Stimme etwas rufen.
„Nah yurr eh? Neh willa eh?“
Er zuckte zusammen, als er die Stimme hörte und auch Flad und Hadley sahen sich erschreckt an. Pad wandte sich in die Richtung aus der er glaubte den Ruf gehört zu haben.
„Hallo?! Mein Name ist Padley Barleycorn. Aber ich kann euch nicht sehen. Warum zeigt ihr euch nicht?“
Als wäre dies das erwartete Signal gewesen, schälten sich erst ein, dann zwei und schließlich ein gutes Dutzend riesiger Umrisse aus dem düsteren Nebel. Es waren eindeutig Menschen, die da wie Geister vor ihnen aus dem dunstigen Nichts auftauchten. Sie saßen auf hageren Reittieren und wirkten dadurch noch größer. Keiner der drei Ragwin hatte solche Kreaturen zuvor schon einmal gesehen. Padley war sichtlich erstaunt über das plötzliche Auftauchen dieser großen Zahl an Personen. Eine von ihnen trieb ihr Reittier weiter voran, bis dessen Nüstern fast direkt vor Padleys Kopf pendelten. Es schnaubte ihn mit einem nach altem Stallmist stinkenden Atem an.
Padley wandte sein Gesicht ab und wedelte sich mit der linken Hand frische Luft zu. Das Tier zog, vielleicht erschreckt durch diese Bewegung, den kantigen Kopf ein wenig zurück, so dass es den Blick auf seinen Reiter freigab. Der zeigte gerade mit der freien Hand auf die drei Gefährten und wandte dabei den Kopf seinen Begleitern zu. Als er sprach erklang wieder die raue Stimme, die sie bereits zuvor gehört hatten.
„Sierkh ehm dha wisqua, smorl Ragga-Wina! Heff smortch off dhe Baîks!”
Was immer er gesagt haben mochte musste wohl ein Scherz gewesen zu sein, denn die anderen quittierten es mit hämischem Gelächter. Padley studierte den Fremden eingehend. Er war, wie die meisten Menschen die er bisher gesehen hatte, fast doppelt so groß wie ein Ragwin. Vielleicht fünfeinhalb oder sechs Fuß. Er selbst, wie auch seine Begleiter, steckten in dunklen Rüstungen. Allerdings trug er im Unterschied zu ihnen noch einen Helm, der an den Seiten mit schwarzen Vogelschwingen geschmückt war. Sein Gesicht wurde von einem eben so dunklen Visier verborgen. Die Rüstung und die äußere Erscheinung erinnerten vage an Kh’Rhybok, wie sich Padley eingestehen musste. Allerdings hatte er den wesentlich massiger in Erinnerung. Und Kh‘Rhybok umgab diese spürbare düstere Aura, die bei seinem jetzigen Gegenüber nicht so präsent war. Bevor Padley aber noch weiter über die Identität des Fremden spekulieren konnte, wandte dieser sich nun ihm zu und sprach ihn an. Seine Stimme war rau und etwas schleppend.
„Was tut ihr hier, Ragwin?“, fragte er und dem schweren Akzent merkte man an, dass er selten die Sprache der Ragwin benutzte.
„Nun, wir sind auf einer Wanderung…“, antwortete Padley vorsichtig. Es schien ratsam, wenn sie von ihrer Mission nicht gleich zu viel preisgaben.
„Ihr seid für Ragwin ziemlich weit von eurer Heimat weg. Und wer seid ihr, sagst du?“
„Zunächst einmal freuen wir uns, hier in der Einsamkeit jemanden getroffen zu haben.“, versuchte sich Pad ausweichend mit leichter Konversation.
„Wir werden sehen, ob die Freude auch auf meiner Seite ist…“, flüsterte der Mensch. Mit einer fließenden Bewegung glitt er aus dem Sattel und warf die Zügel dem Mann zu seiner rechten zu. Der fing sie gekonnt auf und zog das Tier zur Seite. Der Fremde baute sich vor Padley auf und beugte sich zu ihm herab. Ein behandschuhter Zeigefinger stach auf die Brust des Ragwin und übte spürbaren Druck aus.
„Ich habe noch keine Namen gehört, Ragwin! Und steckt eure großen Messer weg, oder sollen das etwa Schwerter sein?“, drang die Stimme drohend unter dem Helmvisier hervor.
