Читать книгу Th'Ragon - Lorne King-Archer - Страница 12
Der Aufbruch
ОглавлениеErst am übernächsten Tag war es soweit. Alle erforderlichen Vorbereitungen waren getroffen; zumindest sofern sie dies beurteilen konnten. Schließlich konnte man sich wohl doch nicht auf alle Eventualitäten vorbereiten. Gewisse Unsicherheiten blieben immer. Hatte man an alles gedacht?
Nun, wie auch immer. Es graute gerade erst der Morgen, als sie sich anschickten aufzubrechen. Sie standen alle vor Hadleys Haus. Boggy Grainfield, der kompakte Flad Pepper, Padley Barleycorn, der die anderen um einiges überragte und schließlich Hadley Cornpie selber.
Seine Frau war natürlich ebenfalls schon auf den Beinen und hielt ihn fest umklammert. Tränen füllten ihre Augen und die seinen schimmerten nicht weniger feucht.
Padley betrachtete die beiden aus ein paar Schritten Distanz und dachte ein wenig wehmütig daran, dass es niemanden gab, der ihn so vermissen würde, wie Flindha ihren Hadley.
Trotz seiner dicken Jacke fror er; die Luft war feucht und der Wind strich wie ein eisiger Hauch um die Häuser Fildrems.
Die Cornpies brauchten noch eine geraume Weile bis sich voneinander lösen konnten. Die anderen machte die Ungewissheit was auf sie zukommen mochte und die Warterei langsam spürbar nervös. Nur Padley war dagegen sehr ruhig. Nicht entspannt; aber ruhig. Er fühlte sich eher wie ein unbeteiligter Beobachter. Vermutlich würde sich das sehr bald legen, wenn sie dann endlich aufgebrochen waren.
Dann war der Moment gekommen. Sie beluden sich mit ihren Rucksäcken und Packtaschen, die bis zum Rand vollgestopft waren mit Proviant und anderen Notwendigkeiten.
Das Schwert an seiner Hüfte fühlte sich wie ein Fremdkörper an. Padley war bei der Jagd den Umgang mit Pfeil und Bogen gewohnt, aber ein Schwert?
Er zog die Klinge behutsam aus der ledernen Scheide und betrachtet das fein gearbeitete Metall mit gewisser Ehrfurcht. Er war sich nie der Tatsache bewusst gewesen, dass Flad etwas anderes als Fassreifen oder Dinge des täglichen Gebrauchs schmieden konnte.
Aber diese handliche Waffe war auf ihre Weise ein Meisterwerk. Völlig eben und glänzend poliert, mit einer beidseitig geschliffenen Klinge. Vermutlich hatten Flad und Randal doch nicht das erste Mal Waffen gefertigt.
Padley schrak aus seinen Gedanken, als eine Bewegung durch die kleine Gruppe ging. Hastig schob er das Schwert zurück in die Scheide und rückte das Gewicht an seiner Hüfte zurecht.
Wortlos blickten sie einander an, nickten sich zu und gingen los. Hadley verharrte noch einmal kurz, damit er zu Flindha zurücksehen konnte. Sie hielt dem Blick nur einen kurzen Moment stand, dann rannte sie schluchzend und tränenüberströmt zurück ins Haus.
Hadley war schwer ums Herz, als sie schweigend ausschritten.
Einige wenige Fildremer, die schon sehr früh aufgestanden waren, blickten den vier Ragwin stumm nach. Zwei oder drei winkten zaghaft, als fürchteten sie den Abschied und dessen Konsequenzen.
Nachdem sie die ersten Häuserecken umrundet hatten, wurden sie gerufen. Boggy und Flad, die es wohl nicht gehört hatten, gingen weiter während Hadley und Pad anhielten. Der Blondschopf von Saltney Earthland kam hinter ihnen hergerannt und fuchtelte wild mir den Armen.
„Wartet!“, rief Hadley, woraufhin sich Boggy und Flad umdrehten und dann ebenfalls stehenblieben.
Völlig atemlos schloss Saltney zu ihnen auf.
„Ich komm` mit, wie ich's gesagt habe…“, jappste er.
„Oh, langsam! Ich hatte den Eindruck, dass der gute Guntrall damit nicht einverstanden ist.“
„Meister Cornpie, wir ha´m uns mittlerweile ausgesprochen. Paps knirscht mit den Zähnen aber lässt mich zieh`n… Wenn ihr einverstanden seid!?“, fügte er nach einer kurzen Pause hinzu.
