Читать книгу Th'Ragon - Lorne King-Archer - Страница 8
Beschlüsse und Pläne
ОглавлениеDer Tag nach Jeppys Tod war irgendwie vergangen, so wie Sand durch die Uhr rinnt, kontinuierlich und unaufhaltsam. Niemand hatte viele Worte gewechselt. Nur ganz wenige konnten ihrer Arbeit mit dem gewohnten Elan nachgehen. Viel zu tief saß der Schock in den Gliedern der Ragwin.
Der Rat aus Corning hatte eine Beileidsbekundung senden lassen und alle nur erdenkliche Hilfe angeboten, nachdem Huggleys Sohn die Hiobsbotschaft dorthin überbracht hatte. Mittlerweile würde er sicherlich auch schon Kastal erreicht haben und danach auch noch die anderen Dörfer aufsuchen.
Nun war es bereits früher Abend und die Mitglieder des Rates fanden sich allmählich einer nach dem anderen zusammen.
Die letzten Strahlen der Sonne lugten über den Horizont und tauchten den Himmel in ein langsam dunkler und blutiger werdendes Orangerot. Die Hitze des Tages verblasste ohne eine Erinnerung an Wärme zu hinterlassen. Die Sommer in Elvard waren schon immer charakteristisch für ihre heißen Tage und die kühlen Nächte gewesen. Deswegen gab es auch zu dieser Jahreszeit kaum ein Haus in dem nicht am Abend der Kamin oder der Herd angefeuert wurden.
Um die sich wie ein räudiger Köter anschleichende Kälte ein wenig fernzuhalten hatte man auf Fildrems Marktplatz Holzscheite aufgeschichtet und ein großes Lagerfeuer angefacht. Die Glut knisterte Teils laut und gelegentlich stoben Funken auf, die wie Glühkäfer durch die Luft schwirrten, bevor ihr Licht erlosch und sie als Asche zu Boden rieselten. Der angenehme Duft verbrennenden Bheda-Harzes lag in der Luft und die Flammen schufen einen Kreis tanzender Schatten von eigenartiger Lebendigkeit im abendlichen Zwielicht.
Entlang der Feuerstelle war eine lange, schwere Tafel aufgestellt worden an der nun der versammelte Rat Platz genommen hatte. Neun Mitglieder, wie es die Tradition der Ragwin verlangte. Sie waren die Stimme allen Seins, der Welt und der Elemente. So fand sich also immer einer für jede Himmelsrichtung, einer für den alles überspannenden Himmel, einer für die Erde, einer für das Feuer und einer für das Wasser und schließlich der Vorsitzende als das Lot; das Zünglein an der Waage.
Die meisten von ihnen hatten steinerne Trinkkrüge oder Lederbecher mitgebracht und nun vor sich stehen in denen sich je nach Geschmack des einzelnen entweder Bier, Beerenwein oder schlicht nur Wasser befand.
Doch an diesem Abend setzte kaum einer seinen Becher an die Lippen. Es war nichts von der fröhlichen Ausgelassenheit zu spüren, der sich die Ragwin sonst so gerne bei solchen Anlässen hingaben. Nur einige wenige von ihnen rauchten und gesprochen wurde bisher kaum ein Wort.
Guntrall Earthland blickte in ernste Gesichter. Bei manch einem waren da auch Trauer oder gar Bitterkeit zu erkennen. Er nahm seine bereits erloschene Pfeife aus dem Mund und klopfte sie sorgfältig an der Tischkante aus, sah der zu Boden rieselnden Asche einen Moment lang nach, und legte sie schließlich aus der Hand. Er holte tief Luft und es fühlte sich an, als würde ein schwerer Stein auf seiner Brust liegen. Während er sich erhob, nahm er drei oder vier tiefe, schwere Atemzüge und setzte seinen Schemel ein wenig zurück, um ihn nicht umzuwerfen. Er fühlte sich alles andere als wohl in diesem Moment.
„Freunde und Ratsmitglieder“, begann er schließlich seine Ansprache. “Wir haben uns heute Abend hier nicht versammelt, um wie sonst bei einem guten Kraut und einem starken Bier die alltäglichen Dinge Fildrems zu debattieren. Die jüngsten Ereignisse machen mit erschreckender Deutlichkeit klar in welcher Gefahr wir tagtäglich schweben. Letztlich kann es so wohl einfach nicht mehr weitergehen! Jeder von euch weiß natürlich, was dem armen Jeppy Wheatland gestern Morgen widerfahren ist. Eine schlimme und bittere Tragödie für seine Eltern und jeden einzelnen von uns. Es scheint mir nun doch unerlässlich, dass wir irgendetwas unternehmen, auch wenn ich nicht weiß was das sein könnte.“
Er atmete erneut schwer ein und aus und seufzte; fast schon klang es wie ein Stöhnen. Seine sonst so wachen Augen wirkten auf einmal sehr müde.
„Padley hatte Recht! Kh’Rhybok ist ein Parasit, der uns nicht länger tyrannisieren darf. Zu lange schon halten wir still. Zu viel ist schon passiert. Jeppy war nur die heißeste Flamme, die unsere Seelen ansengt...“
Guntrall zog den Schemel wieder heran und setzte sich. Er wirkte als hätte er auf einmal nicht mehr die Kraft noch länger zu stehen. Bilder aus der Vergangenheit wogten hinter seiner Stirn, von denen er geglaubt hatte, dass er sie endlich in einer tiefen Schublade seiner Erinnerungen vergraben hätte. Die Wucht mit der sie nun auf einmal wieder auf ihn einströmten, ließen ihn schwanken. Er hoffte inständig, dass es die anderen nicht bemerken würden. Drei, vier tiefe Atemzüge brachten sein Gleichgewicht zurück und er blickte erneut in die Runde.
„Liebe Freunde, ich weiß einfach keine Antwort auf unser Problem! Das ist mit der Grund, warum wir hier heute zusammengekommen sind: Die Suche nach einer Antwort! Wenn einer von euch einen Vorschlag hat, dann soll er bitte nicht zögern ihn zu äußern. Wir werden jede Möglichkeit mit dem nötigen Ernst besprechen!“
Ein grauhaariger Ragwin mit einem Gesicht voller Runzeln und Falten, das ihn deutlich älter wirken ließ als Guntrall, räusperte sich und stand auf. Seine Augen, eines davon blind, richteten sich auf den Vorsitzenden.
