Читать книгу Th'Ragon - Lorne King-Archer - Страница 15

Das Lager

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Drei Abende hatten sie jetzt schon im Lager verbracht. Man gab ihnen zweimal täglich wenig schmackhafte Nahrung. Ansonsten hatte man sie bisher in Ruhe gelassen. Nun wenigstens ließ man sie nicht hungern. Allerdings auch nur zum Essen oder wenn sie ihre Notdurft verrichten mussten, band man sie kurz einmal los, aber dann immer bewacht von mindestens vier bewaffneten Männern, die nie ein Wort mit ihnen sprachen.

Jetzt saßen sie wieder gefesselt und mit schmerzenden Handgelenken an der Glut des langsam herunterbrennenden Feuers, das man für sie angezündet hatte. Die Feuchtigkeit die aus dem Gras und dem Boden kam war aber in den Tagen Stunde um Stunde weiter in ihre Kleidung und in ihre Glieder gekrochen, so dass die Wärme kaum noch tröstlich war. Sie froren nur dann etwas weniger, wenn einer der Männer gerade mal neues Holz nachwarf und das Feuer für eine Weile etwas stärker brannte. In den letzten paar Stunden hatten sie auch nicht mehr viel miteinander gesprochen. Hadleys Kinn war auf die Brust gesunken und er schreckte aus einem leichten Dämmerschlaf auf, als sich ihnen jemand näherte. Er erkannte einen einzelnen Mann und stieß Flad und Padley leicht mit dem Ellenbogen an. Die beiden drehten sich so gut sie es vermochten zu ihm herum und blickten in dieselbe Richtung.

Das war ohne Zweifel Orkal, der auf sie zuschritt, wie immer in seine dunkle Rüstung gekleidet.

Er baute sich wie ein Berg vor ihnen auf und starrte auf sie herab, wie man lästiges Ungeziefer ansehen würde. Er spie aus. Ob versehen oder Absicht; auf jeden Fall traf er Hadleys Stiefel, der darauf hin angewidert sein Gesicht verzog. Orkal grinste schief sein schäbigstes, gelbzahniges Grinsen.

„Morgen verlassen werden wir das Lager verlassen und reiten weiter, also schlaft euch schön aus, damit ihr für den Ritt nicht zu müde seid.“, knurrte er.

„Was habt ihr mit uns vor?“, wollte Hadley wissen.

„Nun, was habe ich mit euch vor?“ Orkal rieb sich das Kinn, als müsse er ernsthaft darüber nachdenken.

„Am liebsten würde ich euch kochen oder über dem Feuer rösten und an die Baîks verfüttern. Aber meine bescheidenen Wünsche zählen hier nicht.“ Wieder dieses schäbige Grinsen.

„Aber ich bin geduldig, ich kann warten. Zuerst einmal schaffe ich euch zum großen Herrn. Vielleicht hat Kh’Rhybok ganz andere Pläne für euch, da will ich ihm doch nicht vorgreifen.“

„Wird er uns töten?“, fragte Hadley ohne Umschweife.

Orkal lachte nur leise und ging einfach fort. Je näher er seinem Zelt kam, desto lauter begann er zu lachen. Er zumindest schien sich prächtig zu amüsieren.

„Bei Kosâllah, was sollen wir jetzt tun? Das ist unser Todesurteil.“, flüsterte Hadley.

„Ich stimme dir zu…“, meinte Padley. „…und deswegen gibt es nur noch eine Möglichkeit. Wir müssen versuchen zu fliehen, bevor sie uns zu Kh’Rhybok bringen. Ich weiß noch nicht wie, aber wenn wir unsere Haut retten wollen, ist das unsere letzte…“

„Psst, da kommt jemand!“, zischte Flad.

Einer von Orkals Leuten - ein dürrer, leicht hinkender Kerl - näherte sich und trug drei dampfende, kleine Holzschalen in den Händen. Das wohl für sie bestimmte leckere Abendmahl. Wortlos stellte er die Näpfe neben das Feuer und machte sich daran die drei Gefangenen loszubinden. Er trat darauf hin zwei Schritte zurück und zog sein Schwert. Er richtete die Spitze der Klinge auf sie und schob sein bärtiges Kinn vor.

