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KRISTALLBILDUNGEN

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»Immer strahlend, wie macht sie das? Sie ist doch eine intelligente Person!«

Günther Anders

Menschen setzen im Alter Kristalle an. Ich finde es immer wieder erstaunlich, wer wem plötzlich nachweint oder unverhofft eine Lobesrede hält. Bei dieser Kristallbildung spielen das hohe Alter und die im Schwinden begriffenen Kräfte eine nicht unähnliche Rolle der hohen Luftfeuchtigkeit und niedrigen Temperatur, die die physikalische Voraussetzung für die Bildung von Eiskristallen sind. Mit diesem faszinierenden Prozess vergleichbar, wird das in die Jahre gekommene Leben zu einer Art Kristallisationskeim, an dem, einmal in Gang gesetzt, ein nicht mehr aufzuhaltendes Kristallwachstum zu beobachten ist. Interviews, Reportagen, Altersjubiläen und Laudationes mischen sich mit Ehrungen und Auszeichnungen, die man in jüngeren Jahren nie und nimmer bekommen hätte. Und so schließt sich stückweise jene Fensterscheibe, durch die wir zeitlebens in die Zukunft blickten, mit Kristallen, die zwar die Aussicht trüben, aber unseren Rückblick schmücken. Gegen diesen Glanz ist an sich nichts zu sagen, solange man sich vor Augen hält, wie schnell auch das schönste Eiskristallbild verdampfen kann.

Bei mir fing diese Kristallbildung ab dem 50. Lebensjahr an. Ehrenkreuz, Ehrenzeichen, Medaillen und Ehrenmitgliedschaften und der Goldene Ehrenring des Burgtheaters für die Verdienste um die Kollegenschaft, der mich am meisten berührte, waren das Vorspiel zu meiner Professorenernennung am Ende meiner Tätigkeit für den Opernball. Seither ist die Kristallbildung nicht mehr aufzuhalten und ich fürchte, dass ich mit meiner offensichtlich von meiner Mutter geerbten Langlebigkeit, wie schon des Öfteren in meinem Leben, das System ein wenig in Verlegenheit bringen könnte, weil ich so gut wie alle systemmöglichen offiziellen »Kristalle« erhalten habe.

Aber das soll nicht meine, sondern die Sorge anderer sein. Ein weiteres Privileg des Älterwerdens!

Postskriptum

So rot kann eine Republik gar nicht sein, dass alle Medien Jubelschreie auslösen, wenn ein gekröntes Haupt unser Land betritt. Und so verkündete auch ich voller Stolz bei der Pressekonferenz für den Opernball 1988: »Also, jetzt haben wir wieder einen echten König zu Gast.«

Doch die Freude über die Anwesenheit des Monarchen König Hussein und seiner Gattin Königin Nūr wurde wenige Stunden nach seinem Eintreffen in Wien jäh gedämpft, als offiziell mitgeteilt wurde, dass der Ballbesuch wegen Unruhen im Nahen Osten abgesagt werden muss. Die Polizei atmete auf und die Boulevardmedien waren in einer prekären Lage, denn sie hatten schon die Titelseiten − so wie auch wir auf unserer Opernballzeitung − gedruckt.

Wie dem auch sei − die Gesellschaft und die Medien kamen um »ihren« König und ich hatte mit den daraus folgenden Unannehmlichkeiten alle Hände voll zu tun. Aber im Wissen, dass der Ball mit oder ohne König genauso lustig oder unlustig sein würde, hielt sich mein Bedauern über die Absage in Grenzen. Außerdem hatte der König zuvor schon beschlossen, mir den jordanischen Unabhängigkeitsorden (Commander of the Order of Al-Istiqlal) zu verleihen. Und so bekam ich meine bis dato höchste und schönste Auszeichnung mitsamt Zertifikat für etwas, das nie stattgefunden hat.

In Anlehnung an ein heute geflügeltes Wort frage ich mich noch immer: »Was war meine Leistung?!«



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