„Ich bin dafür, dass wir alle Dorfräte zusammenrufen, um alle Ragwin zu vereinen. Gemeinsam sind wir eine nicht zu unterschätzende Streitmacht. Mit den Leuten aus Corning, Borbath, Hulgen, Kastal und den anderen Siedlungen sind wir sicherlich rund dreieinhalbtausend Ragwin. Schließen wir uns zusammen und greifen wir den Tyrannen an...und tilgen ihn vom Antlitz Elvards!“
„Wrigley, Kh’Rhybok ist kein gewöhnlicher Gegner. Du kannst ihn nicht einfach jagen, wie einen Präriebären!“, unterbrach ihn Guntrall Earthland. „Zu viele unserer Brüder und Schwestern würden ihr Leben verlieren, vielleicht sogar alle! Das ist ein Preis, der uns selbst für die Freiheit zu hoch sein muss! Und wie viele von uns sind entweder noch Kinder oder bereits zu alt für so etwas?“
Einige der anderen am Tisch nickten oder murmelten Worte der Zustimmung.
„Pah!“ stieß der grauhaarige Wrigley hervor. „Was ist dieses Leben schon wert? Mein Leben währt schon fast achtzig Sonnenwenden und ich kenne nur noch die Knechtschaft. Alle anderen Erinnerungen an bessere Zeiten sind verblasst. Ich bin es leid! Lieber im Kampf sterben, als Kh’Rhybok noch länger unterworfen sein. Wenn meine Zeit gekommen ist, will ich als freier Geist in das ewige Feuer zurückkehren.“
Guntrall griff zur Pfeife ohne sie jedoch in den Mund zu stecken. Er ließ sie lediglich zwischen den schwieligen Fingern seiner rechten Hand hin und her wippen.
„Bedenke doch, unser Leben ist annähernd alles was wir jetzt noch haben. Wir sind noch nie wohlhabend gewesen, haben nie Schätze gehortet. Wir genügen uns selbst. Das Land bestellen und davon leben ist alles was wir je wollten. Wir dürfen all das nicht einfach wegwerfen. Unsere Chancen auf einen Sieg sind bei einem Kampf viel zu gering; dem Grunde nach nicht vorhanden. Ein Mensch nimmt es an Größe und Stärke bequem mit zweien oder dreien von uns auf. Ein ausgebildeter Soldat oder Krieger dürfte sogar eine viel höhere Zahl an Ragwin bezwingen können. Und… wir wissen ja nicht einmal genau, wo wir den miesen Knechter ausfindig machen könnten. Wir wissen nichts über die Menge seiner Gefolgsleute. Viele von uns haben in den vergangenen Jahren bereits nach Kh’Rhyboks Aufenthaltsort gesucht, aber ist je einer zurückgekehrt? Nein! Ich hoffe du erkennst, wie wenig aussichtsreich dein Ansinnen ist!?“
Diesmal bekräftigten die anderen lautstark ihre Zustimmung.
Wrigley setzte sich kopfschüttelnd wieder hin. Dennoch schien es, als teile er die Meinung der anderen durchaus zum Teil. Aber er war sichtbar schlichtweg resigniert. Verständlich! Immerhin versuchten sie seit vielen Jahren immer wieder Wege aus der Unterdrückung zu finden. Es war zuletzt nur nicht mehr so vordergründig gewesen. Irgendwie hatten sie sich in den letzten Jahren still in ihr Schicksal gefügt, es einfach ertragen. Erst Jeppys Tod brachte neue Wogen hervor.
Guntrall bemerkte, dass das Feuer bereits weit heruntergebrannt war. Unwillkürlich fröstelte er, obwohl es noch genug Wärme abstrahlte. Trotzdem winkte er ein paar abseits wartenden Dorfbewohnern zu und bat sie noch etwas Holz nachzulegen. Erst dann wandte er sich wieder dem Tisch und den Anwesenden zu.
„Entschuldigt die Unterbrechung. Gibt es noch weitere Gedanken, Freunde?“, und in seiner Stimme war ein fast flehender Ton, der ihn beinahe selbst erschreckte.
Bin ich der Verzweiflung schon so nah und bemerke es selbst nicht einmal?
Einige Augenblicke, die sich zur Ewigkeit zu dehnen schienen, geschah nichts. Doch dann meldete sich Hadley Cornpie zu Wort.
„Ich glaube mir ist noch etwas eingefallen, auch wenn's vielleicht ein alter Hut ist...“, eröffnete er den anwesenden Ratsmitgliedern.
Es schien als könne er sich nicht recht entscheiden, erhob sich aber schließlich doch von seinem Stuhl. Hadley war der jüngste im Rat und seine Stimme war die des Nordens. Er war erst vor einem halben Jahr zu den Neun gestoßen, kurz nachdem sein Vater gestorben war und die Stimme an ihn vererbt hatte. Üblicherweise schieden Ratsmitglieder mit spätestens fünfundachtzig Jahren aus dem Rat aus und der nächstälteste Dorfbewohner erhielt dann seinen Platz. Lediglich der Vorsitzende behielt sein Amt auf Lebzeiten, es sei denn er trat vorher aus freien Stücken zurück. Hadleys Vater war jedoch erst siebenundsechzig, als er in das ewige Feuer zurückkehrte, so dass es nach Ragwin-Tradition eine Erbfolge auf das erstgeborene Kind für den Ratssitz gab.
Hadley Cornpie war wie sein Vater groß gewachsen und ausgesprochen kräftig. Dunkles, glattes Haar zierte sein Haupt und an Unterlippe und Kinn spross ein wohlgestutzter Bart.
Guntrall bemerkte sein Zögern und ermunterte ihn mit einer entsprechenden Geste zu sprechen.
„Also schön. Ich musste an eine alte Legende unserer Urahnen denken, die mir meine Eltern immer erzählten als ich noch ein Kind war. Wisst ihr was ich meine?“
Wrigley schaute mürrisch drein und machte seiner Ungeduld Luft.
„Hör auf Geschichten zu erzählen und komm lieber zur Sache“, brummte er.
„Heh, ganz ruhig. Lass ihn erzählen“, schnaufte dessen Sitznachbar und stieß ihm mit dem Ellenbogen in die Rippen.
Hadley sammelte sich.
„Ich meine die Legende vom Vergessenen Krieger! So nun ist es raus.“
Erleichterung war auf seinem Gesicht zu sehen; Erleichterung darüber, dass er den Mut gefunden hatte das nun auszusprechen; leicht war es ihm nicht gefallen. Er ließ seinen Blick über die Gesichter der anwesenden schweifen und sah fast ausschließlich Skepsis. Der eine oder andere verdrehte die Augen oder schien ihn für verrückt zu halten. Vereinzelt schlug ihm durchaus auch unverhohlener Spott entgegen.