„Keine Dummheiten, eh wisquot“, nuschelte er.

Sie verstanden zwar nicht, was er in seiner Sprache gesagt hatte, aber Keine Dummheiten war ja deutlich gewesen und der Rest klang doch irgendwie sehr nach Schimpfwort. Sein Tonfall ließ keinen Zweifel daran, dass er das Schwert benutzen würde, sollte sie irgendetwas versuchen. Unbewaffnet wie sie waren und dazu auch noch an den Füßen gefesselt, hätten sie ohnehin nicht gewagt den Mann anzugreifen.

Padley nahm eine der Schalen vom Boden auf und beäugte misstrauisch deren Inhalt. Vermutlich würde es, wie bei allen anderen Mahlzeiten nur einen Zweck erfüllen, es würde sie sättigen, aber schmecken würde es nicht. Der Fraß, den man ihnen seit Tagen vorsetzte, hatte mehr als einmal zu heftigen Magenkrämpfen und bei Hadley sogar schon zu Fieber und Erbrechen geführt. Die Männer hatten doch ganz andere Dinge auf dem Speiseplan, als es bei Ragwin üblich war. Und vermutlich war der Koch auch nicht gerade ein Meister seines Faches. Padley wollte lieber auch gar nicht wissen, was sie da immer vorgesetzt bekamen. Heute sah der Inhalt des Holznapfes allerdings durchaus recht annehmbar aus; selbst der Geruch war zumindest nicht unangenehm. Dem Aussehen nach konnte es ein Pilzeintopf sein. Er griff nach dem einfachen Löffel und probierte einen Bissen. Flad und Hadley aßen ebenfalls. Vermutlich waren sie genau so hungrig wie er. Und tatsächlich überwog ein recht kräftiger Pilzgeschmack mit einer hintergründigen, herben Note. Hätte der Koch noch zu ein paar frischen Kräutern gegriffen, wäre das im Vergleich zu den übrigen Mahlzeiten als Festschmaus zu bezeichnen gewesen. Fast in Windeseile hatten sie ihre Schalen vollends geleert.

Ihr Aufseher schien zu bemerken, dass sie aufgegessen hatten und trat einen Schritt näher.

„Fertig?“, schnauzte er.

Padley wollte ihm antworten, aber irgendwie war sein Gesicht wie gelähmt. Er konnte seinen Mund nicht bewegen und kein Laut drang über seine Lippen. Sein Körper wollte ihm nicht gehorchen und er war zu keiner Bewegung fähig. Er spürte nur noch ein unangenehmes Kribbeln in Armen und Beinen. Seine Atmung stockte, hörte schließlich ganz auf und das zunehmende Rauschen in seinen Ohren wurde nur durch das lauter werdende Pochen seines Herzens übertönt, bis auch das schlagartig aussetzte. Vor seinen Augen breitete sich Schwärze aus und er konnte nicht mehr sehen. Er war nicht einmal mehr in der Lage Panik zu empfinden; jegliche Empfindung und jeder Gedanke setzte aus. Den Aufprall im Gras spürte er nicht mehr, als er wie ein voller Getreidesack umkippte.

~

Trotz seiner alten, schmerzenden Knöchelverletzung rannte Dwilkh so schnell er konnte durch das Lager. Ein paar seiner verdutzten Kameraden riefen ihm etwas zu, aber er blieb nicht stehen und lief auf direktem Weg zu Orkals Zelt. Dort angekommen schob er A´Blash - der dort vor dem Eingang Wache hielt - zur Seite, schlug die Eingangsplane zurück und schlüpfte hinein. Orkal saß an einem einfachen, schiefbeinigen Tisch und studierte Landkarten, oder irgendwelche andere Papiere. Seine Stirn warf sich in tiefe Falten, als er aufschaute. Die Verärgerung über die ungewollte Störung war mehr als offensichtlich.

„Mein Kommandant!“, keuchte Dwilkh und presste die Hand in die von Seitenstichen gepeinigte linke Rumpfseite.