„Hm… was meint ihr?“
„Also ich habe keine Einwände Hadley. Und ihr?“, fragte Padley an Flad und Boggy gewandt.
Boggy grinste nur und nickte zustimmend. Flad setzte eine sehr nachdenkliche Mine auf und musterte Saltney sehr genau, bevor er meinte:
„Wenn ich das dürre Bürschchen nicht tragen muss sobald es die ersten Blasen an den Füssen hat, soll's mir recht sein.“
Saltney Earthland strahlte. Wie es schien war er der Einzige, der in Bezug auf ihre bevorstehende Mission so etwas wie echte Vorfreude entwickelt hatte.
Hadley schlug ihm auf die Schulter.
„Dann los jetzt!“
Der Tross, der nun um ein Mitglied angewachsen war, setzte sich wieder in Bewegung.
Am Rande Fildrems wurden sie ein weiteres Mal aufgehalten. Guntrall Earthland erwartete sie dort. Padley vermutete zunächst Salty könnte sie angeschwindelt haben und sein alter Herr kam nun um ihm die Leviten zu lesen.
Doch Guntrall hatte ein ganz anderes Ansinnen. Er schüttelte ihnen einen nach dem anderen die Hand. Seinen Sohn umarmte er kurz aber fest und klopfte ihm auf die Schulter, bevor er sich an Hadley wandte.
„Ich wünsche euch viel Glück auf euren Wegen!“
„Danke“, sagte Hadley.
„Hoffentlich braucht ihr das da nicht!“, meinte Guntrall und deutete auf das kurze Schwert an Hadleys Seite, auf dessen Heft matt das Licht der aufgehenden Sonne schimmerte.
„Das hoffen wir wohl alle“, bemerkte Padley und ein Schatten von Besorgnis huschte über sein Gesicht.
Guntrall nickte zustimmend. Mit ernster Miene wandte er sich noch einmal seinem Sohn zu.
„Pass gut auf dich auf, mein Junge… und nimm das bitte!“ Damit drückte er Saltney ein kleines, in Leinen eingeschlagenes Päckchen in die Hand. „Ist ein Kuchen von deiner Mutter!“
„Ja Paps, das werd´ ich. Und danke für den Kuchen. Leb wohl und gib Muttchen ´nen Kuss von mir!“
Jetzt lief doch noch eine Träne über seine Wange, als er zusammen mit den anderen Fildrem und seinen Vater hinter sich ließ.
In einer unbewussten Bewegung strich seine Hand über den Schwertknauf. Sein Vater hatte ihm die Waffe gegeben. Er hatte lange im Haus danach gesucht und es am Vorabend des Aufbruchs endlich in einer der Truhen ganz unten, bedeckt mit vielerlei anderem Krimskrams gefunden. Es war das Schwert seines Urgroßvaters. Es hatte zwar in der ganzen langen Zeit ein wenig Rost angesetzt, aber der hatte sich mühelos wegpolieren lassen.
Mittlerweile verschwanden auch die letzten Häuser des Ortes aus ihrem Sichtfeld, zwischen den hohen Cossabäumen des Frindel-Forsts, dessen nordöstliche Ausläufer sie durchqueren wollten.
Ihre Wanderschaft würde sie zunächst grob in nördliche Richtung führen, wo sie gemäß ihres Plans, an die Ufer des Ph´Dang gelangen würden.
Je weiter sie vorankamen, desto dichter wurde der sie umgebende Wald. Gebüsch und Unterholz waren noch feucht vom Morgentau und die Äste hingen tief herab unter dem Gewicht unzähliger Wassertropfen. Der Pfad war hier aber breit genug, so dass sie das Blattwerk nicht streiften und sie glücklicherweise trocken blieben. Allerdings hielt das dichte Grün des Waldes auch die aufgehend Sonne von ihnen fern, wodurch das Licht hier immer noch dämmrig war.
Die Geräusche des Waldes begleiteten sie, vermischt mit unzähligen Vogelstimmen. Vereinzelt drang auch der Ruf eines Doghwarns an ihre Ohren. Zu Gesicht bekamen sie jedoch keinen der scheuen Waldhirsche.