„Blödsinn“, „Was denkt er nur...“, „Ach!“ Die anwesenden Ragwin begannen durcheinander zu sprechen und zu debattieren. Unruhe machte sich breit. Die Aufmerksamkeit wandte sich von ihm ab.
Hadley schloss die Augen, holte tief Luft. Er schluckte den Kloß, der plötzlich in seiner Kehle saß, mühsam herunter, hob seinen Becher an die Lippen und nahm einen kurzen aber entschlossenen Schluck des herben, schon etwas schalen Bieres. Ein deutliches, lautes Pochen erscholl, als er das Gefäß wieder hart auf die Tischplatte setzte. Einige Köpfe ruckten zu ihm herum und er erntete strafende Blicke.
„Bitte“, sagte er betont, langsam, nicht allzu laut.
„Bitte hört mir noch einen Moment zu! Lasst mich zunächst weiter erzählen, bevor ihr beurteilt ob es Grund zum lachen gibt.“
Und plötzlich schlug die Cornpie'sche Art durch. Er richtete sich zu voller Größe auf und wirkte dabei durchaus imposant. Jede Unsicherheit schien verflogen. Trotzig streckte er sein bärtiges Kinn vor. Alle Augen und Ohren konzentrierten sich nun wieder auf ihn. Auch ohne eine Bestätigung der anderen wusste Hadley, dass man ihm nun ungeteilte Aufmerksamkeit schenken würde.
„Ihr kennt die Legende vermutlich so gut wie ich, wenn nicht sogar besser. Schließlich werdet ihr sie in eurem Leben schon unzählige Male öfter gehört oder gelesen haben. Danach ist nichts in der Welt ohne Gegengewicht! Wasser bändigt das Feuer, die Erde hält den Himmel, der Süden ist Gegenstück zum Norden, der Osten zum Westen und so weiter. Bereits die alten Schriften verhießen dem Volk der Ragwin eine gewaltige Bürde in Gestalt einer Person. Wie stand es dort geschrieben?
Und es wird einer kommen, der nimmt ihnen die Leichtigkeit des Seins. Dafür legt er das Gewicht von Knechtschaft und Gewalt auf ihre Schultern. Er nimmt der Welt, was die Götter ihr gaben. Doch die große Waage des Lebens wird die Schale mit dem passenden Gegenstück befüllen. Und es wird einer kommen, der gibt ihnen wieder, was ihnen genommen wurde. Er hebt eine Last von ihren Herzen. Doch die Zeit der Bürde wird lang und unerträglich sein, denn er wird nicht unter den Lebenden wandeln. Er wird viele Lebensspannen ruhen und in Vergessenheit geraten. Aber der Tag wird kommen und seine Augen werden wieder das Licht sehen und seine Hand wird unbarmherzig alles Dunkle schlagen...
Diese Legende begleitet die Ragwin seit Anbeginn der Zeit. Ich bin überzeugt, dass Kh’Rhybok die gewaltige Bürde verkörpert. Es ist zu viel Sinnhaftigkeit in den Zeilen, um sie als reine Phantasie abzutun. Demnach muss es jemanden geben, der ebenso mächtig ist wie er. Diesen Einen gilt es zu finden und für uns zu gewinnen.
Unsere Geschichtsschreiber haben lange darüber nachgegrübelt, geforscht und recherchiert. Nach ihrer Auslegung der Legende muss es einen Gegenpart zu Kh’Rhybok geben. Vielleicht liegt er in einer Art magischem Tiefschlaf, in dem er nun schon seit einer Ewigkeit verharrt.“
„Glaubst du ernsthaft, dass es ihn gibt, diesen Sagenhelden?“, fragte die schlanke und asketisch wirkende Drisenda Sandhill.
Sie vertrat im Rat den Westen. Ihr Haar war lang und grau, mit vielen schlohweißen Strähnen.
Hadley sah sie an. Unwillkürlich glitt sein Blick auf ihre rechte Hand und den dort fehlenden Ringfinger. Ebenfalls ein Relikt das von Kh’Rhyboks Missetaten herrührte. Seine Augen fanden die ihren. Tiefes, durchdringendes Blau.
„Es ist das Einzige woran ich noch glauben kann! Alle anderen Hoffnungen gingen dahin wie das Wasser im Ph´Dang.“
„Also ich weiß nicht so recht“, begann jetzt auch Guntrall Earthland und verzog skeptisch das Gesicht.
Er musste zwischenzeitlich seine Pfeife neu gestopft haben, denn sie klemmte nun wieder in seinem Mundwinkel und feine Rauchkringel stiegen daraus auf.
„Bei Kosâllah! Uns bleibt doch gar keine andere Hoffnung! Du hast doch selbst gesagt, wie aussichtslos ein offener Kampf gegen Kh’Rhybok wäre!“
Hadley warf die Arme in die Höhe als beschwöre er die Götter.
„Seht ihr denn nicht ein, dass dies die letzte Ähre auf einem abgeernteten Feld ist; unsere letzte Option?! Wir müssen doch noch an irgendetwas glauben, sonst gibt es keine Rettung mehr. Von allein wird sie jedenfalls nicht kommen!“
Guntrall trat um den Tisch herum und legte Hadley die Hand auf die Schulter und drückte ihn sanft auf seinen Stuhl zurück. Er sah auf ihn herab und seine Augen waren traurig, als er leise zu ihm sprach, doch alle hörten was er sagte.
„Du hast vermutlich Recht, mein lieber Hadley. In unseren Herzen wissen wir das vielleicht alle. Ich habe nur Angst davor, dass das alles am Ende doch nur eine Sage, ein Märchen ist. Ich fürchte mich vor der Wahrheit.“
Drisenda hob die Hand mit dem fehlenden Finger und bat um Gehör.
„Liebe Mitglieder des Rats! Es scheint mir, als bliebe uns tatsächlich kein all zu großes Füllhorn an Alternativen, aus dem wir noch schöpfen könnten. Es kann nicht mehr weitergehen, was jetzt schon zu viele Tage, Wochen und Monate währt. Letztlich scheinen wir doch nur zwischen fortwährender Unterdrückung, Kampf und Tod oder ungewisser Hoffnung auf etwas Wahrheit in einer alten Legende wählen zu können.“
Guntrall legte seine Pfeife vor sich hin und ein kleiner Krümel glimmenden Tabaks fiel heraus, nur um gleich darauf in einer kleinen Bierpfütze zischend zu verlöschen.
„Aus Drisendas Worten höre ich mein Herz und meine Seele sprechen. Es widerstrebt mir hier eine Wahl treffen zu müssen. Und doch scheint es mir unerlässlich! Lasst uns abstimmen.“
Mit den letzten Worten erhob er sich nun wieder und breitete seine Arme ein wenig aus, als müsse er unsichtbare Lasten auf seinen Handflächen aufwiegen.