„Was, bei allen finsteren Dämonen, fällt Dir ein?“, knurrte Orkal. Er erhob sich von seinem Schemel, trat hinter dem Tisch hervor und baute sich drohend wie ein Gewitter vor Dwilkh auf.

Der rang immer noch nach Luft und brachte nicht gleich eine Antwort hervor. Dafür knallte Orkals behandschuhter Handrücken in sein Gesicht und ließ seinen Kopf herum fliegen. Dwilkh schmeckte Blut im Mund, beugte aber demütig sein Haupt.

„Mein Kommandant, die Zwerge hat´ s erwischt.“, brachte er keuchend hervor.

„Was soll das heißen?“

Dwilkh riskierte einen Blick in Orkals Augen und schrak vor dem darin lodernden Zorn zurück.

„Sie haben gegessen und dann sind sie fast alle zur gleichen Zeit einfach umgekippt.“

„Du Idiot!“, zischte Orkal und schmetterte seine Hand erneut in Dwilkhs Gesicht.

„Die haben dir doch nur was vorgespielt, um türmen zu können!“

„Nein, nein, ganz bestimmt nicht. Ich habe sie mir angesehen, bevor ich zu euch kam. Sie atmen nicht mehr, kein Puls, nichts…!“

Mit einem knurren stieß Orkal den Alten zu Seite und stürmte aus dem Zelt.

„A´Blash, lauf! Hol den Heiler und komm mit ihm zu den Ragwin!“

Orkal wartete keine Antwort ab. Er wusste, dass auf seinen Adjutanten Verlass war und rannte sofort zu seinen Gefangenen.

~

Orkal hockte bereits leise fluchend über den drei reglosen Körpern, als A´Blash mit dem Heiler eintraf.

„Lasst sie mich ansehen, mein Kommandant“, sagte der und schob sich an A´Blash vorbei.

Orkal machte dem kauzigen Alten Platz und ließ ihn tun, was auch immer er da tat.

„Nun?“, fragt er nach einer Weile ungeduldig.

Der Alte erhob sich ächzend und fuchtelte mit seinen knorrigen Händen herum.

„Dwilkh hatte Recht. Sie sind tot. Seht ihr den weißlich-blauen Schaum in ihren Mundwinkeln?“

„Ja, den habe ich bemerkt… und?“

„Ich fürchte, sie sind an einer Vergiftung gestorben. Was habt ihr ihnen gegeben?“

Orkal wandte sich zu seinem Adjutanten um.

„A´Blash?“

„Mein Kommandant. Soviel ich weiß, haben sie das gleiche Essen bekommen, wie unsere Männer auch.“

„Argh, der Koch ist ein Narr!“, schnarrte der Heiler.

„Jeder halbwegs gute Jäger weiß doch, dass Tenka-Pilze gerieben, getrocknet und in Öl gerührt auch als Pfeilgift genommen werden. Menschen können die Pilze aber in gekochtem Zustand gut vertragen. Für die kleinen Ragwin gilt das aber wohl nicht, wie mir scheint. Die könnt ihr abschreiben…“

Wütend trat Orkal nach einem Stein und stampfte davon. Er brüllte Befehle durch das ganze Lager.

„Los, los packt alles ein. Wir brechen in zwei Stunden auf. Ich will zu Kh’Rhybok und muss ihm Bericht erstatten. Er wird, verdammt noch mal, nicht erfreut sein! Und schafft mir den Koch in mein Zelt… und eine anständige Reitpeitsche!“

A´Blash zuckte die Schultern. Er kannte die Ausbrüche seines Kommandanten. In der Haut des Kochs würde er jetzt ganz bestimmt nicht stecken wollen. Der konnte froh sein, wenn Orkal ihn nicht totschlug. Der Heiler wollte von A´Blash wissen, was jetzt mit den Ragwin geschehen sollte. Sie sahen keine Notwendigkeit darin, sich überhaupt um die Leichen zu kümmern. Also kamen sie überein, die drei einfach an Ort und Stelle liegenzulassen.

„Um die werden sich schon die Würmer und die Maden kümmern…“, gackerte der Alte.