Weil sie noch ausgeruht waren und die morgendliche Kühle das Marschieren weniger beschwerlich machte, kamen sie sehr gut voran.
Nach guten zwei Stunden ließen sie den Frindel–Forst bereits hinter sich und gingen durch die weiten Getreidefelder, die sich dran anschlossen und im Wind des frühen Tages wie ein Meer aus goldenen Wogen aussahen. Den Äckern und bestellten Flächen folgte alsbald hügeliges Land mit vereinzelten Sträuchern und Gebüschen. Vor allem Hartriegel und Heckenrosen bestimmten das Landschaftsbild. Das Summen von Insekten lag in der Luft.
Trotz des mittlerweile strahlenden Sonnenscheins blieb es aber auch gegen Mittag doch eher kühl.
Sie wanderten überwiegend schweigend, während jeder seinen eigenen Gedanken nachhing. Wenn sie eine Rast oder kürzere Verschnaufpause einlegten, ergaben sich meist kleinere Plaudereien. Dazwischen wurden Pfeifen gestopft und geraucht und immer wieder die Marschrichtung besprochen.
Wenn es gegen Abend dämmerte suchten sie sich ein geschütztes Plätzchen, an dem sie ein Feuer machen und die Nacht verbringen konnten.
Sie teilten sich die Koch- und Küchendienste, was dem einen mehr, dem anderen weniger Freude bereitete.
So verliefen die ersten fünf Tage ihrer Reise annähernd ähnlich ereignislos. Sah man einmal davon ab, dass sich Boggy am zweiten Tag bei der Hasenjagd fast selbst mit dem Bogen erlegt hätte. Glücklicherweise schoss er den Pfeil knapp neben seinen Fuß in den Boden, begleitet vom Spott seiner Kameraden …
~
Gegen Mittag des sechsten Tages erreichten sie einen dichten Waldstreifen, der sich vor ihnen quer durch die Landschaft zog. Er nahm schon bald ihr gesamtes Sichtfeld ein. Irgendwo dahinter sollte das Ufer des Ph´Dang sein. Hadley überlegte; überschlagsweise mussten sie schon an die hundert Meilen von Fildrem entfernt sein. Einen Steinwurf von den ersten Bäumen entfernt hielten sie an.
Die Riemen der Rucksäcke hatten sich in den letzten Tagen tief in ihre Schultern gegraben und sie mussten mittlerweile öfter kurz rasten, um wenigstens ein paar Augenblicke das Gewicht absetzen zu können.
„Was haltet ihr davon, wenn wir hier Rast machen? Ich hab´ nämlich Hunger!“, schlug Flad vor.
„Eine phantastische Idee“, bestätigte Padley. Auch Boggy seufzte erleichtert.
„Du sagst es Pad. Außerdem bringt mich der Rucksack um. Je mehr wir ihn leer essen, desto
besser!“
Die anderen, die dem nur all zu bereitwillig zustimmten, luden rasch ihre Lasten ab.
Flad und Saltney aßen etwas von ihren Vorräten, während Hadley nur einen Schluck Wasser aus seinem Schlauch trank.
Schon bald kamen die fünf Ragwin ins Plaudern über den bisherigen Verlauf ihrer Wanderschaft und spekulierten über den Fortgang ihrer Mission.
Eine volle Stunde verstrich dabei wie im Fluge. Mittlerweile hockten sie im Kreis am Boden, schwatzen angeregt und aßen gemeinsam. Boggy fiel vor lachen fast hinten über, nachdem Flad einige Anekdoten aus der Schmiede zum Besten gegeben hatte. Padley schmunzelte amüsiert, obwohl er die Geschichten bestimmt schon hundertmal gehört hatte. Er begann sich eine Pfeife zu stopfen, hielt aber mitten in seinem Tun inne.
Irgendetwas stimmte hier nicht! Er spürte das ganz genau. Wie eine Spinne mit eiskalten Beinen, lief ein Schauer über seinen Rücken und seine Nackenhaare stellten sich auf.
Langsam stand er auf und sah sich aufmerksam um. Sein Blick glitt hierhin und dorthin aber er konnte nichts Bedrohliches entdecken.
Er spürte, dass die anderen ihn anschauten. Die Gespräche waren verstummt. Er steckte die Pfeife behutsam zurück in den Tabaksbeutel.