Padley zog es vor auf ihn zu hören und schob sein Schwert zurück in die Scheide. Das erschien ihm besonders ratsam angesichts der Tatsache, dass die Menschen alle bis an die Zähne bewaffnet waren. Den Geräuschen die er hörte entnahm er, dass es ihm Flad und Hadley gleichtaten. Nach kurzer Überlegung kam er auch zu dem Schluss, dass es dem Grunde nach keinen Unterschied machen würde, ob er dem Mann ihre wahren Namen sagte oder ihn anlog, also entschloss er sich diesbezüglich für die Wahrheit.
„Verzeiht, wenn ich unhöflich war.“, brachte er gepresst hervor und rieb seine feuchten Handflächen an der Hose.
„Das sind meine Begleiter Hadley Cornpie und Flad Pepper. Nun, und wie gesagt, ich bin Padley Barleycorn mein Herr.“
„Interessant! Nun, dann will ich ebenfalls nicht unhöflich sein und euch meinen Namen nennen. Und merkt ihn euch! Mein Name ist Orkal von Korrthan.“ Während er sprach richtete sich Orkal auf und hob mit beiden Händen seinen Helm vom Kopf.
Zum Vorschein kam ein hartes und kantiges Gesicht, in das sich tiefe Furchen eingegraben hatten. Es war schmutzig und unrasiert, eingerahmt von zerzaustem und verklebtem, schwarzen Haar. Aus tiefen Höhlen wurden Sie von grün-braunen Augen gemustert, die mehr zu einem Raubtier, denn zu einem Menschen gepasst hätten. Das schiefe Lächeln, das eher einem Zähnefletschen gleichkam, verstärkte diesen Eindruck nur noch. Diesem Mann gelang es, sie allein durch seine Erscheinung einschüchterten. Flad war aber noch viel mehr von den Reittieren beeindruckt. Fasziniert betrachtete er die Wesen, die unruhig schnaubten oder mit den Hufen scharrten. Ihre vier Beine waren lang und sehnig. Darauf saß ein schlanker, tonnenförmiger Körper. Der kantige, hundeähnliche Kopf saß auf einem muskulösen, kurzen Hals. Kleine, runde Ohren zuckten unablässig nervös hin und her. Aus ihren Mäulern züngelten – völlig untypisch - lange, gespaltene Zungen, wie man sie eher bei einer Schilfnatter erwartet hätte. Der Körper der Tiere war haarlos und teils von grauer, bei einigen grau-grüner oder bläulich-grüner Färbung. Einige dieser Geschöpfe knurrten sich gegenseitig an oder zerrten ungeduldig an den Zügeln ihrer Reiter. Flad war zu neugierig, um länger an sich halten zu können, also sprach er den Mann direkt an.
„Sagt, mein Herr, was sind das für Tiere auf denen ihr reitet? Ich habe solche noch niemals gesehen und sie wirken sehr ausdauernd. Das sind sie doch, oder?“
Orkals Kopf zuckte zu Flad herum und sein wilder Blick bohrte sich förmlich in dessen Augen. Der Ragwin schalt sich selbst, was ihn geritten hatte, so vorlaut los zu plappern.
Doch Orkal schenkte ihm ein fast freundliches Lächeln, allerdings sparte es seine Augen aus. Der Blick war kalt und wild und lodernd zugleich. Unstet, wirkte fast wie von Wahnsinn getrieben. Doch Orkal antwortete Flad.
„Das sind Baîks aus dem Norden Boorlats. Wenn es einem überhaupt gelingt sie zu fangen, so sind sie schwer zu zähmen. Hat man das hinbekommen, sind sie aber sehr nützlich. Und –in der Tat – sie sind sehr zäh und ausdauernd… und sie fressen auch gerne mal gekochten Ragwin!“, knurrte er zwischen seinen gelben Zähnen hervor. Seine Männer lachten lauthals über den Witz und das sichtbare Entsetzen der Ragwin.
„Aber genug von dem Geschwätz! Du…“ und dabei blickte Orkal wieder Padley an.“…sagst mir jetzt endlich mal, was ihr hier eigentlich verloren habt!“
Padley schluckte schwer und fühlte seine Handflächen erneut feucht werden. Seine Knie schrien förmlich danach unter ihm nachgeben zu dürfen, aber er versuchte sich zusammenzureißen, was ihm erstaunlicherweise auch halbwegs gelang. Er musste sich die Worte genau zurechtlegen und würde schon sehr aufpassen müssen, was er jetzt sagte. Möglichst wenig lügen, um sicher zu wirken, aber auch nicht zu viel von ihrer Mission preisgeben. Darum ging es jetzt. Seine Stimme zitterte leicht, als er antwortete.