~

Keine zwei Stunden später war die Truppe komplett abmarschbereit und setzte sich in Bewegung. Orkal von Korrthan führte derzeit sechzig Köpfe zählende Einheit an. Obwohl sie teils schäbig, teils wie Halunken aussahen, waren sie doch hervorragend ausgebildete Soldaten. Wie üblich ritt Orkal mit seinem Baîk an der Spitze der Kolonne und A´Blash zu seiner Rechten und ein wenig hinter ihm. Während er in Gedanken darüber nachsann, was er Kh’Rhybok berichten sollte, ohne dass der ihn einen Kopf kürzer machen würde, kam ihre Prozession zügig voran. Irgendwann hatte er sich seinen Bericht für Kh‘Rhybok im Kopf bereits zurechtgelegt, da kam ihm ein Gedanke. Er winkte seinen Adjutanten zu sich heran. Der ließ sein Baîk kurz antraben, was es mit leisem Grunzen quittierte. Auf gleicher Höhe mit Orkal angekommen, zog er leicht an den Zügeln.

„Mein Kommandant?“, erkundigte er sich nach dessen Wünschen.

„Wer hat das Zeug der drei stinkenden Ragwin eingepackt?“

A´Blash überlegte kurz, bevor er antwortete.

„Hm, soviel ich mich erinnere war das die Aufgabe von Rhaipien.“

„Hol ihn her und er soll das Zeug mitbringen. Ich will es mir noch einmal ansehen.“

A´Blash bestätigte den Befehl mit einem knappen Nicken, wendete sein Reittier und galoppierte an der Kolonne entlang. Es dauerte nicht lange, bis er mit Rhaipien im Gefolge zurückkam. Der Adjutant buffte den stämmigen Mann an und deutete auf ihren Kommandanten.

„Berichte es selbst, du Hohlkopf!“, befahl er ihm.

„Äh, mein Kommandant…“

„Was?“, flüsterte Orkal drohend leise.

„Nun es gab da ein kleines Missverständnis zwischen Pirnaal und mir. Ich hatte ihm gesagt, er solle den Kram einpacken und er hat verstanden, dass ich es mitnehme.“

Orkal richtete sich unheilvoll im Sattel auf und seine Hände umspannten so fest die Zügel, dass das Leder seiner Reithandschuhe bedrohlich knirschte. Seine Stimme klang jetzt gepresst und nur mühsam beherrscht.

„Und was?“, verlangte er zu wissen.

„Nun, mein Kommandant, ich fürchte das ganze Zeug ist im Lager liegengeblieben!“

Orkals Bewegung war fast explosionsartig schnell. Sein Schwert sprang förmlich aus der Scheide und die Klinge beschrieb einen schnellen, sirrenden Halbkreis, bevor sie wieder vor ihm auf dem Sattel ruhte. Rhaipiens Augen waren noch vor Überraschung weit aufgerissen, als der Kopf von seinem Hals rollte und neben dem Baîk zu Boden fiel. Das Tier drehte förmlich durch und rannte wie von Sinnen davon. Nach vielleicht vier oder fünf bockenden Galoppsprüngen stürzte auch Rhaipiens Körper aus dem Sattel. Mit der jahrelang antrainierten Ruhe reagierte A´Blash auf diese Situation. Er gab zwei Männern den Befehl, das Baîk wieder einzufangen und drei anderen, sich um Rhaipiens Überreste zu kümmern. Orkal wischte derweil die Schwertklinge an seinem Hosenbein ab und schob es zurück in die Scheide.

„Wie lange sind wir schon geritten A´Blash?“

„Etwa eineinhalb Stunden, mein Kommandant.“

„Schick Pirnaal, diesen verdammten Idioten, zurück und lass ihn den Krempel holen, bevor ich mich vergesse und ihn ebenfalls einen Kopf kleiner mache!“

„Wie ihr befehlt. Ich kümmere mich darum.“

Orkal rieb sich die Schläfen. Warum konnten nicht alle Männer so zuverlässig sein, wie sein Adjutant?

Er riss sich aus seinen Überlegungen und ließ den Trupp, der sich sehr still verhielt, wieder antraben. Sie waren sicherlich das aufbrausende Wesen von Orkal gewohnt, was aber nicht hieß, dass es sie nicht erschreckte, wenn einer der ihren hingerichtet wurde.