„Hört ihr das?“, fragte er.
„Was denn? Ich höre nicht das geringste Geräusch.“, meinte Flad.
„Eben! Grabesstille! Kein Vogel und kein Insekt ist mehr zu hören. Absolute Stille! Als hielte die Natur den Atem an …“
„Stimmt“, brummte Hadley.
Jeder konnte die Gefahr fühlen, die sie auf einmal wie ein mörderischer Pesthauch streifte. Ein feiner Film von kaltem Schweiß bildete sich auf Padleys Stirn. Mit einem leisen, scharrenden Geräusch glitt das Schwert aus der Scheide. Seine Hand umklammerte das Heft wie ein Strick, das man einem Ertrinkenden zugeworfen hat. Auch die anderen zogen ihre Waffen.
Noch immer war weder etwas zu hören, geschweige denn zu sehen. Padleys Augen suchten angestrengt die Gegend ab. Langsam drehte er sich um die eigene Achse. Schwenkte vorbei am Waldrand, wieder auf das offene Gelände. Da - irgendeine Regung war da im äußersten Winkel seines Gesichtsfeldes. Ruckartig drehte er sich wieder zurück; fixierte die Bäume, das Unterholz …
Eine steile Falte zeigte sich auf seiner Stirn zwischen den Brauen. Seine Augen begannen vor Anstrengung schon zu brennen.
„Was…?“, flüsterte er, als der Wald mit einem Mal in Bewegung geriet.
Die Blicke seiner Begleiter folgten dem seinen, starr und wie gebannt.
Ein fürchterliches Bersten - das Geräusch brechender Äste - drang aus dem nahen Wald zu ihnen herüber. Die Luft füllte sich mit einem beißenden, strengen. Wie ein leiser Donner rollte der stinkende Hauch von irgendetwas über sie hinweg.
Für die Dauer eines Lidschlages schien die Zeit wie eingefroren, um dann umso schneller wieder loszurennen. In einer wahren Explosion aus Blättern und zerfetztem Unterholz brach eine fast baumhohe, achtbeinige Bestie zwischen den Stämmen hervor. Sie war schwarz; schwarz wie der schlimmste Albtraum und mit eben so dunklen, schimmernden Schuppen bedeckt. Das Monstrum bewegte sich mit einem schabenden Geräusch, das die Hornplättchen verursachen mussten, langsam auf die fünf Ragwin zu. Aus bösartigen, starren Augen fixierte es seine potentielle Beute. Die Nüstern auf der lang gestreckten Schnauze blähten sich auf und es begann zu schnüffeln. Den Kopf leicht auf die Seite gelegt, entblößte es knurrend zwei Reihen messerscharfer Zähne, von denen grünlicher Geifer troff.
„Bei allen Dämonen der Nacht…“, wisperte Padley „…ein Th’Aarn!“
Saltney stockte der Atem. „Wir müssen fliehen!“
„Das hat keinen Sinn Salty! Der Th'Aarn würde uns folgen und zu Tode hetzen. Das Biest ist wesentlich schneller und ausdauernder als wir.“
„Und jetzt?“
Hadley schob sich vorsichtig an die beiden heran und beobachtete dabei aufmerksam den Th‘Aarn, der in zehn Schritten Entfernung verharrte und die Ragwin schnaufend und mit hin und her pendelndem Kopf beäugte.
„Wir müssen uns vorsichtig verteilen. Flad und Boggy nach links und wir drei schleichen nach rechts. Und sobald ich das Signal gebe, rennen wir alle so schnell wie möglich zum Wald rüber. Versteckt euch dort, kriecht in irgendwelche Löcher. Hauptsache es kann sich nicht auf einen von uns konzentrieren.“
„Ist gut Hadley … Wir lassen unsere Sachen hier. Ist jetzt unnötiger Ballast. Wenn wir uns verlieren sollten, treffen wir uns später wieder hier.“
„Ihr habt Pad gehört! Dann los, gaaanz langsam. Schritt für Schritt …“
Boggy hob zum Zeichen, dass er verstanden hatte kurz die Hand und schlich sich zusammen mit Flad zur linken Seite, wobei Flad zusätzlich versuchte den Abstand zwischen Boggy und sich zu vergrößern.
Saltney, Pad und Hadley taten das Gleiche in entgegengesetzter Richtung.