„Mitglieder des Ältestenrates. Wrigley Saltstones Vorschlag war der offene Kampf. Lasst uns zuerst darüber abstimmen. Wer ist dafür?“
Zwei Senatsmitglieder hoben den Arm, einer davon natürlich Wrigley selbst, dem aber nicht recht wohl dabei zu sein schien.
„Wer ist dagegen?“
Fünf der verbliebenen sechs Anwesenden gaben ihr Votum ab.
Ein stummer Seufzer kam über Guntrall Earthlands Lippen und hatte dabei seine Hände auf die Tischplatte gestützt, als könne er sonst nicht länger stehen. Doch er war erleichtert über dieses Ergebnis und ein wenig von seiner Beklemmung wich von ihm.
Er blickte noch einmal alle Anwesenden der Reihe nach an, Hadley vielleicht ein wenig länger als die anderen.
„Also gut, lasst uns über den zweiten Vorschlag nachdenken! Wer hält die Suche nach dem vergessenen Krieger für die richtige Wahl?“
Die Abstimmung brachte sieben Stimmen für Hadleys Plan. Guntrall registrierte mit Erstaunen das unerwartete Handzeichen von Wrigley Saltstone.
Hadley schien ebenfalls überrascht zu sein; gleichzeitig aber auch erleichtert. Er tat einen tiefen Atemzug und lehnt sich in seinem Stuhl zurück.
„So sei es!“, schloss der Älteste. „Damit dürfte unser weiteres Vorgehen wohl jedem von Euch weitestgehend klar sein!“
„Inwiefern?“, fragte Lodley Diggwell, der die Stimme der Erde im Rat repräsentierte.
„Insofern, dass wir in irgendeiner Form versuchen werden, den vergessenen Krieger zu finden und ihn für unsere Sache zu gewinnen. Wie es die Prophezeiung andeutet!“
Zustimmendes Gemurmel erklang. In einigen der wettergegerbten Gesichter glomm ein Funke Hoffnung und Zuversicht auf. Hier gab es auf einmal einen winzigen Strohhalm an den man sich klammern konnte.
Nur Lodley verzog verärgert das Gesicht. Er spie auf den Boden und verließ murmelnd die Versammlung. Guntrall wollte ihm erst noch nachrufen, doch er stieß die angestaute Luft einfach wieder zischend aus. Er blickte dem alten Diggwell noch einen Moment nach. Eigentlich mochte er den knorrigen Griesgram sehr gerne. Er war es, der ihm und vielen anderen Fildremern beigebracht hatte, wie man ein Feld richtig bestellt und das kräftigste Saatgut auswählt. Guntrall bedauerte es zutiefst, dass die Abstimmung am Ende zu diesem kleinen Eklat geführt hatte. Er zuckte mit den Schultern. Werde bei Gelegenheit ein paar versöhnliche Worte mit ihm reden und ihm einen Selbstgebrannten abschwatzen..., dachte er sich.
Als er seine Aufmerksamkeit wieder der Versammlung widmete, fand er sie alle in rege Diskussionen vertieft. Er nahm seine Pfeife in die Hand und klopfte auf die Tischplatte. Dann noch einmal etwas vehementer, als niemand reagierte.
Die Gespräche verstummten und die Köpfe ruckten zu ihm herum. Auch Hadley, der irgendwie in Grübelei versunken schien, schaute wieder auf.
„Freunde! Eine Frage bleibt natürlich noch. Und ich meine wir sollten sie beantworten, solange wir hier noch beisammen sind!“
„Lass hören!“ verlangte Lorna Rivergrass, deren Wangen wie üblich die gleiche Farbe wie ihr feuerrotes Haar angenommen hatten.
„Nun... jemand muss sich der Sache natürlich auch annehmen. Die Forschung; die Suche beginnen!“
Hadley Cornpie erhob sich von seinem Stuhl und nahm einen tiefen Zug aus seinem Bierkrug. Er streckte seine dreieinhalb Fuß zu voller Größe aus.
„Ich bin ja auf die dumme Idee gekommen ... also ich meine damit, dass es mir eine große Ehre wäre, das zu übernehmen!“
Guntrall schmunzelte ein wenig in der Hoffnung, dass es niemand bemerkt hatte.
„Das habe ich bereits vermutet, Hadley. Aber du kannst das natürlich nicht alles alleine bewältigen. Es ist noch einiges zu tun und vieles zu erforschen, bevor eine solche Suche beginnen kann. Das wäre zu viel für einen alleine. Du solltest dich noch nach ein paar Begleitern umsehen. Mach Dir darüber Gedanken und lass mich bald wissen, auf wen deine Wahl fällt.“
„Ich weiß Guntrall. Es gibt da auch schon den einen oder anderen, den ich ins Auge gefasst habe.“
Guntrall Earthland trat um den großen Tisch herum und die anderen machten ihm respektvoll Platz. Vor Hadley blieb er stehen und legte eine Hand auf dessen Schulter. Sie zitterte ein wenig als er sprach.
„Ich vertraue dir, als wärst du mein eigener Sohn mein Junge! Ich bin überzeugt, dass du die richtigen auswählst; genau wie du der richtige bist!“
„Bei der Faust Kosâllahs, ich tue alles was in meiner Macht steht!“, sagte er. Und in Gedanken: Und wenn es mein Leben kostet ...
„Eines musst du noch wissen, Hadley. Seit heute Abend bist du zum Hoffnungsträger für alle Ragwin geworden. Nicht nur in Fildrem; auch für Corning, Hulgen und alle anderen Orte an denen Ragwin leben mögen. Ich werde die Räte der anderen Siedlungen schnellstens unterrichten lassen. Es ist eine große Last, die nun auf deinen Schultern ruht. Aber du bist stark und ausdauernd. Ich bin überzeugt, dass du alle Schwierigkeiten meistern wirst. Und sei dir einer Tatsache bewusst! Der Rat wird dir alle Hilfe zuteil kommen lassen, die er dir geben kann. Nun geh und triff deine Vorbereitungen!“
„Danke für Euren Beistand.“, sagte Hadley.
Für einen kurzen Moment schauten sich Guntrall und er noch schweigend an, dann verließ er die Runde. Schließlich wartete jetzt ein gutes Stück Arbeit auf ihn...
~
Es wieder einer dieser kühlen Abende in Fildrem. Leichter Nebel zog um die Häuser und wer nicht nach draußen musste wärmte sich am heimischen Kamin.