Ja, seid besser vorsichtig, haltet die Köpfe unten und eure Mäuler geschlossen, dachte Orkal grimmig.

Als sich A´Blash schließlich wieder zu ihm gesellte, wusste er, dass Pirnaal jetzt bereits wie der Wind zurückreiten würde. Wenn alles gut ging, sollte er sie ohne Probleme bald wieder einholen können.

~

Alles war dunkel. Es war nicht kalt und auch nicht warm. Es gab keine Empfindungen, keine Gedanken. Es gab keinen Laut. Alles war wie eingefroren, bis sich ein Geräusch in seinen Ohren brach. Wie ein gewaltiger, doppelter Trommelschlag. Dann Stille. Eine endlose Zeit später wieder ein Trommelschlag. Stille. Warten. Trommelschlag. Stille. Warten. Trommelschlag. Immer schneller, immer lauter, wurde das Trommeln zum Stakkato. Dann tat seine Lunge einen winzigen, keuchenden Atemzug. Dann noch einen und wieder und immer tiefer sog er die Luft ein. Das Trommeln drohte seinen Kopf zu sprengen und bereitete ihm dämonische Schmerzen. Allmählich krochen die rasende, stechende Pein in seine Glieder und immer weiter, so dass er sich auf brutale Weise wieder seines Körpers bewusst wurde. Dann Licht; dieses grelle, beißende Licht. Seine Augen hatten sich geöffnet und die Helligkeit stach ihn wie Dolche. Er hörte ein Stöhnen. Nein, er hörte sich selbst stöhnen. Langsam versuchte er sich zu bewegen, was lediglich Wellen brennendheißen Schmerzes durch seinen Körper jagte. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis er einen erneuten Versuch unternahm und eine weitere Ewigkeit, bis er sich auf allen Vieren hockend, sich seiner selbst wieder voll bewusst wurde. Er bemerkte auch, dass es gar nicht wirklich hell war, sondern vielmehr ein düsteres Zwielicht herrschte. Trotzdem brannte es in seinen Augen und ließ ihm Tränen über die Wangen laufen. Er stemmte sich unter Aufbietung all seiner Kraft hoch auf ein Knie, was er aber fast augenblicklich bereute. Er fiel zurück auf alle Viere und erbrach sich. Was er da von sich gab, war eine Mischung aus Essensresten, Galle und Blut und hinterließ ein widerlich, säuerliches Aroma in seinem Mund, gepaart mit dem typischen Eisengeschmack von Blut. Er konnte sich nicht mehr erinnern, wie lange er dort so gehockt hatte, bis eine Stimme wie durch Watte an seine Ohren drang. Es dauerte eine ganze Weile, bis er verstand…

„Padley, bist du in Ordnung?“

Er drehte seinen Kopf zur Seite und Blickte in ein Gesicht, das auch eben so gut einem Toten hätte gehören können. Kreidebleich und die Augen glasig und blutunterlaufen. Trotzdem entlocke ihm der Anblick ein schiefes Lächeln.

„Ging mir nie besser, Flad.“, grunzte er.

Im Hintergrund wälzte sich gerade Hadley stöhnend auf den Rücken, stemmte sich hoch auf die Ellbogen und dann in eine halbwegs sitzende Position. Auch er sah absolut furchtbar aus. Padley schaffte es nun auch, sich auf die Knie zu setzen; zwar schwankend, aber er fiel zumindest nicht wieder um. Und auch sein Magen gab Ruhe, oder beinhaltete zumindest nichts mehr, was noch herausgekonnt hätte. Mit beiden Händen umfasste er seinen Schädel, der unter den pochenden Kopfschmerzen schier zu zerspringen drohte.

„Bei Kosâllah, was ist denn nur los? Ich fühle mich wie tot…“

„Frag mich mal!“, knurrte Hadley.

Flad war der erste der drei, der bemerkte, dass sie allein waren.