Der Th'Aarn beäugte sie weiterhin argwöhnisch und ein grollendes Knurren entrang sich den Tiefen seiner monströsen Brust. Dennoch - ihr Plan schien aufzugehen. Sie brachten Schritt für Schritt mehr Distanz zwischen das Monstrum und sich. Der Th’Aarn begann seinen Vorderkörper aufzurichten, so dass das vordere Beinpaar, mit den langen gekrümmten Krallen, in der Luft hing und pendelte immer wieder von einer zur anderen Seite - offenbar unschlüssig, für welches Opfer er sich nun entscheiden sollte. Gereizt scharrte das Scheusal mit den vier Hinterläufen und wühlte den Boden auf.
Die fünf Ragwin hatten mittlerweile gute fünfzehn Schritte zwischen sich und ihren Widersacher gebracht, als Hadley das Zeichen gab.
„Rennt!“, schrie er und stürzte im gleichen Moment los, dem Rettung verheißenden Waldrand entgegen.
Die anderen nahmen ebenfalls die Beine in die Hand. Angefeuert vom infernalischen Brüllen des wütenden Th'Aarn, der mittlerweile erkannt hatte, dass sich seine Beute anschickte ihn zu überlisten. In schierer Raserei warf die Bestie ihren Schädel auf dem kurzen Hals herum und verschleuderte dabei ihren Geifer.
Boggy hatte mittlerweile schon den vermeintlich rettenden Waldrand erreicht und versuchte einen knorrigen Baum zu erklimmen, um sein Heil in dessen Wipfel zu suchen. Nur wenige Schritte entfernt schlug sich Flad Pepper einen Weg in das Dickicht des Unterholzes. Pad und Hadley waren nicht zu sehen, als Boggy unter sich einen spitzen Schrei hörte. Er konnte gerade noch erkennen, wie Saltney schräg unter ihm lang hinschlug. Das Schwert glitt aus seiner Hand; rutschte noch weiter und verschwand im nächsten Laubhaufen.
Der Sturz war auch dem Th´Aarn nicht entgangen. Während sich Saltney ächzend auf die Unterarme stemmte, fuhr die Bestie zu ihm herum.
Die Muskeln unter der schuppigen Haut spannten sich und mit einem kehligen Knurren sprang er auf ihn zu. Saltney, der das überhaupt nicht registriert hatte, wälzte sich auf dem Waldboden herum. Unvermittelt blickte er in die glühenden Augen des Th´Aarn, dessen Schnauze nur eine Armlänge von seinem Gesicht entfernt in der Luft hing. Der faulige Odem des Tieres traf ihn, als sich dessen mächtige Kiefer eine handbreit öffneten. Blankes Entsetzen stand in Saltys Augen; er war schier gelähmt. Selbst wenn er sich hätte bewegen können, wäre er wohl nicht mehr schnell genug gewesen, um dem vorschnellenden Schädel noch einmal auszuweichen. Die scharfen Reißzähne bohrten sich wie Dolche tief in sein Fleisch und rissen ihn vom Boden empor. Als die Kiefer sich schlossen und seine Knochen zermalmten, war er bereits tot. Er starb gnädiger Weise schnell, viel zu schnell, als dass seine Begleiter ihm hätten helfen können.
Boggy Grainfield war vollkommen erschüttert. Was er da mit hatte ansehen müssen war einfach zu schrecklich. Sein ganzer Körper begann zu zittern und zu beben und er spürte, wie die Kraft aus seinen Fingern wich.
Er hatte erhebliche Mühe, sich an dem Baumstamm überhaupt noch festzuhalten und nicht einfach herunterzufallen. Unter ihm fuhr die Bestie ungerührt fort auf ihrer Beute herumzukauen. Die schmatzenden und malenden Geräusche machten ihn fast wahnsinnig. Der Geruch von frischem Blut drang in seine Nase und ließ Übelkeit in ihm aufsteigen. Aber auch ein anderes Gefühl bemächtigte sich seiner. Mit dem Pochen und Rauschen seines eigenen Blutes stieg auch rasende Wut in ihm auf.
Er schloss kurz die Augen und biss die Zähne zusammen. Als er sie wieder öffnete, schaute er wie durch einen Schleier. Nebulös erkannte er weiter entfernt die Gestalten von Flad Pepper und Padley Barleycorn, die sich vorsichtig dem grausamen Schauspiel näherten. Schon zogen sie die Aufmerksamkeit des Raubtiers auf sich, das blutrünstig von seiner Beute aufschaute und begierig
schnaubte.