Padley Barleycorn, Boggy Grainfield und Flad Pepper saßen gemeinsam am Tisch. Sie hatten sich in Boggys Haus getroffen, um eine gute Pfeife zu rauchen, ein Bierchen zu genießen und die eine oder andere Runde Bären-Trumpfen zu spielen. Das Feuer im Kamin knackte und knisterte. Die Flammen verströmten eine angenehme Wärme. Der Duft der Kräuterzweige die Flad hineingeworfen hatte, schwängerte die Luft mit wohlriechenden Aromen.
Es war bestimmt schon die siebte oder achte Runde Karten, die die drei gerade spielten. Vor Padley türmten sich bereits einige Häufchen goldener Münzen auf. Es schien als bewegten sie sich im flackernden Kerzenschein.
Padley zog grinsend an seiner Pfeife, als er das vierte Kartenpäckchen vor sich auf die glatt gescheuerte Tischplatte legte.
„Das ist doch unmöglich, Du hast schon wieder gewonnen Pad!“ Boggy schüttelte den Kopf.
„Tja ! Ich hab´ euch ja gleich gesagt, ihr Anfänger sollt euch nicht mit 'nem großen Bären-Trumpfer anlegen.“ Er grinste noch breiter und raffte die Münzen in ein kleines Ledersäckchen, das er von seinen Gürtel losband. Verschmitzt zwirbelte er seinen schwarzen Kinnbart.
„Du hast unverschämtes Glück! Fast fünfundsechzig Ucan hast Du uns abgeknöpft. Machst uns noch arm.“
„Vielleicht schummelt er ja auch!?“, kicherte Flad.
„Also ich bitte Dich! Traust Du mir so etwas zu? Außerdem, würde ich schummeln, hätte ich euch schon den letzten Twilly abgeluchst ...!“
Als Flad gerade zu einer Antwort ansetzen wollte, klopfte es an Boggys Haustür.
Er warf seine Karten auf den Tisch und schob seinen Stuhl zurück.
„Wer mag das so spät noch sein?“ sagte er über die Schulter zu seinen Freunden, während er zur Tür ging. Flad zuckte die Schultern und sah Padley an, der auch keine Ahnung zu haben schien.
Boggy schob den stabilen Holzriegel zur Seite und öffnete dem abendlichen Besucher.
Er erblickte das ernste Gesicht von Hadley Cornpie, das halb hinter einem kleinen Rauchwölkchen verborgen war. Er fragte sich, ob er ihn jemals ohne Pfeife im Mundwinkel gesehen hatte.
„Guten Abend Hadley“, sagte er. „Was kann ich für Dich tun?“
Der nahm die Pfeife aus dem Mund und klopfte sie am äußeren Türrahmen aus, bevor er sein Gegenüber wieder anblickte.
„Mich herein bitten, wäre schon mal eine Möglichkeit. Es ist nicht gerade eine laue Sommernacht hier draußen!“
„Oh sicher ! Wie unaufmerksam von mir. Äh... du siehst, wir hatten nicht unbedingt mit Besuch gerechnet.“
„Du bist nicht allein?“, fragte er und lugte an Boggy vorbei ins Haus.
„Äh...nein. Padley und Flad sind da. Aber komm erst mal rein!“
Boggy trat einen Schritt zur Seite und ließ Hadley vorbei. Hinter ihm verriegelte er die Tür schnell wieder und sperrte die Kälte aus. Hadley hatte sich zwischenzeitlich schon zu den anderen an den hölzernen Tisch gesetzt.
„Seid gegrüßt Padley Barleycorn und Flad Pepper.“
Boggy zog für sich selbst einen weiteren Stuhl heran, während sich die anderen die Hände schüttelten.
Hadley begann geistesabwesend mit den Karten zu hantieren, die auf dem Tisch lagen. Seine Gedanken waren woanders.
Er blickte auf, als Flad ihn ansprach. Oder hatte er das schon wiederholt getan?
„Wie bitte ?“
„Was ist los; wollte ich wissen.“
Hadley sah ihn an, antwortete aber nicht gleich. Er stand auf und begann im Raum umher zu wandern. Die Blicke der drei Freunde folgten ihm auf jedem seiner Schritte.
Als er endlich stehen blieb, sagte er:
„Ich war gestern auf der Versammlung des Ältestenrates.“
„Aha...“, sagte Boggy und drückte Hadley ungefragt einen Krug Bier in die Hand.
Der nickte dankend und nahm einen kräftigen Schluck, bevor er fortfuhr.
„Wir haben einen Beschluss gefasst, der uns letztlich von Kh’Rhyboks Joch befreien soll. Wir sind mehrheitlich zu dem Entschluss gekommen, dass unsere letzte Hoffnung in der Suche nach dem Schlafenden Krieger liegt. Wir kommen aus unserer Misere wohl nur noch so heraus!“
Padley lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Seine linke Hand wog den kleinen Lederbeutel mit den gewonnenen Münzen auf und ab, die gelegentlich leise klimperten.
„Hm und was haben wir damit zu tun?“
„Ich denke dir ist klar, dass ich diese Suche nicht alleine angehen kann?!“
„Ah natürlich ... ich beginne zu verstehen“, meinte Padley.
„Gut.“, sagte Hadley und setzte sich nun wieder zu den anderen an den Tisch. Etwas Bier schwappte über den Rand des Kruges, als er ihn absetzte. Die kleine Pfütze lief in einer Delle in der Tischplatte zusammen und bildete dort einen funkelnden kleinen See im Kerzenlicht.
„Eigentlich war ich hierher gekommen, um Boggy zu fragen, ob er mich unterstützen würde. Aber da ihr beide nun auch hier sitzt ...“
„Dachtest du, frag´ ich Flad und Padley halt auch gleich.“, vollendete Padley den Gedanken.
„Du liest meine Gedanken, wie ein gutes Buch Pad!“
„Dazu gehört nicht gerade viel Talent.“, entgegnete der.
Hadley schmunzelte. Er hatte die drei wohl richtig eingeschätzt. Schließlich hatte er sich einen ganzen Tag darüber Gedanken gemacht, wen er letztendlich ansprechen wollte. Schließlich kam er bei seinen Überlegungen genau auf Boggy und die beiden anderen waren ihm auch gerade recht. Das sie nun alle beieinander saßen, war ein echter Glücksfall. Das würde es ihm wohl leichter machen, so hoffte er zumindest. Noch einmal passierten seine Gedanken sein inneres Auge...