„Heh, Orkals Leute sind weg! Niemand mehr da…“

Verdutzt schauten sie sich um. Tatsächlich war weder jemand zu hören, noch irgendwer zu sehen. Man hatte sich auch nicht die Mühe gemacht ihnen die Hände zu binden und ihre Fußfesseln konnten sie schnell lösen. Sie fragten sich, was geschehen sein konnte. Was hatte Orkal bewogen, sie hier zurückzulassen? Hadley sah sich das heruntergebrannte Feuer an. Der nur noch schwachen Glut nach zu urteilen musste es mindestens drei oder vier Stunden her sein, dass man ihnen Essen gebracht hatte. Die Lösung für dieses Rätsel erschloss sich ihnen nicht, bis Flad sie auf einen Gedanken brachte.

„Was war nur in dem Fraß drin, den die uns gegeben haben, dass es uns so den Magen umgedreht hat?“, murmelte er.

Als Hadley das hörte sprang er auf und begann mit seinen Fingern in seinem eigenen Erbrochenen herumzustochern.

„Bei allen Dämonen und Göttern, was tust du da?“, fragte Padley angewidert.

Hadley pickte ungeachtet dessen einen Brocken aus der stinkenden Masse heraus und hielt ihn in die Höhe.

„Verdammt, warum habe ich das nicht schon beim Essen bemerkt?“

„Was denn?“, drängte Padley ungeduldig.

Er trat einen Schritt vor, um Flad und Padley seinen Fund zu zeigen, die zwar angeekelt dreinschauten, aber letzten Endes von ihrer Neugier besiegt wurden.

„Die Pilze! Schaut euch das an, das ist ein Stück von einem Mitternachts-Schwammling. In kleinen Mengen führen die zu Übelkeit und Erbrechen, wenn man sie versehentlich isst. In sehr großen Mengen töten sie einen Ochsen und…“, er zögerte einen Moment. „… in mittleren Größenordnungen führen sie zu vorübergehender Lähmung und einer Art Totenstarre!“

Padley bekam direkt noch einmal weiche Knie, als er darüber nachdachte.

„Uff! Das heißt, wir sind dem Tod nur knapp entronnen?“

„Nicht nur das! Offensichtlich waren wir in Orkals Augen tatsächlich tot; nun und richtig gesehen waren wir das für einen Moment vielleicht sogar. Wir können allen Göttern danken, dass wir überhaupt noch am Leben sind. Das hätte auch schlimmer ausgehen können!“

Padley nickte zustimmend, gab jedoch scherzhaft zu bedenken, dass der Tod den grausigen Kopf- und Magenschmerzen vielleicht sogar vorzuziehen gewesen wäre. Flad kicherte leise, während Hadley nur den Kopf schüttelte, der das wohl nicht so witzig fand.

Mit immer noch wackligen Beinen machten sie sich auf, das Lager etwas genauer in Augenschein zu nehmen. Es sah nicht so aus, als hätte es einen endgültigen Abmarsch von Orkals Männern gegeben, denn die größeren Zelte waren alle stehengeblieben. Vermutlich war dies so etwas, wie ein Basislager, das niemals ganz abgerissen wurde. Zumindest – und das stellten sie sehr schnell fest – waren keine Wachen zurückgeblieben. Offensichtlich rechnete niemand damit, dass man in dieser gottlosen Einöde irgendetwas hätte bewachen müssen. Diesen Eindruck bestätigten auch die mit großen Steinen befestigten Feuerstellen. In den tiefen Mulden - und sie erweckten den Eindruck, als würden sie schon seit sehr langer Zeit immer wieder benutzt - glommen noch schwach die längst heruntergebrannten Holzscheite. Die drei unterzogen auch die verbliebenen Zelte einer genaueren Untersuchung. Die brachte immerhin die Entdeckung eines Proviant– und eines Ausrüstungslagers mit sich. Bei den Ausrüstungsgegenständen, die für sie insgesamt kaum etwas Verwertbares vorhielten, entdeckten sie zu ihrer Überraschung allerdings auch ihre eigenen Rucksäcke, inklusive ihrer Habseligkeiten. Darüber waren sie alles in allem doch sehr erfreut. Die Ragwin füllten in aller Eile ihre Vorräte auf und verließen das Lager so schnell wie möglich in nördlicher Richtung, ihrem ursprünglichen Ziel entgegen…