Da war es mit Boggys Beherrschung am Ende. Er stieß einen wütenden Schrei aus und stieß sich mit aller Kraft vom Baumstamm ab und flog auf die Bestie zu. Er war nicht er selbst. Sah sich selbst wie irgendein entfernter Beobachter, konnte eigentlich nicht fassen, was er da tat. In fast traumwandlerischer Körperbeherrschung – die er sich selbst in einer normalen Situation vermutlich nie zugetraut hätte – riss er noch im Fallen das Schwert aus der Scheide, drehte sich im Sprung herum und landete auf dem Rücken des Th´Aarn.
„Komm da runter Boggy! Willst du dich umbringen?“, schrie Padley, der sich zusammen mit Flad weiter näherte.
Boggy hörte ihn überhaupt nicht. Er musste all seine Kraft aufbieten, um sich festzuhalten und sich nicht, von der sich jetzt wild aufbäumenden Kreatur, abwerfen zu lassen. Das Monstrum brüllte infernalisch bei dem Versuch seine störende Last loszuwerden. Es versuchte mit seinem von Blut – Saltys Blut – besudelten Maul nach Boggy zu schnappen; doch es konnte den kurzen Hals nicht so weit herumdrehen. Der Th´Aarn bockte und drehte sich um die eigene Achse, wobei er Gestrüpp und Büsche einfach niederwalzte und in den Boden stampfte. Padley und Flad tänzelten vorsichtig um ihn herum, in der Hoffnung nicht einfach überrannt zu werden. Immer dann, wenn sie gerade mal dicht genug dran waren, hieben sie mit ihren Schwertern nach der Bestie. Doch die harten Schuppen waren nicht zu durchdringen. Das Monstrum ignorierte sie schlichtweg.
Boggy hieb in vergeblichen Versuchen immer und immer wieder auf Kopf und Nacken des Tieres ein. Die Klinge schlug dabei gelegentlich Funken auf den harten Hornplatten, blieb aber ansonsten wirkungslos. Seine Arme begannen allmählich schwer zu werden. Wieder riss der Th‘Aarn seinen Kopf zu ihm herum und ließ seine gewaltigen Kiefer mit einem lauten Klacken zuschnappen. Die starren, schwarzen Augen fixierten den Ragwin in rasender Wut. Aber da war auch noch ein anderer Ausdruck in diesen Augen – wäre es ein vernunftbegabtes Wesen gewesen; Boggy hätte es für Hohn gehalten. Das Biest musste ganz genau das Nachlassen seiner Kraft und seine Angst spüren. Seine lange, gespaltene Zunge schlängelte zwischen den spitzen Zähnen hervor und schlabberte blutig über Boggys Stiefel. Er hieb mit dem Schwert danach, war aber nicht schnell genug und streifte nur die Flanke des Th‘Aarn. Wieder traf ihn der Blick aus diesen finsteren, animalischen Augen … und da erkannte er seine Chance!
Er erwiderte den Blick und das Monstrum hielt für einen Atemzug in seinem Wüten inne. Starrte ihn an und knurrte ihm seinen Blutdurst entgegen. Boggy handelte - und diesmal war seine Bewegung zu schnell für das Biest! Als der Th‘Aarn auf die heransausende Klinge reagierte war es bereits zu spät. Mit einem hässlichen, schmatzenden Geräusch stach das Schwert in die Augenhöhle und Boggy rammte es bis zum Heft hinein. Schwärzliches Blut strömte sofort aus dem feuchten Krater hervor und rann in den Nacken des Tieres, spritzte umher.
Wer glaubte, er hätte den Th´Aarn schon laut brüllen gehört, der hatte sich getäuscht. In seiner Agonie bäumte er sich auf und seine Lungen donnerten eine ohrenbetäubende Todesfanfare heraus. Flad und Padley schlugen die Hände über den Köpfen zusammen und warfen sich zu Boden.
Mittlerweile gelang es Boggy nicht mehr sich unter dem fortwährenden Wüten und Bocken auf den vom Blut glitschig gewordenen Schuppen noch länger festzuhalten. Der Griff, des noch immer in der Augenhöhle steckenden Schwertes, entwand sich seinen Fingern und er rutschte über die rechte Flanke des Tieres. Kopfüber stürzte er herab und schlug schwer am Boden auf.