Also da war zuerst Boggy Grainfield. Getreide– und Gemüsebauer, wie sein Vater Boddley und sein älterer Bruder Gryndall. Seine sehr ansehnliche Schwester Deghla hatte vor drei oder vier Jahren nach Corning geheiratet und solle mittlerweile wohl selbst einige Kinder bekommen haben. Die Mutter war schon lange tot und Hadley hatte keine rechte Erinnerung mehr an sie. Er kannte Boggy als eher ruhigen jungen Mann, der bei der Arbeit hart zupacken konnte und niemals lange fackelte.
Dann der zweite im Bunde; Flad Pepper. Nachdem seine Eltern vor ungefähr acht Jahren gestorben waren siedelte er von Borbath nach Fildrem über. Seit diesen Tagen hatte Fildrem einen Schmied und Bootsbauer. Denn von beiden Handwerken verstand Flad durchaus einiges. Wie man es von einem Schmied erwarten konnte, war er ein recht kräftiger Ragwin. Man sagte im Scherz immer: Wo sein Hammer hinlangt, kannst Du kein Samenkorn mehr in die Erde stecken.
Und letztlich der letzte in der Runde der Anwesenden! Padley „Pad“ Barleycorn. Viele im Dorf nannten ihn einen Tunichtgut, aber das war er gewiss nicht. Für einen Ragwin war er ein wahrer Hüne mit seinen fast vier Fuß Größe. Zwar war er lange nicht so bepackt wie Flad aber doch sehr kräftig. Normalerweise bezeichnete er sich ebenfalls als einen Bauern. Da er aber ein gewisses Geschick für die Jagd entwickelt hatte, verlegte er sich lieber darauf. So tauschte er im Dorf das meiste was er für sein Leben brauchte, gegen das von ihm erlegte Wildbret.
Eines hatten Sie aber alle gemeinsam! Egal was andere sagen mochten; Hadley hielt die drei jungen Männer für äußerst zuverlässig. Doch der entscheidende Faktor war, dass sie allesamt – von ihm selber mal abgesehen - unverheiratet und ungebunden waren.
Hadley hätte es nicht mit seinem Gewissen vereinbaren können, sich Begleiter zu suchen, die eine Frau oder gar Kinder zurücklassen müssten. Das würde für ihn selbst bereits schwer genug werden und er mochte dabei gar nicht an Flindha denken. Denn eines war gewiss! Was immer vor ihnen liegen mochte; ungefährlich würde es bestimmt nicht werden.
Er blickte sie einen nach dem anderen an, bevor er fortfuhr.
„Ich habe lange hin und her überlegt. Ich hielt es letztlich nicht für ratsam, das Unterfangen mit einer ganzen Horde von Ragwin anzugehen. Meine Überzeugung gilt dem Gedanken, dass eine kleine Gruppe von vier, fünf oder maximal sechs Männern größere Chancen hat, weil sie weniger auffällt. Deswegen bin ich hier. Meine Frage galt zunächst nur Boggy, denn nur ihn hatte ich hier erwartet. Aber wenn ich euch alle so schön beieinander habe... Wollt ihr mir zur Seite stehen, wenn es gilt den Schlafenden Krieger zu finden?“ Hadleys Blick wanderte erwartungsvoll in die Runde.
Padley war der erste, der sich rührte. Vehement schlug er mit der flachen Hand auf den Tisch, so dass die kleine Bierpfütze einen Hüpfer machte.
„Selbstverständlich werde ich dich begleiten! Schließlich hängt unser aller Zukunft davon ab, ob und was diese Mission bringen wird! Und ich denke, dass Flad und Boggy der gleichen Meinung sind, oder?“
Flad rang die schwieligen Hände, als könne er sich nicht entscheiden. Doch als er Hadley in die Augen sah, sagte er: „Es ist gar keine Frage, dass du meine volle Unterstützung bekommst!“
Boggy sagte nichts, aber er nickte zustimmend und Hadley wusste, dass auch er dabei sein würde.
Unvermittelt erhob sich Flad von seinem Sitzplatz.
„Erhebt Euch bitte! Wir sind ab sofort an eine gemeinsame Mission gebunden. Und es gibt da ein paar Worte, die ich mal von meinem Vater gelernt habe. Legt eure Hände übereinander und lasst sie mich sprechen.“
Die anderen erhoben sich von ihren Stühlen und legten über der Tischplatte ihre Hände übereinander.
Flad Pepper holte tief Luft und sprach den alten Schwur:
Hand in Hand, durchs ganze Land !
Arm an Arm, trotzt allen Gefahr ‘n!
Fuß bei Fuß, durch jeden Fluss!
Schritt für Schritt, nie aus dem Tritt!
Herz an Herz, teilt jeden Schmerz!
Hand in Hand, in Kriegers Gewand !
„Mein Vater sagte, dies wäre ein Kriegerschwur aus längst vergessenen Zeiten. Wo immer er ihn auch her haben mag. Ich finde ihn gerade sehr passend!“
Hadley drückte die Hände der anderen, bevor er seine wieder zurückzog.
„Ja, Flad ! Das ist er, fürwahr. Ich danke Dir für diese Worte. Ich hätte nichts Besseres zu sagen gewusst!“
„Also, lasst uns über Pläne reden ...“, sagte Hadley und zog seinen Stuhl wieder heran. Er stopfte noch einmal seine Pfeife und wartete, bis Boggy noch etwas Bier und Brotfladen gebracht hatte.
Diese Nacht war noch lange nicht zu ende und es gab noch viel zu besprechen...
~
Padley erwachte erst spät am nächsten Morgen, vielmehr war es schon eher Vormittag. Die lange Nacht und die aufwühlenden Gespräche hatten dafür gesorgt, dass er lange Zeit erst nicht einschlafen konnte. So war er trotz der späten Stunde noch sehr müde und fühlte sich als surrte ein Schwarm Ghora-Hummeln durch seinen Schädel. Mühsam wälzte er seine Decke zur Seite und hievte sich aus dem Bett. Er schüttelte die Strohmatratze ein wenig auf und zog dann die wollene Zudecke glatt darüber. Ein allmorgendlicher Usus, den er nie ablegte und wenn er noch so müde war. Er gähnte ausgiebig bei diesem Gedanken.
Ist wohl bald mal wieder eine neue Füllung fällig für die Matratze ..., dachte er.
Na ja, ein paar Nächte wird´s noch gehen.
Er raufte sich genüsslich die vom Schlaf verstrubbelten schwarzen Haare, die ihm schon bis über die Schultern reichten. Barfuß schlurfte er zur Waschschüssel hinüber. Es war natürlich kein Wasser darin; in der tönernen Kanne die daneben auf dem Tischchen stand auch nicht. Natürlich! Gestern Nacht war er viel zu müde, um noch mal Wasser herein zu holen. Vom Waschen gar nicht zu reden! Er wunderte sich selbst, dass er es überhaupt fertig gebracht hatte, sich vor dem Schlafengehen noch zu entkleiden. Also grabschte er nach dem Tongefäß und stieß es mit einem unheilvollen Klonk gegen die Waschschale, die dadurch noch beinahe heruntergefallen wäre. Doch sie blieb zum Glück an ihrem Platz und auch der Krug blieb heil.