~

Pirnaal trieb sein Baîk – es hörte auf den Namen Herbstwind – gnadenlos an, indem er ihm die Fersen in die Flanken trieb. Aber schließlich hatte er ihm den Namen nicht umsonst gegeben. Herbstwind war eines der schnellsten Tiere, das er je geritten hatte und es konnte lange Strecken in vollem Galopp gehen. Ein plötzlich aus dem Nebel auftauchender Felsbrocken ließ Herbstwind beinahe straucheln, aber Pirnaal war geistesgegenwärtig genug das Baîk mit einem harten Ruck an den Zügeln noch um das Hindernis herumzusteuern. Pirnaal ließ das Tier jedoch mit unveränderter Geschwindigkeit weiter galoppieren, denn er fürchtete Orkals Zorn wesentlich mehr als einen Sturz.

Bei dem Tempo erreichte er das Lager bereits nach einem knapp einstündigen Ritt. Bereits als er die Linie der ersten Feuerstellen passierte, zog er die Zügel an und ließ Herbstwind nur noch gemächlich voran trotten. Das Tier keuchte von dem anstrengenden Ritt, schwitzte und stank dadurch ganz erbärmlich. Als Pirnaal am dem großen, grauen Vorratszelt anhielt und aus dem Sattel sprang, stellte er fest, dass leider auch seine Hose vom Schweiß des Baîks feucht geworden war und er den Geruch damit ebenfalls angenommen hatte. Er zuckte resigniert die Achseln und schlüpfte schnell durch den Eingang des Zelts; schließlich konnte er das gerade eh nicht ändern und Zeit hatte es auch nicht zu verlieren. Pirnaal ging hinüber zu dem Stapel in der rechten hinteren Ecke. Dort hatte er die Rucksäcke der Gefangenen gleich neben einer großen Truhe deponiert. Völlig verdutzt schüttelte er den Kopf, als er sie dort nicht vorfand. Rasch durchsuchte er das gesamte Zelt, das zum Glück im Moment gar nicht so vollgeräumt war, aber er fand nichts.

Mit Zeigefinger und Daumen seine schmale Unterlippe knetend, trat er wieder hinaus in die klamme Dämmerung. Er grübelte und dachte angestrengt darüber nach, ob er die Sachen nicht doch woanders hingelegt hatte, kam aber zu dem Schluss, dass das nicht sein konnte. Einer inneren Eingebung folgend, wandte er sich vom Zelteingang nach links und lief hinüber zu der Stelle, an der die Leichen der Ragwin liegen mussten. Vielleicht hatte ja doch einer seiner Kameraden ihre Sachen dorthin geworfen.

Doch was er dort vorfand, beziehungsweise nicht vorfand, ließ ihm den Atem stocken. Seine Gedanken rasten, überschlugen sich förmlich. Dann löste er sich aus seiner Starre und rannte wie um sein Leben, sprang auf Herbstwinds Rücken und preschte wie von allen Dämonen besessen los, seiner Truppe hinterher.

~

„Was meinst Du mit weg?“, schrie Orkal.

Pirnaal hob die Schultern und ließ sie kraftlos wieder fallen.

„Weg, eben. An der Stelle, an der wir sie zurückgelassen haben, lagen auch ihre Fußfesseln. Jemand muss sie losgebunden haben. Aber warum sollte jemand drei Leichen die Fesseln abnehmen?“, rätselte Pirnaal.

Orkal hieb sich mit den Fäusten auf die Oberschenkel, dann schüttelte er sie wütend gen Himmel.

„Sie können sich nur selbst losgebunden haben, was bedeutet, sie sind überhaupt nicht tot! A´Blash, wir machen sofort kehrt und reiten zurück zum Lager!“

Der Adjutant nickte ihm knapp zu und war bereits dabei sein Baîk zu wenden, als Orkal ihn noch einmal zurückrief.

„Ja, mein Kommandant?“

„Und schaff mir den Heiler, diesen hirnlosen, alten Knochen her!“

„Natürlich.“

Th'Ragon

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