„Nun, wie ich schon sagte … sind wir auf einer langen Wanderung. Wir wollten die Ebene, tss, die sich als Tal entpuppt hat, durchqueren und zum großen Nordmassiv. Zu den Bergen halt.“ Er zuckte mit den Achseln.
„Ah, schau an!? Und was habt ihr da vor? Pilze sammeln?“
„Also, in unserem Heimatdorf – Fildrem, wisst ihr – sind einige unserer Brüder und Schwestern in letzter Zeit nicht wohl auf gewesen und der Rat hat uns beauftragt, diese Wanderung auf uns zu nehmen, um vielleicht in den Bergen Hilfe zu finden…“
Orkal beugte sich weiter vor und starrte Padley finster an.
„Welcher Art sollte wohl die Hilfe sein, die ihr dort zu finden gedenkt?“
Padley focht einen inneren Kampf mit sich aus. Was sollte er nun antworten? Orkal würde definitiv auf einer Antwort bestehen.
Bevor er jedoch etwas sagen konnte, sprang ihm Hadley zur Seite. Mit einem Hüsteln verschaffte er sich Gehör.
„Besondere und vor allem sehr seltene, starke Heilkräuter wachsen dort…so sagt man jedenfalls!“
Der Mann, der die ganze Zeit Orkals Baîk gehalten hatte, spie aus und sagte etwas in der fremden Sprache zu seinem Anführer. Der nickte bedächtig und musterte wiederum die drei Ragwin.
„Du hast Recht A´Blash, ich halte die drei ebenfalls für dreckige, kleine Spitzel. Und unser großer Herr mag Spitzel überhaupt nicht. Kh’Rhybok hasst Spitzel um genau zu sein!“
„Nein…“, stammelte Padley.
Orkal lachte ein raues, dreckiges Lachen und stemmte die Fäuste in die Hüften. Er wandte sich kurz zu seinen Leuten um und rief etwas das klang wie: “Tackwa eha oht boonda eha!“
Darauf hin sprangen einige der Männer von ihren Baîks und stürzten sich auf die Ragwin Sie waren wie erstarrt und wagten nicht sich zu wehren. Im Handumdrehen waren die drei überwältigt und gefesselt. Gegen diese Übermacht hätten sie auch ohnehin keine reelle Chance gehabt. Wie Gepäckstücke wurden sie verschnürt. Sie wurden auf die Tiere geladen und kurze Zeit später verschwanden sie mit dem gesamten Tross im Nebel …
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Padley lag vor einem der Männer quer über den Hals des Reittieres und er war so stark eingeschnürt, dass er sich so gut wie gar nicht bewegen konnte. Das verhinderte auch, dass er sich großartig hätte umschauen können. Zumal der Reiter jedes Mal, wenn Padley den Kopf ein wenig anheben wollte, ihn wieder unsanft herunterdrückte. Trotzdem hatte er wenigstens ein paar Dinge mitbekommen. Orkal von Korrthan hatte sich an die Spitze seiner Männer gesetzt und den Zug - wenn er sich nicht irrte - in Richtung Norden geführt. Das war zumindest genau die Richtung, die sie sowieso eingeschlagen hätten. Wenn man dem Ganzen einen positiven Aspekt abgewinnen wollte, dann war es wohl dieser. Von Flad und Hadley bekam er leider die ganze Zeit über nichts zu sehen. Die Männer, die die beiden trugen ritten demnach nicht in unmittelbarer Nähe seines eigenen Häschers. In dem Grau des Nebels verlor Padley schnell jedes Zeitgefühl. Die schaukelnden Bewegungen des Baîks und die Erschöpfung ließen ihn schließlich irgendwann einnicken. Er erwachte erst wieder, als das Tier abrupt stehenblieb. Leicht desorientiert schlug er seine Augen auf. Seine Nase war an die stinkende Seite des Tieres gepresst und er schüttelte sich angewidert. Bevor er es sich versah wurde er auch schon von großen Händen hart gepackt und eher unsanft abgeladen. Er plumpste ins feuchte Gras, zu seinen beiden Gefährten, die sich bereits dort befanden. Als er sich mit Mühe etwas aufrichtete und umschaute, erblickte er mehrere Feuerstellen, sowie ein paar kleinere und ein großes Zelt und noch mehr Menschen. Frauen und Männer die nicht mit Orkal geritten waren. Und es waren vor allem deutlich mehr, als die, die sie gefangen genommen hatten. Vermutlich war dies hier Orkals Lager.