Mit einem Grunzer wandte er sich um und ging zur Haustür hinüber. Er schob den Riegel zur Seite und ließ sie aufschwingen. Die noch tief stehende Sonne blendete ihm ohne Vorwarnung ins Gesicht und scheuchte sofort den Hummel–Schwarm in seinem Kopf wieder auf. Geblendet kniff er die Augen zu und blinzelte ein paar Mal, bevor er es wagte die Lider wieder zu heben.
Als die bunten Ringe aus seinem Gesichtsfeld verschwunden waren, tappte er hinaus. Es schien ihm ungewöhnlich kalt für diese Tageszeit; bestimmt war das eine Folge seiner Müdigkeit.
Er ging die vier Schritte zu dem kleinen Brunnen hinüber, den noch sein Großvater angelegt hatte. Während er auf der aus Feldsteinen gemauerten Einfassung saß, ließ er den Holzeimer mit dem Strick hinab. Es genügte ihm ihn ungefähr halb voll laufen zu lassen, dann zog er ihn wieder zu sich hoch. Er füllte die Kanne so gut er konnte. Eine anständige Menge verschüttete er allerdings und ärgerte sich insgeheim darüber, dass jetzt seine Füße nicht nur nass geworden waren, sondern obendrein noch dreckig.
Er zuckte die Schultern und schlurfte mit dem Tonkrug zurück ins Haus. An der Schwelle streifte er seine Füße ein wenig ab, um nicht zu viel Schmutz mit hereinzutragen.
„Wen stört´ s eigentlich ...?“, brummelte Padley.
Beim Befüllen der Schale ging er vorsichtiger zu Wege und beförderte das Wasser hinein ohne eine Überschwemmung zu verursachen.
Er wusch sich ausgiebig. Das kalte Nass vertrieb merklich und nachhaltig die Müdigkeit. Er betrachtete sich in der handtellergroßen Silberscheibe, die ihm als Spiegel diente. Mit dem Kamm brachte er seine Haare in Ordnung, bevor er sie im Nacken mit einem Lederriemen zusammenband.
Das kleine Cossa–Ästchen, dessen eines Ende mit festem Leinen umwickelt war, tauchte er kurz in das Wasser ein und dann in die kleine Schale mit dem Gemisch aus Salz, Soda und Kräutern. Er schob es sich in den Mund und putzte damit seine Zähne. Viele ältere Ragwin hielten das für dummes und neumodisches Zeug, aber schließlich wollte er nicht mit fünfzig nur noch braune Ruinen im Mund tragen. So wie einige von ihnen! Er grinste bei dem Gedanken.
Nach der ausgiebigen Zahnpflege zog er sich an. Die knielange, lederne Hose, ein frisches Leinenhemd und die dunkle Weste. Zum Schluss streifte er noch Socken über, bevor er in seine Stiefel schlüpfte.
Seine Pfeife rief ihm vom Kaminsims aus zu: Los stopf mich!
Aber er entschied sich erst einmal zu frühstücken. Ein einfaches Mahl sollte für den Start in den heutigen Tag genügen. Großen Appetit hatte er ohnehin nicht. Er aß ein wenig von dem angefangenen Kräuterbrotfladen und trank einen seiner kräftigen Tees. Darauf war er besonders stolz: Seine Sammlung guter Teesorten! Einige hatte er sich sogar in Corning und Borbath besorgt.
Nach dem eher kargen Mahl, griff er dann doch zur Pfeife. Er drehte sie ein, zwei mal in der Hand hin und her, bevor er sie schließlich doch einfach in die Innentasche seiner Weste steckte. Vorsorglich hängte er sich aber den Tabaksbeutel an den Gürtel. Er ging nie ohne Pfeife und Kraut aus dem Haus.
„Wär' ja noch schöner ...“, sagte Padley zu sich selbst, seinem Tabaksbeutel und wem auch immer.
Kurz darauf verließ er sein Haus und machte sich auf den Weg zu Hadley Cornpie, so wie sie es am Vorabend vereinbart hatten.
Es musste tatsächlich schon recht spät sein, denn im Dorf herrschte schon reges Treiben. Die meisten Ragwin gingen ihren Beschäftigungen nach. Hier wurden Körbe geflochten, dort verlas man geerntete Beeren und woanders wurde Teig geknetet. Man schenkte ihm im Vorbeigehen ein freundliches Nicken oder rief ihm ein kurzes Hallo zu. Er tat es ihnen gleich und gab ein gelegentliches Schon so fleißig heute? oder etwas in der Art von sich.
Padley war sich noch nie so bewusst gewesen wie heute, wie gern er doch eigentlich in Fildrem lebte. Die Leute hier waren ganz einfach liebenswert. Meistens jedenfalls; na ja und ein oder zwei Ausnahmen gab es natürlich...wie wohl überall auf der Welt.
Dies war sein Zuhause und das Heim seiner besten und ältesten Freunde.
Er hing so sehr seinen Gedanken nach, dass er gar nicht bemerkte, dass er schon Hadleys Haus erreicht hatte. So erschrak er fürchterlich, als er fast mit ihm zusammenprallte. Hadley Cornpie musste bereits in der Türöffnung gestanden haben. Zumindest dann, wenn er nicht auf magische Art und Weise aus dem Nichts erschienen war.
„Uuups!“ brachte Padley nur hervor und machte einen Schritt rückwärts.
„Oh, so in Gedanken?“, schmunzelte sein Gegenüber.
„Ja, ich bin wohl doch noch etwas Müde. Guten Morg..., äh wohl eher guten Tag, Hadley!“
„Ich bin auch nicht gerade mit den ersten Sonnenstrahlen aufgestanden. Also komm herein! Flad und Boggy sind schon hier.“
Padley Barleycorn ließ sich nicht zweimal bitten und folgte Hadley in dessen Haus.
Er bewunderte immer wieder wie sauber und aufgeräumt es hier war. Es war der Gute Geist des Hauses, der dafür sorgte. Flindha, Hadleys Frau. Sie winkte Pad freundlich zu, als er eintrat. Sie machte sich gerade mit einigen Töpfen am Herd zu schaffen und es duftete bereits köstlich nach einem ihrer wundervollen Eintöpfe.