Der Th´Aarn begann sich über ihm in Todeskrämpfen zu winden. Sein ging Brüllen verstummte mehr und mehr und wurde zu einem Wimmern und Röcheln. Seine Bewegungen wurden langsamer. Der Bestie gelangen noch drei, vier unbeholfene, kraftlos wirkende Schritte, dann fiel sie wie ein Fels. Ein letzter, gurgelnder Atemzug drang mit einem Schwall Blut aus dem Rachen des Th´Aarn und damit auch das letzte Quäntchen Leben.
Padley hob vorsichtig den Kopf und spähte unter seinen Armen hindurch. Vor ihm lag der riesenhafte Tierkadaver wie ein Berg und versperrte ihm die Sicht.
„Boggy…“, wisperte er und stemmte sich mühsam vom Boden hoch.
Seine Kleidung war schmutzig geworden und Laub hing in seinen Haaren - aber darauf achtete er nicht. Wie in Trance bewegte er sich Schritt für Schritt auf den Th´Aarn zu, immer noch von der Furcht beseelt, der könne jeden Moment wieder aufspringen und sich erneut auf sie stürzen. Doch natürlich geschah nichts dergleichen. Die Bestie war unwiderruflich tot. Langsam umrundete er den Körper. Als er den Schädel erreichte, glotzte ihn die leere Augenhöhle mit dem darin steckenden Schwert an und schien jedem seiner Schritte zu folgen.
Er wandte seinen Blick davon ab; was er besser nicht getan hätte. Denn statt seinen Augen Frieden zu bescheren, erspähten sie das, was von Saltney übrig geblieben war. Aufgerissen, zerfetzt und widernatürlich verdreht lag der Körper einige Schritte abseits; völlig unkenntlich und mit Blut und Geifer besudelt. Padleys Beine gaben nach, ließen ihn zusammensacken und er erbrach sich mehrfach, bis er nur noch Galle spuckte. Er hockte einige Zeit auf dem Boden, stütze sich mit den Händen ab und kämpfte gegen die drohende Ohnmacht.
Etliche Atemzüge später spürte er Flad Peppers Hände an seinen Schultern.
Dankbar ließ er sich aufhelfen. Er sah, dass Tränen verlaufene Spuren in Flads schmutzigem Gesicht hinterlassen hatten und wurde sich seiner eigenen Tränen bewusst und der Tatsache, dass er vermutlich eben so furchtbar aussehen musste.
„Wir müssen nach Boggy sehen“, sagte Padley.
„Ja ich denke das sollten …“
„Ihr könnt nichts mehr für ihn tun!“, sagte eine ihnen wohl vertraute Stimme. Zeitgleich wirbelten ihre Köpfe herum und sie erblickten Hadley Cornpie, der den Körper des Th´Aarn umrundete und geradewegs auf sie zusteuerte. Er sah kein Deut besser aus als sie. Genau so schmutzig, die Kleidung an einigen Stellen aufgerissen und er humpelte sichtbar.
„Hadley! Bei Kosâllah, wo kommst du denn her?“
„Ach Flad, Padley … Ich hatte es mit Müh´ und Not geschafft, dem Monstrum zu entkommen. Habe es nicht gewagt mich auch nur umzusehen und bin einfach in den Wald gerannt. Ich glaube ich war wie von Sinnen und habe überhaupt nicht gespürt, wie ich mich durchs Unterholz gekämpft habe. Schließlich hat mich eine dicke Wurzel von den Füssen geholt und habe mir dabei wohl was verstaucht. Als ich dann so daliege und mich wieder hochwurschteln will, höre ich dass es hinter mir still geworden ist, also das Vieh wohl nicht mehr hinter mir her war. Ich wollte mich gerade nach einem sicheren Versteck umsehen, in dem ich in aller Ruhe hätte abwarten können aber dann habe ich dieses Gebrüll am Waldrand gehört. Da konnte ich nicht einfach dort bleiben und habe mich vorsichtig zurückgeschlichen und finde das hier vor …“ Er unterstrich seine Worte mit einer Geste seiner Hand, die unübersehbar zitterte und sehr zerschunden aussah. Er blickte Padley tief in die Augen bevor er weiter sprach.
„Was, bei allen Dämonen, ist passiert? Als ich aus dem Wald raus bin, sehe ich schon den Th´Aarn hier liegen - und davor Boggy. Ich bin sofort zu ihm hin. Ich dachte er wäre bewusstlos, doch als ich mich zu ihm herunter gebeugt habe, wusste ich gleich, dass er tot ist. Sein Genick ist gebrochen.“
„Oh, Hadley…“ Padleys Stimme versagte und erneut füllten Tränen seine Augen.
„Lass nur Pad“, meinte Flad Pepper. Er nahm Hadley etwas zur Seite und berichtete ihm, was vorgefallen war. Zumindest soweit er es gesehen hatte.
„Tapferer Boggy!“, konstatierte Hadley.
„Ja, das war er! Und der arme Saltney. Ich kann es immer noch nicht fassen.“
Der sonst so massige Schmied war in sich zusammen gesunken und wirkte auf einmal fast zerbrechlich. Dieser Schlag des Schicksals hatte ihre kleine Gruppe schwer getroffen. Die Stimmung der drei Ragwin war furchtbar. Einig Stunden lang sprach danach keiner mehr auch nur ein einziges Wort. Erst gegen Abend hatten sie sich etwas von dem Schock erholt, soweit dies überhaupt jemals möglich sein würde. Die Sturmflut der Emotionen ebbte langsam ein wenig ab und begann einer großen Leere Platz zu machen.
Flad war es, der irgendwann aufstand und zu ihrem eigentlichen Rastplatz zurückschlurfte, um in seinem Gepäck nach der kleinen Schaufel zu suchen. Als er sie umständlich aus seinem Rucksack befreit hatte, begann er ein paar Schritte abseits ein Grab auszuheben. Pad und Hadley folgen ihm schließlich, als sie erkannten was er dort tat. Stumm ergriffen sie ebenfalls ihre Spaten und gingen dem Schmied zur Hand.
Einige Stunden später – sie hatten mittlerweile ein Lagerfeuer angezündet, weil es dunkel geworden war – standen sie im Flammenschein vor den letzten Ruhestätten ihrer gestorbenen Freunde.
Padley Barleycorn holte tief Luft und rieb sich den feuchten Schleier aus den Augen.
„Boggy Grainfield“, begann er. „Hätten wir dir einen Grabstein setzen können, so hätte darauf gestanden, dass du im Kampf um das Leben deiner Freunde und Weggefährten dein Leben ließest. Dafür danken wir dir! Saltney Earthland, auch dir danken wir dafür, dass du uns bis hierher begleitet hast. Wir bedauern sehr, dich verloren zu haben! Möge Kosâllah euch auf all euern Wegen begleiten! Möge Ngushia euch reiche Ernten bescheren! Und möge Rhisoann euren Geist für immer behüten! Der Schutz der Götter sei für immer mit euch!“
„Der Schutz der Götter sei für immer mit euch!“, wiederholten Flad und Hadley. Dabei legten sie Zeige – und Mittelfinger der rechten Hand an die Nasenwurzel und schlossen die Augen, wie es der Brauch verlangte.
„Warum, bei allen Göttern? Warum das alles?“, murmelte Padley, den Blick zum Himmel gerichtet. Er seufzte resigniert und ließ die Schultern fallen.
Sie hatten einen Punkt erreicht, an dem sie die Strapazen des Tages spürten. Erschöpfung und Müdigkeit machten ihre Glieder schwer wie Blei. Sie richteten sich ihre Schlaflager her und versuchten tatsächlich etwas Schlaf zu finden.
Padley blieb aber noch einige Zeit wach. Seine Freunde waren, den Geräuschen nach zu urteilen, schon bald eingedämmert. Flad schlief unruhig und zuckte das eine oder andere Mal. Padleys Gedanken waren in hellem Aufruhr. Er grübelte die ganze Zeit, dachte bei sich Du darfst nicht aufgeben. Nicht jetzt! Zuerst muss die Mission erfüllt werden. Die Zukunft aller Ragwin hängt davon ab. Unsere Opfer dürfen nicht umsonst gewesen sein ….
Irgendwann übermannte aber auch ihn die Müdigkeit und er fiel wie die anderen in einen unruhigen Schlaf.