Sie waren schon ein seltsam anzusehendes Paar! Hadley mit seinen dreieinhalb Fuß Körpergröße, muskulös und dunkelhaarig. Fast hätten er und Padley vom Aussehen Brüder sein können, mal abgesehen davon, dass Hadley nicht so lange Haare hatte. Flindha hingegen war fast einen Kopf kleiner als ihr Mann und sehr zart, fast grazil anmutend. Und ihr Haar war ein sonnengelbes Meer, wie wogende Ähren. Das Haus brauchte kein Licht, solange Flindha hier erstrahlte...
Er trat zu den Anderen an den Tisch und schüttelte ihnen die Hände, bevor er sich setzte.
Hadley brachte noch einen Becher und goss aus dem Krug, der bereits vor Flad und Boggy stand, etwas ein. Padley nickte dankend und nippte einmal an dem kühlen Früchtetee.
„Habt ihr schon etwas besprochen, wovon ich wissen müsste?“
„Nein, nein“, sagte Flad und schüttelte den Kopf. Dabei löste sich der Knoten der sein immer etwas strubbeliges, braunes Haar zusammenhielt. Mit einem leisen Seufzer zog er das nutzlos gewordene Band heraus und steckte es in die Westentasche. Er schien verlegen und die kleine Narbe, die sich vom linken Nasenflügel aus zwei Finger breit über seine Wange zog färbte sich rot. Das tat sie immer, wenn er verlegen war oder sich aufregte.
„Wir haben auf dich gewartet, Pad! Aber wir sind ja eh noch nicht lang hier. Gab also kaum Gelegenheit zum reden.“
„Na, dann lasst uns mal loslegen“, forderte Hadley.
Boggy schien dagegen keine Einwände zu haben und blickte die anderen stattdessen erwartungsvoll an. Er sah immer ein wenig wie ein zu groß geratenes Kind aus mit seinen dunklen Kulleraugen. Lag vielleicht auch daran, dass er einer der wenigen Ragwin war, die sich die Haare kurz schnitten. So sah sein dunkelblonder Lockenkopf immer ein wenig wie eine Mütze aus.
Hadley Cornpie stopfte erst einmal seine Pfeife und bot den anderen ebenfalls von seinem Tabak an. Lediglich Padley nahm etwas aus dem kleinen, mit Holzperlen bestickten Lederbeutel und verfrachtete es in den Kopf seiner Pfeife. Flindha war fast unbemerkt an sie herangetreten. Zwar traf ihren Mann ein leicht tadelnder Blick – sie mochte nicht, wenn im Haus geraucht wurde – aber dennoch hatte sie einen glimmenden Span aus dem Kamin mitgebracht. Padley nahm ihn ihr mit einem freundlichen Dankeschön ab. Er hielt ihn zunächst seinem Gegenüber hin, der sich vorbeugte und ein paar Mal paffte, bis die Pfeife endlich angezündet war. Erst dann steckte Padley ihn in den eigenen Tabak. Kleine Rauchwölkchen standen schnell über dem Tisch und verbreiteten ein herrliches Aroma.
Hadley wollte einfach nie verraten, wie er dieses unwahrscheinlich gute Kraut hinbekam. Was mengte er da nur unter den Tabak?
„Wir haben es ja schon gestern Nacht recht ausführlich erörtert. Wir werden noch diverse Vorbereitungen treffen müssen!“, begann er ihre Besprechung.
„Ja natürlich“, stimmte Flad zu. „Nur dürfen wir wohl auch nicht zuviel Zeit verlieren!“
„Das ist richtig. Wir wissen aber auch noch nicht so ganz genau, wohin wir eigentlich gehen müssen, oder wo wir suchen sollen, oder sogar WAS!?“
„Wir benötigen auf jeden Fall für eine längere Expedition entsprechende Ausrüstung“, warf Boggy ein.
„Auf jeden Fall! Außerdem müssen wir in den alten Aufzeichnungen forschen. Lorna Rivergrass und ihr Mann Kodney beherbergen alles was es an Material über die Geschichte der Ragwin, die alten Legenden und alles andere was je aufgezeichnet wurde, gibt. Schließlich ist Kodney der Dorf-Archivar und hat wohl auch eine stattliche Sammlung an Abschriften aus Hulgen, Corning und den anderen Siedlungen zusammengetragen.“
Flad rieb sich einige Male das Kinn.
„Nun“, sagte er dann. „Boggy und ich sind nicht so belesen, wie ihr beide es seid. Ich würde vorschlagen, dass wir uns dafür um die Ausrüstung und den Proviant kümmern. Pad und du, ihr solltet euch durch die Papiere wühlen. Wäre das für euch in Ordnung?“
„Also wenn du mich fragst, Hadley, dann ist das eine gerechte Aufgabenteilung. Was denkst du?“
„Keine Einwände, Padley. Dann lasst uns loslegen. Ihr seht unsere Bestände durch und besorgt im Dorf alles Weitere. Und ich werde mit Pad losziehen und Lorna und Kodney Rivergrass auf die Pelle rücken ...“
Flad war bereits halb aufgestanden.
„...aber vorher lasst uns etwas Essen. Flindha wäre sonst furchtbar nachtragend, wo sie sich so viel Mühe mit dem Kochen gegeben hat.“
Boggy grinste breit und Flad ebenfalls, während er sich wieder setzte.
Flindha gesellte sich bald zu ihnen und sie aßen zu fünft. Schwatzten über dies und das. So verging schon bald eine geschlagene Stunde ehe sie sich von Hadleys Frau herzlich verabschiedeten und das Haus verließen.
Vor der Tür ergriff Hadley noch einmal das Wort.
„Überstürzte Hast, Freunde...“, sagte er „... ist sicher nicht angeraten. Aber trotzdem sollten wir auch nicht trödeln. Wir wissen nicht, was Kh’Rhybok als nächstes plant und wie schnell er es tut.“
Padley, Boggy und Flad stimmten dem vorbehaltlos zu.
„Vier Tage! Vier Tage und deren Nächte, wenn nötig. Das muss unser Limit sein. Wir werden uns jeden Tag bei mir um die Mittagsstunde treffen und uns austauschen...“
„Und köstlich essen, wenn uns Flindha gewogen bleibt.“, grinste Pad und klopfte Hadley mit der Rückseite der flachen Hand an den Bauch.
„Natürlich!“, antwortete der mit einem ebenfalls meilenbreiten Lächeln.
Dann trennten sich für diesen Tag ihre Wege. Flad und Boggy verschwanden in Richtung Schmiede, während die beiden anderen Ragwin sich zum Nordrand des Dorfes aufmachten, um die Rivergrass` aufzusuchen.